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Auslieferung zweier RZler nach Deutschland

Freiheit und Glück 16.09.2011 09:16
Nichts vergeben, nichts vergessen...
Sonja und Christian, die seit 1978 von deutschen Bullen wegen der
angeblichen Beteiligung an Aktionen von Revolutionären Zellen gesucht
und vor elf Jahren in Frankreich festgenommen wurden, sind am Mittwoch
von den französischen Behörden an Deutschland ausgeliefert worden und
sitzen seitdem in Haft, Sonja in Frankfurt-Preungesheim und Christian,
der haftunfähig ist, im Haftkrankenhaus Kassel.
Die Frankfurter
Staatsanwaltschaft will den beiden alten Genossen, Sonja ist 77 und
Christian 70 Jahre jung, den Prozess machen.
Wir sagen dagegen: Freiheit und Glück für Sonja und Christian!


ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 538 /
17.4.2009
Nichts vergeben, nichts vergessen ...
BRD ./. RZ: Nach 30 Jahren droht Auslieferung
Am 25. Februar 2009 hat ein Pariser Gericht entschieden, dass Sonja S.
(76) und Christian G. (67) an die Bundesrepublik ausgeliefert werden.
(vgl. ak 537) Beide wurden seit 1978 als angebliche Mitglieder der
Revolutionären Zellen gesucht und waren nach einer öffentlichen Fahndung
Mitte 1978 "unbekannten Aufenthalts". Das änderte sich im Jahr 2000.
Damals wurden Sonja und Christian in Folge einer Notaufnahme in ein
Krankenhaus in Frankreich festgenommen. Nach ein paar Monaten Knast
lehnte damals eine Pariser Untersuchungsrichterin die Auslieferung nach
Deutschland ab, da der Haftbefehl nicht überzeugend sei. Die Richterin
verwahrte sich zudem gegen die Einmischung eines angereisten
Staatsanwalts, der den beiden im Falle von Aussagen eine geringe Strafe
in der BRD in Aussicht stellen wollte. Christian und Sonja mussten eine
Kaution von sage und schreibe 300 Euro hinterlegen und lebten seither
ohne Papiere, aber geduldet, in Paris.
Das störte offensichtlich den dortigen Residenten des
Bundeskriminalamtes (BKA), der Anfang 2008 anregte, das neue
Instrumentarium des Europäischen Haftbefehls zu nutzen. (1) Die
Staatsanwaltschaft Frankfurt hörte das Signal und verpasste dem alten
Haftbefehl ein "europäisches" Deckblatt, worauf die von Nicolas Sarkozys
Auslieferungspolitik gegen baskische und italienische Flüchtlinge
inspirierte französische Justiz die beiden erneut festnehmen ließ. Zwar
wurden sie bald unter Auflagen entlassen - das Auslieferungsverfahren
wurde aber bis zu dem Beschluss vom 25. Februar vorangetrieben. (Zurzeit
läuft noch eine Beschwerde, die aber sehr ungewisse Aussichten hat.)
1977/78. In Südafrika herrscht ein Jahr nach dem Massaker von Soweto,
bei dem 176 schwarze SchülerInnen und StudentInnen von der Burenpolizei
erschossen wurden, blutigste Apartheid. Nelson Mandela sitzt als
"Terrorist" auf der Gefängnisinsel Robben Island. Bundesdeutsche
Konzerne machen gute Geschäfte mit dem Rassistenstaat. Siemens, MAN,
Leybold-Heraeus und Linde fungieren sogar als Zulieferer für
Urananreicherungsanlagen und Hochleistungspumpen, obwohl im
Forschungszentrum Pelindaba bei Pretoria - in Kooperation mit Israel -
an Atomwaffen gearbeitet wird. In der BRD protestieren die
Anti-Apartheid-Bewegung und AKW-GegnerInnen gegen die atomaren Programme.
BRD-Beihilfe für Atomwaffen Made in Südafrika
Am 22. August 1977 reißt eine Bombe bei MAN-Nürnberg ein Loch in die
Außenwand, Personen werden nicht verletzt. Revolutionäre Zellen
schreiben: "Der Anschlag auf MAN richtet sich gegen die Beihilfe zur
Herstellung südafrikanischer Atombomben. (...) MAN exportiert Verdichter
für eine Urananreicherungsanlage in Pelindabe in Südafrika. Das
Materialamt der Bundeswehr versieht die Lieferungen mit
NATO-Codifizierungsnummern, was für militärische Güter vorgesehen ist.
