Selbstmord einer 74jährigen Frau

Mensch aus HH 26.02.2002 17:33 Themen: Antirassismus
Am 15.2.2002 hat sich eine 74jährige Frau in dem staatlichen Flüchtlingswohnheim "Stieg" bei Albbruck das Leben genommen. Zwei der "Heimbewohner" sind daraufhin in den Hungerstreik getreten. Im Jahr 2000 hatte sich in der gleichen Unterkunft bereits eine 21-jährige Frau das Leben genommen.
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TOD IN ALBBRUCK

Die 74-jährige yezidische Frau B. H. aus Sinjar (Irak) hat sich am 15.2.02 in dem staatl. Flüchtlingswohnheim "Stieg" bei Albbruck das Leben genommen. Die lokale Redaktion des "Südkurier" schreibt am 18.2., sie litt "laut Polizei an Depressionen und hat sich in ihrem Zimmer erhängt.
Ihren Tod sieht ein Teil der Heimbewohner in Verbindung mit der nach
ihrer Meinung schlechten Unterbringung". Es gibt -nach unserer
Einschätzung- keinen anderen Teil von HeimwohnerInnen, die einen anderen Zusammenhang annehmen - nicht einmal die Familie der yezidischen Frau.
Diese war Mitte 2000 aus Syrien nach Deutschland gekommen und hatte
Asylantrag gestellt; dort hatten sie 13 Jahre lang gelebt, zuvor lebten
sie in der Region Sinjar im nördlichen Irak (westl. von Mosul). Über
ihren Asylantrag ist beim Bundesamt in Freiburg immer noch nicht
entschieden (vgl. unten).

Die Frau hat sich nach Angaben des Sohnes mit einem Gürtel am Fenster
erhängt, am Vormittag des Tages. Die Heimleitung versuchte den Tod der
Frau zunächst vor den anderen im Lager zu verbergen. Der Sohn, der mit
seiner Frau und 6 Kindern in der gleichen Unterkunft lebt, beschreibt
sofort den Zusammenhang zwischen den Depressionen seiner Mutter und der
Unterbringung in dem völlig abseits gelegenen Lager. Danach ist es
offenkundig, dass die Aussichtslosigkeit und die menschenunwürdigen
Verhältnisse in diesem Lager massgeblich dazu beigetragen haben, dass
die 74-jährige Frau sich das Leben nahm. Die Verantwortung liegt ganz
offensichtlich beim zuständigen Landratsamt in Waldshut (Landrat Wütz,
CDU).

Das Heim ist ein ausgedientes ehemaliges Haus für tuberkulosekranke
Kinder im Hotzenwald - ca. 8 Km von Waldshut und fast 10 Km von Albbruck entfernt. Eine Anbindung an die nächste Ortschaft besteht nicht; diese ist ca. 2 km entfernt. Tiere eines Bauernhofs sind die einzige Nachbarschaft. Der letzte Bus in die Kreisstadt geht um 17.00. "Was Kinder einstmals zur Erholung diente, geräte den heutigen Bewohnern eher zum Alptraum" - schrieb bereits die "Badische Zeitung' am 7.6. 2000.

Was die BewohnerInnen (ca. 180 Personen aus Afrika, Irak, Türkei,
Kosovo, Algerien)anklagen, sind die miserablen Bedingungen im Heim
selbst, die fehlende Infrastruktur, die soziale Isolation und die
Ignoranz der Behörden. Diesen musste die schlechte Situation in dem
Lager spätestens dann (zwangsweise) bekannt geworden sein, als sich im
Febr. 2000 eine 21-jährige Kurdin (Sultan Dogan) in der gleichen
Unterkunft das Leben nahm. Zuvor war bereits mehrfach eine Frau aus Togo von anderen Heimbewohnern mit Vergewaltigung bedroht worden.
Die Zustände in dem Heim haben sich seitdem aber nicht zum Besseren
entwickelt, sondern stiessen nach wie vor auf die arrogante Ignoranz der Behörden (der Landkreis Waldshut ist für seine rigide Behandlungen von Asylsuchenden schon seit längerem bekannt). Zwei minderjährigen,
alleinstehenden Jugendlichen aus Guinea, die im Dez. 2001 aus dem Heim
flüchteten und nach Freiburg kamen, wird inzwischen -gegenüber dem
Vormund in Freiburg- mit einer Strafanzeige gedroht, weil sie ihrer
"Wohnsitzpflicht" nicht nachkommen.
Die extreme Missachtung der Interessen der LagerinsassInnen ("das ist
hier ein offenes Gefängnis") liess den Protest der Flüchtlinge anhand
des Todes der Frau eskalieren. Zahlreiche Fenster gingen an dem Freitag
abend zu Bruch, kleinere Brände wurden gelegt; ein Protestmarsch in den
Ort organisiert.

