[ALB]: Auswertungspapier Dresden 2011

www.antifa.de 30.03.2011 20:30
Am 19. Februar 2011 haben in Dresden über 20.000 Protestierende Europas größten Naziaufmarsch ein zweites Mal verhindert. Jahrelang schuf der zelebrierte Opfermythos sowie das Handeln von Stadt, Land und Gerichten ein Aufmarsch-Paradies für Neonazis. Die Antifaschistische Linke Berlin [ALB] hat in den letzten 3 Jahren als integraler Bestandteil der Bündnisse "Dresden Nazifrei!" und "¡No pasarán!" die Gegenaktivitäten mitorganisiert und nun ihr Auswertungspapier veröffentlicht.
Von Schweinetrögen und Geigenkästen!

Auswertungs-Text der [ALB]
zur antifaschistischen Mobilisierung nach Dresden im Februar 2011


„Aus einem Schweinetrog ist kein Geigenkasten zu zimmern!“, so ein Sprichwort. Viel Wahres mag dran sein. Tatsächlich entsprach dies der Situation, die sich antifaschistischen Akteur_innen seit Bestehen des Neonazi-Großaufmarsches in Dresden stellte. In kaum einem Ort in der Bundesrepublik waren die Bedingungen, einen Aufmarsch von dieser Größe und Bedeutung zu verhindern, so ungünstig. Viele Dresdener_innen favorisier(t)en ein entkontextualisiertes, stilles Gedenken ohne Proteste. Der dabei zelebrierte Opfermythos war in weiten Teilen für die Neonazis anschlussfähig. Das Handeln von Stadt und Gerichten schuf ein Aufmarsch-Paradies für Neonazis. Diese konnten so in Dresden einen NS-verherrlichenden, identitätsstiftenden Großaufmarsch etablieren. Auf linker Seite war die Protestkultur jahrelang extrem zerfasert und dadurch politisch handlungsunfähig.

2010 wurde der Großaufmarsch von Neonazis anlässlich des Jahrestages der Bombardierung Dresdens durch alliierte Truppen am 13. Februar 1945 erstmalig verhindert: durch Massenblockaden, zu denen die Bündnisse Dresden Nazifrei und ¡No pasarán! aufgerufen hatten. Rund 12.000 Menschen setzten mehr als 6.000 Neonazis am Bahnhof Dresden-Neustadt fest. Dieser Erfolg stellte die Grundlage der Gegen-Mobilisierung 2011 dar.

Durch Blockaden und vielfältige andere Aktionsformen wurde der Aufmarsch 2011 ein zweites Mal verhindert. Ob und wodurch in Dresden aus einem „Schweinetrog“ ein „Geigenkasten“ wurde, versuchen wir in diesem Text zu erörtern.

Der 13. Februar 2011 – business as usual?

Seit den antifaschistischen Blockaden 2010 proklamierten die Neonazis eine vermeintlich „neue Strategie“: 2011 sollte am 13. Februar ein Trauermarsch stattfinden und am 19. Februar eine Großdemonstration. Damit wollten sie ihre Handlungsfähigkeit und Kampfbereitschaft ausdrücken. Lange Zeit war für Antifaschist_innen nicht ersichtlich, was dieses Vorgehen bewirken würde. Letztendlich wurde sich bei den Bündnissen Dresden Nazifrei und ¡No pasarán! auf das Vorgehen geeinigt, am 13. Februar „nur“ regional aufzurufen und zu dezentralen, kreativen Aktionen zu mobilisieren. Am 19. Februar sollten dann bundesweit organisierte Massenblockaden den Großaufmarsch verhindern.

Am 13. Februar 2011 sollten mit dem „Mahngang auf den Spuren der Täter“ die „Dresdener Verhältnisse“ kritisiert werden. Dresden, gerne als unschuldige Kulturstadt verklärt, war als Garnisonsstadt Teil der nationalsozialistischen Vernichtungs-, Herrschafts- und Kriegsmaschinerie. Ziel des Mahngangs war, genau dies zum Thema zu machen. Doch er wurde faktisch verboten – mit der Begründung, dass er aus dem Blockade-Bündnis heraus organisiert wurde. Die Stadt Dresden verfolgte ein Konzept der so genannten Lagertrennung, welche antifaschistische Aktivist_innen auf die andere Elb-Seite verbannen sollte.

