Z.-M.: Gemeinschaftserlebnis Kindesmissbrauch

Antifa Suhl / Zella-Mehlis 27.06.2011 21:03 Themen: Antifa
Samstag, 25. Juni, 20.30 Uhr. In der Mehliser Struth versammeln sich am Parkplatz des Netto-Markts ca. 400 Menschen. Sie waren einem von Nazis gestarteten Aufruf gefolgt. Nur etwa die Hälfte von ihnen ist der regionalen Nazi-Szene zuzurechnen. Nun feiert die NPD bereits den Mobilisierungserfolg des „nationalen Widerstands“. Was war passiert?
Bereits am Freitagnachmittag verschwand in Zella-Mehlis ein siebenjähriges Kind auf dem Nachhauseweg. Einen Tag später wurde das Kind tot im Wald aufgefunden. Noch bevor die Todesursache, über die vorerst seitens der Polizei geschwiegen wurde, bekannt wurde, starteten Neonazis aus der Region einen Aufruf für einen Trauermarsch in Zella-Mehlis im Internet, vor allem über soziale Netzwerke. Diesem Aufruf folgten ca. 400 Personen, unter ihnen Nazis aus der Region und BürgerInnen aus der Zella-Mehliser Bevölkerung. Medien, wie Freies Wort bis hin zur Bild-Zeitung schrieben sogar von 700 Marschierenden und berufen sich dabei wohl auf Angaben der Polizeiinspektion Suhl. Das Freie Wort berichtete von einem kurzfristig anmeldenden Bürger. Dass dieser Bürger der bekannte Neonazi Sven Dietsch aus Meiningen war, wusste das Lokalblatt nicht zu berichten, wahrscheinlich weil auch hier die Angaben der Polizei Suhl nicht hinterfragt wurden. Auch sonst fiel in den Medien kein kritisches Wort über diesen völkischen Mob, der am Abend mit Fackeln durch Zella-Mehlis marschierte, weil er meinte zu wissen, das tote Mädchen sei Opfer eines Sexualdelikts.

Was die Nazis hier im Sinn hatten und womit sie offensichtlich schlagenden Erfolg hatten, war die Instrumentalisierung des vermeintlichen Kindesmissbrauchs für ihre Zwecke, wobei keineswegs gesagt werden soll, dass das, was bei solchen Veranstaltungen gefordert wird, nicht mehrheitsfähig in der Normalbevölkerung ist. Unter populistischen Parolen, wie „Todesstrafe für Kinderschänder“, u.ä. lässt sich der völkische Mob noch aus den Häusern locken. Die Gründe warum neben den Nazis so viele BürgerInnen aus Zella-Mehlis und Umgebung an dieser Verhöhnung der Toten und ihren Angehörigen teilnahmen, sind komplexer. So dient das kollektive Bekenntnis zum „Opferschutz“ oder zur Todesstrafe dazu ein „Wir“ zu etablieren, aus dem potentielle Täter bereits ausgeschlossen sind. Diese plumpe Formation widerspricht dabei schon allen empirischen Erkenntnissen über sexuelle Gewalt an Kindern. Diese wird fast ausschließlich von familienangehörigen oder der Familie nahe stehenden Männern begangen. Diese Familienväter, Brüder, Nachbarn und Arbeitskollegen kommen aus allen sozialen Schichten und sind vor der Skandalisierung der Tat ganz „normale“ Männer. Sie geben im Missbrauch gegen Kinder ihren, den „normalen“ patriarchalen (Ungleichheits-)Verhältnissen nachempfundenen, sexuellen Wünschen und Begierden nach Ausübung von Macht und Gewalt nach. Diese Wünsche und Begierden der Täter und potenziellen Täter sind so gesellschaftlich bedingt, wie die Täter selbst. Sie stehen und fallen mit der Gesellschaft in der sie entstehen und die weder von den demonstrierenden Nazis (die ihre regressivste Seite nur verstärken wollen) noch von den Bürgern in Frage gestellt wird.

