Gespräche gegen Krieg

kein crossposting... 21.05.2002 02:58 Themen: Militarismus
Wenn Bush nach Berlin kommt, ist es an der Zeit gemeinsam über Hintergründe des Krieges zu diskutieren und wie wir Aktionen aushecken können.
Kriegsgespräche (1.0)

Eine Diskussion über unsere Antworten auf den Post-11.09.-Krieg

Über ein halbes Jahr ist vergangen seit dem Beginn des neuen Krieges des Westens um die globale Hegemonie. Es kann argumentiert werden, dass an diesem Krieg nichts besonders neu ist: die Kette vergangener, aktueller und angekündigter Feldzüge (Afghanistan, Irak, Kolumbien, Sudan, Iran, usw.), die unter das Verständnis der US-Regierung einer "unendlichen Gerechtigkeit" fallen, sind entweder bereits vor dem 11.09. begonnen oder geplant worden, und die einzige substanzielle Veränderung im streng militärischen Sinne ist eine Beschleunigung und Intensivierung bereits bestehender Konflikte. Die subjektiven Veränderungen jedoch, die an diesem Tag eintraten (besonders in der Sicherheitswahrnehmung der Bevölkerung westlicher Staaten), verbunden mit der eben erwähnten Beschleunigung und Intensivierung, sind genug Gründe, den Krieg nach dem 11.09. als eine neue und andere Art des Konfliktes zu verstehen.

Der folgende Beitrag betrachtet ihn als postmodernen globalen Krieg um die vollständige Macht und Kontrolle, mit lokalen, nationalen und internationalen Auswirkungen auf der ganzen Welt, in welcher die Wahrscheinlichkeit physischer Konfrontationen (in südlichen wie auch in nördlichen Gesellschaften) ein beispielloses Niveau der Ungleichheit erreicht hat, in welcher die Waffen von Bombenteppichen über Überwachungsmechanismen bis hin zu neuen Abschiebungsgesetzen reichen, und in welcher der wichtigste Kriegsschauplatz die öffentliche Meinung im Westen ist, unabhängig davon, wo die jeweiligen Konflikte lokalisiert sind. Ein Kriegsschauplatz, der viele Formen annehmen kann, von ,Kultur? bis ,Energie?, von Migration bis Religion, und auf welchem die Herstellung sozialer Angst die wichtigste Waffe ist.

Seit dem Beginn des Krieges wurden viele Erklärungen, Demonstrationen und Aktionen gegen diesen gemacht, es wurden viele Artikel selbst in den Mainstream-Medien veröffentlicht, die dessen Absurdität und Gewaltsamkeit herausstellen. Dies alles aber mit wenig Effekt: die westlichen Regierungen können es sich leisten, unsere Hintergrundgeräusche des Protestes zu ignorieren, denn der Großteil der Bevölkerungen unterstützt entweder aktiv oder zumindest passiv diesen Krieg, oder denken, dass Opposition dagegen sowieso sinnlos ist. Und immer mehr Menschen nehmen teil an der inneren Übersetzung des globalen Krieges, wie Sicherheitswahn, Rassismus und Faschismus. Es ist deshalb notwendig und dringend, dass wir eine kollektive Diskussion über die Quellen der Legitimation dieses Krieges anstoßen, darüber, wie wir hinsichtlich unserer Analysen, Aussagekraft und Aktionsausrichtung darauf reagiert haben, und darüber, wie wir das verbessern können.

Der folgende Beitrag versucht einige (unvollständige und subjektive) Andeutungen für eine solche Diskussion zu umreissen. Dies beinhaltet:
* eine Analyse der Veränderungen nach dem 11.09. in der Legitimation von Machtpolitik und deren Konsequenzen;
* eine Bewertung bisheriger Gegenaktivitäten und ihrer Wirkung;
* einen Vorschlag für einen kollektiven Diskussionprozess über die Möglichkeiten, die momentane Situation zu verändern.

