Dokumentation von drei Artikeln zum 1. Mai 1989

k.A. 04.05.2003 18:46 Themen: Soziale Kämpfe
Es gab mal eine Zeit, in der wurde nach großen, linken Events in Berlin noch eine anständige Auswertung der Presse und eigenen Flugis dazu betrieben. Das alles wurde dann in so gelbe Dokus verpackt, die einen heute an das schönste Schülerzeitungs-Layout erinnern ...

Weiter erinnern wir uns, dass 1989 der 1. Mai zum ersten Mal unter einer rot/grünen Regierung stattfand, die dann etwas über ein Jahr hielt und 1990 nach der Räumung der Mainzer Straße in Friedrichshain durch die AL (Alternative Liste = Grüne in Westberlin) kurz vor den ersten, gesamtdeutschen Bundestagwahlen aufgelöst wurde.

Erschienen sind diese drei Artikel am 13.5.1989 in der "RZ", leider war diese nicht bei den Zeitungskürzel aufgeführt, aber ich denke mal das ist eine Kreuzberger Publikation gewesen. Wenn wer etwas genaueres weiß, bitte ergänzen.

Interessant sind die Parallelen nach 14 Jahren auf jeden Fall und teilweise haben sie gerade eine prophetische Sicht auf die Dinge damals, meiner Meinung nach, aber lest sie doch am besten selber!
Wessen Kiez?

Kommentar aus der RZ 13.5.89

"Die zerstören unseren Kiez!", war einer der meistzuhörenden Sprüche nach den riots vom Ersten Mai. Tun sie? Interessant ein Blick auf die Liste der tatsächlich entstandenen Schäden: Steine flogen gegen Spielhallen, Supermärkte und Sexshops, Polizisten und deren Fahrzeuge. Es wurden Autos abgebrannt sowie eine Tankstelle gescherbt. Außerdem wurden einige Quadratmeter Straßenpflaster umgegraben.

Spielhallen, in denen aus der Langeweile der Kids (wieso nur der? fragt sich dk) Geld gemacht wird, Sexshops, die Frauenverachtung in Reinkultur ausdrücken, Autos, die mit 60 durch die Verkehrsberuhigung in der Wrangel rasen und dabei auch schon mal ein Kind wegwanzen, Polizisten, die dir en passant vorm Madonna den Schädel einschlagen - das ist Euer Kiez?

Na gut, meiner nicht. Das Kreuzberg, das ich mir wünsche, käme ohne diesen ganzen Müll aus, und falls ihr wirklich so dran hängt, solltet ihr vielleicht umziehen - z.B. in Richtung Potse, da gibts nämlich noch mehr von dem Zeug. Ciao!

Wie, Einwände? Ach, der Görlitzer (Plastik-) Park. Ja. Abgesehen davon, daß eine Menge Leute für diese Parkplanung garnicht soviel übrig haben, solltet ihr Euch hier an die Polizei wenden. Der größte Teil der Parkanlagen fiel nämlich den Rangierübungen von Wasserwerfer und Räumpanzer zum Opfer. ogv


---- schnipp ----


Aufruhr gegen die synthetische Zeit

aus der RZ 13.5.89

Jedem halbwegs wachen Menschen dürfte es mittlerweile klar sein: Es geht zuende. Die Horrorvision der 70er, der allesvernichtende Atomkrieg, hat einer anderen Bedrohung Platz gemacht: der endgültigen ökologischen Katastrophe. Die steht bevor, eine Einsicht, der man sich auch mit sehr viel Optimismus kaum noch verschließen kann. Der Grund für diese Entwicklung ist ebenfalls leicht auszumachen - die Konsum- und Industriegesellschaft mit ihrer immer umweltzerstörerischeren Herstellung immer unnötigerer Produkte. Ein großer Teil der Bevölkerung schafft es nach wie vor, diesen Sachverhalt zu verdrängen, man macht weiter wie die Ballgesellschaft der sinkenden Titanic, getreu der Devise: eine Gefahr, die ich nicht sehe, ist nicht existent.

