Der Kampf gg die Gefahrenabwehrverordnung geht weiter

GiessenerIn 16.02.2003 13:36 Themen: Repression
Auch nach drei Monaten andauernden Protestes geht es weiter.
Chronologie und Zukunft -
Kein Friede mit den herrschenden Verhältnissen!
Die Stadt gehört uns allen!
Gegen Gefahrenabwehrverordnungen in giessen und überall!

Am 12.12.2002 wurde von der rechtsbürgerlichen Stadtkoalition (CDU/FDP/FWG) das neue "Allheilmittel" zur Stadtbereinigung beschlossen: Die sogenannte Gefahrenabwehrverordnung. Wie viele andere Städte will Giessen jetzt endlich mit allen aufräumen, die nicht in das Bild der konservativen Stadtplaner passen oder auch nur beim fröhlichen Einkaufen und Konsumieren stören. Hier ein paar exemplarische Beispiele der Verbote in der zig Seiten langen Verordnung:

"Trinkgelage" (sprich Alkoholgenuss) auf öffentlichen Plätzen ab 2 Personen, "unangepasstes Verhalten" in der Öffentlichkeit, unangemeldetes Flugblattverteilen auf öffentlichen Plätzen, sog. "aggressives Betteln", "wildes" Plakatieren, Schlafen und Lagern auf öffentlichen Plätzen sowie empfindliche Bußgelder bei Verunreinigung von Straßen durch Kippen oder Kaugummis und Maßstäbe für die Länge von Hundeleinen (u.a. Schnee auf die Strasse schieben)
Zusätzlich ist in der Stadt festzustellen:
- die Kameraüberwachung auf dem Marktplatz (von der SPD initiiert), im gesamten Stadtraum gibt es etwa 30 Kameras
- eine Zunahme von Kontrollen gegenüber sogenannten "Risikogruppen", die an Kleidung, Haarschnitt und/oder Hautfarbe festgemacht werden
- die Entfernung von grossen Teilen der Grünanlagen, "es könnten sich ja Fixer darin verstecken"
Die Verbote „Mülltonnen nach Verwertbarem zu durchsuchen“ und „das Auto auf der Straße zu waschen“ wurden nach öffentlichen Unmutsäußerungen bereits im Vorfeld reduziert.

All diese Verbote sind sehr schwammig: Wer definiert "aggressives Betteln"? Was ist "unangepasstes Verhalten"? Denkt mensch darüber nach wird schnell klar gegen wen sich die Verordnung richtet: Obdachlose, Alkoholiker, Punks, DrogenkonsumentInnen und alle anderen die nicht ins Bild der Leistungs- und Kaufgesellschaft passen wollen.
Und natürlich wird auch beim nächsten Weihnachtsmarkt kein "freundlicher Polizist" die Trinkgelage an den Glühweinständen unterbinden...

Aber schon vor dem 12.12. begann sich Widerstand zu regen: Ein zahlreiche Gruppen (Infoladen, Jusos, JungdemokratInnen, AStA, Junge Grüne, Projektwerkstatt uvm.) riefen für den 12. zu einem Protest vor der Stadtverordnetenversammlung auf. 350 Menschen protestierten lautstark, farbenfroh und begleitet von zahlreichen Aktionen. Aber an diesem Tag zeigte die Repression den Sinn der Verordnung auf besondere Weise auf: Zwei Aktivisten wurden bereits am Vorabend verhaftet und bis nach der Kundgebung festgehalten - Die ersten Opfer des Hessener Vorbeugegewahrsams.
In den folgenden Wochen gab es jeden Samstag kontinuierliche Proteste. Im Durchschnitt waren jeden Samstag 50 Menschen aktiv, während die Staatsmacht mit der sicherlich doppelten Anzahl vertreten war. Sicherheit oder Angst und Überwachung?
Im Zuge dieser Proteste kam es zu einem der härtesten Repressionsschläge der letzten Zeit. Am 10/11.01.2003 gab es bei zwei Veranstaltungen mehrere Verhaftungen. In der Nacht auf den 10. wurde die Projektwerkstatt von einem Grossaufgebot Polizei überfallen, 7 Computer wurden ohne Durchsuchungsbefehl und Beschlagnahmungsbescheinigung entwendet. Bei einer Verhaftung am 11. prügelte die CDU von ihrem Wahlstand (unter Schirmherrschaft von Volker Bouffier persönlich) aus gleich mit der Polizei auf die Aktivisten ein.
Daher fand am Samstag den 18.01. eine Demonstration gegen Sicherheitswahn und Polizeiterror mit 100 Teilnehmern. Leider konnte diese Demo erst mit einer Stunde Verspätung anfangen, da etwa ein Dutzend Teilnehmer, unter anderem die Anmelderin der Demonstration fast eine Stunde lang von den Bütteln in einem Seitenhof "kontrolliert" wurden.

