Für Bewegung sorgen!

fels und das überregionale forum genova 15.08.2001 20:06 Themen: Soziale Kämpfe
Der G 8-Gipfel ist vorbei, aber nicht die Bewegung. Im Gegenteil, politisch könnte sie aus den Ereignissen von Genua weiter an Stärke gewinnen, auch wenn ihr dort unerwartete Brutalität entgegenschlug. Derart angegriffen wurde sie, weil ihre frische Dynamik und vor allem ihre gesellschaftliche Breite den Herrschenden Angst einflößen. Gut zehn Jahre nach dem proklamierten »Ende der Geschichte«, das auch als historische Niederlage verschiedener linker Ansätze interpretiert worden war, kommen die Verhältnisse wieder in Bewegung.
In Genua wurden alle Flügel des breiten Bündnisses Genoa Social Forum (GSF), GewerkschafterInnen, PazifistInnen, AktivistInnen aus besetzten Zentren, katholische Basisgemeinden, Tute Bianche usw. gleichermaßen verprügelt und stundenlang mit Tränengas eingedeckt. Die Botschaft war klar: Wer gegen die Weltwirtschaftsordnung demonstriert, ganz gleich in welcher Form, soll in Zukunft um Leib und Leben fürchten.

Doch trat in Italien der gegenteilige Effekt ein. Die Empörung über die Repression und den Mord an Carlo Giuliani mobilisierte noch mehr Menschen, und am Dienstag nach dem G 8- Gipfel waren im ganzen Land erneut 300 000 DemonstrantInnen auf den Straßen. Das GSF ist nicht zerbrochen, sondern mittlerweile zum überregionalen Italia Social Forum angewachsen, und über 300 Rechtsanwälte haben sich zum Genoa Legal Forum zusammengeschlossen, um ein internationales Tribunal zu organisieren.

In ihrer Gründungserklärung unterstreichen sie, dass sie sich für alle 49 noch Inhaftierten einsetzen: »Es gibt keine 'Bösen'«, so die Zurückweisung der offiziellen Darstellung, die versucht, einzelne »Gewalttäter« für die Eskalation verantwortlich zu machen. Der italienischen Anti-G 8-Bewegung ist es gelungen, sich nicht spalten zu lassen, und ihre Breite hat angesichts des geschickten Agierens der verschiedenen Bestandteile des GSF noch zugenommen.

Damit scheint sie zwei wichtige Lektionen aus der Vergangenheit umgesetzt zu haben: Dass sowohl Spaltungen als auch die Militarisierung von Auseinandersetzungen nur die Herrschenden begünstigen, und Gewaltdebatten vor allem geeignet sind, die politischen Inhalte von Widerstand öffentlich unsichtbar zu machen.

Auch führen Gewaltspiralen nach dem reaktiven Muster »Aktion-Repression-Aktion« nur dazu, dass die Bewegung immer mehr schrumpft und isolierter wird. Dieser Logik, die in Italien auch Erfahrungen aus der Autonomia-Zeit der siebziger Jahre widerspiegelt, wollten die Tute Bianche mit ihrem Konzept des »zivilen Ungehorsams« von Anfang an entgegentreten, da sie den Konflikt nicht als militärischen, sondern in erster Linie als politischen und gesellschaftlichen begreifen.

Zwar haben die Tute Bianche in Genua ihr selbst gesetztes Ziel, das Eindringen in die Rote Zone, nicht erreicht. Angesichts der polizeilichen Strategie undifferenzierten Terrors ist auch ihr Ansatz gescheitert, die Grenzen der Legitimität von Widerstand durch öffentlich hergestellte Akzeptanz zu erweitern. Doch belegt ihre deutliche Präsenz in der öffentlichen Debatte, dass es allenfalls eine taktische Niederlage war, keineswegs jedoch das Scheitern einer politischen Strategie oder einer ganzen Bewegung - wie es in Deutschland nach der Räumung der Mainzer Straße im November 1990 der Fall war. Auch die Tute Bianche wenden sich nun gegen eine Verdammung des Schwarzen Blocks, der in der von Medien und Staatsanwaltschaft proklamierten Homogenität ohnehin ein Konstrukt ist.