Diese Menschen machten die mutmaßliche Ermordung eines Kindes, die eher ein Grund ist, um nachdenklich zu werden und in sich zu gehen; sich zu überlegen, warum diese Gesellschaft Mörder und Vergewaltiger, genauso wie Nazis im Übrigen, erst hervorbringt, zu einem Gemeinschaftserlebnis, in dem es um nichts anderes geht, als ein kollektives Glaubensbekenntnis eines der regressivsten Teile der Gesellschaft. In Zella-Mehlis kam am vergangenen Samstag zusammen, was alliierte Bomberflotten und Panzerverbände einst auseinander schossen: die alle Unterschiede zu einem Einheitsbrei nivellierende Volksgemeinschaft. Sie alle nutzten die Ermordung eines Kindes, um sich gegenseitig ihrer moralischen Überlegenheit zu versichern: Nazis, die gewöhnlich dann gern Kinder misshandeln, wenn sie bunte Haare oder dunkle Haut haben, Eltern, die ihre Kinder durch erzieherische und normierende Gewalt in die antagonistische Gesellschaftsordnung zwingen und einfach Menschen, die nicht unbeteiligt bleiben wollen, wenn die Volksgemeinschaft gegen soziale Außenseiter zusammensteht.

Der Ruf nach härteren Strafen bis hin zur Ermordung von Kinderschändern, wobei im jetzigen Fall bis zum heutigen Zeitpunkt nicht klar ist, ob eine Schändung stattfand (so spricht dagegen, dass die Leiche bekleidet aufgefunden wurde), vereint Nazis und die Mehrheit der bürgerlichen Gesellschaft und ist daher ein Lieblingsthema der NPD. Hier lassen sich noch WählerInnen gewinnen. Dass Mörder und Vergewaltiger von dieser Gesellschaft erst hervorgebracht wurden durch Sozialisation und Erziehung und diese keineswegs als solche auf die Welt kamen, interessiert den Messer wetzenden Deutschen, der sich betroffen und ängstlich wähnt, nicht. Dabei ändert der Mord am Täter nichts an der Gesellschaft, die Mörder und Vergewaltiger hervorbringt. Auch das tote Kind wird nicht wieder lebendig und selbst das vielfach bemühte Argument der Abschreckung auf potentielle Täter ist keines, was mehrere Studien bereits bestätigten. Sogenannte „Triebtäter“ handeln oft nicht aufgrund rationaler Überlegungen und kalkulieren die mögliche Strafe nicht in die Handlung ein. Auf die völkische Gemeinschaft von Zella-Mehlis, die hier „Opferschutz statt Täterschutz“ einfordert und eine Bedrohung durch Kinderschänder beschwört, trifft, wie so oft, eine Bemerkung Wolfgang Pohrts ins Schwarze: „Wenn die Deutschen jammern, dass sie sich umzingelt, bedroht, gedemütigt, deprimiert und übervorteilt fühlen, dann tragen sie den Angriffsplan bestimmt schon in der Tasche.“ Dieser Angriffsplan besteht im Ausschluss jedes Zweiflers aus der völkischen Gemeinschaft der vermeintlichen Kinderschützer und darin wieder die Todesstrafe zunächst für vermeintliche und wirkliche Kindermörder einzuführen, um dann vielleicht mal weiter zu schauen, wer die Gemeinschaft der Deutschen noch bedroht. Dann geht es wieder gegen Asylbewerber, Juden oder Punker.
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Ergänzungen

Und was kommt da von linker Seite?

Stargate 27.06.2011 - 21:36
Knäste abschaffen!

Die Angst um Kinder (und das unterstelle ich den nicht-Nazis dort) ist etwas völlig anderes als das dritte Reich hinterrücks über Kinderschänder wiedereinführen zu wollen. Da hilft alles Geschwurbel von "wir-Gefühl mit Täterausschluss" nicht weiter, diese Ängste existieren. Und ich finde es fahrlässig, das die linke Szene den Nazis dort komplett freien Fuß lässt.

Und solche oben genannten Parolen sind dann der Overkill.

Ach - und wieso sexuelle Gewalt gegen Kinder aus "patriarchalen Machtverhältnissen" entsteht, das ist mir auch nicht ganz klar - weil ungefähr so sinnfrei wie die Aussage über "angefixte Pädophile". Und das sich Pädophile ganz gerne in linken Strukturen herumtrieben, weil diese eben so offen waren, ist auch nichts neues.
Die Sexualität eines Menschen wird im Mutterleib festgelegt, und jemand der pädophil ist wird es auch bleiben. Da kann er zwar nichts dafür, aber man muss solchen Leuten helfen. Über Therapien und/oder Medikamente. Man muss solchen Leuten helfen, ihre Sexualität ist für ihre "Bezugsperson" extrem schädlich!

