Zanon - Fabrik unter Arbeiterkontrolle

Peter Nowak 25.11.2003 02:59 Themen: Weltweit
In Argentinien existieren noch immer mehr als 150 besetzte Fabriken. Arbeiter der Kachelfabrik Zanon berichten auf einer Rundreise durch Deutschland über ihren Kampf und ihre Perspektiven.
Mate, Tee und Produktion
Fabrikbesetzer in Argentinien auf Rundreise durch Deutschland

Fast zwei Jahre ist es her, als ein Aufstand der Bevölkerung in Argentinien gleich mehrere Präsidenten stürzte. „Alle müssen weg“, lautete damals die Parole der breiten Bewegung aus Arbeitslosen, Arbeitern und verarmten Mittelstand. Heute scheint davon wenig übriggeblieben.
Doch das stimmt nicht. Der Aufstand in Argentinien gründete sich auf drei Säulen: organisierte Arbeitslosen, die sogenannten Piqueteros, die mit ihren Straßensperren das Land lahm legten, die Stadtteilversammlungen und die besetzten Fabriken. Noch immer sind ca. 150 Fabriken besetzt, wie Raúl Godoy am Wochenende auf einer Veranstaltung in Berlin berichtete. Dort begann der Delegierte der Belegschaft der Kachelfabrik Zanon eine Informationsreise, die in den nächsten in weiteren Städten veranstaltet wird.
Die Geschichte, der mehr als 350 Beschäftigte zählende Fabrik ist auch ein Spiegelbild des jüngsten Politisierungsprozesses in Argentinien. „Lange Jahre standen wir Linken in dem während der Militärdiktatur gegründeten Betrieb auf verlorenen Posten. Die Arbeiter hörten gar nicht zu, wenn wir von den Protesten der Arbeitslosen berichteten“, erklärte Godoy. Erst als der eins florierende Vorzugsbetrieb in die Krise geriet und geschlossen werden sollte, erwachte der Kampfeswille der Belegschaft. „Dann hat die Arbeit von uns wenigen Linken Früchte getragen“, sagt der Fabrikbesetzer sichtlich erfreut. Allerdings hat ein Teil der alten Arbeiter im Laufe der Auseinandersetzungen die Fabrik verlassen. Schließlich hatte sich der Konflikt schon mehrmals zugespitzt. Neben juristischen Versuchen, die Arbeiter zum Aufgeben zu zwingen, gab es auch direkte Räumungsversuche. Die Polizei rekrutierte dazu ehemalige Kollegen, die gewaltsam in die Fabrik eindringen wollten. Einzelne Aktivisten werden mit Strafverfahren überzogen. So musste sich Godoy vor dem Antritt seiner Europareise bei der Staatsanwaltschaft die Erlaubnis holen. Gegen ihn wird läuft ein Ermittlungsverfahren wegen einer Straßenblockade.
Im Gegensatz zu den meisten der anderen rund 150 noch besetzten argentinischen Fabriken, hat sich Zanon bisher auf keinerlei Kompromisse mit dem Staat eingelassen. Heute versteht sich das Unternehmen als „Fabrik unter Arbeiterkontrolle“. Alle Entscheidungen werden dort auf einem Plena basisdemokratisch getroffen. Für Godoy ein unverzichtbares Prinzip. Nur so könne verhindert werden, dass sich Hierarchien bilden.
Nach der Besetzung wurde auch die Art der Produkte verändert. Bisher trugen die bei Zanon produzierten Kacheln klassisch antike Motive aus Europa, wie sie die argentinische Oberschicht liebt. Mittlerweile wurden sie durch Motive aus der indigenen Sagen- und Götterwelt ersetzt. Der Umschwung kam durch den Kontakt mit den Mapuche-Indianern, die mit den alten Fabrikbesitzern in heftigen Konflikt standen. Heute gehören die Mapuche zu den aktiven Unterstützern der Fabrik. Gemeinsam mit linken Basisorganisationen, Gewerkschaften und Menschenrechtsgruppen wie den Madres de Plaza de Mayo, haben sie bisher die Räumung der Fabrik verhindern können. Godoy ist überzeugt, dass auch weiterhin nur die Unterstützung von unten die Existenz der Fabrik garantiert. Auf seiner Europareise will er um Solidarität werben. Doch er bringt seinen Zuhörern auch eine Botschaft mit: „Was wir bei Zanon machen, kann überall probiert werden“.
Peter Nowak
Den Kampf der Zanon-Arbeiter schildert ein aktueller Film: Mate, Ton und Produktion. Zanon - eine Fabrik unter Arbeiterkontrolle, Arg./D, Dokumentation, 55 min., AK KRAAK 2003, Er kann über das Videokollektiv ak kraak bezogen werden. AK Kraak
Kastanienallee 77
D - 10435 Berlin
Tel & Fax: +49 - 30 - 44047458

Bürozeiten: Dienstag 19-22 Uhr


Weitere Tourdaten von Raúl Godoy unter www.wildcat-www.de
Stuttgart: Dienstag, 25. November 2003, 19.30 Uhr, Gewerkschaftshaus Stuttgart, Willi-Bleicher-Str. 20, Raum 245 (2. Stock) (veranstaltet von Zukunftsforum Stuttgarter Gewerkschaften)
Mannheim: Mittwoch, 26. November 2003, 19.30 Uhr, Bürgerhaus Neckarstadt, Lutherstraße, 68169 Mannheim (veranstaltet von ver.di und Zukunftsforum Gewerkschaften Mannheim)
Freiburg: Montag, 1. Dezember 2003, 19.30 Uhr, KTS, Basler Str. 103
In Argentinien sind mehr als 150 Betriebe besetzt.
Veranstaltungsrundreise mit Raúl Godoy (Kachelfabrik Zanon, Neuquén) und Glady Figueroa (Textilfabrik Brukman, Buenos Aires)
Köln: Donnerstag, 20. November 2003, 19.30 Uhr, Bürgerzentrum Alte Feuerwache, Melchiorstr. 3 (Nähe Ebertplatz)
Berlin: Freitag, 21.11.2003, 19.00 Uhr, HU, Hauptgebäude , HS 3094
Film: Mate, Ton und Produktion. Zanon - eine Fabrik unter Arbeiterkontrolle, Arg./D, Dokumentation, 55 min., AK KRAAK 2003
Anschließend Diskussion mit Raúl Godoy
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