Ganz anders scheinen deutsche Linke die Ereignisse von Genua zu verarbeiten. Von ihnen gehen derzeit die stärksten Spaltungstendenzen aus. Da werden allerlei Gerüchte vorschnell aufgegriffen und verbreitet, offenbar in dem Eifer, das eigene Handeln als »besser« darzustellen als alle anderen Ansätze. NGO-Vertreter, z.B. aus dem deutschen Attac-Spektrum, fühlen sich zu Distanzierungen genauso bemüßigt wie militante Aktivisten, die sich von »den Bürgerlichen« abgrenzen.

Anstatt einer Debatte um zukünftige Strategien, wie die Weltwirtschaftsordnung angesichts der bisherigen Erfahrungen weiterhin delegitimiert und angegriffen werden kann, dominieren hierzulande derzeit einerseits die fruchtlose Gewaltdebatte, andererseits der entsetzte Blick ausschließlich auf die polizeiliche Repression.

In Italien hingegen wird nach vorn diskutiert. Während das GSF die Aufklärung des Geschehenen intensiv betreibt, kündigt es für Oktober und November erneute Massenmobilisierungen an. Bereits jetzt wird zu Protesten gegen den geplanten Nato-Gipfel am 26. und 27. November in Neapel aufgerufen. Und auch an anderen Fronten steht ein heißer Herbst bevor. Die Metaller der Fiom (die auch im GSF sind) wollen gegen die Tarifabschlüsse der rechten Gewerkschaften streiken und demonstrieren, und in den Schulen und Krankenhäusern beginnen Aktionen gegen die Privatisierung der Bildung und der medizinischen Versorgung.

Ob es gelingt, diese erfreuliche Dynamik auch außerhalb Italiens zu entfalten, liegt im Wesentlichen am Vorgehen der Linken, auch hier in Deutschland. Bisher steht in der Genua-Nachbereitung die Polizeibrutalität sehr stark im Vordergrund. Zweifellos brauchen die Inhaftierten und Misshandelten unsere Solidarität.

Doch ist es dringend notwendig, sich der erlebten neuen Qualität von Repression auch analytisch anzunähern und den Schock zu überwinden, um als Bewegung handlungsfähig zu bleiben. Die ausschließliche Betonung der maßlosen Repression läuft Gefahr, die großartigen Demonstrationen von Genua im Nachhinein geradezu als politischen Misserfolg erscheinen zu lassen und abschreckend zu wirken.

Diejenigen von uns, die vor Ort waren, haben dort wesentlich mehr erfahren als Polizeiprügel: die mit Abstand größten und stärksten Demonstrationen der letzten zehn Jahre; eine öffentlich gut verankerte, hervorragend koordinierte Widerstandsbewegung; internationale Begegnungen, die in Form und Inhalt sehr bereichernd waren; einen erheblichen Sachschaden, der zum großen Teil durchaus politisch zielgerichtet war und den ohnmächtigen Zorn der Ausgegrenzten dieser Welt gut auszudrücken vermag; die Erfahrung, dass auch Konfrontationen mit der Polizei organisiert und solidarisch, also gemeinsam durchgestanden werden können; und nicht zuletzt einen breiten Grundkonsens gegen den in alle Lebensbereiche vordringenden Terror der Ökonomie. Auf dieser Basis konnten in Genua die vielfältigsten Ansätze und Mittel zum Ausdruck kommen.

Gewiss, in allen Ländern koexistieren in dieser Bewegung verschiedene Positionen. Während die einen ihre Kritik auf den Finanzkapitalismus beschränken, wollen andere den Neoliberalismus als fundamentalistisches Denk-, Handlungs- und Steuerungsprinzip bekämpfen, welches die Existenzberechtigung von Menschen an deren ökonomischer Verwertbarkeit bemisst. Fakt ist jedoch, dass es keiner dieser Fraktionen einen politischen Nutzen bringen wird, die anderen öffentlich zu kritisieren und öffentlich abzuwerten. Das dürfte die Erfahrung ausreichend bewiesen haben.

