In Kontakt mit Bagdad - Update 44

--- 02.04.2003 01:55 Themen: 3. Golfkrieg Militarismus
Es ist nicht möglich, Informationen über den Angriff gegen zwei Kleinbusse, die nahe der irakisch-jordanischen Grenze unabhängige Reporter und Human Shields transportierten, zu bekommen. Dies ist nicht einmal Journalisten aus etablierten Medien gelungen, die sich hierfür verwendet hatten - Die entscheidenden Telefonleitungen sind tot, Mailsendungen kehren zurück an den Absender - Zwei griechische Lkws mit Hilfsgütern sind an der gleichen Grenze blockiert, weil die selben Jagdflugzeuge beim geringsten Versuch, die Grenze zu passieren, das Feuer eröffnen - In Bagdad tragen die Menschen derweil in tiefer Trauer die Toten von al-Shaab zu Grabe, und mit ihnen ihr eigenes Leben, so wie es bis zu diesem Krieg gewesen war.
In Kontakt mit Bagdad - Update 44

Stand: Tuesday April 01, 2003 at 10:00 PM

 http://italy.indymedia.org/news/2003/04/242053.php

Beerdigungen in Bagdad

Es scheint wirklich unglaublich, dass zwei Kleinbusse mit unabhängigen Reportern und Human Shields angegriffen wurden, während sie noch auf jordanischem Gebiet waren. Nicht weit von der irakischen Grenze. Die gleiche Grenze, an der seit drei Tagen zwei griechische Lkws mit Anhängern voller Nahrung und unverzichtbaren Medikamenten für die Krankenhäuser von Bagdad exakt auf dem Grenzstreifen von den selben US-Jagdflugzeugen blockiert sind, die jedes mal, wenn sie versucht haben, die Grenze zu passieren, nicht gezögert haben, in ihre Richtung zu schießen. Und jetzt bleiben sie dort stehen, mit ihrer extrem kostbaren Fracht, die vor sich hin verrottet, trotz der Tatsache, dass sowohl die Zugmaschine als auch die Anhänger sichtbar mit riesigen humanitären Schriftzügen und Transparenten in englischer und arabischer Sprache bedeckt sind.

Der Kontakt, den ich heute mit Bagdad unter noch nie da gewesenen Schwierigkeiten herstellen konnte, wusste nicht, was an der jordanischen Grenze passiert ist. Und ich habe es nicht über´s Herz gebracht, eine Nachricht zu überbringen, die sich als schrecklich und schmerzhaft erweisen könnte.

Viele Menschen, Radios, unabhängige Informationsmedien und um ehrlich zu sein auch Journalisten von gewichtigen nationalen Tageszeitungen haben den ganzen Tag versucht, eine Verbindung mit Amman in Jordanien herzustellen, mit dem Hotel, das normalerweise von den europäischen und amerikanischen unabhängigen Reportern genutzt wird, die auf dem Weg in oder aus dem Irak sind. Unverständlicherweise ist es nicht möglich gewesen, obwohl die Verbindungen mit Jordanien in der Regel gut sind, selbst durch die einfache Nutzung der internationalen Vorwahl.

Der Angriff dürfte in Rafah statt gefunden haben, und im städtischen Krankenhaus sollen sich mindestens fünf europäische und zwei amerikanische Verletzte befinden. Von den anderen hat man keine Nachricht. Die letzten Informationen die ich bekommen konnte berichten von einem Kleinbus, auf der Ausreise von Jordanien nach Irak und von einem anderen in entgegengesetzter Richtung, der einige unabhängigen Reporter nach einem Aufenthalt von einigen Wochen in verschiedenen Teilen Iraks brachte. Innerhalb etwa eines Kilometers sind beide Kleinbusse je von einer Rakete getroffen worden. Zuerst der eine und sofort danach der andere. Ich habe die Telefonnummer des Hotels in Amman und die Mailadresse eines heute belebten Kontaktes in der jordanischen Hauptstadt unter meinen Augen liegen. Die Post kommt zurück und das Telefon ist tot. Sollte ich irgendetwas gesichertes und geprüftes erfahren, werde ich es sofort schreiben.

