Haftverschonung unerklärlich

Ralf Streck 01.03.2005 20:42
Am 8. Februar hat vor einem spanischen Sondergericht der Prozess gegen 42 baskische Jugendliche begonnen. Das ist der Auftakt für Massenprozesse vor dem Nationalen Gerichtshof, der seit 1998 baskische Organisationen, Medien und Parteien unter einem Verfahren mit dem Aktenzeichen 18/98 illegalisiert. Wir sprachen mit dem Angeklagten Ibon Meñika Orue-Etxebarria.
Was wird Ihnen vorgeworfen?

In dem Prozess geht es um die Jugendorganisationen Jarrai, Haika und Segi. Wir sollen sie geführt haben und damit die bewaffnete Organisation ETA unterstützt haben oder Mitglieder gewesen sein. Ich soll wegen Unterstützung zehn Jahre in den Knast. Die Nebenklage der Vereinigung der Terrorismusopfer fordert weitere acht Jahre wegen Völkermord.

Völkermord?

Sie sagen, wir hätten eine konstante Dynamik gegen die im Baskenland entwickelt, die keine baskischen Nationalisten seien. Das sei Völkermord.

Wird jemandem Mord oder Mordversuch vorgeworfen?

Nein.

Mit welchen Beweisen wurden die Jugendorganisationen verboten?

In allen Verfahren, sei es gegen uns, oder die folgenden gegen Kommunikationsmedien, Gruppen, Parteien usw., gibt es keine materiellen Beweise für Verbindungen zur ETA. Das zu behaupten reicht, um seit sieben Jahren ein soziales Geflecht zu illegalisieren. So braucht keine individuelle Schuld bewiesen zu werden. Diese Verfahren entbehren jeder juristischen Basis und diese angeblichen ETA-Organisationen arbeiten weiter legal im französischen Staat. Es ist ein politischer Vorgang, um die Bewegung für ein sozialistisches und unabhängiges Baskenland zu destabilisieren. Wie im Fall der Jugendbewegung hatten sich viele Organisationen im „französischen“ Teil und im „spanischen“ Teil des Baskenlandes vereinigt und wurden stärker. In den abgehörten Telefonaten geht es deshalb auch um Fragen wie Bildung, Wohnung und Arbeit und nicht um den bewaffneten Kampf.

Aber Mitglieder der Jugendorganisationen sind in der ETA aufgetaucht.

Es ist eine Realität, dass sich einzelne persönlich für den bewaffneten Kampf entscheiden. Sie sehen keine Möglichkeit, wie man Kampf sonst voran treiben kann, damit wir über unsere Zukunft entscheiden können. Es ist auch eine Realität, dass es eine harte Repression gibt, quasi die gesamte linke Unabhängigkeitsbewegung ist illegalisiert, es wird verhaftet und gefoltert.

Warum wird mit dem Prozess gegen die Jugendorganisationen begonnen?

Das ist eine der Besonderheiten. Unser Prozess wurde vom Hauptverfahren 18/98 abgetrennt. Dessen Konstrukt basiert auf der Behauptung, es gäbe ein Geflecht zwischen der ETA und der Plattform für eine Sozialistische Alternative (KAS). Auf deren Weisungen sollen andere gehandelt, zum Beispiel die Jugendorganisationen den Straßenkampf organisiert haben. Das Hauptverfahren wurde aber noch nicht geführt. Unser Prozess wurde eilig vorgezogen, sonst müsste man im März einige frei lassen, weil man es in den vier Jahren maximaler Untersuchungshaft nicht geschafft hat, die Vorwürfe zu beweisen. Jetzt werden alle juristischen Normen übersprungen: Der Prozesstermin den Anwälten nur drei Tage vorher mitgeteilt, die Anklageschrift nur kurz zuvor übermittelt, Anträge sofort abgelehnt, etc.

Wieso haben Sie Haftverschonung erhalten?

Das ist unerklärlich. Als wir, die ersten 15 Haika-Mitglieder verhaftet wurden, gab es eine Pressekonferenz, auf der Asier Tapia das Ziel dieses Angriffs erklärte und die Bevölkerung zur Reaktion aufforderte. Daraufhin wurde auch er verhaftet, weil er zur Sabotage aufgerufen haben soll. Er war der Erste der kurioserweise nach sieben Monaten Haftverschonung bekam, für ihn wird mit 112 Jahren Haft die höchste Strafe gefordert. 23 Jugendliche, für die 10 oder 14 Jahre gefordert werden, sind noch in Haft. Wie erklärt man das?

Wie sind die Reaktionen auf die beginnenden Massenprozesse, die fast 300 Personen umfassen. Dass am Samstag Zehntausende in einem ungewöhnlich breiten Bündnis in Bilbao gegen die Prozesse demonstriert haben ist ja ein gutes Zeichen?

Das Baskenland erteilt dem spanischen Staat erneut eine Lektion, weil viele den politischen Charakter erkennen. Dass wir uns vereinigen, um dieses politische Konstrukt anzugreifen, das über die Medien und die Justiz vom spanischen Staat vorangetrieben wird, ist die beste Antwort

© Ralf Streck Donostia den 01.03.2005
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Ergänzungen

siehe auch

Ralf 01.03.2005 - 21:00

Du hast da noch nen paar vergessen

allen voran D 01.03.2005 - 22:49
GB F I Nl B usw. alle Staaten sind so!!

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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hmmmm — Fragender

uff — egal

Danke — Danke