Die Verhältnisse tatsächlich zum Tanzen bringen wird die Bewegung nur, solange sie aus ihrer heterogenen Zusammensetzung die maximale Energie zieht, d.h. wenn die verschiedenen Flügel sich vor allem unterstützen und sich auf gemeinsame Lernprozesse und ein produktives Nebeneinander einlassen. Schließlich muss niemand gegen seine Überzeugungen den »Reformisten« oder »Radikalinskis« beitreten - sondern es geht darum, gemeinsame Kämpfe zu führen.

Anstatt uns eine Diskussion über uns selbst, unsere »Identitäten« und Aktionsformen aufzwingen zu lassen, sollten wir den Blick nach vorn richten und uns dabei auf die Gemeinsamkeit stützen, die alle Strömungen eint. Wir sollten uns für die nächsten Treffen des globalen Entscheidungskartells besser koordinieren als bisher, unsere Unterschiede dabei als sich ergänzende Werkzeuge begreifen.

Wir sollten neue lokale Ansatzpunkte für Bündnisse und Aktionen suchen, die die positiven Erfahrungen aus Genua und anderen Orten auch hier nachvollziehbar machen. Wir alle haben erlebt, wie der vor allem seit der Wende in Deutschland grassierende Abgrenzungswahn, der die Reinheit der eigenen Position höher bewertet als gemeinsames Handeln, zu völliger Lähmung geführt hat. Wie können also Diskussionen, auch in der Jungle World, so gestaltet werden, dass sie Bewegungen zwar kritisch begleiten und ihren Blick schärfen, ohne aber jeglichen Ansatz von politischer Praxis wegen mangelnder Erfüllung des deutschen Reinheitsgebots zu torpedieren?

Die deutsche Linke sollte den Mut zu neuen Wegen aufbringen, und auch den Mut zu neuen Fehlern. Sicher, wer sich bewegt, kann Fehler machen, aber wer sich nicht bewegt, hat schon verloren.

Zuerst veröffentlicht in der Jungle World von 15.8.2001
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Ergänzungen

Gut geschrieben

E T 15.08.2001 - 21:57
damit kann man leben, Bewegung ist immer Gut, für die Freiheit, und für die Gesundheit.

Nur wer sich bewegt,

systemchrash 15.08.2001 - 21:59
spürt seine Fesseln!

@ET, systemcrash

Brot 15.08.2001 - 22:58
Was besseres fällt euch nicht ein? Besonders von euch habe ich doch mehr erwartet. Wirklich, ziemlich mager.

Du Brot du, von Dir

E T 16.08.2001 - 00:17
kam ja Wohl Überhaupt Nichts Inhalts Schwangeres.

Klasse Artikel !!!

Raffael Lupus 16.08.2001 - 09:23
Ihr trefft den Nagel auf den Kopf ! Es wird Zeit, dass wir wieder mehr agieren statt zu reagieren.Hoffentlich gibt es bald mehr zu lesen über Perspektiven und Schlussfolgerungen aus den Ereignissen des Summer of Resistance.

ET, Du alter Schwätzer

Sonnenschein 16.08.2001 - 12:23
... beweg Du Dich mal.! Statt nur am Rechner zu hängen. Und Dummheiten zu schreiben die eigentlich eh niemamnd interessieren. Also beweg Dich! Hoffentlich dann auch in die richtige Richtung.

Müll

hans 16.08.2001 - 13:12
wo sollen den gemeinsamme kämpfe mit den "reformisten" hinführen?
in so eine art sozialdemokratischen kapitalismus?

wir müssen uns emanzipieren wenn wir dise gesellschaft, den kapitalismus, stürzen wollen und nicht den reformern zuarbeiten!

Richtige Position!

