"Empire": globaler Kapitalismus

daniel 06.11.2004 18:47 Themen: Globalisierung
"Empire" von Antonio Negri und Michael Hardt - die wohl derzeit aufsehenerregendste und meist diskutierte theoretische Analyse des globalen Kapitalismus. Im folgenden eine Zusammenfassung der Kernthesen.
1. Die Autoren:

Antonio Negri gilt als einer der führenden Theoretiker der italienischen Linken und war in den 70er Jahren Professor fuer Politikwissenschaft in Padua. In einem umstrittenen Prozess wurde er als führender Kopf der Roten Brigaden bezich-tigt und zu 13 Jahren Haft verurteilt. In Frankreich erhielt er Asyl als politischer Fluechtling und lehrte als Professor fuer Philosophie an der Sorbonne. Heute lebt er unter Meldeauflagen in Rom.
Michael Hardt ist Professor für Literaturwissenschaft an der Duke University Durham in den USA.


2. Kernthesen: Empire, Multitude, Realisierung des Virtuellen

EMPIRE
Hardt/Negri gehen davon aus, dass die Phase des Imperialismus nun abgeschlossen sei und in die Konstitution eines globalen Imperiums, des “Empire” übergehe: “Die unterschiedlichen Nationalfarben der imperialistischen Landkarte fließen zusammen und münden in den weltumspannenden Regenbogen des `Empire´.” Der Niedergang der Souveraenität von Nationalstaaten und ihre zunehmende Unfähigkeit den ökonomischen und kulturellen Austausch zu lenken, würden als eines der ersten Symptome das Entstehen des Empires ankündigen. Denn die Souveränitaet verschwinde nicht, sondern organisiere sich lediglich auf einer anderen Stufe. Wir erleben die Konstitution einer globalen Souveränität. Eine Vielzahl hybrider Identitäten, flexibler Hierarchien, Austauschverhältnisse und abgestimmter Netzwerke werden arrangiert und organisiert. Das so entstehende Empire ist dezentral und deterritorial. Es dehnt sich Schritt für Schritt auf den gesamten globalen Raum aus. Konflikte, Krisen und Differenzen treiben diesen Prozess letztlich nur voran und begründen im gleichen Maß den Ruf nach tieferer Integration. All diese Prozesse zielen der Tendenz nach auf die Schaffung einer einzigen supranationalen Gestalt politischer Macht. Die Autoren sind davon überzeugt, dass “diese Veränderungen heute das kapitalistische Projekt, nämlich ökonomische und politische Macht zusammenzufügen [...], möglich machen [...] und eine kapitalistische Ordnung im eigentlichen Sinn ermöglichen.”
Die Verwirklichung dieses höchsten (und finalen) Zieles des kapitalistischen Projektes hatte, wie Hardt un dNegri betonen, Marx bereits zu untersuchen versucht, war daran aber gescheitert. Marx hatte, wie aus seinen Skizzen und Entwürfen zum “Kapital” hervorgeht, drei Bände des “Kapitals” geplant, die so aber niemals geschrieben wurden: einen über den Lohn, einen über den Staat, und einen über den Weltmarkt. Der Band zum Lohn findet sich inhaltlich wieder in Marx´ politischen und historischen Schriften. Mit den Bänden zum Staat und zum Weltmarkt aber verhält es sich anders: nicht einmal Gliederungsskizzen existieren. Das hat einen einfachen Grund: der Band über den Staat konnte nicht geschrieben werden bevor der Weltmarkt sich realisiert hatte. Und dies geschah erst auf einer höheren Stufe des Kapitalismus. Geniale Theoretiker wie Rosa Luxemburg und Lenin hatten diese Unzulänglichkeit von Marx entdeckt und entwickelten eine Imperialismustherie. Dabei kamen sie zu dem Schluss (Rosa Luxemburg) dass “der Kapitalismus [...] die erste Wirtschaftsform [...] [ist], die allein, ohne andere Wirtschaftsformen als ihr Milieu und ihren Nährboden, nicht zu existieren vermag” , sowie (Lenin), “dass notwendigerweise, bevor es zu einem einzigen Welttrust, zu einer `ultraimperialistischen´ Weltvereinigung der nationalen Finanzkapitale kommt, der Imperialismus unweigerlich bersten muss, dass der Kapitalismus in sein Gegenteil umschlagen wird.” [Hervorhebung im Original].