Mein Kontakt in Bagdad hatte mir angekündigt, dass heute in Shaab, dort, wo die Bomben und die Raketen auf den Markt Dutzende Opfer und keiner weiß wie viel Verletzte gebracht hatten, die Beerdigung einiger der vom Bombardement zerquetschten und verschütteten Zivilisten stattfinden sollten. "Ordinary people" der Hauptstadt: Kleine Händler, Besitzer von kleinen Kiosks oder von Gemüse- und Hühlsenfrüchtebuden, Verkäufer von Teppichen und Kunsthandwerk aus Messing und Holz. Sogar ein Schlangenbändiger, der für ein paar Groschen mit seinen Tieren auftrat und die Marktbesucher zum Staunen und zum Lachen brachte.

Aber eine Beerdigung im Bombenhagel ist keine Beerdigung wie alle anderen. Man kann nicht geordnet in einer Gruppe einen Freund oder einen Bekannten begleiten. Es gibt keine Leichenwagen und keine Särge. Sechs mehr schlecht als recht zusammengenagelte Bretter mit dem Namen des Toten als aufgepinselte Anschrift an den Seiten. Der Körper des Opfers ist nicht zurechtgemacht, wie wir uns das für eine Beerdigung vielleicht vorstellen würden, er liegt offen da, und sichtbar, mit Armen und Beinen, die wie bei jemanden hängen, der in aller Eile hineingelegt wurde.

Es ist so: die Eile, die ist typisch für diese Straßen- und Schmerzbegräbnisse, eine von den Bomben und den Raketen diktierte Eile, die herunterplatzen und in wenigen Metern Entfernung explodieren. Der Schmerz ist das sichtbarste Bild, ein geschriener und gebrüllter Schmerz, mit diesen immerfort von den Verwandten und Freunden auf das Gesicht geklatschten Händen, als wollten sie diese unaufgeräumten und noch blutüberströmten Körper nicht sehen mit ihrem zersausten Haar und der verstaubten und zerrissenen Kleidung, als sei es die Fotografie des genauen Augenblicks in dem die Bombe sie ihrer Arbeit und ihrer Familie entrissen hat. Dem Leben.

Es ist so: bei diesen Beerdigungen ist das Leben nicht vorhanden. Dieses Leben, das auch für die engsten Verwandten bei Beerdigungen in Friedenszeiten weitergeht. Es geht weiter in den kleinen Gesten, in den vor Trauer glänzenden Augen. Aber es geht weiter. Nein, in Bagdad geht das Leben nicht weiter. In Bagdad wird nicht geweint, man schreit, und verflucht diesen Krieg. Alle begreifen, dass diese Begräbnisse auch etwas schreckliches und symbolhaftes transportieren: Das Ende ihres Lebens, so wie es bis hier gelebt wurde.

Eine Alte Frau, wer weiß wie alt genau, vielleicht achtzig und vielleicht älter, groß, so groß, dass sie nicht einmal richtig aus dem ebenso alten und großen schwarzen Mercedes aussteigen kann, der sie dorthin gebracht hat. Alle sind ihr liebevoll nah, versuchen, sie zu trösten, bieten ihr etwas Wasser an. Die Frauen versuchen vorsichtig und ohne es zu schaffen, ihren Schleier zurecht zu rücken, der bei jedem Schluchzen, bei jedem unvermittelten, wie nervösen Aufschrecken, das sie schüttelt, weiter auf ihren Hals rutscht.

Plötzlich öffnet sich die Menge um den Mercedes, sie lässt einen hölzernen Sarg durch, und lässt ihn genau dort, wo sich die alte Dame befindet, herab. Es ist das Begräbnis eines noch jugendlichen Mannes in einem Tarnanzug, mit einem langen und tiefschwarzen Bart. Vielleicht ein Enkel, vielleicht ein Urenkel. Die Frau stürzt sich auf die Hände des jungen Mannes, sie hebt sie an, führt sie zu ihrem Gesicht und lässt sie mit Gewalt über ihre Wangen gleiten. Ein letztes Streicheln, das ihr dieser ein wenig als Soldat, ein wenig als Milizionär und ein wenig als einer der sich als Militär oder als Milizionär kleiden will gekleideter Junge nicht mehr geschafft hat, ihr zu geben.

