EU-Parlament heuchlerisch und unverschämt

Ralf Streck 28.05.2003 00:07 Themen: Repression
Interview mit Koldo Gorostiaga. der Hochschullehrer wurde 1999 bei den Wahlen für die baskische Linkskoalition Euskal Herritarrok (EH/Baskische Bürger) ins Europaparlament gewählt. Nach der Auflösung von EH ging das Mandat an die 2001 gegründete Partei Batasuna (Einheit) über, die im März in Spanien verboten wurde. Rückwirkend traf dies auch ihren Vorgänger Herri Batasuna (Volksunion) und EH. DAs Interview dreht sich um die Behandlung des Baskanlands in Europa und einer Einschätzung zu den Wahlen am letzten Sonntag.
Sie sind noch Parlamentarier der verbotenen Partei im Europaparlament, die nun auch auf der US-Terrorliste steht?

Das Batasuna als Terrororganisation bezeichnet wird, hat sich lange angekündigt. Man fragt sich, welche Veränderungen gab es, nachdem wir gewählt wurden und jetzt, wo wir von Spanien und den USA als Terroristen bezeichnet werden. Ich vertrete jedenfalls noch immer mehr als 300.000 Menschen im Parlament.

Beeinträchtigt sie das spanische Verbot?

Im Parlament oder hier im französischen Baskenland, wo mein Büro ist, hat sich nichts geändert. Es ist paradox, seit dem vorläufigen Verbot und später der Illegalisierung im März, ist die Beziehung zu vielen der 600 Parlamentskollegen flüssiger geworden. Nach dem die spanische Regierung den Lohn für die Beteiligung am Irak-Krieg bekam, Batasuna auf die US-Liste der Terrororganisationen zu setzen, sind sie so gut wie nie.

Gehören sie im Parlament einer Gruppe an?

Nein. Für uns als linke, internationalistische Organisation, welche den Aufbau des Baskenlands forciert, gibt es keine Gruppe, die diese Position vertritt.

Wie behandelt das Europaparlament das Verbot?

Es geht heuchlerisch und unverschämt mit dem politischen Konflikt um. Alle kennen die Lage im Baskenland, unter Frankreich und Spanien geteilt, mit einer Grenze inmitten, in einem Europa ohne Grenzen. Alle tun so, als gäbe es den Konflikt nicht. Europa hat keine Mittel, um die Krise zu überwinden, wenn es sich kritisch dem Konflikt stellte. Die Verbote werden nicht behandelte. Nur im Fall eines Attentats taucht er auf, der Anschlag wird verurteilt, ohne die Ursachen zu analysieren, wie man es bei anderen Konflikten macht. Für Spanien gibt es nur den Terrorismus. Europa stimmt nicht zu, aber schweigt. Solange Spanien mit einem Veto alle Reformen in der EU blockieren kann, wird das so bleiben und es keinen europäischen Prozess geben.
Wenn Spanien beim nächsten Gipfel in Thessaloniki fordert, uns auf die EU-Terror Liste zu setzen, damit die Reform nicht blockiert wird, dann wird auch das geschehen.

Das Parlament verurteilt aber Parteiverbote, wie zuletzt im Februar im Fall der Hadep in der Türkei?

Einstimmig. Das ist die Doppelmoral. Der Türkei werden Gespräche über den Beitritt verwehrt, weil Menschenrechte und die Kriterien von Kopenhagen nicht erfüllt sind. Zugleich wird toleriert, dass die Meinungs- und Organisationsfreiheit in der EU beschränkt wird.

Gibt es eine Gruppe die euch unterstützt?

Keine Gruppe verteidigt Batasuna im Parlament. Doch einzelne Parlamentarier, verschiedener Gruppen, verteidigen das Selbstbestimmungsrecht der Basken und verhalten sich kohärent zu demokratischen Grundsätzen. Die Gruppen stellen die politischen Interessen vor die Prinzipien.

Wird über die erneute Annullierung von 225 Wählerlisten bei den Wahlen am letzten Sonntag debattiert?

Es gab eine Initiative von 32 Abgeordneten, um das als dringlichen Fall zu behandeln. Seit zwei Monaten wurde sie nicht angenommen. Ich befürchte, sie wird nächste Woche erneut abgelehnt. Es ist Paradox, man kann im Parlament über die Türkei reden, aber nicht über das Baskenland.

Wie bewerten sie das Abschneiden der annullierten Listen bei den Wahlen?

Die linke Unabhängigkeitsbewegung hat in ihrer aktuellen Zusammensetzung etwas erreicht, was wahrscheinlich einzigartig in der Welt ist. Eine Bevölkerung hat Listen gewählt, die zuvor annulliert, als illegal erklärt wurden. Das 160.000 Menschen diesen Listen ihre Stimme geben, zeigt deutlich den Umfang des politischen Problems an. Der Konflikt ist deutlicher als je zuvor. Das bedeutet auch, dass die politischen Formationen die einst Euskal Herritarrok waren, heute noch mehr Stimmen erreichen würden, als damals. Denn dieses Spektrum hat mich 1999 mit 307.000 Stimmen gewählt. Statt zusammen sind die Parteien ja getrennt am Sonntag angetreten, aber haben insgesamt Zuwächse verzeichnen können. Die Wahlen haben aber keine Veränderungen gebracht, doch was das Klima des Konfliktes angeht, haben wir Fortschritte gemacht. Das ist insgesamt sehr positiv. Zwar ist die Volkspartei nicht völlig eingebrochen, aber nur deshalb, weil die Sozialisten keine Alternative darstellen. Zwischen Original und Kopie wählen viele lieber das Original, auch wenn es ihnen nicht besonders gefällt. Politisch gesehen haben die Sozialisten im Baskenland eine Schlappe eingesteckt, im politischen Sinne des Wortes, weil sie von den Ultrarechten kaum zu unterscheiden ist. Sie hat keine Glaubwürdigkeit und es gibt kein Vertrauen in sie als Alternative. Das hat zum Teil die Vereinte Linke, als glaubwürdigere Position aufgefangen.

Ralf Streck, Baiona (frz. Bayonne) den 27.05.2003
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Ergänzungen