Gottes Bastion im sächsischen Erzgebirge

sächsischer Exil-Antifa 04.08.2011 16:29 Themen: Antifa
Ein Erbe des DDR-Realsozialismus war der Verlust der christlichen Prägung in der Mehrheit der Bevölkerung. In allen fünf neuen Bundesländern sind die Mehrheit der BewohnerInnen ohne konfessionelle Bindung. Entgegengesetzt verhält es sich mit der sächsischen CDU, die seit 20 Jahren den Freistaat regiert. In der Sachsen-Union finden sich so einige christliche Hardliner. Diese sind zum Teil sächsische (zumeist protestantische) Eigengewächse und zum Teil (zumeist katholische) „Westimporte“. Hier ist auch der Grund zu suchen, warum Sachsen als einziges Bundesland seine strukturelle Homophobie aufrecht erhält.
Der bekannteste Rechtsklerikale in der sächsischen CDU ist sicher Steffen Flath, Jahrgang 1957. Flath ist seit 1983 CDU-Mitglied (damals noch eine „Blockflöte“), wurde 1994 in den sächsischen Landtag gewählt, war 1995 bis 1999 Generalsekretär der sächsischen Union und war 1999 bis 2004 Staatsminister für Umwelt und Landwirtschaft. Er ist seit dem 11. November 2004 Staatsminister für Kultus im Freistaat Sachsen und sächsischer CDU-Fraktionschef.
Er fiel durch seinen vehementen „Antiextremismus“ auf, so schlug er 2008 in einem Handlungsentwurf vor: „Anträge von Parteien am rechten und linken Rand sind generell abzulehnen“. Flath forderte auch von seiner Partei, sie müsse sich wieder stärker um Themen wie Familie, „Lebensschutz“ und Patriotismus bemühen. „Lebensschützer“ ist die Eigenbezeichnung christlich motivierter Abtreibungsgegner, die Frauen, die abgetrieben haben, gerne als „Mörderinnen“ diffamieren. Flath ist eng verbandelt mit der CDU-internen Antiabtreibungs-Lobby „Christdemokraten für das Leben“ (CDL). Am 3. September 2008 fand beispielsweise in Annaberg-Buchholz die Veranstaltung „Lebensschutz — Ein Bildungsthema?“ mit Steffen Flath statt. Veranstalter waren die „Christdemokraten für das Leben e.V.“ - Erzgebirge, der CDU-Kreisverband Erzgebirge, die Christen in der Wirtschaft e.V. und die evangelikale Nachrichtenagentur „idea e.V. (ideaSpektrum)“.Die CDL verfügt in Sachsen über einen eigenen Landesverband und einen sehr umtriebigen Regionalverband im Erzgebirge. Zusätzlich zum CDL-Erzgebirge gibt es auch noch einen „Verein zum Schutz des Lebens“ mit Sitz in Annaberg.