Und genau hier setzen Hardt und Negri an. Sie beschreiben die von Luxemburg und Lenin gedachte Endphase des Imperialismus: nämlich die gegenwärtig sich vollziehende Konstitution des “Empire”; Höhepunkt und notwendiger Untergang des Kapitalismus zugleich. Denn mit der Konstitution des “Empire” verliert der Kapitalismus das, was schon Rosa Luxemburg als sein wesentliches erkannte: das “Außen’”.
Mit der Konstitution des “Empire” kommt es zur Verwirklichung des Weltmarktes innerhalb der kapitalistischen Produktionsweise. Dies führt zu einer gravierenden Veränderung der imperialistischen Geographie des Planeten: die räumliche Aufteilung in drei Welten (erste, zweite, dritte Welt) wird durcheinander geworfen. Wir finden fortwährend die erste Welt in der dritten (z.B. “Inseln” des Reichtums in “armen” Laendern), die dritte Welt in der ersten (z.B. zunehmende Armut in “reichen” Ländern), die zweite Welt dahingegen fast nirgendwo. Im Empire, dem Höhepunkt der kapitalistischen Entwicklung, beginnen sich bereits Tendenzen zu manifestieren, die auf dessen Überwindung schließen lassen: einzelne “vorkommunistische” Strömungen durchziehen bereits die Strukur des “Empire”. So beginen z.B. bereits allmählich die beiden Pole des Gesellschaftsaufbaus, nämlich Unterbau (=wirtschaftliche Produktion) und Überbau (=Staat, aber auch geistige Tätigkeiten, wie z.B. gedankliche Arbeit, Kommunikation, Kunst etc. miteinander zu verschmelzen. Immaterielle und materielle Arbeit fallen in eins. {EINSCHUB: vgl. auch: Parteiprogramm der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, SED: “die Periode des Übergangs [...] zum Kommunismus wird [...] gekennzeichnet sein durch Beseitigung der Unterschiede zwischen [...] geistiger und körperlicher Arbeit” .} Doch in Gestalt des Empires sind diese Tendenzen nur Elemente totalisierter Herrschaft. Kommunikation wird zur vorherrschenden Produktivkraft. Produktion laesst sich nicht mehr von Reproduktion unterscheiden. Produktivkräfte und Produktionsverhältnisse werden eins. Die gesellschaftlichen Subjekte sind zugleich Produzenten und Produkte. Kein Subjekt, kein Wert, keine Praxis lässt sich mehr ausmachen, die ausserhalb des Empires wäre. Das Empire wird total. Es etabliert eine Ordnung, die Geschichte vollständig suspendiert und dadurch die bestehende Lage der Dinge für die Ewigkeit festschreiben will. Das Empire stellt seine Herrschaft nicht als vergängliches Moment im Lauf der Geschichte dar, sondern als Regime ohne zeitliche Begrenzung, also außerhalb oder am Ende der Geschichte. Es dringt zudem ein in die Tiefen der gesellschaftlichen Welt. Es organisiert nicht nur Territorium und Bevölkerung, sondern schafft sich genau die Welt in der es lebt. Es lenkt die menschliche Interaktion und versucht darüber hinaus die menschliche Natur zu beherrschen. Das gesellschaftliche Leben in seiner Gesamtheit, aber auch Gefühle, Gedanken oder Sehnsüchte werden zum Gegenstand der Herrschaft (z.B. indem sie manipuliert oder vermarktet werden). Das Empire wirkt natürlich, weil es letztlich Biomacht ausübt. Und schliesslich bleibt das Empire, obwohl es in der Praxis ein fortwährendes Blutbad ist, in der Vorstellung der Menschen immer mit Frieden verknüpft; einem allumfassenden Frieden außerhalb der Geschichte . Doch obwohl das Empire über gewaltige Unterdrückungs- und Zerstörungspotentiale verfügt, sollte das keineswegs die Nostalgie für ältere Formen der Herrschaft wecken. Der Übergang zum Empire und die Globalisierungskräfte bergen in sich neue Möglichkeiten zur Befreiung. Denn in der komplexen Totalität des Empire liegt seine Verwundbarkeit. Es ist fortwährend gezwungen sich neu zu organisieren, denn die Krise ist das bestimmende Moment des Empire. Überall und ständig kommt es zu Widerstand und Infragestellung der Befehlsgewalt. Und da erstens Basis und Überbau miteinander verschmolzen sind und es zweitens kein “außen“ mehr gibt, berührt jeder Widerstand sofort den Kern des Empire. Das Empire selbst ist erst schemenhaft zu erkennen, aber: die Kämpfe gegen es haben schon begonnen.