Das Trenndüsenverfahren, nach dem die Anlage gebaut wird, wurde durch
die staatseigene Gesellschaft für Kernforschung in Karlsruhe, die Firma
STEAG in Essen und MBB (Messerschmidt-Bölkow-Blohm) in München
entwickelt. (...) Die BRD-Regierung sichert die Atomgeschäfte durch
Versicherungsgarantien ab (Hermes-Bürgschaften)."
Acht Tage später gibt es erneut Sachschaden, dieses Mal bei der Klein,
Schanzlin & Becker AG (KSB) in Frankenthal, die laut RZ-Erklärung "als
der Welt größter Pumpenhersteller eine wesentliche Rolle als Zulieferer
für Kernkraftwerke in aller Welt (spielt). (Die Firma) droht den
Arbeitern, die für ihre Profite schuften: Sollten sich die Störungen in
der Vergabe von Kraftwerksvorhaben weiter fortsetzen, werde KSB nicht
umhin können, die Belegschaft zu verringern. Mit dieser dreckigen
Erpressung sollen die Arbeiter gezwungen werden, den Bau von
Atomkraftwerken zu unterstützen."
Am 18. Mai 1978 wird auf das Heidelberger Schloss ein Brandanschlag
verübt. In einem offiziell wirkenden Schreiben heißt es: "Als
Oberbürgermeister der Stadt Heidelberg erkläre ich, dass irgendwelche
Behauptungen, ich hätte gestern Nacht im Königssaal des Heidelberger
Schlosses Feuer gelegt, jeglicher Grundlage entbehren. Richtig ist
vielmehr: Ich zerstörte und zerstöre Gebäude, die mir bei der Sanierung
Heidelbergs im Wege stehen." Für diese frühe Anti-Gentrifizierungsaktion
soll nach amtlicher Auffassung nicht Oberbürgermeister Reinhold Zundel
(sic!), sondern eine Revolutionäre Zelle verantwortlich gewesen sein.
2009: In Südafrika ist das Apartheidregime seit 15 Jahren Geschichte,
Nelson Mandela wurde vom "Terroristen" zum Präsidenten und in Pelindaba
wurden 1991 sechs einsatzbereite Atombomben unschädlich gemacht. In der
BRD gibt es einen - wenn auch fragilen - Baustopp für neue AKWs und OB
Zundel musste seine Abrisspolitik und die Verfolgung von
HausbesetzerInnen nach 24-jähriger Amtszeit 1990 beenden.
Gegen diese Evidenz der Geschichte entscheidet der Pariser Cour d'Appell
am 25. Februar 2009, dass Sonja und Christian, die seit 30 Jahren wegen
dieser Anschläge gesucht werden, an die BRD ausgeliefert werden können.
Anlass ist ein deutscher Haftbefehl, der trotz aller historischer
Veränderungen stur aufrechterhalten wurde. Die heute zuständige
Staatsanwaltschaft Frankfurt a.M. will Widerstandsaktionen gegen ein
rassistisches Regime und die Atomindustrie anklagen, während die
Beihilfe der BRD zur südafrikanischen Atombombenherstellung keinerlei
juristische Schritte nach sich zog.
Der Haftbefehl stützt sich auf zwei hässliche und marode Pfeiler:
Denunziationen eines Kronzeugen und unter folterähnlichen Umständen
erlangte Informationen.
Der Kronzeuge ist Hans-Joachim Klein, Mitglied des von "Carlos"
geführten Kommandos, das 1975 die Wiener OPEC-Zentrale überfiel, ein
Dutzend Ölminister als Geiseln nahm, drei Menschen tötete und danach in
den Nahen Osten ausreiste. Klein wurde angeschossen, überlebte aber und
schickte Ende 1976 seine Waffe und ein Anschreiben an den Spiegel, in
dem er seine Abkehr vom bewaffneten Kampf und seine Weigerung, jemanden
zu verraten, erklärte. In der Folge lebte er unter den Fittichen von
Altspontis und Exlinken wie Cohn-Bendit in Frankreich. Sein
Aufenthaltsort war aufgrund von "Rückkehr"-Verhandlungen zumindest dem
Verfassungsschutz bekannt, aber festgenommen wurde er erst 1998 vom BKA.