Inzwischen sind zwei kurdische Bewohner in den Hungerstreik getreten;
sie verweigern nicht nur die Nahrungsaufnahme, sondern auch die
Flüssigkeit. Am 22.2. war einer von diesen bereits in die Klinik verlegt worden. Ihr Ziel: Transfer in eine andere Unterkunft. Drei oder vier andere Personen wurden bereits in die Psychiatrie verlegt. Zahlreiche weitere Selbstverletzungen sind gerüchteweise bekannt geworden.

Die allgemeine medizinische Behandlung wird als ungenügend kritisiert;
Ärzte sind nicht erreichbar (der Bus fährt nur morgens als Schulbus,
dann erst mittags wieder), eine Notfallambulanz müsste jeweils von dem
Wachpersonal gerufen werden. Diese allerdings wollen sich erst selbst
von der Notwendigkeit der medizin. Hilfe überzeugen. Auf diese Art
übernimmt das Wachpersonal die ärztl. Notfallbeurteilung! Der Einkauf
findet mit einem speziellen Transportsystem einmal wöchentlich in dem
ca. 10 km entfernten Albbruck statt; im "Edeka"-geschäft ist dann
nachmittags ein Einkaufszwang unter Aufsicht und Kontrolle des
"korrekten" Einkaufs (Liste von verbotenen Waren sind vorhanden). Die
Kochgelegenheiten befinden sich - ebenso wie die sanitären
Einrichtungen- in einem sehr schlechten Zustand.

Ein Deutschkurs wird in dem Lager nicht angeboten. Früher gab es einen
Kurs, der allerdings nur einmal wöchentlich angeboten wurde - für
Sprachtraining absolut unzureichend. 16-jährige Jugendliche hängen daher den ganzen Tag, ebenso wie die Eltern und die vielen alleinstehenden Männer herum. Beschäftigung ist keine vorhanden. Arbeit kann gar nicht organisiert werden, da dafür die Busverbindungen zu schlecht sind.
Die einzig bekannt gewordene Massnahme der Aufsichtsbehörde nach dem
Freitod der 74-jährigen: Verstärkung des Wachpersonals! Nunmehr sind
nachts zwei Wächter anwesend, die Polizei fährt stärkere
Routinekontrollen. Die BewohnerInnen sprechen durchgängig die schlechten sozialen Verhältnisse an ("moralische Folter") und verlangen eine sofortige Lösung, d.h. einen Transfer in ein 'besseres' Lager. Ein
kurdischer Familienvater sagte uns in seinem reduzierten Deutsch: "das
ist kein Leben hier, wir sind keine Menschen".

Die Einpressung von Menschen in derart menschenunwürdige Verhältnisse,
die längst von allen Seiten sozialwissenschaftlich, medizinisch und
psychologisch untersucht worden ist, deren gesundheitliche und soziale
Folgen als Entmenschlichung somit genügend bekannt sind, sind zum
Programm staatlicher Unterdrückung erhoben worden. Menschen, deren
Rechte in Deutschland ohnehin mit Füssen getreten werden, sind zum
Testprogramm rassistischer Versuche erhoben worden, um den Übergang zum
animalischen Verhalten zu dokumentieren - um anschliessend mit
Schadenfreude darauf aufmerksam machen zu können, dass sie es nicht
"verdienen", in den reichen Lindern Einlass zu begehren.

Besonders kennzeichnend ist in diesem Zusammenhang, dass sich auch eine
Woche nach dem Freitod der Frau nicht einmal der Bürgermeister des
Ortes, oder die Kirche oder andere (deutsche) EinwohnerInnen in dem Heim blicken liessen, um - nach immerhin zwei Toten in der Unterkunft- ihr Beileid, ihre moralische Unterstützung oder gar Hilfe anzubieten!