Sexualität ist ohne Frage etwas schönes, solange es mit gegenseitigem Einverständnis abläuft. Das fängt bei den Doktorspielchen der Kleinsten an und endet meinetwegen beim BDSM-Spiel zwischen Oma und Opa.
Wenn aber die sexuelle Unreife von Kindern dazu verwendet wird, diese zu missbrauchen (und der Täter empfindet dabei durchaus Liebe, seltenst geht es ihm um den rein sexuellen Kontakt), dann läuft etwas schief.
Weder versteht das Kind woran es dort teilhat (und von Spaß kann für das Kind sicher keine Rede sein), noch kann es das allein ohne Folgeschäden verarbeiten.

Unterhaltet euch doch einfach mal mit Leuten, welche in ihrer Kindheit missbraucht wurden. Was meint ihr wie es ist, wenn die Freundin plötzlich schockstarr unter der Dusche sitzt, weil sie irgend ein Detail an den Missbrauch erinnert und sie die nächsten 3 Tage fast nur heulend im Bett liegt und selbst vom einfachen Streicheln über die Wange Angstzustände bekommt?
Das ist Realität, und das sind die Folgen von sexuellem Missbrauch. Und wenn mir dann jemand mit "schafft die Knäste ab" kommt, sollte die oder der besser gut zu Fuß sein!

hier kommt unterirdische Sexualkunde via "Sta

klick 27.06.2011 - 22:18
Alles klar: Pädophilie wird im Mutterleib festgelegt weil ja die Mutter dann scheiße war oder was? Das subsummieren wir mal unter Frauenfeindlichkeit.

Doktorspielchen und BDSM führen zu Kindesmissbrauch? Kausalitätsfrei aber klingt voll gut. Normale Heteros brauchen sich da also keine Sorgen zu machen?

In Deutschland werden Knäste immer voller, obwohl die Kriminaltätsrate weitestgehend stagniert. Dem Mord an diesem Kind waren die knäste auch kein Hindernis oder irre ich mich? Aber Hauptsache Spießi-Normali wird muss sich keine Raste um die Konstitution dieser Gesellschaft machen. Wenn irgend ein Famlienvater mal wieder seine Familie weggemetzgert hat, wo bleiben dann die Betroffenenmärsche (bei Migrant_innen wirds dann "Ehrenmorde" genannt)?

Und dass die Mehrzahl der Kindesmissbrauchsfälle im familiären Nahbreich ablaufen wird in den öffentlichen Medien nur am Rande erwähnt und meist ignoriert. Die Sau wird erst dann durchs Dorf gejagt, wenn wieder der "Dunkle Mann" umgeht. Die Institution Familie wird nie hinterfragt, obwohl sie zunehmend der Ort von Gewalttätigkeiten ist (wenn von zunehmender Gewalt gegenüber Polzisten gesprochen wird, verschweigt die Statistik, dass dies bei familiären Strietereien der Fall ist, zu denen die Beamten gerufen werden und NICHT auf Demonstrationen). Ist die Familie jetzt nicht eigentlich verfassungsfeindlich?

Dann lauft mal ordentlich betroffen dem demagogischen Geschrei von Nazis hinterher und fühlt euch gut dabei. Geholfen ist damit niemandem.

@Stargate

tante egon 27.06.2011 - 22:50
@Stargate: das unsere heutige Gesellschaft durchdrungen ist von Gewalt, sollte jedem Menschen auffallen der/die sich damit mal etwas näher beschäftigt.
Sexistische Gewalt zuhause, wenn Männer über 'ihre Frauen' bestimmen, Gewalt von Eltern zu ihren Kindern, Gewalt vomKindergarten an unter Gleichaltrigen. Überall kann man Vorbilder dafür sehen, das man sich mit Gewalt nehmen muss was man möchte. Und selbst du sagst in deinem letzten Satz nichts anderes. Also erzähl doch nicht das die gesellschaftlichen Bedingungen damit nichts zu tun hätten!
Ganz im Gegenteil!

Und ich persönlich bin davon überzeugt - eine andere gewaltfreiere Welt ist möglich!

Jedoch nicht indem wir die Todesstrafe einführen oder auf andere Art Rachegelüste bedienen!

