Kungebung vor Lager in Horst

auf180 23.09.2010 20:12 Themen: Antirassismus Repression
11 Tage ist es her das ein junger Mann aus dem Lager in Horst beschlossen hat aus Protest gegen die unhaltbaren Zustände und die menschenunwürdige Unterbringung in einem Lager in den Hungerstreik zu treten.
Nachdem sich weitere Flüchtlinge dem Protest anschlossen und auch ausserhalb des Lagers Menschen sich solidarisch erklärten wurde der öffentliche Druck gegen die Lagerleitung in Horst und die verantwortlichen Schreibtischtäter_innen immer größer.
Gestern nun lud die Lagerleitung zu einer Besichtigung ein um dem Bild welches sich die Öffentlichkeit in den vergangenen Tagen von Horst machen konnte ihre Propaganda entgegenzusetzten.
Die Lagerleitung lud die Opfer ihrer PR-Aktion für Mittwoch um 14:00 zu einer Besichtigung des Lagers ein. Unter Ihnen waren Vertreter_innen der Innenbehörde Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern, verschiedene Vertreter_innen der Parteien, Delegierte der Flüchtlingsräte HH und MV sowie ausgewählte Pressevertreter_innen.
Auffällig war das es sich bei den Vertreter_innen der Medien ausschliesslich um Journalist_innen jener Medien handelte welche jüngst eher Schlechtes über das Lager berichtet hatten.
Ein Fotograph und eine Journalistin vom Spiegel sowie weitere große Agenturen mussten sich, dem nicht weiter eklärten, Besuchsverbot der Lagerleitung beugen und vor versclossener Tür ausharren was zu einigem Frust führte.

Solidaritätsgruppen aus verschiedenen Städten hatten ab 13:00 Uhr eine Kundgebung vor dem Lager angemeldet um sicherzustellen das die Delegation auch die Forderungen der Hungerstreikenden und der anderen Flüchtlinge wahrnehmen würde und um sich weiter solidarisch neben die Menschen im Lager Horst zustellen.
Kaum war die Anlage ausgepackt und die ersten Stoffbahnen für Transparente aus den Autos geholt kamen Flüchtlinge um beim Aufbau zu helfen. Kinder verschönerten den Parkplatz mit Kreide und andere hängten Transparente an den Zaun.
Kurz darauf wurden die Forderungen der Flüchtlinge über die Anlage verlesen. Es gab sehr schnell den Wunsch sie auch in diverse andere Sprachen zu übersetzten. So folgten Farsi, Serbokroatisch, Englisch, Französisch und Arabisch.
Da die Menschen aus dem Lager zum Teil sogar zum Arzt ohne Übersetzer_in gehen müssen waren sie sehr froh das sie nun verstehen konnten.
Die Forderungen laut durch die Anlage zu höhren gab ihnen Kraft und Freude. Als anschliessend die erste Live Musik durch die Boxen schallte begannen kleine Roma Jungs zu tanzen und umstehende unterstützen den Tanz durch lautes klatschen.
Es dauerte nicht lange und aus der applaudierenden Menge formte sich eine große Tanzzone, wo all die Menschen die wir in den vergangenen Tagen entweder hinter dem Zaun oder davor kennen gelernt haben, die uns Ihre Befürchtungen über ihre Gesundheit und ihre Sorgen mitteilten, plötzlich alle Ihre Sorgen für einen Moment wegtanzen konnten.
Es wurde zu Liedern wie "Willkommen in Europa" und zu von den Flüchtlingen mitgebrachter Musik getanzt. Langsam war der Zaun voll mit Transparenten und die Stimmung auf dem Höhepunkt.
Es fehlte nur noch die Delegation.

Die kam dann pünktlich um 14:00 in teuren Anzügen und mit nicht weniger teuren Karossen vorgefahren. Sie wurden sofort reingeführt um bloß nicht in Kontakt mit den draussen stehenden Flüchtlingen zu kommen.
Die Flüchtlinge gingen aber mit Transparenten hinter her und suchten den Kontakt zur Delegation um mit ihnen über die Zustände in Horst und ihre Forderungen zu reden in der Hoffnung gehört zu werden.
Die Delegation verschwand sehr schnell hinter einem Gebäude. Als wir sie suchten konnten wir sie von ausserhalb des Zaunes zusammengequetscht stehend vor der Krankenstation finden. Dort wurde Ihnen mitgeteilt das die Lagerleitung eine bestimmte Route vorbereitet hätte welche sie nicht verlassen sollten. Von außen entstand stark der Eindruck das die Lagerleitung die Delegationsmitglieder vor den Flüchtlingen "schützen" wollte um ein direktes Gespräch zu verhindern.