MULTITUDE
Mit dem Begriff “Multitude” kennzeichnen Hardt/Negri die “Menge“, die Vielzahl all derer, die vom Kapitalismus ausgebeutet oder von Herrschaftsstrukturen unterdrückt werden. Darüber hinaus begreifen Hardt/Negri die Multitude nicht nur als revolutionäres Subjekt, sondern als das Subjekt der Geschichte, da Herrschaft im Allgemeinen und das Empire im Besonderen nur auf das Begehren, die Kreativität und die Aktion der Menge reagiere. Damit rücken Hardt/Negri von der marxistischen Definition des industriellen Proletariats als revolutionärem Subjekt ab und erkennen in ihm nur eine spezifische Ausprägung der Multitude. Das Begreifen der Multitude als des Subjekts der Geschichte impliziert zudem die ungeheure und unerschöpfliche Vitalität und Kreativität der Menge. Sie ist nicht bloße “Klasse” mit gemeinschaftlichen Interessen und Zielen; sie ist eine Ansammlung unendlich vieler und verschiedenartiger “Singularitäten“ . Die Multitude betreibt durch ihre kreative Arbeit ständig die “Singularisierung von Gruppen und ganzen Teilen der Menscheit.” Dadurch stellt sie die Marktideologie “alle Menschen auf den globalen Oberflächen des Weltmarkts seien austauschbar” “vom Kopf auf die Füße ”: denn die Individuen und Gruppen der Multitude sind es, die die Lebenswelt autonom und immer neu produzieren. Das Empire kontrolliert und verwertet lediglich deren Aktionen und Interaktionen; die eigentliche Macht der Menge kann es kaum noch im Zaum halten. Das von Hardt/Negri gezeichnete Paradigma von “Multitude und Empire” verspricht aufgrund des Einblicks in das Vermögen der Menge bereits die reale Möglichkeit zum Kommunismus, während das von Marx gedachte bipolare Modell des Klassenkampfes erst die Wiederspiegelung der dialektischen Fortbewegung und der Chance zum Sozialismus war. Zudem ist das Paradigma “Multitude und Empire” richtig verstanden keine (!) dialektische Gegenüberstellung, sondern vielmehr Ausdruck der Verwobenheit von Multitude und Empire zu einer Entität. (Denn immerhin ist es die Multitude, die ihr Negativum, das Empire, indirekt erst selbst hervorgebracht hat , es täglich neu erschafft, auf gewisse Weise am Leben erhält und zur permanenten Wandlung zwingt). Wenn Hardt/Negri in ihrer Darstellungsweise undialektisch werden, dann also deshalb, weil das Empire bereits Produkt einer vorangehenden Dialektik ist, die in ihm schon beginnt zum Stillstand zu kommen: der Kommunismus wird nicht aus einer dialektischen Gegenbewegung der Menge gegen das Em-pire entstehen sondern mehr aus einem Herauswachsen. Das Empire ist der Kokon in dem die Metamaporphose der Menge sich vollzieht. In den appellierenden, mystischen Worten Plotins, die Hardt/Negri bemühen, ließe sich zur Menge sprechen: “[...] du musst dies alles dahinten lassen und nicht blicken, sondern nur gleichsam die Augen schließen und ein anderes Gesicht statt des alten in dir erwecken, welches jeder hat, aber wenige brauchens.” Der Kommunismus wird nichts fremdartig Neues sein und wohl nie mit diesem Namen genannt werden, er wird lediglich das bisher verdeckte Gesicht der Menge sein, das Ende der spannungsreichen Entfrem-dung. Die ersten dieser Entpuppungsversuche der Multitude erlebten und erleben wir bereits.