Rache als vermeintliche Gerechtigkeit mag allerhöchstens ein Gefühl der Genugtuung bei den Betroffenen auslösen. Genausogut kann es die Bewältigung des Geschehenen für die Betroffenen noch schwieriger machen. Und stattdessen wird neues Leid bei denen erzeugt die als vermeintliche oder tatsächliche Täter neuer Gewalt ausgesetzt werden.

In diesem Sinne: Für eine Gesellschaft in der wir Knäste nicht mehr brauchen!

Antowrten

Stargate 28.06.2011 - 00:02
"Alles klar: Pädophilie wird im Mutterleib festgelegt weil ja die Mutter dann scheiße war oder was? Das subsummieren wir mal unter Frauenfeindlichkeit."

Keine Ahnung was du dir heute Abend wieder eingeworfen hast. Die Mutter hat keinen bewussten Einfluss auf die Sexualität des Kindes, da spielen x-hundert Faktoren eine Rolle, über die man heute weder Übersicht noch Ahnung hat. Genauer gesagt hat es etwas mit der Entwicklung des Gehirns zu tun (mitnichten kann man die Sexualität deswegen jetzt am Hirn ablesen oder so ein Bullshit).

"Doktorspielchen und BDSM führen zu Kindesmissbrauch? Kausalitätsfrei aber klingt voll gut."
Nimm weniger. Ich hab gesagt, das beide Sachen Ausprägungen einer Sexualität sind, welche für die teilnehmenden Personen in Ordnung ist, sofern es auf Gegenseitigkeit beruht.
Pädophilie ist NICHT in Ordnung, da es nicht auf Gegenseitigkeit beruhen kann. Das hat etwas mit dem sexuellen Reifeprozess zu tun, aber ich will dich nicht überfordern.
Meinetwegen kann jeder mit jedem soviel / wie und wann er will. Erlaubt ist was Spaß macht und wo beide (oder mehr) ihr Einverständnis geben.

Mit dem familiären Nahbereich hast du zwar recht, deswegen aber die Familie (die bürgerliche Normalform des Zusammenlebens) anzugreifen, halte ich für fragwürdig, speziell im Hinblick auf die "Machtkonstrukte".
Weder sind patriarchalische Familienkonzepte noch die komplett antiautoritäre Erziehung die Lösung. Die Wahrheit liegt wohl irgendwo in der Mitte. Nach meiner Meinung braucht ein Kind gewisse Regeln / Autoritätspersonen. Diese sollten dann aber nicht geschlechtsabhängig sein. Zum Glück sind Meinungen nicht verpflichtend und man kann sich darüber unterhalten ;)

@ tante egon:
Männer die über "ihre Frauen" bestimmen empfinde ich als gruselig und sicher nicht erstrebenswert. "Gewalt" gegenüber Kindern in Form von Prügel usw lehen ich ab, bin aber der Meinung, das man durch das sanktionieren (in welcher Form, darüber kann man jetzt wieder reden) von "schlechtem Benehmen" (kratzen von Mutti/Vati) dem Kind durchaus Begriffe von richtig und falsch vermitteln kann und sollte. Sobald es reif genug ist, um über richtig / falsch zu entscheiden (indem es die Tragweite seiner Handlungen einschätzen kann), muss das nach und nach abnehmen.

Und natürlich sind Todesstrafen keine Alternativen. Was würdest du mit Leuten machen, welche von sich aus sagen "Ich hatte Sex mit kleinen Kindern und werde es wieder haben. Therapie lehne ich ab weil ich es als richtig empfinde"?
Solange die Gesellschaft bei Pädophilen immer an den bösen Typen ohne Freunde denkt, der hinterm Busch hockt, solange Pädophile quer durch Deutschland fahren müssen, weil der ansässige Psychologe sich mit solchen Leuten nicht unterhalten will - solange geht diese Scheiße auch weiter.
Wenn die Gesellschaft von "Ihh, ein Pädo" auf "Ein Pädo, der braucht Hilfe" umschwenkt, wenn sich solche Leute outen können ohne das Brandsätze in die Wohnung fliegen - DANN sind wir einen Schritt weiter.
Ursachentherapie statt Folgenbekämpfung, unter der alle leiden.

