WTO in Doha : Neue Welthandelsrunde

Raffael Lupus 20.11.2001 10:48 Themen: Globalisierung
Vom 8. bis 14. November diesen Jahres traf sich die WTO (Welthandelsorganisation) im Golfemirat Katar um dort den WTO-Gipfel abzuhalten. Dort wurde der Beginn einer neuen Welthandelsrunde beschlossen.
Katar ist eine Diktatur feudaler Prägung ohne Demonstrationsrecht. Es war das einzige Land, das sich dazu bereit erklärte, eine WTO-Tagung auszurichten. Das ist für die globalisierungskritische Bewegung ein großer Erfolg, denn wir haben es geschafft, dass Treffen, auf denen letztendlich Kriege, Sozialabbau und weltweite Unterdrückung vorbereitet und gesichert werden, nicht mehr unbehelligt stattfinden können.
WTO "einigt" sich in Doha auf neue Welthandelsrunde

Die VertreterInnen der 142 Mitgliedsländer der Welthandelsorganisation (WTO) haben sich am 14.11. auf eine neue Welthandelsrunde geeinigt. Zuvor waren China und Taiwan als 143. und 144. Mitglieder in die WTO aufgenommen worden. Vom Beitritt Chinas, dem mit 1,3 Milliarden Menschen bevölkerungsreichsten Land, erwarten die WTO-Mitglieder neue Impulse für die Weltwirtschaft - und insbesondere die Industrieländer die Öffnung eines riesigen Absatzmarktes. Mit "Rücksicht" auf den von China praktizierten Alleinvertretungsanspruch wird Taiwan als "separates Zollgebiet" geführt.
Katars Finanzminister Jussef Kamal gab die einmütige Zustimmung zu dem Abkommen, das zum "Abbau von Handelshemmnissen" wie Subventionen und Zöllen führen soll, auf einer Plenarsitzung in Doha bekannt. Auf der Konferenz war hart etwa um Agrarsubventionen und den Zugang von Entwicklungsländern zu patentgeschützten Medikamenten gerungen worden. Die immer wieder als Anwältin eines weltweiten Patentrechts auftretenden USA erwiesen sich dabei gerade in den letzten Wochen als besonders verlogen.Als Südafrika im Kampf gegen Aids auf billige Ersatzmedikamente zurückgreifen wollte, zerrten 39 Pharmafirmen, darunter zahlreiche US-Unternehmen, deswegen die Regierung in Pretoria vor Gericht - und Washington stärkte ihnen dabei den Rücken. Als jedoch in den USA wegen vereinzelter Fälle die Milzbrand-Panik ausbrach, schickte sich auch die amerikanische Regierung plötzlich an, sämtliche Patente zu unterlaufen - und drückte so massiv den Preis des Bayer-Produkts Ciprobay.
Der in Doha ausgehandelte Kompromiss über einen weltweiten Abbau der Agrarsubventionen bedeutet vor allem für die drei Hauptkontrahenten EU, USA und die 18 Länder der sogenannten Cairns-Gruppe (darunter Australien, Neuseeland, Argentinien oder Kanada) einen Erfolg. EU und USA müssen zwar ihre Milliarden schweren Zuschüsse bei Milch, Fleisch, Getreide etc. langfristig senken. In dem Papier steht nun jedoch nicht mehr, wie ursprünglich gefordert, daß die Agrarsubventionen schrittweise abgebaut werden müssen. Das Ergebnis dieser Verhandlungen wird stattdessen ausdrücklich offen gelassen.
