bedenkenswertes zu argentinien

porteño temporal 21.12.2002 07:56 Themen: Weltweit
aktuelle situation in argentinien ist weniger "aufstaendisch" als es vermittelt wird. kritische statement zu asambleas, picas, cazerolazos.....
die welt feiert argentinien. die grossartige basisdemokratie, die alternativen tauschmaerkte, die blockierten finanzzentren.... schoen und gut.
einige punkte zum bedenken.
die cazerolazos entstanden aus der mittelschicht. wuetende menschen die ihr erspartes verloren haben. nicht das das schoen waere, auch weil wir alle konten dieser banken haben, die davon profitierten, aber was schwerer wiegt ist das in diesem land auch kinder verhungern. dies ist nachwievor die gleiche mittelschicht, die menem unterstuetzte und bei den militaers schwieg.
aehnliches bei den helden der basisdemokratie. viele asambleas triften auseinander, wollen nichts mit den nachbarbarrios zutunhaben. in barrio norte von la plata zb sorgt mensch sich um durch einen durch defekt der wasserversorgung entstandenen schaden an elektrogeraeten. ein barrio weiter sterben kinder an leicht heilbaren krankheiten. vorschlaege zur hilfe werden abgelehnt und ungewuenschte personen rausgemobbt. diese tendenz zeigt sich auch in bs as. zum interbarrialen treffen erscheinen immer weniger menschen. dennoch existieren auch noch andere erfreulichere beispiele.
cazerolazos, asambleas, bleiben die piceteros. seit wochen haelt sich das geruecht, dass in gewissen gruppen ein gewisser herr menem seine finger mit im spiel hat. was sich wie ein bloeder scherz anhoert ist leider realitaet. menem bezahlte diese um systematisch fuer unruhe zu sorgen, um seinen konkurrenten innerhalb der pj duhalde zu schwaechen und mit seiner konzept der harten linie (zb wiedereinfuehrung todesstrafe, miltaer nach innern(!)) punkte zu sammeln.
argentinien ist bestimmt nicht ein land mit einer starken linken. im gegenteil. das was nach der diktatur davon uebrigblieb ist nachwievor marginal. es bleibt eine hoffnung, dass wir zz den beginn einer genesung dieser gesellschaft erleben, in dem sinne, dass vielleicht in 10, 15 jahren eine starke linke, wie in anderen laendern lateinamerikas ueberhaupt existieren wird. aber bei den wahlen im maerz wird ein durch unbildung geblendetes volk wieder den kandidaten der peronisten waehlen.
dieser artikel will durchaus nicht die erfreulichen beispiele des wiederstandes (aufstand ist uebrigens was anderes) diskreditieren. aber die argentinische gesellschaft ist keinesfalls so einfach gestrickt (revolutionaer, basisdemokratisch, aufstaendisch) wie es, bei allem respekt fuer dieses medium hier, in gewissen artikeln scheint. die realitaet ist kaelter.
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Ergänzungen

merci

f 21.12.2002 - 10:12
danke für die einschätzung - ist sehr wichtig, hier sowas zu lesen. ziemlich guter ton übrigens, trifft sonst kaum jemand.

Klar ist die Argentinische Lage

Inge 21.12.2002 - 10:13
nicht Revolutionär!
Ist ja auch ein Kind des Kollabierten Kapitalismus!
Aber die Lage in Argentinien ist die Beste Ausgangslage für eine Revolution, und da das mit dem Kapital nicht so geklappt hat, sollte man schnellsten wieder versuchen sich Eigenständig ohne das Kapital Regional in Selbsthilfe zu arrangieren, sonst hat das Kapital den Fuß bald wieder Zentral in der Tür.
Lasst die Finger vom Geld!

Zitat eines Argentinischen Austauschschülers

MrPizza 21.12.2002 - 10:19
die Leute die bei uns auf die Strasse gehen, tun dies nur aus egoistischen Gründen. Sie waren die Mittelklasse, und wenn sie es wieder sind, werden sie sich nicht um die niederen Schichten kümmern.

danke!