Eine Schliessung des Lagers ist die einzig vernünftige Lösung!

SAGA Freiburg, 23.2. 02


****
Schwarzwälder Bote 25.02.2002
 http://www.swol.de
Regionalnachricht - Waldshut


STIEG-BEWOHNER WOLLEN SICH ZU TODE HUNGERN

Proteste gegen die angeblich schlechten Zustände im Albbrucker
Asylbewerberheim spitzen sich zu

Albbruck. Die Bewohner des Asylbewerberheimes bei Unteralpfen greifen
bei ihrem Protest gegen die angeblich schlechten Lebensbedingungen in
dem Heim zu drastischen Mitteln. Wie aus einer gemeinsamen Erklärung der Hausbewohner hervorgeht, wollen sich in dem Heim zwei Personen zu Tode hungern. Und: Wenn die Probleme im so genannten "Stieg" nicht gelöst würden, sei dies wohl erst der Anfang...

Bereits in der Nacht zum Samstag voriger Woche waren in dem
Asylbewerberheim, dem so genannten "Stieg", Unruhen ausgebrochen. Wie
die Polizei berichtete, protestierten 50 bis 60 Personen gegen die
angeblich unerträglichen Zustände in dem Heim. Fensterscheiben wurden
eingeschlagen, Brände loderten auf. Besonnene Mitbewohner löschten die
Feuer und verhinderten Schlimmeres.

Der Polizei gelang es, die aufgebrachten Menschen zu beruhigen, doch
offenbar hielt der Frieden nicht lange. Derzeit hat die Polizei zwar
laut Pressesprecher Edgar Adrion keinen Anlass, im Stieg für Ruhe zu
sorgen, doch die Ruhe in der Sammelunterkunft, in der derzeit zirka 150
Menschen untergebracht sind, ist dennoch trügerisch. Die Menschen
beklagen sich über die angeblich schlechte ärzliche Versorgung, die
fehlenden Einkaufsmöglichkeiten und die schlechten Busverbindungen zu
dem abgelegenen Heim. Nicht zum ersten Mal gerät das Landratsamt als
zuständige Behörde in die Schusslinie der Kritik. Vor wenigen Jahren
waren es Kriegsflüchtlinge aus dem Kosovo, die sich nach einer
gemeinsamen Ausfahrt nach Waldshut weigerten, ins "Stieg"
zurückzukehren. Sie gingen zum Waldshuter Bahnhof; von dort aus wollten
sie mit dem Zug in eine größere Stadt fahren. Der Polizei gelang es, mit gutem Zureden die Situation zu entschärfen.

Ein gewaltsamer Protest wie am letzten Samstag brach aber damals nicht
aus; zumindest wurde öffentlich nichts Derartiges bekannt. Es gibt aber
Hinweise darauf, dass eine ganze Reihe von Besorgnis erregenden
Zwischenfällen nicht an die Öffentlichkeit drangen. So wird von
regelmäßigen Suizidfällen im "Stieg" berichtet. Die Unruhen am
vergangenen Samstag sind laut Polizei wegen dem Selbstmord einer
74-jährigen Irakerin ausgebrochen.

Die Bewohner selbst berichten von weiteren Suizidfällen. Sinngemäß heißt es in der Erklärung: "Wir protestieren gegen die Art und Weise, mit der gegen die Flüchtlinge in dem Haus vorgegangen wird. Außerdem
protestieren wir gegen die Bedingungen, die dort herrschen. Im
vergangenen Jahr haben drei Freunde von uns Selbstmord begangen, und
drei weitere sind in psychiatrischer Behandlung. Um gegen diese
Bedingungen zu protestieren, befinden sich zwei unserer Freunde im
Todesfasten. Wenn die Zuständigen uns nicht in kürzester Zeit zuhören
und die Probleme beseitigen, wird die Zahl der Suizide zunehmen. Das ist unsere Befürchtung. Helft uns!"

Beim Landratsamt Waldshut war gestern Nachmittag niemand mehr zu einer
Stellungnahme zu erreichen.
Von Christof Schülke (sb)
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Ergänzungen

27.02.2002 - 17:16
die "angeblich" schlechte situation herrscht auch in anderen "lagern, darum SOFORTIGE SCHLIEßUNG ALLER LAGER!!!!!!!!