REALISIERUNG DES VIRTUELLEN
“Virtuell” ist für Hardt/Negri “das Set von Handlungsmöglichkeiten (Sein, Lieben, Verändern, Schaffen), das in der Menge vorhanden ist” . Dieses “virtuelle Macht-Set der Menge” entsteht in Auseinandersetzungen und gewinnt Dauerhaftigkeit im Begehren. Erst durch den Druck, den das Virtuelle auf die Grenzen des Möglichen ausübt, kommt es mit dem Realen in Berührung. {EINSCHUB: dasist es letztlich auch was Ernesto Che Guevara meinte, als er sagte: Seien wir realistisch - fordern wir das Unmögliche!} Der Übergang “vom Virtuellen durch das Mögliche zum Realen ist der grundlegende Schöp-fungsakt.” “Die Brücke zwischen dem Virtuellen und dem Realen”, “das Vehikel der Möglichkeit”, ist dabei die “lebendige Arbeit.” Und zwar Arbeit die zur “gesellschaftlichen Tätigkeit” wird, nachdem sie “die Käfige ökonomischer, gesellschaftlicher und politischer Disziplin geöffnet und jede regulative Dimension des modernen Kapitalismus sowie seiner Staatsform überwunden hat.” Die erfolgte Realisierung des Virtuellen wäre somit nichts anderes als der Übertritt in den Kommunismus. Die Beschäftigung mit der Frage “ob, wie und wann die Virtualität der Menge durch die Möglichkeit hindurch gelangt und Wirklichkeit wird [...] reicht von Lukács bis Benjamin, von Adorno bis zum späten Wittgenstein, von Foucault bis Deleuze und findet sich in der Tat bei fast allen, welche die Abenddämmerung der Moderne wahrgenommen haben. [...] Heute erkennen wir wie blass deren Antworten waren, vergleicht man sie mit der Ungeheuerlichkeit der Frage.” Wir erkennen heute: “Das Virtuelle und das Mögliche bilden als irreduzible und als revolutionäre Maschine ein unzertrennliches Paar.” Und wir erkennen weiter: “Die virtuellen, konstituierenden Mächte stehen in einem endlosen Konflikt mit der konstituierten Macht des Empire. Sie sind vollkommen positiv, weil ihr `Dagegen-Sein´ ein `Dafür-Sein´ ist, d.h. ein Widerstand, der zu Liebe und Gemeinschaft wird.” Für unsere Gegenwart bedeutet das: “Wir be-finden uns genau an diesem Scharnier unbegrenzter Begrenztheit, das das Virtuelle und das Mögliche miteinander verbindet, im Übergang zu einer nahenden Zukunft.”