Erste Station war dann die Krankenstation, welche natürlich klinisch rein, aufgeräumt und blitze-blank war.

Was die Delegation in der Krankenstation nicht sah:

Das dies der Ort ist wo seit Jahren eine Ärztin ihre Pflicht verletzt und ständig mehr Geschichten ans Licht kommen. Wo schwer kranke Menschen von ihr nicht ernstgenommen und missachtet werden. Wo schwere Erkrankungen zu spät oder ausschliesslich mit Schmerztabletten "behandelt" werden.

Zweite Station war dann die Kantine. Die Flüchtlinge durften nicht mit rein und wurden draußen vor der Tür stehen gelassen. Keiner der Delegierten hatte die Gelegenheit mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Und Natürlich war auch hier alles sauber und aufgeräumt. Auf jedem Tisch stand eine Flasche mit Wasser und auch sonst war der Raum nett hergerichten worden. Der Höhepunkt waren dann aber die, von der Firma Sodexo vorbereiteten, Speisepläne mit den verschiedenen Gerichten für eine Woche.

Was die Delegation nicht sah in der Kantine:

Die verteilten Speisepläne haben mit dem Essen der Flüchtlinge rein garnix gemeinsam. Diese Pläne hängen auch sonst nirgends aus, weder in der Kantine noch sonst wo im Lager.
Ebenso wenig konnten sie die lange Schlange sehen, welche sich täglich vor der Kantine bildet (die Kantine ist für 150 Menschen ausgelegt, Essen wollen aber fast 400).
Die Lieferanten die gestern Nachmittag ständig bei der Kantine rein und raus fuhren um vermutlich was auserordentliches zu organisieren.
Den Laden in der Kantine der für die Flüchtlinge die einize Möglichkeit ist sich mit Sachen des alltäglichen Bedarfs zu versorgen ohne kilometerweit nach Lauenburg oder Boizenburg zu fahren. Hier werden sie schnell von den 40€ die sie im Monat zur Verfügung haben befreit.
Ein Feuerzeug für 2€, Chips und Süßigkeiten und schnell sind 10€ weg. Ohne Quittung sondern mit handgeschriebenen Zetteln verdient hier jemand ordentlich an den Flüchtlingen. In wessen Hosentasche gehen die Gewinne?

Ein junger Afghane meinte später zu uns, der Vorteil der heutigen Delegation sei das es wenigstens heute gutes Essen gibt und das die ruhig öfter kommen sollten.
Vor der Kantine begannen die ersten Delegationsmitlieder, offensichtlich genervt von den Lügen der Lagerleitung, die Führung zu verlassen und mit den Flüchtlingen direkt zu sprechen.

Nächste Station war dann die Kleiderkammer die wie durch ein Wunder plötzlich voll war.

Was die Delegation nicht sah in der Kleiderkammer:

Flüchtlinge die mit dünnen Sommerschuhen und ohne Pullover rum laufen weil sie nur ein T-Shirt und eine Unterhose bekommen haben. Und das Heft in dem immer ein Kreuz gemacht wird bei den Sachen die sie schon bekommen haben.

Was folgte auf dem "Rundgang" war nun ein Musterzimmer.

Was die Delegation nicht sah in dem Zimmer:

Das die Menschen ihre Zimmer nicht abschliessen können. Das jederzeit das Personal in der Tür stehen kann, ohne zu klopfen. Das die hochschwangeren Frauen oder die die gerade ein Kind bekommen haben sich nicht Essen für sich und das Baby kochen können (in Horst ist es den Menschen nicht erlaubt selber zu kochen). Das viele alleinstehende Frauen Angst haben in einem Zimmer zu schlafen das sie nicht abschliessen können.

Es ging weiter zum Kindergarten.

Was die Delegation nicht sah im Kindergarten:
Das ein 9 jähriges Kind aus dem Kindergarten raus musste da das 9te Lebensjahr erreicht war. Das ist normalerweise Schulalter. Der Vater erklärte das er sein Kind gerne in die Schule bringen würde aber es darf nicht zur Schule und deswegen ist wenigstens der Kindergarten sehr wichtig damit das Kind nicht den ganzen Tag im Zimmer sitzen muss.
In Horst gibt es für Kinder keine Angebote und sie sind oft für Monate der Trostlosigkeit des Lagerlebens ausgesetzt.
Ein Exbewohner von Horst erzählte uns: "Wenn wir itegriert werden sollen und die Sprache lernen sollen dann müssen wir mit euch leben! Eingesperrt hier und unter uns werden wir nie eure Sprache lernen und uns integrieren."