Diese Diskussion wird von und für Menschen und Organisationen vorgeschlagen, die an dem Kampf gegen alle Formen der Unterdrückung und Herrschaft teilnehmen (das ist mit dem Wort "wir" gemeint). Die Grundannahme hier ist, dass Frieden und positiver sozialer Wandel nur von "unten" durch die selbstorganisierte Emanzipation ALLER unterdrückten gesellschaftlichen Sektoren auf der ganzen Welt erreicht werden kann. Zur Klärung sei gesagt, dass diese Menschen und Organisationen ihren Bezug in den "globalen emanzipatorischen Netzwerken" finden, denn das, was die Medien (ungenau) als "Anti-Globalisierungsbewegung" bezeichnen, umfasst auch Menschen und Organisationen, die anti-emanzipatorische Ziele verfolgen, an Veränderungen durch bestehende Machtstrukturen glauben, oder diese mithilfe hierarchischer Organisierung erreichen wollen (wodurch Herrschaftsmuster reproduziert werden).

Macht, Legitimität und sozialer Wandel

Vom 1. Januar 1994 (Beginn des zapatistischen Aufstandes in Chiapas) bis zum 11.September 2001 vermochten die vereinten Bemühungen des emanzipatorischen Netzwerkes aus verschiedenen Kontinenten die etablierte politische Kultur (Fukuyama?s Ende der Geschichte) herauszufordern und bestehende Prozesse emanzipatorischen sozialen Wandels gegenseitig zu befruchten und zu stärken. Dieser Prozess wurde durch die Kombination lokaler und globaler Diskurse und Praktiken ausgelöst, die die Quelle der Legitimität sowohl der globalen wie auch der nationalen Machtstrukturen untergruben und deren undemokratische und gewalttätige Natur herausstellten.

Bis zum 11.09. wurde die Legitimität der Macht in den Augen der öffentlichen Meinung des Westens auf einer ideologischen Basis konstruiert: sie wurzelte in der angenommenen Überlegenheit der "Marktkräfte" als ein Regulierungsmechanismus für praktisch alle Aspekte des Lebens und in der konsequenten Unanfechtbarkeit der kapitalistischen Globalisierung. Durch die Kombination einer großen Vielfalt von Diskursen emanzipatorischer Kämpfe aus allen Kontinenten (soziale, Umwelt-, indigene, feministische, anti-rassistische Kämpfe usw.) in konkrete globale Aktionen, wurde das Dogma disqualifiziert und an den Rand einer Krise getrieben. Bevor dies passieren konnte, zerbrach die Arbeit der meisten dieser Kämpfe an der unanfechtbaren Unvermeidlichkeit des Kapitalismus, die die andernfalls nicht akzeptier- und durchsetzbaren politischen Entscheidungen legitimierte (von der Privatisierung des Wassers bis zum konsequenten Abbau indigener Rechte, von der de-facto Versklavung junger Mädchen und Frauen in Sweatshops und Maquiladoras bis zum Zwang, genetisch veränderte Nahrung zu akzeptieren, und vieles mehr). Dies erklärt zum Teil, warum die Globalen Aktionstage gegen Kapitalismus (welche im Mai 1998 starteten, allerdings erst seit November 1999 von den Medien beachtet wurden) solch eine Anziehungskraft unter den Menschen aus verschiedenen Kämpfen hatten.

Genauso wichtig, wie die Diskurse, waren die Praktiken: zu einem erhelblichen Teil konnten wir die Legitimität der Macht (was viele Menschen zuvor bereits versuchten) deshalb angreifen, weil Formen der Artikulation, Aktion und Kommunikation gewählt wurden, die die globalen emanzipatorischen Netzwerke immun gegen viele der Probleme machten, welche ,linke? Kämpfe lange Zeit plagten:
* Die kollektive Artikulation der Globalen Aktionstage basierte auf Dezentralisierung und Autonomie, auf Räume und Instrumente der Kommunikation und Koordination zwischen Menschen, die für sich selber denken, handeln und sprechen. Die Ablehnung jeder Form der kollektiven Identität für die Netzwerke, der zentralen Finanzierung, der permanenten Repräsentation gegenüber der Medien, der mandatierten Vermittler gegenüber den politischen Insitutionen und der Etablierung anderer Machtstrukturen, machte es strukturell unmöglich, die Netzwerke zu spalten, korrumpieren, domestizieren oder kooptieren, und gab uns eine beispiellose Handlungsfähigkeit und Dynamik.
* Die Kombination vielfältiger partizipatorischer Aktionsformen (artistische Ausdrucksformen, direkte Aktionen gegen kapitalistische Symbole, ziviler Ungehorsam, usw.) hatten einen starken kommunikativen Effekt. Es stellte eine eindeutige und kraftvolle Stellungnahme dar in der Ablehnung der globalen Machtstrukturen und dem Untergraben ihrer Legitimität. Dies zog sehr schnell eine massive öffentliche Sympathie für die Netzwerke nach sich. Die Kriminalisierungskampagne, die von den Massenmedien und den voreingenommeneren NGOs vorangetrieben wurde, hatte, zumindest bis Genua, den gegeteiligen Effekt: statt die Netzwerke zu isolieren oder zu schwächen, stärkten die Kampagnen selbige noch, indem sie ihre Sichtbarkeit vermehrten.
* Die Vielfalt und Vielzahl der dezentralen Mittel und Kanäle der Kommunikation hat selbstorganisierte, chaotische (im besten Sinne des Wortes) und dynamische Systeme geschaffen. Das Ergebnis ist so vielfältig und partizipatorisch, dass die Sicherheitssysteme des Staates immer nur kleine Happen und Stücke von Informationen bekommen konnten, aber nicht das gesamte Bild, was an den Globalen Aktionstagen passieren würde. Keiner konnte das, eben wegen der Flexibilität und Anpassungsfähigkeit der Aktionen, unterstützt von vielfältigen und effektiven Kommunikationsmitteln.