Trotzdem gab es am 13. Februar deutlich mehr Widerstand als in den Jahren zuvor. Rund 1.000 Neonazis kamen zum Aufmarsch. Ein Teil der Nazi-Route konnte von Antifaschist_innen blockiert werden. Immer wieder kam es zu Protesten in Hör- und Sichtweise. Neonazis wurden direkt am Zugang zum Aufmarsch gehindert. Selbst von der symbolischen Menschenkette der Bürgermeisterin zogen erstmalig 2.500 Menschen direkt zu den Neonazis und drückten dort ihren Protest aus. Für Dresden ist das ein echter Quantensprung. So viel regionalen verankerten Protest gab es dort am 13. Februar bisher nicht.

keep rolling, rolling, rolling –Mobilisierung 2011

Die bundesweite Mobilisierung der Bündnisse Dresden Nazifrei und ¡No pasarán! für den 19. Februar fokussierte auf die Massenblockaden. Neben zehntausenden Plakaten, Aufrufen, Aufklebern und den Bündnis-Homepages gewann das web 2.0 an Bedeutung. Neben der Mobilisierung über soziale Netzwerke initiierten wir als [ALB] mit anderen Aktivist_innen und Künstler_innen die Kampagne „Bring 2“. Ziel war es, dass Jede und Jeder, der letztes Jahr in Dresden blockierte, noch zwei Freund_innen mitbringt. Getragen wurde die Aktion von autonomen Antifaschist_innen und Blockier_innen. Viele Künstler_innen, Prominente und linke Politiker_innen beteiligten sich.
In diesem Jahr waren auch Internet-Videos und Musikbeiträge ein erheblicher Mobilisierungs-Faktor. Viele Künstler_innen schrieben ihren Blockade-Song und mobilisierten Fans und junge Menschen nach Dresden. Mit der Einbeziehung von Kulturschaffenden in die Dresden-Kampagne ist es gelungen, in andere gesellschaftliche Bereiche vorzudringen und Leute anzusprechen, die sonst durch antifaschistische Mobilisierungen kaum erreicht werden.
In mehreren Städten fanden inhaltliche Veranstaltungen statt, um historische Mythen rund um Dresden, die Bombardierung und das beispiellose Gedenk-Theater aufzuzeigen und anzugreifen. In Berlin organisierte die [ALB] eine Veranstaltung mit Vertreter_innen der Dresdener Zivilgesellschaft, dem Historiker Kurt Pätzold sowie einem Vertreter von ¡No pasarán!

Wie bereits 2010 schlossen sich die in Dresden Nazifrei vertretenen Berliner Zusammenhänge zu einem lokalen spektrenübergreifenden Koordinationskreis zusammen. Neben der regionalen Mobilisierung lagen seine Aufgaben in der Vorbereitung der gemeinsamen Anreise und des Aktionskonzeptes für den 19 Februar. Außerdem wurde aus dem Kreis heraus wie schon im letzten Jahr eine Regionalkonferenz organisiert. Teilnehmer_innen konnten sich dort über das Blockade- und Anreisekonzept, über rechtliche Aspekte und in inhaltlichen Workshops über die so genannte Extremismus-Ideologie oder die Dresdener Gedenkpolitik informieren.

Bewährt hat sich dieses Jahr auch wieder das Konzept einer abschließenden Info-Veranstaltung mit dem Charakter einer offenen Vollversammlung. Knapp 400 Personen holten sich dort die letzten und aktuellsten Informationen und konnten diese in ihre politischen Zusammenhänge bzw. Bezugsgruppen tragen. Das führte dazu, dass sich am 19. Februar viele Menschen gut vorbereitet auf den Weg nach Dresden machten.

Nach der erfolgreichen Dresden-Mobilisierung 2010 stellt die Mobilisierung 2011 für Berlin einen erneuten Qualitätssprung dar. Spektrenübergreifend fuhren knapp 40 Berliner Busse nach Dresden, die sich mit weiteren Bussen aus Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Polen zu einem riesigen Konvoi zusammenschlossen.
Bundesweit bewirkten Dresden Nazifrei und ¡No pasarán!, dass mehr als 16.000 Menschen jeden Alters mit Bussen nach Dresden kamen. Zusammen mit Blockier_innen aus der Stadt und losen Bezugsgruppen gingen dieses Jahr mehr als 21.000 Menschen in Dresden auf die Straße, um die Neonazis zu stoppen.