Klein belastete umgehend mehrere angebliche RZ-Mitglieder - u.a. Sonja
-, sie hätten logistische Hilfe für die OPEC-Aktion geleistet. Klein
bekam 2001 vom Landgericht Frankfurt Kronzeugenrabatt und wurde wegen
Geiselnahme und dreifachen Mordes zu neun Jahren Knast verurteilt, saß
aber nur vier ab. Vor Kurzem wurde ihm vom hessischen Justizminister die
Reststrafe auf dem Gnadenwege erlassen. Kleins Beschuldigungen wurden im
Urteil des Landgerichts Frankfurt ausdrücklich als widersprüchlich und
unglaubwürdig verworfen. Der Haftbefehl gegen Sonja fußt jedoch noch
immer auf Kleins Beschuldigungen.
Bei allen anderen Vorwürfen bezieht er sich auf "Aussagen" von Hermann
Feiling. Ihm explodierte am 23. Juni 1978 ein Sprengsatz auf dem Schoß,
der eigentlich als Protest gegen die Folterherrschaft der damaligen
Militärjunta am argentinischen Konsulat in München hochgehen sollte.
Herrmann verlor beide Augen und seine Beine. Im Krankenhaus wurde er
sofort polizeilich bewacht, um jeglichen Kontakt mit Freunden und
Bekannten auszuschließen. Abgesehen vom Klinikpersonal war er
ausschließlich von StaatsschützerInnen, StaatsanwältInnen und einem
Richter umgeben. Sie waren BewacherInnen, ErmittlerInnen, PflegerInnen
und soziales "Umfeld" in einem. Sie wollten die Gunst der Stunde nutzen,
um "in die Revolutionären Zellen einzudringen", wie es
Generalbundesanwalt Kurt Rebmann in einer Pressekonferenz am 4. Juli
1978 formulierte.
"Belohnter Kronzeuge, erfolterte Informationen ..."
Bereits am Tag nach der Explosion wurde mit "Anhörungen" des
lebensgefährlich Verletzten begonnen. Viereinhalb Monate dauerten die
Befragungen, ohne Haftbefehl und ohne Anwalt seines Vertrauens. Unter
Einwirkung starker Schmerzmittel und Psychopharmaka (2) hielt Hermann
einen verhörenden Staatsanwalt für (s)einen Rechtsanwalt. Die
Abschottung wurde in Polizeikasernen in Oldenburg und Münster bis Ende
Oktober 1978 aufrechterhalten, wo weitere Vernehmungen erfolgten, obwohl
Herrmann weder haft- noch vernehmungsfähig war. In seiner
Prozesserklärung im September 1980 sagte er dazu: "Den jahrelang (...)
frustrierten Fahndern kam mein lebensgefährlicher Zustand, die
Traumatisierung nach der Erblindung, meine völlige Hilf- und
Orientierungslosigkeit gerade richtig. 1.300 Seiten
Vernehmungsprotokolle, die von mir stammen sollen, sind Ergebnis dieser
Situation. Da werden dann auch Personen aus meiner damaligen
fantastischen Traumwelt in RZ-Zusammenhänge gebracht, bzw. es werden
Personen belastet, die ich nie kannte."