sächsischer Biblebelt am Erzgebirgskamm

Im Erzgebirge und teilweise auch im benachbarten Vogtland hat sich über die DDR-Zeit hinweg ein stark christlich-konservative Prägung erhalten. Zudem gibt es noch ein ausgeprägtes erzgebirglerisches Sonderbewußtsein, das mit dem Anspruch einhergeht: „Wir sind die besseren Sachsen!“ Die Erzgebirger gehörten bis zum späten Mittelalter zum Bistum Prag, dadurch entwickelte sich ein Sonderbewusstsein. Hier bei dem kleinen, zänkischen Bergvolk scheint die Welt noch in Ordnung und der liebe Gott noch in der Kirche. Der konservativ-christliche Mainstream sorgt dafür, dass in der kleinen Stadt Annaberg-Buchholz immer wieder gut besuchte, fundamentalchristliche Umzüge stattfinden.
Während die Antiabtreibungs-Märsche mit dem Namen „Marsch für das Leben“ anderswo (München, Berlin, Münster) auf Kritik, Protest und Widerstand stoßen, können sie in Annaberg-Buchholz ungestört stattfinden. Während anderswo selbst Bischöfe dieses Stelldichein von christlichen Hardlinern meiden, marschiert in Annaberg-Buchholz ein CDU-Minister vornedran mit.
Bereits zweimal fand in Annaberg-Buchholz ein „Marsch für das Leben“ statt:
* Im Annaberg-Buchholz demonstrierten 31. Mai 2010 200 Personen (Eigenangabe) unter dem Motto „Gegen den Zeitgeist – Abtreibung ist Unrecht“ gegen Abtreibung. Zu dem Protestmarsch hatten auch die „Christdemokraten für das Leben“ im Erzgebirge aufgerufen hatten. Daran teil nahm auch der Vorsitzende der sächsischen CDU-Landtagsfraktion, Steffen Flath (Dresden).Eine kleine Gruppe von extrem Rechten versuchte sich dem Marsch anzuschließen und hielten Plakate mit Sprüchen wie „Nationalsozialisten gegen Völkermord“ oder „Kinder statt Inder“ hoch. Die Veranstalter ließen nach eigenen Angaben diese Gruppe entfernen.
* Am Montag, dem 23. Mai 2011 fand ein Schweigemarsch von AbtreibungsgegnerInnen in Annaberg-Buchholz statt, bei dem ein Ende der „Kultur des Todes“ gefordert wurde. Es sollen rund 300 Personen teilgenommen haben, darunter auch der CDU-Fraktionsvorsitzende im sächsischen Landtag, Steffen Flath.

Auch sonst scheint das Erzgebirge ein Mekka für reaktionäre ChristInnen zu sein. So referierte im November 2009 in Hohenstein-Ernstthal vor 60 Personen die christliche Antifeministin Eva Herman zum Thema „Warum wir die Familie retten müssen“. Eingeladen hatte der „Arbeitskreis Kommunalpolitik“ innerhalb des Landesverbandes „Landeskirchlicher Gemeinschaften in Sachsen“, ein 1989 gegründeter, überparteilicher und offener Arbeitskreis für Christen in der Kommunalpolitik.
Ebenso fand sich für nationalistische Jubel-Veranstaltungen wie „20. Jahre deutsche Wiedervereinigung – Gegen das Vergessen“ am 3. Oktober 2010 Unterschlupf in kirchlichen Räumen, wie in der Evangelisch-Lutherischen Kirche St. Nicolai in Aue im Erzgebirge.

Um die CDU auf christlich-rechtskonservativer Linie zu halten hat sich ein sächsischer Ableger der CDU-internen „Aktion Linkstrend stoppen!“ gebildet. Am 26. Juli 2011 trafen sich unter dem Motto „Freiheit statt Sozialismus“ zwanzig Personen zum ersten Stammtisch in Sachsen im Landhotel „Keils Gut“ in Wilsdruff bei Dresden. Organisiert wurde das von einem Thomas Schneider. Thomas Schneider aus Breitenbrunn im Erzgebirge war 2001 bis 2011 Leiter der Geschäftsstelle Ost für die evangelikale „Nachrichtenagentur idea e.V.“ und ist CDU-Kreisrat im Erzgebirge.

Trotz des sehr rechten, christlichen Kurses der CDU in Sachsen, scheint sich ein Teil der christlichen Wählerschaft anderen Alternativen zuzuwenden. Die homophobe „Partei Bibeltreuer Christen“ (PBC) hat nach Wahlstatistiken im sächsischen Vogtland und Erzgebirge einen ihrer deutschlandweiten Wählerschwerpunkte. Mit Steve Körner sitzt seit 2009 ein PBC-Abgeordneter im Stadtrat von Klingenthal im Vogtland.

Beim in Dresden stattfindenden Kirchentag Anfang Juli 2011 gab es eine interessante Podiumsdikussion zum Thema „Homosexualität und Kirche“. Der anwesende ehemalige Pfarrer der lutherischen Landeskirche, der sich nach seiner Pensionierung geoutet hatte, wies darauf hin, dass die sächsische Landeskirche ist deutschlandweit die konservativste sei. Eine Segnung homosexueller Paare dürfe nur in der Sakristei unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden. Dieser Zustand innerhalb der Landeskirche werde aufrechterhalten, weil bei Zugeständnissen die Kirchen-Strukturen im Erzgebirge mit ihrer Abspaltung drohen würden.