Die Industrieländer, die sich einerseits immer als kompromißlose VerfechterInnen der totalen Herrschaft des Marktes gebärden, schießen ihren Bauern laut OECD jährlich 300 Mrd. Dollar (339 Mrd. Euro/656.400 Mrd. Lire) zu, um sie auf dem Weltmarkt wettbewerbsfähig zu machen, und schirmen gleichzeitig ihre Binnenmärkte mit strengen Einfuhrbestimmungen ab. EU und USA werfen einander außerdem vor, diese Systeme laufend auszubauen, anstatt sie zu drosseln. Die EU sieht Agrarsubventionen als wichtigen Teil ihrer Politik. Sie setzte sich in Doha dafür ein, auch so genannte "Non-Trade-Concerns" wie Landschaftspflege, Tierschutz oder Lebensmittelsicherheit stärker in den WTO-Regeln zu verankern, weil ihr dies immer wieder den Vorwurf des versteckten Protektionismus eingebracht hat.
In der Frage von Industriesubventionierungen konnten die USA ihre Position durchsetzen. Mit Hilfe von Anti-Dumping-Regeln wird die US-Industrie, besonders die leidende Stahlbranche, vor unwillkommenem Wettbewerb von außen geschützt. Die Gewerkschaften stemmen sich gegen Versuche, dieses Schutzinstrument einzuschränken. Beim Textilhandel haben die USA sich erfolgreich gegen einen vorgezogenen Quotenabbau gewehrt.Indien, das sich für die Interessen der Entwicklungsländer stark machte, befürchtet zurecht, die reichen Länder würden begünstigt werden. Hier geht es unter anderem um die Durchsetzung der sogenannten Meistbegünstigtenklausel, die besagt, dass staatliche Vergünstigungen, die eigentlich für die kleinsten Familienbetriebe vorgesehen sind, genauso an multinationale Konzerne vergeben werden müssen.
Es geht weiter um die Rücknahme sozialer Landreformen für die Ärmsten der Erde und das uneingeschränkte Zugriffsrecht der multinationalen Konzerne auf jeden Krümel Land weltweit.
Zum Dritten geht es um die Verteilung von Saatgut, die künftig von den Konzernen übernommen wird (wo das bisher noch nicht geschehen ist), was bedeutet, dass Multis wie Monsanto ihre gentechnisch veränderten Samen flächendeckend verkaufen, sich daraus ein maximale Abhängigkeit der BäuerInnen ergibt und die Natur in nicht vorhersehbarer Weise genetisch verändert werden wird. Besonders verheerend wirkt sich in diesem Zusammemhang das sogenannte TRIPS-Abkommen (Trade Related Intellectual Property Rights) über "handelsbezogene Rechte an geistigem Eigentum" aus. Das bedeutet unter anderem den Erwerb und den Handel mit Patentrechten, zum Beispiel auf DNA, will heißen, Konzerne können die Gene von bereits existierenden Pflanzen, Tieren und Menschen besitzen und damit Handel treiben. In einigen Regionen der Erde ist das schon Wirklichkeit und bedeutet, dass Pflanzen, die frei im Urwald wachsen einem Konzern gehören, während die Menschen, die dort leben sie nicht mehr ernten dürfen, weil dies dann als Diebstahl betrachtet werden könnte.Ein Beispiel dafür ist der berühmte indische Basmatireis, an dem sich ein US Konzern Patentrechte einverleiben wollte. Dies konte nur aufgrund starker internationaler Proteste verhindert werden.
Der Druck auf Indien, das von Handelsminister Murasoli Maran in Doha vertreten wurde, den Kompromiss nicht zu gefährden, war sehr groß. Ein ranghoher Diplomat erklärte, Indien behalte sich in einer Erklärung das Recht vor, bei bestimmten Themen an den Verhandlungen nicht teilzunehmen. Indien hatte sich vor allem dagegen gewehrt, dass die EU beispielsweise über Umwelt- und Verbraucherschutzbestimmungen ihren Markt für Agrar- und Textilprodukte sperrt, die diesen Standards nicht entsprechen. Viele Entwicklungsländer, deren Wirtschaft von der Ausfuhr von Textilien abhängt, hatten vor allem in diesem Bereich eine Öffnung der Märkte verlangt.