@Icke:
Und wie viele haben das mitbekommen?

re...

erfurter 28.06.2011 - 00:32
Also erstmal wurde nicht explizit gegen Kinderschänder demonstriert sondern es war ein Trauermarsch wegen der ermordeten Mädchen (inzwischen von der Polizei bestätigt)...

und ich habe mir den text durchgelesen und frage mich warum angeprangert wird das kein kritisches wort in den zeitungen zu dem Trauermarsch stand....warum auch??? Warum kritisieren das einem toten Mädchen gedacht wird?

aber ich glaube man könnte stundenlang darüber philosophieren und diskutieren für euch zählt scheinbar nur weiterhin das da "Normalbürger" mit Nationalen zusammen gelaufen sind...

Facebook

abcd 28.06.2011 - 07:23
"KeineGnadeFuerKinderschaender" dahinter verbirgt sich eine Neonazi.

In Rendsburg

gefunden 28.06.2011 - 08:59
in Rendsburg wird Nazis, die Pädophile bei Facebook verfolgen, sogar ein Zeitungsartikel gewidmet:

 http://antifarendsburg.blogsport.de/2011/06/27/shz-bietet-neonazis-forum/

Inhaltliche Ergänzungen

Ergänzerin 28.06.2011 - 11:30
Also, irgendwie liest sich dieser Artikel wie stumpfe Hetze...

1.) Wer sagt eigentlich, dass solche Taten nur von "der Gesellschaft" hervorgebracht werden? Das ist eine sehr einfache Erklärung. Jedenfalls bestimmt immer noch der einzelne Mensch darüber, ob er ein Kind a) ermordet, oder b) nicht ermordet. "Die Gesellschaft" sanktioniert ausdrücklich solche Taten - sowohl gesetzlich (StGB) als auch sozial (gesellschaftliche Ächtung). Wer also einen Kindermord begeht, tut dies bewusst unter massivem Verstoß gegen die geltenden Normen der Gesellschaft, und ist in allererster Linie einmal SELBST für seine Tat verantwortlich. Nix "Gesellschaft" und die anderen sind schuld - jeder Mensch hat schließlich sein eigenes Köpfchen, und kann frei entscheiden, ob er einen Mord begeht oder nicht. Ich werde ja schließlich auch nicht zum Kindermörder, obwohl ich in der selben Gesellschaft aufgewachsen bin.

2.) Es wird hier ja gerade so getan, als gäbe es in der radikalen Linken keine Menschen, die regressive Forderungen gegen Sexualtäter aufstellen. Die Realität sieht ganz anders aus: Schon wer einen "sexistischen Spruch" vom Stapel lässt, fliegt aus Autonomen Zentren raus, "Schwanz-ab"-Forderungen für Vergewaltiger gibt es in der radikalen Linken ebenso wie Boykottaufrufe und Auftrittsverbote gegen Bands, die sich einer sexistischen oder auch nur vermeintlich sexistischen Sprache bedienen. Erst kürzlich gab es Konzertabsagen gegen die Band "Bandbreite", der vorgeworfen wurde, eine Vergewaltigung in einem Songtext ohne ausreichende Distanz dargestellt zu haben. Man kann all diese Dinge hier auf Indymedia zur Genüge nachlesen - dennoch wird in diesem Artikel so getan, als seien "gut/böse"-Denken, kollektive Ausschluss- oder Ausgrenzungsmechanismen in Bezug auf sexuelle Übergriffe etwas, das es nur rechtsaußen, oder im "Volkmob" der bürgerlichen Mitte gibt. Völliger Unsinn! Wer ein Kind oder wen-auch-immer vergewaltigt, wird (hoffentlich!) auch aus jedem AZ und linken Zusammenhang genau so rigoros und unerbittlich ausgeschlossen, ausgegrenzt und geächtet wie von dem hier halluzinierten "völkischen Mob". Oder wollt ihr mir erzählen, dass in Autonomen Zentren mit sexuell übergriffigen Zeitgenossen Therapien, Yoga-Kurse und Selbsthilfegruppen gemacht werden?