Das Verfahren gegen Hermann wurde später zwar eingestellt, die
menschenrechtswidrig erlangten Vernehmungsprotokolle hatten aber im
Windschatten des Deutschen Herbstes Bestand: Im Prozess gegen Gerd
Albartus und Enno Schwall führten sie zu Verurteilungen von fünf Jahren
bzw. sechs Jahren. Heute ist dokumentierbar, welchen psychisch wirksamen
Medikamenten Herrmann ausgesetzt war und heute ergibt jede
wissenschaftliche Bewertung dieser posttraumatischen Extremsituation,
dass Herrmanns "Aussagen" unverwertbar waren und sind. Dass auf so eine
Verhörsituation dennoch weiterhin ein Haftbefehl gestützt wird, ist so
skandalös wie die CIA-Folterflüge oder die Folterdrohung des früheren
Frankfurter Vize-Polizeipräsident Wolfgang Daschner gegen einen
Verhafteten. (3)
Woher kommt diese Energie des deutschen Staatsschutzes, zwei GenossInnen
im Rentenalter vor Gericht zu kriegen? Weil RevolutionärInnen und
WiderstandskämpferInnen in Deutschland noch nie in Ruhe gelassen wurden
- wäre eine schlichte, aber nicht falsche erste Antwort. Zudem hat es
die Staatsschutzbehörden sicherlich gewurmt, dass Frankreichs Justiz
zunächst nicht mitspielen wollte und zwei Gesuchte unter ihren Augen
frei herumliefen. Wenig erfreulich dürften für eine Verfolgungsbehörde
auch zwei augenfällige Beispiele dafür sein, dass man/frau einer
BKA-Fahndung jahrzehntelang entkommen kann. Und ein ganz spezieller
Stachel war es vermutlich, dass die Gesuchten im Gegensatz zu anderen
RZ-Angeklagten ein "Deal"-Angebot abgelehnt haben. Fehlende Reue und
mangelnde Kooperationsbereitschaft müssen bestraft werden, weil es sonst
keine Deals bzw. keine Abschreckung mehr gäbe. Es ist ein kleiner, aber
wesentlicher Verstoß gegen die Staatsräson, wenn militante Linke
erfolgreich davon kommen.
Es könnte im Interesse und der Verantwortung der Anti-Apartheid- und
Anti-AKW-Bewegung liegen, sich angesichts solcher Anklagepunkte
einzumischen. Das Verfahren gegen Christian und Sonja zeigt auch die
Bedeutung der Kritik an der Kronzeugenregelung und der Aufweichung des
Folterverbots. Und sowieso sollten GenossInnen, die sich nicht beugen
lassen, mit linker Solidarität rechnen können. Denn, wie schon Karl
Kraus bemerkte: "Das wirkliche Verbrechen beginnt immer erst mit der
Gerichtsverhandlung."
verdammtlangquer, April 2009

Anmerkungen:
1) Im Unterschied zum bisherigen Auslieferungsrecht wird ein
Europäischer Haftbefehl, der in einem EU-Mitgliedstaat ergangen ist,
automatisch und ohne inhaltliche Prüfung vom ausliefernden Mitgliedsland
anerkannt und die gesuchte Person ausgeliefert.
2) "Während der Vernehmungen war Feiling so erregt, dass ihm zusätzlich
Valium zur Beruhigung gespritzt werden musste", Aktenvermerk.
3) Für unter foltergleichen Bedingungen erlangte "Aussagen" ist Savvas
Xiros ein aktuelles Beispiel. Am 29. Juni 2002 explodierte eine Bombe in
seinen Händen. Der Aktivist der griechischen Revolutionären Organisation
17. November (17N) wurde während seines 65-tägigen Aufenthaltes auf der
Intensivstation fast erblindet und unter dem Einfluss starker
Psychopharmaka verhört. Die ihm abgerungenen "Informationen" dienten zur
Verhaftung weiterer GenossInnen. Im Dezember 2003 wurde er zu sechs Mal
lebenslänglich verurteilt. Richter erklärten, dass er gar nicht
"festgenommen" worden wäre. Man hätte ihn bloß mit bewaffneten
maskierten PolizeibeamtInnen und GeheimdienstagentInnen "geschützt", ein
"Schutz", bei dem ihm jeglicher Kontakt mit RechtsanwältInnen verwehrt
wurde. Und da er ja (angeblich) gar nicht "festgenommen" wurde, könnte
auch keine Rede von der Inanspruchnahme der für Festgenommene
verbrieften Rechte sein ...
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Ergänzungen

Griechenlandlesetip für den nächsten Urlaub

Bzgl. Anm. 3 16.09.2011 - 15:34
Savvas hat über seine Erlebnisse im Krankenhaus ein Buch geschrieben, ein einziger Trip:
"Guantanamo auf Griechisch" von Savvas Xiros Pahl-Rugenstein-Verlag 13,90

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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