weist 21.12.2002 - 10:44
Danke für diesen Artikel. Es schien mir so, daß einige hofften, ihre Konzeptlosigkeit, was 'Die Revolution(TM)' angeht, würde durch kreativen Input aus AR durchbrochen, nach dem Motto: die Leute dort stehen vor dem Verrecken, die gehen schon auf die Barrikaden.
Daß die Cazerolazos und ihre süßen Töpfchen entwöhnte Wohlstandskinder sind und ihre Pötte vormals anderes enthielten als Reisbrei (Leute, argetinisches Rindfleischist momentan echt billig - dort kann sich's kaum wer noch leisten...) ist immer noch nicht bei manch einer topfschlagenden Demo an den noch-Futterkrippen des Neoliberalismus angekommen.
Man beschränkt sich hierzulande so gern auf die Floskel der 'Solidarität', ohne zu merken, daß eine Solierklärung billig ist, aber nicht zu Taten verpflichtet.
Aber eine Solidarität der Tat ist es, was man braucht: Statt gegen andere Gruppen zu polemisieren, nicht, weil sie bellizistische oder antisemitische Positionen vertreten, sondern weil ihr persönlicher Flair der gesellschaftlichen Veränderung (Marxisten-Leninisten gegen Trotzkisten, Linkssozialisten gegen Syndikalisten, Reformisten gegen Revolutionäre...) nicht radikal genug oder 'falsch' zu sein scheint, sollte man endlich erkennen, daß es noch nicht an der Zeit für solche Flügelkämpfe ist.
Stattdessen ist die Mission der Stunde, andere Ansätze zu tolerieren. Man muß mit den Leuten ja nicht zusammenarbeiten, aber sich über eine zukünftige Gesellschaftsordnung zu streiten (obwohl keine der beteiligten Fraktionen bislang mit einem real durchführbaren Weg zu ihrer Realisierung aufgekommen ist; z.B. existiert kein Konzept, wie im Falle der revolutionären Variante mit den Sicherheitskräften umgegangen wird - die meisten Linksrevolutionäre sind lausige Schützen!), obwohl diese nicht in greifbarer Nähe ist, heißt, alles leichtfertig zu verspielen, so wie SPD und Grüne 1998-2002 ihre Chancen, es endlich einmal anders zu machen als in den 16 neoliberalen Jahren zuvor verspielt haben (die Argumentation war, daß das dadurch angerichtete wirtschaftliche Chaos ein Festhalten an der destruktiven Politik nötig machen würde).
Wenn viele unterschiedliche Gruppen in gegenseitigem Respekt daran arbeiten, daß die große Aufgabe, das Herbeiführen eines weitläufigen gesellschaftlichen Umdenkens, endlich möglich wird, kann sie erreicht werden; und die Zeit wird ohnehin herausstellen, welche Strömung denn mit ihrem speziellen Zukunftsmodell Recht gehabt hat.
Wenn wir uns allerdings jetzt schon wegen ungelegten Eiern zerfleischen, haben wir bereits verloren: wie können wir erwarten, Millionen unterschiedlichster Menschen ein gemeinsames Zukunftsmodell zu geben, wenn wir noch nicht einmal zu ein paar Tausend zusammenleben können, ohne uns verbal die Köpfe einzuschlagen?
Die unterschiedlichen Strömungen sind lediglich Repräsentanten einer Gesellschaft, die in ihrer Erkenntnis der Notwendigkeit weitreichender Veränderungen uneins ist - momentan haben sogar die Neoliberalismusgläubigen (denn auch die wollen Reformen, aber solche, die aus unserer Sicht in das Elend führen) zumindest einflußmäßig noch die Mehrheit. Also ist es wichtig, diese Uneinigkeit zu nutzen: jede Strömung innerhalb der linken oder progressiven Bewegungen bedient andere Leute da draußen im 'echten Leben'. Das heißt, man erreicht mit einem Nebeneinanderher unterschiedlicher Gruppen mehr menschen für eine positive Änderung der Verhältnisse als mit einer Zwangshomogenisierung, die ohnehin nicht machbar ist.

VERHUNGERN

21.12.2002 - 11:52
Uebrigens, die verhngern da! Wenn ein Argentinier die Diskussion hier lesen wuerde, bekaem er vermutlich schnell zuviel. Die Hilfe die die brauchen ist bestimmt weniger Revolutionsberatung, als wie sie ihre Kinder vor dem Tod (TOD!) retten koennen...

Gegen Staat und Nation

Anarcho 21.12.2002 - 13:16
Es fehlt anscheindend überall an Handlungsperspektiven. Die meisten Menschen können sich nicht von der Vorstellung lösen, dass eine andere politische Führung die Probleme lösen könnte. Ein Blick nach Venezuela wo Chavez, ein linksnationalistischer Militärführer, das blaue vom Himmel versprach und nichts davon einlösen konnte, reicht. Und das liegt nicht an seiner schlechten Politik sondern daran das in nationalstaatlichen Grenzen und mit einem Staatskontrukt eben keine soziale Gerechtigkeit erreicht werden kann.
Oder Brasilien: Dort haben sie auch extrem schlechte soziale Umstände. Doch der einzige Effekt, der linksnationalistischer Lula wird Präsident und alles soll besser werden. Wers glaubt ist selber schuld. Eines ist allerdings klar: Auf einen erfolglosen politischen Linksruck folgt allenfalls eine konservative Wende und das Rad der parlamentarischen Demokratie dreht sich weiter....links-rechts-links-rechts..

Es wäre Zeit diese Kreisläufe zu durchbrechen indem wir uns auf die soziale Revolte von unten, auf den Widerstand des Alltags konzentrieren.