Es gibt viele Faktoren, die zur Erklärung beitragen, warum solch kraftvolle Diskurse und Praktiken von "unten" seit Mitte der 1990er Jahre aufkamen. Der wichtigste ist sicherlich das Ende des Kalten Krieges und seines Gedankengerüstes, welches über Jahrzehnte hin von beiden Seiten des eisernen Vorhangs befördert wurde. Der düsterste Effekt auf den sozialen Wandel war die Verengung der politischen Vorstellungskraft: die meisten Menschen wurden erfolgreich indoktriniert zu glauben, dass es zum Kapitalismus nur die Alternative eines staatszentrierten, hierarchischen, mit Kontroll- und Zwangsapparaten ausgestatteten "Sozialismus" oder "Kommunismus" (unabhängig von der konkreten Augestaltung) gebe. Selbst solche Leute in der Linken, die autoritäre Regime ablehnten, folgten oftmals festgelegten Rezepten für sozialen Wandel, welche auf die Etablierung der Hegemonie einer spezifischen Ideologie setzten, und deshalb wenig Raum für Vielfalt ließen. Die Organisierungsformen waren demnach auf einen einzigen Machtbereich fokussiert, in welchem alle Entscheidungen zu treffen wären, und die einzige Unterscheidung war, ob dies durch zentralisierende Organe (Komitees, Ausschüsse) oder durch Versammlungen geschehen sollte. Jedoch gab es bemerkenswerte Ausnahmen, wie beispielsweise die Anti-Atom Bewegung, verschiedene gegen-kulturelle Bewegungen der 1960er und 70er Jahre, welche den globalen emanzipatorischen Netzwerken viele Inspirationen und Erfahrungswerte liefern konnten.

Das Auftreten der globalen emanzipatorischen Netzwerke auf die politische Bühne kam für fast jedeN überraschend, doch brauchte es nicht lange, bis traditionelle Linke (v.a. bestimmte trotzkistische Parteien), einige Sektoren der klassischen Sozialdemokratie (v.a. in Frankreich und Brasilien) und NGOs, die wenig mit Emanzipation zu tun haben (inkl. Organisationen von Unternehmen) Versuche der Kooptation (Vereinnahmung) unternahmen, um daraus für ihre politische Legitimation Kapital zu schlagen. Die Gründung des Welt-Sozial-Forums (WSF) diente dabei als ein medienwirksames Mittel, um sich selbst als die moralische Führung der "Anti-Globalisierungsbewegung" zu präsentieren - und das mit gemischten Resultaten:
Einerseits erweiterte es die sogenannte "Anti-Globalisierungsbewegung" und gab ihr ein "anständiges" öffentliches Image, womit die generalisierte Kriminalisierung abgewendet und die Delegitimierung der neoliberalen Ideologie, und damit von Macht, beschleunigt wurde. Andererseits höhlten die WSF-Erklärungen bewusst die Radikalität und den Zusammenhalt dessen auf, was die Medien als Diskurs der "Anti-Globalisierungsbewegung" präsentieren. Denn die vom WSF vorgeschlagenen "Alternativen" zum Neoliberalismus basieren allesamt auf Kapitalismus und Bürokratie (entweder des Staates oder multilateral). Schlimmer noch, hält es doch dazu an, einheitliche Plattformen als ein Organisationsinstrument zu nutzen, während die Vielfalt von Positionen auf einen kleinsten gemeinsamen Nenner homogenisiert wird, welcher keineN zufrieden stellen kann, und was das genaue Gegenteil von Dezentralisierung und Autonomie ist. Das Bild einer einheitlichen Bewegung, wie es beim WSF von den Medien gezeichnet wurde, hat zwar nicht die globalen emanzipatorischen Netzwerke kooptiert oder domestiziert, jedoch beeinflusst es teilweise deren Strategien der Koalitionsbildung.