Aber immer mehr Menschen gelingt diese Verdrängung einfach nicht mehr, schleichend breitet sich eine Endzeitstimmung aus. Manche halten diese Realität nicht aus und zerbrechen daran - nie zuvor in der Geschichte gab es soviele Suchtkranke, Selbstmord ist mittlerweile die zweithäufigste Todesursache unter Jugendlichen, Depressionen sind nach Angaben von Ärzten auf dem Weg zur "Volkskrankheit Nr. 1". Und dann gibt es die Menschen, die auf eine Welt, die sie jeder Perspektive beraubt, nur noch mit Hass reagieren.

Wenn ich im Supermarkt stehe und mir das unendliche Angebot aktuellster Überflüssigkeiten betrachte, wenn ich realisiere, wieviel Regenwald für das argentinische Rindersteak niedergemacht wurde, wieviel Tiere in Tierversuchen für die neue Wimperntusche massakriert wurden, wieviele Fische am neuen Wunderweißwaschmittel verrecken werden, wieviel von der Ozonschicht am neuen Intimspray draufgehen wird, dann regt sich in mir nur noch ein einziger, unbändiger Wunsch - Zerstörung.

Und in einer Situation, in der das mechanische Weltbild der Konsumgesellschaft zur definitiv letzten Sclacht gegen die Natur antritt, haben 2000 Menschen diesen Wunsch verwirklicht. Die Symbole des krankmachenden Systems fielen orgiastischer Zerstörungswut zum Opfer. Spielhallen, in denen die "Freizeit" zur Ware wird, Sexshops, in denen Frauen zur Ware gegradiert werden, Tankstellen und Autos - der Fetisch Individualverkehr, Getränkemärkte, die den Großteil ihrer Gewinne aus der Alkoholsucht ziehen, Baustellen für noch mehr Parkplätze und die Polizei, der Sicherungsmechanismus der Konsumgesellschaft..., die Zerstörungen waren garnicht so blindwütig.

Woher aber nun diese immense Aufregung, gerade unter "Alternativen" hier im Kiez? Die Steine vom ersten Mai flogen nicht nur gegen Polizisten und Fensterscheiben. Sie flogen auch geradewegs in Sofaecken jener Linken, die versuchen, die gesamtgesellschaftliche Realität weitmöglichst zu verdrängen. Daß vor ihren Wohnzimmerfenstern 2000 mit einer derartigen Kompromißlosigkeit gegen die zerstörerische Normalität aufstanden, brachte ihre mühsam aufgebaute Welt ins Wanken. Nichts ist wirklich vergessen, alles Verdrängte lauert nur auf die Möglichkeit ans Tageslicht zu gelangen.

Und diese Leute wissen sehr genau, daß es eigentlich nicht die Zeit ist, sich im ausgebauten Selbshilfehaus zur Ruhe zu setzen, den Hof zu begrünen und das latent vorhandene schlechte Gewissen mit gelegentlichen Spenden im Bioladen zu beruhigen. Sie wissen, daß die Situation eigentlich einen sofortigen massenhaften Aufstand gegen die pervertierte Warengesellschaft einfordert, sehen sich zu diesem aber nicht in der Lage und haben sich daher eingerichtet in ihrer Simulation von Leben. Und jetzt möchsten sie nicht ständig an ihre Widersprüchligkeiten erinnert werden.

Das Ganze ist zwar verständlich, aber nichtsdestotrotz erscheint der Wunsch, der Rest der Menschheit möge doch bitte immer und in jeder Lage Rücksicht auf das Seelenleben dieser empfindlichen Charaktere nehmen, etwas illusorisch. Als Alternative ständen zur Auswahl: Entweder eine Land-WG oder aber endlich aufwachen. Kassandra


---- schnipp ----


Auf dem Silbertablett

aus der RZ 13.5.89

Nun ist es also passiert. Der Dschungel hat erneut gerülpst ("tempo" zum 1. Mai 1987). Und es gibt wohl keinen, der es nicht gehört hat. Und ein jeder, der wie auch immer im Rampenlicht der Öffentlichkeit steht, sieht sich genötigt, sich auf's Schärfste davon zu distanzieren. Darunter ist auch mancher, der am Tag des großen Aufstoßens noch mit leuchtenden Augen und dem Arm voll steinernen Argumenten durch den Kiez marodierte.

