Brief von Carsten - §129a Gefangener aus Magdeburg

Soligruppe 23.05.2003 01:00 Themen: Repression
Seit Mitte Apri sitzen nun auch Carsten neben Daniel und Marco in Untersuchungshaft. Einen ersten Brief von ihm findet ihr hier.
Liebe Genossinnen und Genossen, liebe Freundinnen und Freunde,


am 16.04.2003 wurde unser Freund und Genosse Carsten Schulze im Auftrag der Bundesanwaltschaft (BAW) und des Ermittlungsrichters am Bundesgerichtshof Hebenstreit, durch Beamte des LKA Magdeburg festgenommen und nach Karlsruhe und anschließend in die JVA Rheinbach verschleppt. Vorgeworfen wird ihm die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung gemäß § 129a StGB. Somit sitzt nun mittlerweile ein dritter Genosse aus Magdeburg bzw. Quedlinburg mit einem § 129a Vorwurf in Untersuchungshaft.

Die BAW und das Bundeskriminalamt (BKA) brauchten, um den konstruierten Vorwurf der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung gemäß § 129a StGB gegen die Magdeburger aufrecht erhalten zu können, dringend eine dritte Person. Mit der Verhaftung von Carsten können sie nun eine Vereinigung - den mindestens drei Personen können nur eine Vereinigung im Sinne des § 129a gründen - vorweisen. Dabei scheint es völlig egal zu sein, wie abenteuerlich das Konstrukt ist. Die Hauptsache ist, daß die BAW als auch das BKA Erfolge vorweisen können.

Daniel, Marco und Carsten wurden Opfer eines Systems von Überwachung und entfesseltem Sicherheitswahn. In Zeiten eines angeblich weltweiten "Kampfes gegen den Terror" fielen sie der nahezu fanatischen Ideologie der "Inneren Sicherheit" in die Hände, sie wurden mit riesigem Aufwand überwacht, ihr persönliches Umfeld minutiös ausgeleuchtet und anschließend Untersuchungshaft verhängt. Der Widerstand gegen dieses autoritäre System der "Inneren Sicherheit" und gegen den bundesdeutschen Sicherheitswahn ist zu Recht schon lange Thema der politischen Linken. Daran werden wir anknüpfen.

Nun gilt es, diesen Staatsschutzangriff zurück zu schlagen und zu zeigen, daß wir uns durch ihre Einschüchterungsversuche nicht von unseren politischen Ideen, Vorstellungen und unserer politischen Arbeit abbringen lassen und das die drei Inhaftierten, sowie die weiteren 5 Beschuldigten sich unserer Solidarität sicher sein können.

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Carsten Schulze
über den Ermittlungsricher am Bundesgerichtshof, Hebenstreit
Herrenstraße 45a
76125 Karlsruhe


Bücher, Zeitungen und Zeitschriften können an Carsten direkt gesandt werden, die Anschrift lautet:


Carsten Schulze
JVA Rheinbach
Aachener Straße 47
53359 Rheinbach




Im folgenden Dokumentieren wir einen Brief von Carsten aus der JVA Rheinbach.

Soligruppe Magdeburg/Quedlinburg (8Mai 03)






Liebe GenossInnen und FreundInnen

Am 16.4.2003 wurde ich, gegen 14.00 Uhr, auf meiner Praktikumsstelle in Magdeburg vom FK 4 (Kripo für politisch motivierte Straftaten) verhaftet. Es wurde mir mitgeteilt das gegen mich ein Haftbefehl, vom Bundesgerichtshof, vorliegt. Aus diesem Haftbefehl ging hervor, daß ich beschuldigt werde, Mitglied in einer terroristischen Vereinigung (§129a) zu sein. Diese Vereinigung soll sich spätestens im August 2001 in Magdeburg gegründet haben und unter wechselndem Namen mehrere Brand- und Sprengstoffanschläge begengen haben. Folgende Brandanschläge soll die Vereinigung begangen haben:


1. Brandanschlag am 21,08.2001 auf eine Daimler Chrysler AG Niederlasung in MD unter dem Namen " revolutionäre aktion carlo guliani"

2. Brandanschlag in der Nacht vom 17. Auf den 18.02.2002 auf zwei Fahrzeuge der Deutschen Telekom AG in Magdeburg unter dem Namen " kommando freilassung aller politischen gefangenen"

3. Brandanschlag am 18.03.2002 auf das Gebäude des LandeskriminalamtesSachsen-Anhalt und etwa zeitgleich ein versuchter Brandanschlag auf ein Dienstfahrzeugdes BGS, beide Anschläge fanden ebenfalls in Magdeburg statt, unter dem Namen
"kommando freilassung aller politischen gefangen"


Zu allen Anschlägen soll es Selbstbezischtigungsschreiben geben, desweiteren soll die Vereinigung noch unter dem Namen "kommando globaler widerstand" aufgetreten sein, welchen Anschlag das "kommando globaler widerstand begangen haben soll geht aus meinem Haftbefehl jedoch nicht hervor.