Von der Ideologie zur Angst

Nach den Attacken des 11.September hat sich die Quelle der Legitimität von Macht radikal geändert. Der abstrakte Diskurs über die Überlegenheit des Marktes ist nicht mehr länger notwendig, denn wir kehren zurück zu den alten Tagen der Herrschaft durch Angst und Abschreckung (besonders in den USA), ohne das kleinste Zeichen von Gegenwehr seitens der westlichen Bevölkerung, und nicht selten mit ihrer Teilnahme und Unterstützung. Die 1930er Jahre haben bewiesen, dass autoritäre Regime viel effektiver und stabiler sind, wenn sie mit der Unterstützung der Bevölkerung und innerhalb eines "demokratischen Rahmens" installiert werden können, als wenn sie von oben den Menschen aufgezwungen werden - und die westlichen Regierungen haben ihre Lektionen gelernt.

Die mit diesem Krieg verbundene Metaphorik (das Martyrium des wichtigsten Symbols des globalen Kapitalismus und des Pentagon, der Zusammenstoß zwischen dem "demokratischen Westen" und der "barbarischen vormodernen Zivilisation", der "unwiderlegbare Beweis", dass Misstrauen gegenüber MigrantInnen gerechtfertigt ist, der Aufstieg der Religion zu einem Schlüsselfaktor des Politischen, usw.) ist überaus geeignet für eine Kontroll-Gesellschaft. Es liefert einen perfekten Sündenbock für die sozialen Spannungen durch ökonomische Umstrukturierung, legitimiert Anti-Terrorismus Gesetze, welche Menschen kriminalisiert (oder zumindest ausgrenzt) auf der Basis ihrer Hautfarbe, Nationalität und politischen Aktivitäten, es erlaubt dem Big Brother die Ausweitung einer unglaublichen Bandbreite an Instrumenten der sozialen Kontrolle ( z.B. ECHELON, Videoüberwachungskameras, biometrische Datenerhebungen, das Schengen Informations System (ISI), EURODAC, usw. - die Londoner Polizei plant sogar die Einrichtung einer Datei für Kinder mit "kriminellem Potenzial", um ihr Verhalten während der Wachstums- und Entwicklungsphase zu erfassen!) Wie in den 1930er Jahren zielt staatlich regulierte, unmenschliche Behandlung auf spezifische Gruppen (heute AusländerInnen, morgen vielleicht AktivistInnen?). Die Rechtfertigung dazu und zur Invasion in die öffentliche Sphäre wird mithilfe einer Verknüpfung von Argumentationen der Sicherheit, des Nationalismus und der ,Kultur? sichergestellt.

Es mag ein Zufall sein, dass der heutige ,Un-Sicherheitsstaat? mit seinem Überwachungs- und Militarisierungs-Wahnsinn zu einer Zeit begann, als die westlichen Ökonomien einer massiven Rezession gegenüberstanden, dass das Land, in welchem Al-Qaida seine Basis hat, von großer geostrategischer Wichtigkeit ist, und dass die Länder, in welchen der Feldzug fortgesetzt werden soll (v.a. Irak und Iran) zu den größten Ölproduzenten der Welt gehören. All dies stellt eine Reihe sehr günstiger Umstände dar für die politischen Berater, die die Ölindustrie in die US-Regierung platziert hat, und für ihre westlichen Aliierten.

Sind wir Teil des Problems?