Was die Delegation nicht sah in dem Wohnbereich:

Das was die Nacht vorher passiert war. Ein afghanischer junger Mann, der von der Ausländerbehörde einen gelben Pass bekommen hatte, der bedeutet das er noch etliche Monate in Horst bleiben muss, war so verzweifelt das er sich gegen eine Glastür geworfen hat um sich zu zerstören. Dabei verletzte er sich schwer und wird vermutlich einen Finger verlieren. Er wurde stark blutend in ein Krankenhaus gebracht.
Mehrere andere Flüchtlinge aus dem gleichen Haus sahen ihn und wie er abtransportiert wurde. Da keiner genau wusste was passiert war verbrachten viele die Nacht in Angst.
Das was heute Nacht passiert ist:
Die Polizei kommt mitten in der Nacht und holt Leute aus dem Schlaf um sie Abzuschieben. Heute Nacht waren das vermutlich zwei algerische Männer.

Während der Lügentour forderten die Leute vor dem Zaun über die Lautsprecheranlage mehrfach die Delegation auf sich direkt mit den Betroffenen zu unterhalten und nicht auf die PR-Aktion der Lagerleitung einzugehen. Zum Ende der Tour sprachen dann endlich einige der Delegierten mit den Flüchtlingen.

Die Flüchtlinge hatten nun das Gefühl gehört zu werden und setzten jetzt große Hoffnungen in die Delegierten das sich etwas ändert.
Die meisten Delegierten verliessen das Gelände still und heimlich durch einen kleinen Hinterausgang und fuhren, vorbei an den in der Umgebung des Lagers aufgestellten Pozilei-Kräften, dorthin zurück wo sie herkamen.
Vermutlich ahnten sie schon das sie sich vor dem Eingangstor unangenehmen Fragen stellen müssten.

Als der ganze Trubel vorbei war stellten noch zwei Flüchtlinge Anzeigen gegen das Lagerpersonal. Die erste Anzeige war gegen eine Mitarbeiterin des medizinischen Personals die den somalischen Ehemann einer kranken Frau beschimpft hatte weil er und seine Frau sich an Leute ausserhalb des Lagers gewendet hatten nachdem sie in Horst nicht behandelt wurden.
Ein Besuch beim Arzt ergab das sie dringend in einem Krankenhaus behandelt werden muss.
Die Zweite Anzeige erging an einen Angestellten der zu einem Hungerstreikenden gesagt hat das er mit dem Streik aufhören soll weil er ja jetzt eh abgeschoben wird.


Für die Flüchtlinge in Horst war es gestern ein wunderschöner Tag mit gutem Essen und viel Freude, sagten sie uns. Ein Tag zusammen mit Menschen die auf Ihrer Seite stehen und die zuhören und auf manche Fragen die sie haben auch Antworten geben können. Ein Tag an dem sie alle Sorgen für wenige Stunden vergessen und zusammen glücklich sein konnten.
Sie haben uns gefragt ob wir auch kommen werden und sie unterstützen wenn sie mit dem Hungerstreik aufhören. Wir haben versichert das wir natürlich weiter kommen werden und zusammen alles tun werden um ihre Isolation zu durchbrechen bis das Lager versenkt ist. Nicht nur in Horst sondern überall!
No Lager!
Bleiberecht für Alle!
Freedom of Movement!
Kein Mensch ist illegal!
Welcome to Europe!
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Ergänzungen

Fotos vom Tag 1

auf180 24.09.2010 - 11:49
Der Anfang der Kundgebung mit vorlesen der Forderungen der Flüchtlinge in mehre Sprachen.

Keine Schulebesuche für die Kinder von Horst?

dafnn 24.09.2010 - 11:53
machen wir ein spontaner Deutschlern Kurs am Zaun!

Fotos der Delegations Tour im Gelände

von Horst 24.09.2010 - 12:01
Der Misslungener Versuch von Herrn Wolfgang-Christoph Trzeba, Landesmat für Migration und Flüchtlingsangelegenheiten, die Delegation zu überzeugen das das Lager Horst ein Humaner unterbringungs ort wäre.

Tausch Vorschlag

wenn 24.09.2010 - 12:10
die Lebensbedingungen so Toll sind im Lager Horst dann sollten die da arbeiten da wohnen und essen und alle Flüchtlinge kommen raus und werden sofort umverteilt in Wohnungen.

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