Bereits am 27.11.2002 wurden Marco und Daniel, unter dem Vorwurf sie hätten dieAnschläge auf das LKA und dem BGS begangen, verhaftet. Seit dem sitzen beide in U-Haft. Am 01,04.2003 kam es mehreren Hausdurchsuchungen in Magdeburg und Dessau, wobei auch die WG durchsucht wurde, wo ich bis zu meiner Verhaftung wohnte.
Aus meinem Haftbefehl ging nicht hervor, ob bei mir etwas beschlagnahmt wurde, was zur abenteuerlichen Konstruktion der Bundesanwaltschaft paßt. Ein Großteil unserer Gegenstände die das BKA in unserer WG beschlagnahmte, sind schon vor meiner Verhaftung an meinen Mitbewohner wieder ausgehändigt wurden.

Da am 27.05.2003 die 6 Monate U-Haft von Daniel und Marco um sind und sie damit eine erneute Haftprüfung, vor der nächst höheren Instanz, beantragen können, sah sich wohl die BAW einem ungeheuren Erfolgsdruck ausgesetzt. Da eine terroristische Vereinigung mindestens 3 MitgliederInnen beinhalten muß, lag es wohl auf nah noch einen "Terroristen" zu konstruieren.

Aus meiner Sicht scheint es fast so, daß die BAW fürchtet, daß ihre haarsträubende Konstruktion, vor der nächsten Überprüfung des Haftgrundes für Daniel und Marco, nicht mehr stand hält und sie dem Ermittlungsricher einen neuen Fund präsentieren mußten.


Die Konstruktion der BAW


Laut der BAW soll sich die terroristische Vereinigung aus dem "Autonomen Zusammenschlusz Magdeburg" heraus gebildet haben. Demnach sollen "fast alle Mitglieder" des "Autonomen Zusammenschluszes" ab August 2001 der terroristischen Vereinigung angehören. Dies ist ein weiterer Versuch eine bestehende, legale, linke Gruppe zu kriminalisieren, so wie es schon in der Vergangenheit in Göttingen oder Passau geschehen ist. Die BAW blendet dabei völlig die Geschichte und den Aktionsrahmen des "Autonomen Zusammenschluszes" aus. Die "AZ" gründete sich Anfang 2000 mit dem Ziel linke und linksradikale Themen öffentlich zu machen. So wurden Infoveranstaltungen, Volxküchen, Demonstrationen, Kundgebungen, Flyeraktionen und Konzerte organisiert. Es entstand eine offizielle Internet-Homepage und es gab ein Postfach (was auf vielen Flugblättern und auf der Homepage als Kontaktadresse erwähnt wurde), dies alles sind keine Merkmale einer konspirativ organisierten Gruppe, was die BAW aber anscheinend nicht zum nachdenken anregt. Das fast alle aktiven Mitglieder im AZ bekannt waren (z.B. durch die Anmeldung des Postfaches und der Homepage, oder durch Demoanmeldungen) ist mehr als ungewöhnlich für eine terroristische Vereinigung. Auch die Treffen wurden an öffentlichen Orten abgehalten. Tut so etwas eine Gruppe die sich laut BAW "streng nach außen abschottet"?