Und allerorts herrscht großes Wundern, wie denn dies nun wieder geschehen konnte. Ferner hatte ja auch nichts darauf hingedeutet, daß es passieren konnte. Alles jault, die Umsätze der Journaille schlagen Kobolz und die AL ist geschlossen "...betroffen, echt irgendwie...". Dabei hatten die im Zuge des Zeitgeistes rasierten Igelinnen noch den wenigsten Grund zu jammern und das Distanzieren vom militanten Mob können sie sich schon aus dem Grund schenken, alldieweil dieser sich schon vor längerer Zeit von ihnen distanziert hat.

Ncht zuletzt, weil sich die Erstgenannten verblüffend schnell an ihre Chefsessel gewöhnt haben, bezeichneten sie die Ereignisse selben Datums '88 bis zu ihrem Regierungsantritt als Bullenterror (was objektiv auch stimmt). Jetzt reden sie von Zusammenstößen an jenem Tag. Es macht sich wohl keiner hier im Kiez Illusionen, daß deren Reformen auch nur einen Schritt über die Einführung des biologisch abbaubaren Tränengases hinausgehen. Warum sollte ausgerechnet ihnen so ein Ding erspart bleiben...

Nicht weiter verwunderlich ist der Umstand, daß Pätzold (SPD-Innensenator) erst einen Tag nach dem großen Knall vom Verfassungsschutz über Anzeichen im Vorfeld des historischen Datums unterrichtet wurde, wenn man sein Verhältnis zu dieser Institution vor den Wahlen berücksichtigt. Hüten dazu noch während der gröbsten Kampfesphasen Hundertschaften Unbeschäftigter in den Nebenstraßen die Wannen, während ihre Kollegen die Hucke vollkriegen, so stinkt das Ganze regelrecht nach einem Kleinaufstand des Apparats gegen die vermeintlich linke Regierung.

Hat etwa gar das Dutzend bezahlter Autonomer das Spektakel inszeniert, das natürlich in 36 an so einem Tag auf einen mehr als fruchtbaren Boden fiel?

Einem halbwegs geübten Beobachter fällt auf, daß Krawall in 36 ständig von denselben Leuten in Szene gesetzt wird, die aufgrund des Lawineneffektes zum Leidwesen der herrschenden Klasse nicht greifbar sind. Wer diesmal den Anfang erlebt hat, dem wird nicht entgangen sein, daß es diesmal Andere waren, die den Putz vom Zaun brachen. Das sollte einem doch zu denken geben, wenn man dazu den diesmaligen Umfang des Störerpotentials in Betracht zieht. Obendrein lagen auch keinerlei Erkenntnisse über einen Zustrom auswärtiger Rabauken vor. Die logische Konsequenz daraus ist, daß sich hier fast ausschließlich Einheimische ausgetobt haben. Ob sich diesmal alles versammelt hatte, was mit den Ordnungshütern noch das eine oder andere Huhn zu rupfen hatte?

Mit den Freunden und Helfern, aus deren Einsatzfahrzeugen man schon am frühen Morgen des 1. Mai des Öfteren so etwas wie "...rote Fotzen..." vernehmen konnte?

Wir haben es hier offensichlich mit einem Mob zu tun, dem es offensichtlich nur recht sein kann, wenn die Büttel aufgrund deeskalierender Maßnahmen zur Abwechslung mal stillhalten müssen, da trifft man sie nämlich besser und das hat hier so mancher ausgenutzt, der jetzt den Betroffenen mimt. Ist ja auch einzigartig. Wann bekommt das Subproletariat denn schon mal Hummer auf dem Silbertablett serviert? Wer Fisch mag und da nicht zugreift, der sollte schleunigst zum Psychiater gehen... HKL
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Ergänzungen

danke

06.05.2003 - 03:10
hatte schon fast wieder vergessen, wie müllig und im schlechtesten sinn undialektisch diese spät 80er nichtanalyse daherkam. mob und kreuzberg. und autonome. danke

1. Mai 2003 Berlin - Zusammenstellung

11.05.2003 - 03:20