Notwendige Vorarbeiten: ¡No pasarán! und Dresden Nazifrei

Es hat sich für uns gezeigt, dass es erfolgreich und notwendig war in den Bündnissen Dresden Nazifrei und ¡No pasarán! mitzuarbeiten. Viele bewegungsorientierte und autonome Antifa-Gruppen nutzten ¡No pasarán! als Bezugspunkt und mobilisierten unter diesem Label. Effekt war, dass es in Dresden inhaltlich und aktionistisch auch einen linksradikalen Ausdruck gab. 2011 legte ¡No pasarán! einen stärkeren Fokus auf die Themen Gedenkpolitik, Erinnerungskultur und Extremismus-Debatte. Ergebnis war ein viel zitierter und breit unterschriebener Aufruf sowie mehrere Veranstaltungen. ¡No pasarán!-Gruppen brachten ihre Kritik am Gedenken auch bei Dresden Nazifrei ein und erreichten damit eine inhaltliche Auseinandersetzung, die über das bloße „Gegen Nazis“-Verständnis hinaus weist. ¡No pasarán!-Gruppen engagierten sich überdies stark in den regionalen Vorbereitungskreisen und bei der Organisierung der Bus-Konvois, die aus ganz Deutschland nach Dresden fuhren.

Das bundesweite Bündnis Dresden Nazifrei bot den Rahmen einer spektrenübergreifenden Zusammenarbeit und für verlässliche Absprachen. Es organisierte erneut die Blockaden, sorgte für Presse-Ansprechpartner_innen und stellte weite Teile der Infrastruktur des Tages. Im Bündnis versammelten sich autonome Antifagruppen ebenso wie Gewerkschaften, Initiativen, Parteien und Einzelpersonen – mit wachsender Beteiligung aus Sachsen und Dresden. Die Vielfalt und das unterschiedliche Potential und Know-How machten den Charme und den Erfolg dieses Bündnisses aus.

Der 19. Februar – eine Stadt kotzt sich aus…

Die Vorzeichen für eine erfolgreiche Blockade des Neonazi-Aufmarsches am 19. Februar 2011 standen denkbar ungünstig. Die Stadt Dresden und das Land Sachsen – beides bundesweite Vorreiter in der Extremismus-Debatte und erzkonservativ – versuchten (wieder einmal) alles, um für die Neonazis einen reibungslosen Ablauf zu gewährleisten. Ein Verbot des Aufmarsches wurde gerichtlich aufgehoben. Gleichzeitig wurde jeglicher Protest per Gerichtsbeschluss in kilometerweit entfernte Stadtteile verbannt. Sächsische Gerichte formulierten an die Polizei, dass es oberstes Gebot sei, den Neonazi-Aufmarsch vor Blockaden zu schützen und mit allen Mitteln dem vermeintlichen Recht der Nazis „auf die Straße“ Geltung zu verschaffen. Selbst eine Mahnwache des DGB wurde mit dem Verweis auf das Gebot der so genannten Lagertrennung verboten. Die politisch Verantwortlichen der Stadt riefen in den Medien Tage vorher das bundesweite „Highlight der Chaoten“ herbei und sehnten sich nach der Zeit vor der störenden, linken Intervention von Außen – einer ruhigen Zeit mit dem größten Neonazi-Aufmarsch Europas.

Der 19. Februar – keep on walking

Wie die meisten Bus-Konvois wurde auch unserer bereits an der Autobahnabfahrt gestoppt. Die acht Kilometer bis in die Innenstadt legten wir als große Demonstration zurück – das sorgte für Motivation und gute Stimmung unter den Blockierer_innen. Das so genannte Fingerkonzept griff bereits auf dem Weg und strukturierte die Demo, so dass wir gut aufgestellt an den ersten Bullenabsperrungen eintrafen.

Die Bullen taten an diesem Tag wie ihnen von Gerichten und konservativen Politiker_innen aufgetragen: Sie versuchten, für die Neonazis eine „national befreite Zone“ ohne Gegendemonstrant_innen zu installieren, eskalierten früh am Tag die politischen Auseinandersetzungen und übten sich in Aufstandsbekämpfung.