Die Menge vollzieht den Übergang zu dieser Zukunft in den Formen “Nomadismus und Metissage“ , “General Intellect und Biopolitik“ . Nomadismus meint die Bewegungen der Menge in der Virtualität des Welt-Raums - eine Virtualität, die sie dadurch in Realität verwandelt. Ein Raum der virtuell lediglich durchquert werden kann, wird durch die Durchquerung real zum Lebens-Raum. Zirkulation wird so zu Freiheit. Freiheit auch insofern, als dass die gegenwärtig zu beobachtenden Wanderungen biblischen Ausmaßes mit den Beschränkungen, die die Sou-veränität dem Subjekt auferlegt, “einer Nation, einer Identität, einem Volk anzugehören”, radikal brechen. “Durch Zirkulation entsteht eine gemeinsame menschliche Spezies, ein bunter Orpheus mit unbegrenzter Macht; durch Zirkulation entsteht die menschliche Gemeinschaft. Fern aller aufklärerischen oder kantianischen Träumereien [...] verlangt die Menge nicht nach einem kosmopolitischen Staat, sondern nach einer gemeinsamen Spezies.” “Zirkulation ist ein globaler Exodus, sprich: Nomadismus; und sie ist ein körperlicher Exodus, sprich: Vermischung.” Ebenso erleben wir die Realisierung einer anderen Virtualität: des “General Intellect”. Marx sah dies erst für die Zukunft voraus. “An einem bestimmten Punkt der kapitalistischen Entwicklung wird die Arbeitskraft von den Mächten der Wissenschaft, Kommunikation und Sprache bestimmt. `General Intelect´ ist eine kollektive, soziale Intelligenz, die durch die Akkumulation von Wissen, Techniken und Know-How entsteht.” Damit erschließen sich produktive Möglichkeiten des Lebens, die zugleich geistig und körperlich sind. Diese Möglichkeiten bezeichnet der Ausdruck “Biopolitik”. In der Hand des “Empire” meint Biomacht die totale Subsumtion der Gesellschaft unter das Kapital. Doch: “Wenn menschliche Macht unmittelbar als eine autonome, kooperative, kollektive Kraft auftritt, ist die kapitalistische Vorgeschichte zu Ende. Anders ausge-drückt: Die kapitalistische Vorgeschichte ist dann zu Ende, wenn soziale und subjektive Koope-ration nicht mehr Produkt, sondern Voraussetzung ist, wenn das nackte Leben in den Rang einer Produktivkraft erhoben wird oder genauer: wenn es als Reichtum der Virtualität erscheint.” Im Empire vollzieht die Menge also verschiedene Metamorphosen die letztendlich zu ihrer Befreiung führen; sie realisert das Virtuelle; der Kommunismus verwirklicht sich vor unseren Augen: er ist jetzt der Weg, nicht mehr das ferne Ziel.