Die Antwort der globalen emanzipatorischen Netzwerke auf diese Entwicklungen ist bisher ziemlich ärmlich gewesen, obwohl es hier und da auch gute Beispiele gegeben hat. Häufiger aber sind wir zurückgefallen in die Logik ,großer Koalitionen? und ,einheitlicher Räume?, um den Krieg anzuprangern. Viele von uns haben große Anstrengungen in breite aber ineffektive Kampagnen gesteckt, die durch Folgendes charakterisiert sind:
* eine verkürzte Analyse, die ihren Schwerpunkt auf die militärische Konfrontation im Süden legt, und die kaum die anderen Dimensionen des Krieges beachtet, womit indirekt die Voraussetzung akzeptiert wird, dass es sich hauptsächlich um einen Konflikt zwischen den wohlbekannten reichen Ländern im Norden und weniger bekannten armen Ländern im Süden handelt;
* eine ärmliche Botschaft, die den kleinsten gemeinsamen Nenner der verschiedenen, in der Kampagne beteiligten Gruppen darstellt, die meist auf der Linie ,Stoppt den Krieg - Frieden jetzt? verläuft, und welche meistens diejenigen, die diese Botschaft ausrufen, selber nicht überzeugt, weil sie nichts über die Wurzeln des Konflikts aussagt;
* ziemlich frustrierende Aktionsformen, die uns darauf zurückstoßen, Anhängsel von Demos zu sein oder Kunststückchen für die Medien zu machen - damit willig die Rolle spielend, die unsere ,Demokratien? für uns vorgesehen hat.

Weit entfernt davon, den Blick von Regierung und Medien auf diesen Krieg in Frage stellen zu können, verstärken wir diesen Blick durch solche Kampagnen sogar noch: wir leisten den Herrschenden eine großen Dienst, indem wir ihren Blick auf den Konflikt von der ,Gegenseite? spiegeln - wodurch wir den ultimativen Beweis für dessen Berechtigung liefern. Die zentrale Auswirkung unserer Hintergrundgeräusche des Protestes ist, der Illusion von Demokratie in den westlichen Ländern Nahrung zu geben, denn sie ist ein wichtiger Teil der ,schönen? politischen Landschaft, wie sie von den TV-Bildschirmen aus in die Köpfe der Menschen projiziert wird. Es trägt noch nicht einmal zur Informierung der Öffentlichkeit bei: das meiste, dass wir in den Kampagnen sagen, ist bereits gesagt worden, manchmal sogar besser, durch die Mainstream-Medien. Aus diesem Grunde ist es nicht erstaunlich, dass die Post-11.09 Anti-Kriegs Kampagne die Phantasie vieler Menschen nicht ergriffen hat, und dass die Aktionen eher schwach und wenig überzeugend gewesen sind.

Wir verpassen gerade, was vielleicht als die wichtigste Veränderung in Herrschafts- und Unterdrückungsmustern seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges verstanden werden muss, und wir reden noch nicht einmal darüber! Die meisten von uns scheinen so weiterzumachen wie bisher, so als hätte sich nichts verändert. Zum Teil ist das gut, denn es zeigt, dass die Menschen nicht total paralysiert sind, und es können klare Botschaften eines kontinuierlichen Widerstands ausgesendet werden (wie z.B. bei der Mobilisierung gegen den EU-Gipfel in Barcelona, die über ein halbe Millionen Menschen auf die Straße brachte, um ihre Ablehnung des Kapitalismus auszudrücken). Wenn wir aber wirklich etwas bewirken wollen, müssen wir anfangen dorthin zu zielen, wo es am meisten schmerzt, und zwar auf die Wurzeln der Legitimität von Macht: die soziale Angst.

Ausbruch!