Das den Neonazis zugewiesene Aufmarsch-Areal war hermetisch abgesperrt. Wasserwerfer und Räumpanzer sollten Abschreckung und Bestrafung für Blockierer_innen in Einem darstellen. Selbst Überwachungs-Drohnen wurden eingesetzt. Die Bullen wollten an diesem Tag durch möglichst hartes Vorgehen gegen Demonstrant_innen, Blockaden schon im Ansatz unterbinden – viele Verletzungen inbegriffen. Dabei war es ihnen gleich wen sie trafen. Bereits morgens kam es zu massiven Angriffen mit Tonfas und Knüppeln. Ganze Löscher voller Pfefferspray regneten auf die Aktivist_innen nieder, Hunde wurden ohne Maulkörbe auf Menschen gehetzt, größere Gruppen mit Pepper-Balls beschossen und selbst bei widrigen Temperaturen kam es ohne Vorwarnung zum Einsatz von Wasserwerfern. Wieder einmal wurde deutlich, dass diese Polizei-Einheiten Zurichtungsanstalten für blinden Gehorsam, Korpsgeist, Körperverletzung und Menschenjagd sind. Nur dem kreativen und entschlossenen Auftreten aller Aktivist_innen ist es zu verdanken, dass die Blockaden an diesem Tag zustande kamen.

Der 19. Februar – Die Neonazis

Trotz vollmundiger Ankündigungen gelang den Neonazis – von Junger Landsmannschaft Ostdeutschland (JLO) über Kameradschaften und NPD – kein Erfolg. Lediglich rund 1.000 Neonazis fanden am 13. und nur etwa 2.500 am 19. Februar den Weg nach Dresden. Vor allem am 19. Februar wurde ihre Handlungsunfähigkeit sichtbar: Am Hauptbahnhof sammelten sich nur etwa 800 Neonazis. Aufgrund frühzeitiger Blockaden hatten diese keine Chance, auch nur einen Meter zu marschieren. Weitere Neonazis sammelten sich an der Stadtgrenze bei Dresden-Freital und versuchten in Richtung Innenstadt zu kommen. Auch ihnen gelang es nicht, den Auftaktkundgebungsort zu erreichen. Aus dieser 500er-Gruppe heraus agierte ein Mob von Neonazis besonders gewalttätig und griff in Dresden-Löbtau ein linkes Hausprojekt an. Dieser Angriff konnte nur durch besonnenes Handeln der Hausbewohner_innen abgewehrt werden. Die Polizei beschränkte sich vor Ort auf die Regelung des Verkehrs. Eine weitere große Gruppe von Neonazis – vor allem aus Berlin, Brandenburg und Sachsen – versuchte, einen Aufmarsch in Dresden-Plauen durchzusetzen. Auch dieser Versuch misslang, nachdem eine anvisierte Route durch Gegendemonstrant_innen spontan blockiert wurde. Auch diese Neonazis verließen Dresden am frühen Abend unverrichteter Dinge.
Die Neonazis vom Hauptbahnhof wollten schließlich zu einer Spontan-Demonstration nach Leipzig ausweichen. Doch auch dort fand sich innerhalb kürzester Zeit eine spontane Blockade zusammen. Diese zwang auch hier die Polizei dazu, den Neonazis einen Aufmarsch zu verwehren. Die ankommenden Neonazis landeten erst im Polizeikessel und wurden dann wieder in die Züge gesetzt und zur Abreise gezwungen. Neonazis, die auf eigene Faust den Bahnhof verließen, bekamen es mit der örtlichen Antifa zu tun.
Alles in Allem war der 19. Februar 2011 ein Desaster für die Naziszene.

Der 19. Februar – Blockaden, ziviler Ungehorsam und direkte Aktionen

Wichtigster Faktor für die Verhinderung des Neonazi-Aufmarsches 2011 war die Masse an 21.000 blockierwilligen Menschen. Trotz heftiger Bullengewalt gelang mit dem Fingerkonzept das Durchfließen und Überwinden der Absperrungen rund um das Aufmarschgebiet. Überall innerhalb dieser Zone bildeten sich Menschenblockaden, zeitweise bis zu zehn verschiedene von unterschiedlicher Größe. Auch in Richtung Zentrum gab es eine große und wichtige Blockade, die vor allem als Anlaufpunkt für viele Dresdener_innen diente. Bei jeder Blockade wurden über Lautsprecherwagen und Megaphon ständig Informationen zum aktuellen Stand verbreitet. Die Blockierer_innen konnten sich zudem über Ticker, Twitter und Info-Telefon auf dem Laufenden halten und dadurch flexibel reagieren.

Dies bewährte sich insbesondere am Nachmittag, als mehrere hundert Neonazis spontan versuchten, in Dresden-Plauen zu marschieren. Innerhalb kürzester Zeit zogen tausende Aktivist_innen dorthin und machten alle möglichen Routen dicht. Dieses Engagement und die Flexibilität haben den Erfolg des Tages ausgemacht und stellen einen deutlichen Qualitätssprung zum letzten Jahr dar.