Der § 129a


Der eigentlich zur Terrorismusbekämpfung eingeführte § 129a StGB gestattet den Ermittlungsbehörden eine umfassende Überwachung politischer Gegner. Der umstrittene Paragraph wird seit Jahren ohne großes öffentliches Interesse gegen kleinere, legale linke Organisationen angewendet. Verschärft wurde der Paragraph immer dann wenn eine Widerstandsbewegung besonders stark geworden war. So zum Beispiel 1986 als das Umsägen von Strommasten als terroristische Aktion mit aufgenommen wurden, gerade als die Anti-AKW-Bewegung ihren Höhepunkt erreicht. Der Paragraph wurde in den 90ern massenhaft gegen die radikale Linke eingesetzt. Im Zeitraum 1996 - 2000 wurden z.B. 494 § 129a Verfahren gegen Linke eingeleitet (wöchentlich zwei) und insgesamt während des gesamten Zeitraumes 3 Verfahren gegen Rechte. In nur 29 Verfahren kam es überhaupt zur Anklageerhebung, insgesamt 3% der Verfahren mit einem Urteil. Dieser Paragraph wird hauptsächlich zur Einschüchterung und Überwachung von unbequemen politischen Menschen genutzt. Er ist ein Gesinnungsparagraph, dessen Abschaffung Bündnis 90/ Die Grünen bis zu ihrer Regierungsbeteiligung forderten, der schwammiger nicht sein könnte.


Die Fluchtgefahr


Laut dem Emittlungsrichter lag bei mir eine Fluchtgefahr vor. Diese lag vor, weil ich bei meiner Hausdurchsuchung mich von meiner Wohnung fernhielt, obwohl ich von dieser informiert war. Ich befand mich die ganze Zeit in einem öffentlichen Jugendclub.Außerdem fuhr ich einen Tag nach der Durchsuchung nach Berlin, um mich mit meinem Anwalt zu treffen. Des weiteren habe ich mich geweigert meine beschlagnahmten Gegenstände persönlich von der Kripo abzuholen und statt dessen meinem Mitbewohner eine schriftliche Vollmacht ausstellte, so daß dieser die Sachen ausgehändigt bekam. Dies waren die richterlichen Begründungen für meine Fluchtgefahr.

Den Richter schien es nicht zu interessieren, daß ich nur meine Rechte in Anspruch nahm. Er ignorierte auch, daß ich eine feste Wohnung habe, eine Schulausbildung machte und ein festes soziales Umfeld besitze. Auch ich mir seit dem 27.11.2002 (Verhaftung von Daniel & Marco) denken konnte das gegen mich ermittelt wurde und seit dem 01.04.2003, durch den Durchsuchungsbeschluß, es auch noch schriftlich hatte und ich jede Möglichkeit gehabt hätte abzutauchen, war nicht von Interesse. Weiterhin wurde auch meine Zusammenarbeit mit der Soligruppe Magdeburg/Quedlinburg (u.a. die Anmeldung einer Kundgebung und eine Pressekonferenz, wo sich die Soligruppe, einschließlich mir öffentlich präsentierte, einen Tag vor meiner Verhaftung) keinerlei Bedeutung beigemessen. Auch mein Anwalt konnte beim besten Willen nicht verstehen, wo bei mir Fluchtgefahr vorgelegen haben soll.


Fazit


Ich wurde in die JVA Rheinbach überführt, wo ich seit dem 17.04.2003 einsitze. Die Gesprächsangebote des BKA wurden von mir abgewiesen.

Ich habe keine verschärften Sicherheitsmaßnahmen außer , daß das BKA die Besuche (außer Anwaltsbesuche) überwacht und meine Post vom BGH überprüft wird.


An dieser Stelle möchte ich der Soligruppe Magdeburg/Quedlinburg viel Kraft und Liebe wünschen, ich weiß ihr habt es nicht einfach.

Ansonsten viel Mut, Kraft und Ausdauer an alle, die den Kampf gegen Unterdrückung nicht aufgeben und für eine gerechtere und sozialere Welt weiterkämpfen!

KEINE ATEMPAUSE, GESCHICHTE WIRD GEMACHT, ES GEHT VORAN!

Mit anarchistischen Grüßen Carsten - § 129a Gefangener; JVA Rheinbach, 23.04.2003
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Ergänzungen

16.05.2003 - 10:50
oh scheiße, da gehts wieder gegen uns alle.
deshzalb, solidarisch grüße an die soligruppe und die gefangenen!!!

keine aufregung

loki 23.05.2003 - 17:07
der beitrag ist wahrscheinlich nochmal drin, weil das erste (!) posting nach sehr kurzer zeit wieder verschwunden ist. die darauffolgenden versuche standen auch nur wenige stunden hier. und da nicht jeder täglich 5 mal bei indy reinschaut ist es doch nicht schlecht wenn der beitrag jetzt mal drin bleiben würde. dann wird er mit sicherheit auch nicht noch einmal gepostet, OK?