Die partizipatorische Schaffung einer gemeinsamen Analyse, die verschiedene emanzipatorische Kämpfe verbindet, welche zuvor isoliert waren, brachte die Prozesse der anti-kapitalistischen Kommunikation und Koordination auf ein neues Niveau. Es wäre an der Zeit, dass wir einen Prozess der gemeinsamen Analyse und Aktion gegen den Krieg der globalen Hegemonie beginnen - ein Prozess, der aus der ,breiten Koalitions-Politik?, wie sie oben geschrieben wurde, ausbricht, der aber so weit wie möglich an die globalen emanzipatorischen Netzwerke anschließt. Einige Räume, in denen dies geschehen könnte, wären:
* zwei Ereignisse, die in diesem Jahr in Europa zu weiteren Diskussion genutzt werden könnten: das Grenzcamp gegen das Schengen Informations System (ISI) in Strassbourg, und der NATO-Gipfel im November in Prag;
* die Europäische Soziale Befragung (European Social Consulta), die gerade erst Gestalt anzunehmen beginnt. Die Leute, die gerade die Internet-Kommunikationsmittel dazu vorbereiten, würden sich freuen, wenn diese für die Diskussion über den Krieg genutzt würden, was auch ein Testlauf für die Consulta selber sein könnte.
* Auf der 3. Peoples? Global Action-Konferenz im September 2001 wurde beschlossen, das Potenzial für die Artikulation langfristiger globaler Kampagnen (global sustained campaigns) zu verschiedenen Themen zu erkunden, darunter auch Militarismus/Paramilitarismus. Die Konferenz war lediglich der Startpunkt eines Prozesses in Richtung globaler Kampagnen, der von ,unten? weiter Gestalt annehmen soll, aber bisher noch nicht wirklich angefangen hat.



Das Anliegen dieses Beitrages ist es, die Diskussion und Kommunikation über das Thema ?Post-11.09-Krieg? zu fördern. Vorschläge für konkrete Aktionen sollten aus dem kollektiven Diskussionprozess entstehen, und es gibt die Idee, dass diese in späteren Versionen dieses Artikels (der auch als ein Kommunikationsmittel dienen soll) festgehalten werden. Zum Schluss noch ein paar unspezifische Hinweise für die Debatte:
* Wenn wir soziale Angst angehen wollen, brauchen wir Verbesserungen unserer Kommunikationskapazitäten mit gesellschaftlichen Sektoren, die sich selber als ,unpolitisch? bezeichnen würden, und das erfordert kulturelle Flexibilität. Videospiele, Feste und Kochkurse mögen da effektivere Kommunikationsmittel sein als Konferenzen (und vielleicht auch interessantere).
* Es gibt viele Möglichkeiten für den nützlichen Austausch technischer Fertigkeiten und organisatorischer Erfahrungen.
* Einige Menschen könnten bald mit der Organisation eines Arbeitstreffens (oder mehrerer simultaner Treffen) mit verschiedenen Personen und Bewegungen, die in unterschiedlicher Weise vom globalen Krieg betroffen sind, anfangen.
* Es startet gerade eine Rundreise, auf der Menschen aus Kolumbien und Chiapas Veranstaltungen machen, und die die Diskussion um internationale Begleitung in Kriegsgebieten und BeobachterInnen als menschliche Schutzschilder vorantreiben soll. Diese Diskussion könnte verknüpft werden mit Erfahrungen, die zur Zeit in Palästina gewonnen werden.

Düsseldorf, 27.April


FUßNOTEN:

1 Dieser Artikel ist aus einer westeuropäischen Perspektive geschrieben, und manche Punkte der Analyse und Schlussfolgerungen sind gewiss für andere Teile der Welt nicht relevant. Wie der Titel vermuten lässt, sollen diesem Artikel weiterentwickelte Fortsetzungen aus verschiedenen Diskussionen folgen, angereichert mit verschiedenen Meinungen, hoffentlich auch von außerhalb Westeuropas. Diese erste Version stellt die Zusammenfassung eines Arbeitskreises zu diesem Thema dar, der im Februar 2002 beim "Rising Tide & EYFA"-Treffen in Can Masdeu (Barcelona) stattfand.

2 Die ,globalen emanzipatorischen Netzwerke' haben keine klar umrissenen Grenzen, denn wir sind alle Teil der ungleichen Machtverhältnisse, selbst wenn wir versuchen, es nicht zu sein. Wie dem auch sei, Du weißt, wer Du bist.

3 Diese Kombination, die schon immer in mehr oder weniger abstrakten Begriffen existiert hat, wurde durch eine Reihe von Treffen konkretisiert, wie das "Intergalaktische Treffen" der EZLN in Chiapas 1996, der Peoples' Global Action-Konferenzen in den Jahren 1998, 1999 und 2001, und vielen weiteren.

4 Diese Beschreibung ist nur für den Westen relevant, nicht für Teile der Welt, in welchen alte und neue Formen sozialer Beziehungen auf einer gemeinschaftlichen Basis bestehen, wie in indigenen Bevölkerungen, in kleinbäuerlichen Kulturen, usw.