Mein Kontakt erzählt mir, dass er fortfuhr, Fotos zu machen, wobei er versuchte zu verstehen, was er sah, bevor er mit damit begann, es in Bildern festzuhalten. Aber er war dieser Frau dermaßen nah, dass er sie vor seinem Objektiv wiederfand, als der Sarg aus hellem Holz aus ihren Armen gerissen wurde. Sie und er, für einen Augenblick von Angesicht zu Angesicht. Die Frau hat die Rechte Hand erhoben, wobei ein goldener Armreif voller Anhänger aus dem Ärmel des dicken schwarzen Kleides hervorlugte, und ohne zu zögern hat sie dann den Fotografen gestreichelt. Er erwiderte dies, in dem er ihre Hand streichelte. Die Alte Frau hat nichts gesagt. Zärtlich haben drei oder vier Jugendliche ihre großen Beine in den Mercedes gehoben und die Tür zu fallen lassen.

Eilig, immer eilig unter den Bomben, ist der alte Mercedes ohne Autonummer wieder los gefahren, und die Reifen sind auf dem Schutt des Bombardements, der noch den Platz von Shaab füllt, wie geschlittert. Genau in dem Augenblick, in dem sie sich von Angesicht zu Angesicht gegenüber gestanden haben, hat der Fotograf seine Digitalkamera nicht benutzt. Aber er wird sich für immer an dieses so große Gesicht und an dieses so leichte Streicheln erinnern.

Möge die Nacht leicht sein.

r.
Indymedia ist eine Veröffentlichungsplattform, auf der jede und jeder selbstverfasste Berichte publizieren kann. Eine Überprüfung der Inhalte und eine redaktionelle Bearbeitung der Beiträge finden nicht statt. Bei Anregungen und Fragen zu diesem Artikel wenden sie sich bitte direkt an die Verfasserin oder den Verfasser.
(Moderationskriterien von Indymedia Deutschland)

Ergänzungen

Zwei Hinweise

--- 02.04.2003 - 02:15
The Guardian hat heute einen Bericht veröffentlicht, der u.a. die Beweise für die amerikanischre Urheberschaft des Massakers von al-Shaab erbringt. Nachdem der Journalist Robert Fisk Fragmente der Bombe aufgelesen und die auf diesen befindliche Aufschrift veröffentlicht hatte, setzte sich ein Leser hin und fand im Netz heraus, was diese bedeuteten.

 http://www.guardian.co.uk/Iraq/dailybriefing/story/0,12965,927233,00.html Tuesday April 1, 2003

Die vermissten Newsday-Journalisten Moises Saman und Matthew McAllester sind nach angaben von Newsday in Amman wieder aufgetaucht, wie der TV-Sender MsNbc berichtete und die italienische Nachrichtenagentur Adnkronos wiedergab.

Telepolis dazu

xxx 02.04.2003 - 05:39
"Meldungen, dass US-Kampfjets Autos mit menschlichen Schutzschilden auf dem Weg von Bagdad nach Ammann bombardiert hätten, erweisen sich als Gerüchte"
 http://www.heise.de/tp/deutsch/special/irak/14512/1.html

Berichtigung

--- 02.04.2003 - 09:30

Ich kann bezüglich des Vorfalls an der Grenze und des Wahrheitsgrads der Meldungen dazu nichts sagen, da tappe ich im Dunkeln wie alle anderen auch. Ich kann mich also inhaltlich nicht zum Telepolis-Artikel äußern. Aber ich möchte zwei in ihm enthaltene Kleinigkeiten über diese Reihe berichtigen. Im Telepolis-Artikel heißt es: "Dort aber wurde sie von einer Person weitergegeben, der sich in Bagdad aufhält und täglich telefonisch mit einem Italiener spricht, der alles niederschreibt...". Wer die Texte aus der Reihe liest, weiß, dass die Quellen nicht eine Person sind, sondern mehrere. Ich wähle diesen Ort um das mitzuteilen, weil ich nicht bei Telepolis registriert bin und mir 24 Stunden bis zur Freischaltung eines Kommentars direkt an den Autor zu viel sind. Auch steht in seinen Texten nirgends, dass der Mensch die Nachricht von einem seiner Kontakte in Bagdad erhalten hätte. Der Mann, der die Gesprächsprotokolle fertigstellt, die er dann veröffentlicht, ist Journalist und scheint die Nachricht zunächst auch aus Agenturmeldungen bekommen zu haben. Der Autor des Telepolis-Artikel schreibt selbst, von vielen verbreitet worden, lässt sich aber zum Schluss des Artikels ausdrücklich (und recht suffisant)nur gegen die Indymedia-Informationen über Recherchetechnik und Verlässlichkeit aus. Zu den von mir genannten zwei Punkten aber kann ebensowenig Verlässlichkeit von seiner Seite nachgewiesen werden. Soviel zum Fog of the war meinerseits. Bei allem Respekt für Telepolis.