Zum 19./20. Dezember, ein Jahr nach dem Aufstand:
Revolutionäre Situation in Argentinien?
 http://www.wildcat-www.de/aktuell/a024arge.htm

Subversion des Alltags
 http://www.nadir.org/nadir/initiativ/kolinko/deut/d_kosub.htm

Zur kleinen Linken

Me 21.12.2002 - 13:58
Gerade dieser Punkt macht mir Hoffnung: Eine starke Linke bedeutet immer Machtkämpfe und Ideologien, denen sich Leute unterzuordnen haben. Vielleicht bedarf es in Argentinien keiner Revolution, sondern eher sowas wie einer gesellschaftlichen Evolution?

Stimme Me zu

Maxx 21.12.2002 - 15:16
Der Bewusstseinswandel, der breite Bevölkerungsschichte ergriffen hat, sagt eben: Sie sollen ALLE gehen. Damit sind auch gerade die Vertreter der linken (und besonders der kommunistischen) Pareteine gemeint, die teilweise die Asambleas dominieren wollten. Dieser Bewusstseinswandel ("Evolution" ist ein gutes Wort dafür) ist meiner Ansicht nach wesentlich mehr, als einfach nur die Machtübernahme von irgendwelchen linken Parteien, was von Einigen wohl favorisiert wird.

re:

weist 21.12.2002 - 20:19
'Subversion der kapitalistischen Realität' (man könnte auch 'hijacking' oder 'Pervertierung' sagen, aber das kommt nicht so gut, PR-mäßig ;-P) scheint mir als einziger der 'revolutioniden' Ansätze einigermaßen erfolgversprechend und machbar. Eine 1789/1917-Revolution ist momentan einfach nicht absehbar; zu groß die Hoffnung auf bessere Zeiten (der Pferdefuß bei Bildung: in Maßen angewandt, führt sie nur dazu, daß man Systemlügen glaubt, die sonst - als Analphabet - gar nicht in diesem Maße an einen herangetragen worden wären), zu gering die Bereitschaft, mit dem eigenen Leben für einen ungewissen Erfolg einzustehen; zu groß noch der Wohlstand der 'Massen'; zu gering die Fähigkeit, sich physisch gegen die 'Ordnungskräfte' zur Wehr zu setzen (Knüppel und Mistgabeln reichen einfach nicht mehr gegen Panzer).
Soviel also zu den kurzfristigen Aussichten eines revolutionären Ansatzes.
Bei weiterschreitender Verelendung sind wir in 25 oder 50 Jahrne vielleicht soweit; aber dann, so scheint es mittlerweile festzustehen, werden Ressourcenausbeutung, nichtnachhaltiges Wirtschaften, Klimaveränderungen etc. das langfristig mögliche zivilisatorische Niveau auf Kurs frühes Schlammloch gesenkt haben - nichts mehr, wofür sich eine Revolution lohnt; und vor allem: ohnehin eine Sache, die bei unseren Kiundern besser aufgehoben ist als bei uns, die wir dann konservative, verkrustete Halbgreise sein werden.

Gesellschaftliche 'Evolution' ja - gut erkannt, Mann! Scheiß auf Memetik, wie ich immer sage; aber ist ist ja nicht nur eine Frage des ob (Gesellschaft evolviert dauernd, und alle paar Jahre sogar auf großem und langfristig spürbarem Maßstab), sondern des wohin!
Aber im Gegensatz zu genetischer Evolution können wir ja auf den Verlauf Einfluß nehmen, bzw. bestimmen ihn sogar zum Großteil selbst (das Sein bestimmt das Bewußtsein bestimmt das Sein bestimmt das...).

@anarcho: cool, die Bones...

clandestino 21.12.2002 - 21:50
... ich wusste garnicht, dass die neben den Comicstrips auch noch politische Arbeit machen ;-)

Aufstand ist machbar, Herr/Frau NachbarIn!

evolutionär 22.12.2002 - 02:43
Sicher, die argentinische Gesellschaft ist keineswegs so aufständisch, daß der brutale kapitalistische Alltag mit verhungernden Kindern nicht auch in Argentinien weitergeht - aber was bitte ist ein Aufstand wenn nicht die Erzwingung des Rücktritts des Präsidenten de la Rua, der am Tag zuvor den Ausnahmezustand erklärte, und riesige Demos und Blockaden die das ganze Land in Atem halten - und nicht zuletzt waren leider 33 Tote zu beklagen. Klar, eine Revolution ist das noch nicht, und die Realität ist kalt, wie in Europa auch, aber wir sollten auch nicht auf die bürgerlichen Medien reinfallen, die alles verschweigt, was zurzeit in Argentinien geschieht, und kein Wort über die Demonstrationen von gestern und vorgestern berichtet. Veränderungen sind nicht immer mediengerecht spektakulär, sie sind nicht von heute auf morgen zu haben, sondern vollziehen sich in einem langsamen Prozeß - manchmal unbemerkt, und gerade die traditionelle Linke war bisher noch nicht sonderlich bekannt dafür, einen Spürsinn für solche "Evolutionen" entwickelt zu haben ;-)).