3.) Und wenn Nazis - wie in dem Artikel steht - genau so wie Kindermörder von "der Gesellschaft" hervorgebracht werden ... dann könnte man mit der selben Argumentation, wie sie hier verwendet wird, auch jeden Protestmarsch gegen Nazis als "Selbstvergewisserung" eines "Volksmob-"Kollektivs, das sich fälschlich für moralisch "besser" hält (obwohl es doch selbst die Nazis hervorgebracht hat!), brandmarken. Am Ende darf man gegen gar nichts mehr auf die Straße gehen und über gar nichts mehr offen wütend sein - denn alles hat letztlich ja irgendwie "die Gesellschaft" hervorgebracht, und jede Benennung eines "Übels" bedeutet letztlich, dass man sich einem Kollektiv zugehörig fühlt, das jenseits des jeweiligen "Übels" steht. Und zwar ganz egal ob dieses Übel nun Nazis, die Atomwirtschaft, eine Innenministerkonferenz, eine NATO-Tagung, oder eben Kindermörder sind.

4.) Ich kann erstmal verstehen, dass die Menschen über eine so unfassbare Tat wütend sind, aber auch hilflos aufgrund des unbekannten, nicht gefassten Täters, und diesem Gefühl irgendwie Ausdruck verleihen wollen. Dass es Nazis sind, die das ganze in die Hand nehmen, ist Scheiße - war aber auch absehbar. Das liegt womöglich daran, dass Linke es überhaupt nicht mehr für nötig erachten, gegen irgendetwas anderes in größerer Anzahl auf die Straße zu gehen, als Nazis. Wann war die letzte linke Großdemo nach einem Sexualmord oder einer Vergewaltigung? Ich kann mich nicht mal erinnern. Dabei ist ein sexistischer Übergriff kein bisschen weniger empörenswert als ein faschistischer oder rassistischer. Warum gibt es keine wütende linke Demo gegen die Ermordung eines Kindes? Warum ist das kein Thema, das Linke umtreibt? Vielleicht, weil kein Nazi als Täter in Sicht ist, und sich der Tod des Kindes deshalb nicht politisch instrumentalisieren lässt? -- Und selbst wenn man der (m.E. verqueren) Ansicht ist, dass letztlich "die Gesellschaft" Schuld ist, dass dieses Kind sterben musste: Wo war dann hier die linke Demo gegen "die Gesellschaft"??

5.) Völlig Gaga wird der Artikel aber spätestens da, wo er implizit (und das ausgerechnet in DIESEM Kontext!) positiv Bezug nimmt auf die alliierten Bomber im 2. Weltkrieg... ganz so, als wäre es deren erklärtes Ziel gewesen, Menschen wegzubomben, weil sie die Todesstrafe für Kindermörder fordern. Schon mal daran gedacht, dass das, was da einige Hitzköppe in der Empörung des Augenblicks fordern ("Todesstrafe für...") gerade in den USA seit langem Realität ist? Die "Alliierten" sind ganz bestimmt kein positiver Gegenentwurf zu solchen regressiven Forderungen, ganz im Gegenteil: in den USA sind sie 1 zu 1 umgesetzt! Und ob nun ausgerechnet in Frankreich (wo gerade der Front National im Aufwind ist), Großbritannien (dazu muss man wohl nichts sagen) oder gar im extrem reaktionär, patriarchal und chauvinistisch geprägten Russland weniger "Volkmob"-Mentalität existiert als in Deutschland, wage ich auch mal ganz stark zu bezweifeln...

6.) Besonders perfide: Dass zum Schluss des Beitrages Aktionen gegen "Asylbewerber, Juden und Punker" in eine Reihe mit einem Trauermarsch für ein getötetes Kind gestellt werden. Ganz so, als sei es kein nennenswerter Unterschied, ob jemand nun Asylbewerber, Juden oder Punker durch die Straßen hetzt, oder gegen Kindermörder auf die Straße geht!

Fazit: Dieser Artikel ist völlig einseitige Propaganda; leider werden dabei gerade die wichtigsten Fragen NICHT gestellt, geschweige denn beantwortet. Wo mal ehrliche linke Selbstkritik angebracht gewesen wäre, wird nur blind auf ein halluziniertes "Volksmob-Kollektiv" eingedroschen, dem man eine Art von wohlfeiler moralischer "Selbstvergewisserung" vorwirft, die man aber in Wahrheit SELBST betreibt.

wieso gewalt

gegen kinder 28.06.2011 - 16:24
"Ach - und wieso sexuelle Gewalt gegen Kinder aus "patriarchalen Machtverhältnissen" entsteht, das ist mir auch nicht ganz klar -"

Peter Brückner -
Sozialpsychologie des Kapitalismus
 http://www.antipsychiatrieverlag.de/versand/titel/brueckner.htm

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