5 Teile der Netzwerke, die bereit waren, direkte Aktionen gegen Eigentum durchzuführen, wurden jedoch aktiv von RepräsentantInnen einiger Organisationen, die im WSF großen Einfluss haben, kriminalisiert, wie z.B. von ATTAC.

6 Der vorliegende Text wird nicht tiefer in die Diskussion über Beteiligte und Motive der 11.09-Anschläge einsteigen, was den Rahmen sprengen würde und für die Schlussfolgerungen auch nicht von Belang ist. Es kann aber sinnvoll sein, die Beweismaterialien genauer zu studieren, die darauf verweisen, dass die US-Regierung durchaus wusste, was an diesem Tag geschehen sollte, aber nichts unternahm, um dies zu verhindern (viele dieser Materialien sind zusammengefasst unter  http://emperors-clothes.com/indict/911page.htm)

7 Das Anti-Terrorismus und Sicherheits-Gesetz, dass am 13.12.2001 in Großbritannien in Kraft trat, schafft die Unschuldsvermutung für Menschen nicht-britischer Nationalität ab, erlaubt deren willkürliche Festnahme auf unbestimmte Zeit, gibt der Polizei und den Geheimdiensten Zugriff auf die Daten der Telekommunikations-Unternehmen und verschiedener öffentlicher Dienststellen ohne Einverständnis durch einen Magistrat, usw. Dieses Gesetz verstößt gegen die Europäische Menschenrechtskonvention, aber die Regierung Großbritanniens löste dieses Problem, indem sie den permanenten Notstand erklärte.

8 Die wichtigsten staatlichen Mechanismen zur Ankurbelung der
wirtschaftlichen Aktivität ist die Senkung der Zinsrate (welche die Federal Reserve Bank, Fed, festsetzt) und die Erhöhung der staatlichen Ausgaben (der Militärhaushalt ist dabei das bevorzugte Interventionsmittel). Die Fed hat seit 2000 die Zinsrate immer weiter gesenkt, um eine ökonomische Krise abzuwenden, in der die industrielle Produktion immer weiter geschrumpft ist. Im September 2001 war die Fed nahe an der 0%-Zinsrate, und die Anzeichen einer Rezession nahmen weiter zu.

9 Das PGA-Manifest, auf der ersten Konferenz 1998 mit eben dieser
Philosophie im Hintergrund verfasst, war die Grundlage, auf der sich die Globalen Aktionstage gründeten - wobei sie später natürlich ihre eigenen Dynamiken und Inhalte entwickelten.

10 JedeR, insbesondere die südlichen Basisbewegungen, fühlten die Notwendigkeit, über die Globalen Aktionstage gegen Kapitalismus hinauszugehen. Die Aktionstage wurden als effektive Mittel gewürdigt, um die Artikulation lokaler und internationaler Netzwerke voranzubringen, um sozialen Antagonismen Sichtbarkeit zu verleihen, um aktive Beteiligung vieler neuer Leute zu befördern, und manchmal auch um den Machtstrukturen ein paar Probleme zu bereiten. Jedoch war es Konsens, dass wir diese Aktionen mit langfristigen, dezentralen und autonomen Prozessen der Diskussion, Kommunikation und Koordination vervollständigen müssen.

Peoples' Global Action (PGA):  http://www.agp.org
Europäische Soziale Consulta:  http://www.soziale-consulta.de
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Ergänzungen

na endlich!!

fuenf 21.05.2002 - 04:09
ich bin mir nicht sicher (zu viele texte gehen in der info-flut einfach unter - leider), aber ich glaube, dieser artikel hat zumindest endlich mal einen guten teil der fragen gestellt, die in der linken seit 9/11 haetten diskutiert werden muessen.

dann hoffen wir mal, es passiert jetzt auch etwas.

Zur Analyse des Krieges gegen den Terror

TNT 23.05.2002 - 10:31
Die Juli Ausgabe von 'Democracy&Nature' The International Journal of Inclusive Democracy. Volume 8, Number 2, July 2002 hat den Krieg gegen den Terror als Schwerpunkt Thema.

"The aim of the issue is to examine the motives behind the current war against terrorism launched by the transnational elite in the aftermath of the september 2001 bombings, as well as the possible implications for radical movements and particularly the anti-globalisation movement."

In Hamburg ist D&N z.B. in der Uni Bibliothek unter:
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