Großbritannien, die USA und Frankreich begrüßten den Start der neunten Welthandelsrunde, die nach dem Tagungsort "Doha-Runde" benannt wird. Die Handelsrunde soll im nächsten Jahr beginnen und bis 2005 dauern. Verhandlungen sind in sieben Themenfeldern vorgesehen - Umwelt, Landwirtschaft, Industriezölle, Dienstleistungen, die Schlichtung von Handelsstreitigkeiten, Anti-Dumping-Maßnahmen und die Umsetzung von WTO-Regeln in Entwicklungsländern. Von den wenigen Nicht-Regierungsorganisationen, die in Katar zugelassen waren, warnte Greenpeace davor, dass die Umwelt weiterhin durch unzureichende Welthandelsregeln bedroht sei. Die US-Regierung begrüßten nun den "einzigartigen Durchbruch", der den amerikanischen Bauern und Arbeitnehmern zu Gute komme und den Entwicklungsländern den Zutritt zum Weltmarkt erleichtere. "Die Vereinbarung hat das Potential, den Wohlstand weltweit zu fördern und die Weltwirtschaft zu stärken", sagte der Sprecher des US-Präsidialamtes Ari Fleischer.
Auch der britische Premierminister Tony Blair sprach von einem "großen Erfolg für die internationale Gemeinschaft". Staatspräsident Jacques Chirac und Ministerpräsiden Lionel Jospin begrüßten den Beginn der Welthandelsrunde zwar, zeigten sich aber entschlossen, die französische Agrarpolitik weiterhin zu verteidigen. Frankreich habe sicher gestellt, dass die Grundsätze der EU-Landwirtschaftspolitik nicht in Frage stünden. Die Reform der gemeinsamen Agrarpolitik werde die künftige französische Verhandlungsposition bestimmen. "Frankreich wird besonders wachsam sein", hieß es in ihrer Erklärung.
Die Weltbank hat ausgerechnet, dass eine breit angelegte Reform des Welthandels bis 2015 das weltweite "Volkseinkommen" um 2,8 Billionen Dollar anheben könnte. Wie dieses Einkommen dann verteilt werden würde, können wir uns lebhaft vorstellen. Im Prinzip wurde in Doha deutlich, daß die einzelnen VertreterInnen ihren Positionen proportional zu ihrer wirtschaftlichen Stärke Gewicht verleihen konnten. Protektionistische Maßnahmen konnten nur von den USA und - teilweise - der EU durchgesetzt werden.
Besonders krass ist die Abschottungstendenz des Westens dabei ausgerechnet in jenen Sektoren, die für viele arme Länder die einzige echte Einnahmequelle sind - in der Textilproduktion und der Landwirtschaft. So sind etwa die Zollsätze für Schuhe oder Lederwaren in Kanada doppelt so hoch wie der Sätze auf alle anderen Importe. Immer noch unterliegen rund achtzig Prozent der Textilien, die Länder aus der Dritten Welt stammen, klaren Importkontingenten, es gelten in Europa oder den USA also strikte Obergrenzen für die Zahl der importierten Waren.
Ähnlich trübe sieht es für die Exportchancen der Entwicklungsländer im Agrarbereich aus. So subventionieren die 30 reichen Staaten, die sich in der OECD zusammengeschlossen haben, ihre Landwirte nach wie vor mit 350 Milliarden Dollar jährlich - also fast mit einer Milliarde Dollar pro Tag. Die Regierung in Washington und die EU-Kommission in Brüssel schleusen mit üppigen Zuschüssen die Exportpreise ihrer Landwirte auf ein Niveau herunter, das viele Kleinbauern in der Dritten Welt in den Ruin treibt. In Mexiko beispielsweise mussten viele Maisbauern ihr Geschäft aufgeben, weil sie mit subventionierten US-Farmern nicht mithalten konnten.
Daran zu glauben, daß ausgerechnet die vielgepriesene neue Handlungsrunde der WTO diesen Menschen Abhilfe schaffen wird, setzt schon eine gewalige Portion Naivität oder grenzenlosen Zynismus voraus.
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