Hardt/Negri schließen mit den Worten:
"Diese Revolution wird keine Macht kontrollieren können - weil Biomacht und Kommunismus, Kooperation und Revolution in Liebe, Einfachheit und auch in Unschuld vereint bleiben."


PS:
Entschuldigt, dass die Quellenangaben zu den Zitatan feheln; sie sind selbstverständlich alle aus "Empire" (Hardt/Negri), Campus Verlag entnommen. Beim Kopieren vom Works-Text in das Indymedia-Eingabe Formular sind die fußnoten nicht mitkopiert worden. Es war mir zuviel Arbeit sie nochmal alle einzeln hinzuzufügen. Wenn ihr darauf besteht, schick ich sie zu einem anderen Zeitpunkt noch nach.

"Empire" gibt es in der englischen Version kostenlos zum Download im Internet; bitte selber suchen!

Mitlerweile ist der Folgeband erschienen: "Multitude".

Rezensionen, Besprechungen und Kritik zu "Empire" finden sich in einer Linksammlung, die die Rosa Luxeburg Stiftung zusammengetragen hat unter:
 http://www.rosalux.de/Aktuell/Thema/
Das Spektrum reicht von Artikeln aus der FAZ, über die "Graswurzel", die "Junge Welt", die "Jungle World", bis zu "Wildcat" etc...
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Ergänzungen

nette Ideen, aber...

elfboi 06.11.2004 - 20:36
...zu wenig direkte Anregung zu praktischem Handeln. Ich halte es da eher mit Hakim Bey und seiner Idee der Temporären Autonomen Zone (TAZ) - ich habe schon genug real existierende TAZen gesehen, z.B. in Pingutopia oder beim Grenzcamp, aber auch schon bei Demos oder einfach irgendwo, wo sich ein Haufen von Menschen zusammengeschlossen hat, um die äußere Realität völlig zu ignorieren und eine Blase ihrer eigenen zu schaffen...

der joker

weist 06.11.2004 - 21:01
sind sicherlich die Prozesse, die Negri/Hardt wie in ihrer Zunft üblich ignorieren - diejenigen, die sich in Zeiträumen abspielen, die der sozialwissenschaftlichen Analyse unzugänglich sind, nämlich Wetter und Ressourcen.
Die Unwägbarkeiten der begonnenen Änderung des Klimas auf globaler Ebene beginnen erst gerade, ins Blickfeld der Forschung zu treten, und alles, was möglich ist, ist theoretische Voraussagen zu treffen, wie bestimmte Regionen sich unter verschiedenen Klimawandelszenarien entwickeln werden. China zB wird allgemein für nicht in der bestehenden Form überlebensfähig gehalten; eher wahrscheinlich ist ein Rückfall in Zustände, wie sie dort vor 100 Jahren herrschten (grob gesagt, eine Afghanisierung des Landes). Kanada auf der anderen Seite wird allerhöchstwahrscheinlich der einzige sichere Gewinner sein. Westeuropas Schicksal hängt letztlich davon ab, ob das Schmelzwasser aus Grönland und der Arktis leicht genug ist, um den transatlantischen Wärmetausch zu unterbinden; im krassesten Fall haben wir in 20 Jahren in der BRD ein Klima wie in Finnland!

Ressourcendepletion (grob gesagt, fossile Brennstoffe inklusive radioaktiver) nun hat amssive Auswirkungen auf das weltwirtschaftliche Geschehen: ohne Öl kein Empire. Im Moment (also in diesen Tage) herrst einige Unsicherheit in der Szene, weil der Öleinkauf durch die VR China zurückgegangen ist, der hohen Preise wegen - China aber ist das eine Land, an dem es liegt, daß wir rein rechnerisch immer noch keine globale Rezession haben; der sinkende Ölhunger deutet aber auch ein Abschlaffen der wirtschaftlichen Dynamik hin. Es ist zu erwarten, daß Edelmetalle (die ja heutzutage nur noch marginalen praktischen Wert haben) in den nächsten 2 Wochen verstärkt als Anlageoption ins Gespräch kommen; haltet mal die Ohren auf, vielleicht hört ihr was davon.

Zwar ist es theoretisch denkbar, durch technologische Errungenschaften diese beiden Probleme in einem Ausmaß abzuwenden, der zumindest den reichen Nationen ein Weitermachen in der aktuellen Form erlaubt (also nach Negri/Hardt eine weitere Konstitutionierung des Empire), aber dies ist eher unwahrscheinlich, da die für F&E nötigen Ressourcen aus dem klassischen Wirtschaftgeschehen abgezogen werden müssen und Kapitalisten generell und in Krisensituationen insbesondere kaum fähig sind, langfristig oder nachhaltig zu denken und zu planen.