Sebastian 16.08.2001 - 13:23
Der Artikel vertritt die richtige Position!
Es geht ja nicht darum mit den ReformistInnen gemeinsam der Reformismus durchzusetzen. Aber es kommt auch niemand als ReformistIn oder RevolutionärIn auf die Welt. Deswegen sind Bewegungen der Anfang, dort muß dann die revolutionäre Linke entsprechend durch ihre Positionen und Aktionen überzeugen. Das kann sie aber sicher besser wenn es Bewegung gibt, als wenn es keine gibt.
Außerdem ist man/frau nicht revolutionär weil man/frau es so entscheidet, sondern weil ein gewisses Handeln unter bestimmten Umständen eine Perspektive jenseits der herrschenden Machtverhältnisse vermittelt und eröffnet. D.h. eine revolutionäre Bewegung ist keine revolutionäre Bewegung, wenn es sich um fünf HanselInnen handelt und keine Perspektive besteht, sie aber trotzdem an ihrer "Reinheit" und "wahren Lehre" festhält (so etwas nennt man /frau im Allgemeinen Sekte).
Egal welche Bewegung, es hat immer breit und nicht 100% revolutionär angefanegn uns sich dann radikalisiert (die Bewegung, die zur russischen Revolution führte wollte ursprünglich "nur" Brot und Frieden.

In diesem Sinne also: Für Bewegung sorgen!

Wir müssen Leute in unsere Kämpfe integrieren, nicht verprellen!

ja aber

hans 16.08.2001 - 13:38
du hast völlig recht aber bedenke es gibt auch die die andere richtung:
siehe deutsche sozialdemokratie oder die grünen
die auf dem weg der "veränderung" alle ansätze verkauft haben. die gefahr besteht auch wenn wir uns den reformern andienen - oder. dennoch bin ich optimistisch das wir aus genua und göteborg und ... gestärkt hervorgehen und auf breiter front die herrschenden verhältnisse hinterfragen und angreifen.

jungle world

Mäd 16.08.2001 - 21:31
Der Artikel erschien auch in der neuesten jungle world, nur so nebenbei...

sonnenschein!!!

E T 16.08.2001 - 22:20
Ich bewege mich schon Genug, aber halt mit Köpfchen, dann brauche ich nicht Ohne Infos in der Gegend herum laufen, ist doch viel Geruhsamer, irgendeiner muss doch auch mal schaffen gehen, und ich weiss nicht ob du Family hast, wenn Nein sage ich dir lass es lieber, wenn ja, weisst du es ja, dann ist die Mark nur 30 Pf Wert, und die Aufsichtspflicht nimmt den Restlichen Tag in Anspruch, Andere in Meiner Lage bewegen sich nach Feierabend, nur noch für ne Halbe Stunde in die Kneipe, und dann ins Bett.

Ausserdem sonnenschein

E T 16.08.2001 - 23:11
habe ich dich bisher für Tolleranter gehalten, aber so war ich auch mal, früher habe ich mir auch mal andere Tags zu Herzen genommen, aber Jedem seine Meinung, davon lebt indymedia, ich glaube zum Beispiel nicht das Keiner meine Tags liesst, springen ja Genug darauf an.

Kritik: Es gab Distanzierungen

husch 17.08.2001 - 18:47
 http://www.de.indymedia.org/2001/08/6169.html
 http://www.de.indymedia.org/2001/08/6107.html

unter diesen Links sind weitere Kritiken an diesem Papier, die sich auf das angebliche Nichtdistanzieren vom S.B. beziehen

Datum NATO-Tagung Neapel falsch

keiner ist heiner 17.08.2001 - 18:51
 http://www.nato.int/docu/pr/2001/p01-063e.htm

Das informelle Treffen der NATO-Verteidigungsminister ist nicht im November, sondern vom 26.-27. September 2001.

viele Kritiken und nichts dahinter

Paolo 17.08.2001 - 20:03
Ja, da sind noch mehr Kritiken und sie sind genauso unbelegt wie die hier vorliegenden ... Also: zeigt doch endlich mal die Textstellen in denen Distanzierungen drin stehen! Ich kenne nur Distanzierungen von Seiten der "Superautonomen" in Bezug auf diejenigen, die sie für "Reformisten" halten (und das sind alle die keine Gewalt anwenden....). Also Schluß mit dem Stuss!