Dazu passt, dass der konservative „Landesverband Landeskirchlicher Gemeinschaften Sachsen e.V.“ im Sächsischen Gemeinschaftsblatt 3.2011 mitteilt, dass er auf einer Vertreterversammlung des Sächsischen Gemeinschaftsverbandes am 5. März 2011 den Vorstand beauftragt hat, der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens gegenüber ein Votum zum neuen Pfarrerdienstrecht der EKD abzugeben. Dieses Votum lehnt ein gemeinsames Zusammenleben homosexueller Paare im Pfarrhaus strikt ab.

Rückwirkung auf den Landtag?

Die stramm christliche Ausrichtung der Regionen Erzgebirge und Vogtland dürfte über Personen wie Steffen Flath auf den CDU-Landesverband ausstrahlen und (mit-)verantwortlich für die anhaltende Diskriminierung homosexueller Menschen in Sachsen sein.

Allgemein scheint es in der Landeshauptstadt eine gewisse Nähe von CDU-Funktionären zu reaktionären christlichen Organisationen zu geben. Vom 8. bis zum 10. Oktober 2010 fand in Dresden die Herbstinvestitur des rechtslastigen katholischen „Ritterordens vom Heiligen Grab zu Jerusalem“ mit 350 Teilnehmern statt. Dazu gehörten auch Treffen mit dem sächsischen und katholischen Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich und der Dresdner Oberbürgermeisterin Orosz statt. Der päpstliche „Ritterorden vom heiligen Grab“ besitzt übrigens in Dresden seit 2003 eine eigene Komturei.
Am 22. Juni 2011 fand im Landtag in Dresden das Symposium „Bindung - Bildung – Gewaltprävention“ statt. Veranstalter war das „Institut für Demographie, Allgemeinwohl und Familie e.V.“ um den Opus-Dei-Mann Liminsky in Kooperation mit dem Landeskriminalamt Sachsen, Partner ist der Deutsche Familienverband. Die Schirmherrschaft übernahmen Stanislaw Tillich und Dr. Matthias Rößler von der CDU.

Diaspora-Katholizismus

Neben den rechts-protestantischen Umtrieben, gibt es auch rechte katholische Aktivitäten in Sachsen, obwohl sich in Sachsen der Katholizismus außerhalb der kleinen katholisch-sorbischen Region in der Lausitz in einer Diaspora-Situation befindet. Trotzdem gibt es in Dresden seit 2006 eine eigene Kapelle der klerikalfaschistischen Piusbrudersschaft.
Am 1. und 2. Mai 2010 fand in Dresden das Deutschlandtreffen der Piusbruderschaft-Nachwuchsorganisation „Katholische Jugendbewegung“ statt. Etwa 100 Jugendliche aus ganz Deutschland reisten nach Dresden, um dort „zwei gemeinsame Tage der Stärkung im katholischen Glauben zu verbringen“.
Bisher unbekannt war aber, dass mit Maximilian Krah der weltweite Anwalt der Piusbruderschaft seinen Kanzleisitz in Dresden hat.
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Ergänzungen

Sehr schön

ichso 07.08.2011 - 15:43
Sehr guter Artikel mit vielen mir neuen Infos. Dass die KlerikalfaschistInnen der CDU gerade im Erzgebirge auch soviel Unterstützung haben, ist sehr bedauerlich (mal euphemistisch gesagt).
Infos zu chrsitlichen und anderen religiösen Umtrieben nicht nur aus Deutschland, finden sich aktuell auf dem blasphemieblog2.wordpress.com.
Da lohnt auch immer ein Blick in die Kommentarspalte, um Infos zu Argumentationsmustern der ChristInnen (gerade auch der LebensschützerInnen) und Gegenargumente für ihre Ideen zu bekommen.

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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paßt — t

Super Artikel — Erfreut