Die Prognose von 'Empire' scheint an sich korrekt, aber durch ihre Beschränkung auf rein gesellschaftliche Faktoren (im weiteren Sinne) ist sie nicht in der Lage, einem kritischen Test standzuhalten. Ich würde sagen, Negi/Hardts Vision wird sich im Großen und Ganzen realisieren, bis gegen Mitte des Jahrhunderts andere Prozesse Empire und wahrscheinlich auch Multitude den Saft abdrehen; wenn wir Pech haben, sind iwr in 100 Jahren wieder da, wo wir angefangen haben, nämlich in der Ära des frühen Kapitalismus und der Nationalstaaten wie im mittleren Drittel des 18. Jahrhunderts - nur eben auf dem absteigenden Ast, nicht auf dem aufsteigenden. Durch die rein sozialwissenschaftliche Perspektive ergibt sich ein irreführender Optimismus, da die entscheidenden Steine, die einer gerechteren Welt im Weg liegen, gar nicht untersucht werden (wie will man die Prozesse der Multikulturalisierung, der globalen Kommunikation und der anderen, die veralteten Nationalstaaten dekonstruierenden Entwicklungen aufrechterhalten in einer Welt, in der Mangel das einzige ist, was es im Überfluß gibt?)

Insgesamt bleibt festzustellen, daß der eigentliche Wert von 'Empire' in der Definition neuer Begrifflichkeiten liegt. Als Visionär war Karl Marx vermutlich besser, denn der war in der Lage, die globale Entwicklung des ökonomischen Systems über mehr als 50 Jahre vorauszusehen (der 2. Weltkrieg kann als Anfang von Ende der 'Marxschen Zeitrechnung' betrachtet werden. Bis dahin lief es eigentlich so, wie er es vorhergesagt hat). Aber, wie gesagt, für eine korrekte, umfassende Analyse ist es noch zu früh; diese wird frühestens in einem Jahr oder so möglich sein.

@weist: sehr gut!

daniel 06.11.2004 - 21:45
hardt/negri sinngemäß in ihrem neuen buch (multitude):

der bogen ist gespannt; die multitude ist der pfeil - alles worauf sie noch wartet ist das losschnellen.....

deinen gedanken folgend, könnten die evtl. krisen in die das empire durch energieprobleme in den nächsten jahrzehnten kommen wird (aufbrauchen der ölreserven) der auslösende moment für das "losschnellen" der menge sein... abwarten! ;-)

@daniel, elfboi

weist 07.11.2004 - 11:26
oh, das wäre schön. aber, ums mal metaphorisch auszudrücken, dieser schuß kann sehr leicht nach hinten losgehen, direkt ins auge (was blind macht) und dann weiter ins hirn (was dumm macht) - die gefahr eines vormarschs faschistoider ideologien ist mindestens ebenso hoch wie die chancen für linke. wir werden sehen. aber es ist auf jeden fall wichtig, die lektion von deutschland 1930-33 verinnerlicht zu haben. passiert es, wird der zorn groß sein, und es wird ein kampf zwischen linken, die ihn konstruktiv, und rechten, die ihn destruktiv katalysieren wollen werden. wer ist besser? die linke hat, was massenappeal angeht, noch viel zu lernen. aber hier in westeuropa haben wir noch, wenns wirklich kraß kommt, so 5 jahre vorbereitungszeit.

@elfboi: das ist aber doch gar nicht ihr job. und verdammt gut so, denn 'empire' ist recht einflußreich, und es gibt nuichts erbärmlicheres, als 'linke' die hinter einem vordenker hinterherrennen (noch nicht mal hinterherdenken).

Seminar zu Empire in Berlin

Schnell Anmelden 07.11.2004 - 14:39

guten morr-gen!

moin moin 07.11.2004 - 14:54
das buch ist ja schon fast uralt und hat sich ueberhaupt nicht durchgesetzt. es war als das manifest - so wie DAS KAPITAL - der anti-neolib-glob bewegung gedacht. zu wenig idealismus-freie analyse und zuviel phantasiereien und identitaetspolitik haben es aber zerstoert.

längst abgehakt

gramski 07.11.2004 - 15:28
fast so alt wie das buch ist die rezension von maria turchetto. darin sind die theoretische schwächen von "empire" recht pointiert herausgearbeitet: www.wildcat-www.de/zirkular/65/z65turch.htm

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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Vor unseren Augen? — BRD-Grrr!

@elfboi, @BRD-Grr!: — daniel