Das immer härter werdende Vorgehen der Staatsmacht zeigt uns gerade auf, dass auch weiterhin Widerstand notwendig ist. Stück für Stück demontiert die Demokratie selbst ihre eigenen Regeln, wenn es darum geht, kritische Stimmen auszuschalten, einzuschüchtern und mit Repressalien zu überziehen. Der in Giessen aufkeimende Polizeiterror meint uns alle, nicht nur die Betroffenen. Er zeigt uns eine Zukunftsperspektive auf, gegen die anzugehen lohnend und notwendig ist.
Wir stehen stattdessen ein für eine Welt ohne Herrschaft, Ausbeutung und andere Machtverhältnisse, eine Welt, in der die Stadt nicht den Geschäftsinhabern, sondern den Menschen die in ihr wohnen gehört.
Dieser Widerstand muss laut, bunt, kreativ und lebendig sein, wenn er der Eintönigkeit und Lebensfeindlichkeit der herrschenden Politik entwas entgegensetzen will. Fröhlich und tanzend, aber auch laut und ungehorsam werden wir die Verhältnisse zum Tanzen bringen.

Wir werden noch tanzen, singen und lachen, wenn an Haumann und Möller längst niemand mehr denkt!!!

Weitere Infos:
www.ak44.de.vu
www.abwehr-der-ordnung.de.vu
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Ergänzungen

Update

derselbe 16.02.2003 - 15:34
Kleines Update:

Auf
 http://www.8ung.at/infoladen-giessen/presse.html
gibt es eine linksammlung von indymedia-artikeln zum thema.
Desweiteren wird für den 01.03.2003 zu einer Nachttanzdemo aufgerufen, treffpunkt ist der park an der südanlage um 21.30 Uhr.

Verfassungswidrig!

Jubelmax 16.02.2003 - 23:26
Völlig zu Recht wird in obigem Artikel darauf hingewiesen, dass Begriffe, wie Betteln, Alkoholkonsum durch Gruppen in der Öffentlichkeit usw. sehr unklar sind.
Wenn man nicht mehr weiss, welches Verhalten erlaubt oder Verboten ist, dann ist die Gefahrenabwehrordnung verfassungswidrig.
Meiner Meinung nach verstösst sie nämlich gegen Art.103 Abs.2 Grundgesetz (Bestimmtheitsgebot).

Wenn einem also nach Gefahrenabwehrordnung eine Geldbuße, Platzverweis oder Ingewahrsamnahme wieder fährt, dann ist gegen diesen Verwaltungsakt innehalb von 4 Wochen Widerspruch eingelegt werden. Wird diesem nicht gefolgt, sollte man die zuständige Behörde vorm Verwaltungsgericht(VG) verklagen. Entweder das VG erklärt den Verwaltungsakt für nichtig oder rechtmäßig. Wenn es optimal läuft, dass heisst, das Gericht teilt den Verdacht der Verfassungswidrigkeit der Verordnung, dann führt das Gericht selbsttätig eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes herbei.
Verfahren vorm VG werden übrigens meistens von der Rechtsschutzversicherung getragen. Letztere kostet leider Geld, im Vergleich aber doch weniger als ein Verfahren. Demokratie zum Nulltarif gibt es leider (noch) nicht.

@jubelmax

O.Mayer 18.02.2003 - 16:14
Das VG wird mit Sicherheit nicht das BVerfG anrufen.
Zum einen sind VOen zur Gefahrenabwehr Landesrecht, so dass wenn überhaupt Landesverfassungsgerichtsbarkeit in Betracht käme. Eine Verfassungsbeschwerde an das BVerfG müsste extra gefasst werden und unterläge dem Erfordernis der Ausschöpfung des Rechtswegs.

Des weiteren kann das VG selbst die Rechtswidrigkeit einer VO bei Inzidentprüfung des VA feststellen, da es sich nicht um ein nachkonstitutionelles Gesetz im formellen Sinne handelt.
Vorrangig ist allerdings an ein Verfahren nach §47 I Nr.3 VwGO vor dem OVG zu denken, wobei kein Abwarten auf VA und Widerspruch nötig ist.

Wenn also hier schon der grosse Checker gemimt werden soll, dann bitte auf sachlich zuztreffender Grundlage...