Berichtigung (verschärft)

--- 02.04.2003 - 10:19

Der Autor des Telepolis-Artikel schreibt einer Bagdader Quelle sogar ausdrücklich die Aussagen zu, die Robdinz im Update 43 gemacht hat. Nochmal: nirgends steht seitens von Robdinz ein Hinweis auf eine Quelle in Bagdad in diesem Zusammenhang. (Das kan jeder überprüfen, ich übersetze wörtlich) Das ist, mit Verlaub, definitiv nicht seriös, erst recht nicht, wenn der Autor des Artikels schon das ganze zum Anlass nimmt, das Problem der Verlässlichkeit von Nachrichten in Kriegszeiten zu untersuchen. Auch betont Robdinz in Beitrag 44 er habe es nicht vermocht, gesicherte Informationen zu erhalten. Es tut mir leid, mich so äußern zu müssen, ich schätze Telepolis. Aber irgendwas an diesem Artikel ist recht salopp zusammengebastelt. Irakische Propagandamanöver thematisieren ja, aber dann, bitte, auch im Detail seriös und solide. Ein offizielles Dementi oder ein Gegenbeweis stehen immerhin noch aus.

Ansonsten soll es im vorletzten Satz des vorherigen Kommentars richtig heißen: Der Autor des Telepolis-Artikel schreibt selbst, dass die Nachrichten von vielen verbreitet wurden.

@all

dodo 02.04.2003 - 10:29
Indymedia ist wahrscheinlich die einzige Informationsquelle, die bis jetzt noch verschlossene Augen öffnen lässt.Erschütternde, sehr traurige Berichte von sich in Lebensgefahr bringenden Reportern, die mir und vielen anderen Herz-Besitzern sehr nahe gehen.
Das grosse WARUM, das überall zu spüren ist, das überall in der Luft hängt, das niemand vertreiben kann, das an die Verantwortlichen herangetragen werden muss, an die jenigen die zu Gerichte gezogen werden müssen für Ihre Taten. Nur an welches Gericht? Die Kriegsführer, verantwortlich für elternlose Kinder, getötete Kinder, geschändetet und verkrüpelte, Kinder, die die Welt bestehen lassen sollten!
Für immer gezeichnete Menschen, die niemals mehr Glauben und Vertrauen können. Das grosse WARUM, wird wohl nie für den gesunden Menschenverstand plausibel erklärt. Die Macht-Der Besitz-Der Glaube- Der Drang zu zerstören- das kann nicht nicht als Antwort aktzeptiert werden.Selbst friedliche Protestaktionen-in Ländern in denen das Gesetz der MeinungsFREIHEIT besteht- werden von " Gesetzeshütern" zu Gewaltakten umgewandelt!Volk, steht auf, lasst es Euch nicht gefallen! Nur im Kollektiv sind wir stark und können den Koalitionen gegenüberstehen und unsere Haltung verdeutlichen.
Boykottiert, bleibt konsequent, bleibt aktiv, geht weiterhin auf die Strasse, das ist unsere einzige Macht!Betet für die Opfer, in Kirchen, in Tempeln, in Moscheen wo Ihr wollt.
Mit Tränen in den Augen.
D.

INFO

--- 02.04.2003 - 11:52
Zur Repression gegen Protestaktivitäten weltweit:

Amnesty international - Iraq In the shadow of war: backlash against human rights

 http://web.amnesty.org/pages/irq-engmde140572003

Irakische info plus Kettenreaktion

--- 02.04.2003 - 19:14

Die Nachricht vom irakischen Informationsministerium samt CNN-Meldung und Alarm auch bei Robdinz hat sich definitiv als falsch erwiesen. Keine Kleinbusse mit Human Shields im Bombenhagel.

Die "Berichtigung" oben gilt nichtdestotrotz, auch Robdinz sieht das so, wobei er auch Wert darauf legt, dass klar ist, dass er Telepolis und Rötzler schätzt und Dankbarkeit für die Infos im Artikel ausspricht.