Am 19. Februar kam es zu – teilweise massiven – Riots und Auseinandersetzungen mit der Polizei. Im Zuge diese Ereignisse wurden Neonazis direkt an der Teilnahme am Aufmarsch gehindert, mehrere Neonazi-Busse und PKWs fanden ihren vorzeitigen Weg ins Glasbruch-Walhalla. Es gab direkte Aktionen gegen Arbeitsämter, Zeitarbeitsfirmen und Polizeistationen. Abseits der Blockaden entstanden in einiger Entfernung teilweise beeindruckende Materialblockaden, die schwer durch Polizei und Feuerwehr geräumt werden konnten. Immer wieder zwangen direkte Auseinandersetzungen die Polizei, die Repressionsmaßnahmen gegen einzelne Blockaden zu unterlassen bzw. zu beenden. Räumungsandrohungen konnten dadurch nicht durchgesetzt, Kessel mussten aufgelöst werden. Auch die Befreiung eines gekesselten Konvois durch andere Aktivist_innen konnte beobachtet werden.

Festzuhalten bleibt, dass diese Aktionen zum Erfolg des Tages beigetragen haben. Sie banden Polizeikräfte, boten Schutz für Blockaden und verhinderten Optionen auf Alternativ-Routen für die Neonazis. Das Gesamt-Szenario von Menschenblockaden und direkten Aktionen führte zu einer Situation, die es für die Polizei unmöglich machte, den Neonazi-Aufmarsch durchzusetzen.

Eine Grundlage der Zusammenarbeit im Bündnis Dresden Nazifrei war der gemeinsame „Aktionskonsens“. Ohne diese Vereinbarung wäre wohl niemals eine so breite, spektrenübergreifende Basis des Widerstandes auf die Beine gestellt worden. Sie bot einerseits Transparenz bezüglich der Aktionsform Menschenblockade, zum anderen den Schutz vor Distanzierungen von anderen, blockadefernen Aktionen. Der Aktionskonsens besagte unter anderem, dass von den Blockaden keine Eskalation ausgeht. Das sollte den Menschen Schutz und Gewissheit geben, was auf den Blockaden von Dresden Nazifrei zu erwarten ist. Der Aktionskonsens wurde über weite Strecken eingehalten.
Solidarische Zusammenarbeit bedeutet auch für autonome Antifas das Einhalten von Absprachen. Dies ist eine Voraussetzung für spektrenübergreifenden Widerstand und für das sinnvolle Ineinandergreifen unterschiedlicher Aktionsformen. Blockaden sind demnach nicht der Ort für offensive Angriffe auf Bullen.

Der 19. Februar – Law & Order Dresden schlägt zu

Dass die aktuellen Entwicklungen in Dresden dem Staat und seinen Repräsentanten nicht gefallen würden, war zu erwarten. Eine erste Quittung gab es schon am Abend des 19. Februar. Nachdem die meisten Gegendemonstrant_innen die Stadt verlassen hatten, kam es zu einem Überfall des SEK auf das Dresdener Haus der Begegnung. Darin befinden sich die Geschäftsräume der LINKEN, das Jugendprojekt „Roter Baum e.V.“ und eine Anwaltskanzlei. Ziel der Durchsuchung war das Bündnis Dresden Nazifrei, dem die Vorbereitung von Straftaten und Landfriedensbruch vorgeworfen wurden. Ergebnis der staatlichen Aktion war, dass mehrere Menschen stundenlang festgehalten und von den Bullen erniedrigt wurden, die Durchsuchung mehrerer Räume und die Beschlagnahmung von Arbeitsmaterialien einer Presse-Gruppe.

Im Nachgang der Aktion kam heraus, dass schon seit Oktober 2010 gegen Dresden Nazifrei ermittelt wird. Dabei wird der perfide Schnüffel-Paragraph 129 – also „Bildung einer kriminellen (!) Vereinigung“ – angewendet. Dieser erlaubt Bullen und Staatsanwaltschaft weiträumige Ermittlungen bis ins tiefste Privatleben von politischen Aktivist_innen. Nur die allerwenigsten Ermittlungen auf Grundlage von §129 führen zu Prozessen. Sie dienen im Wesentlichen dazu, linke Strukturen auszuspionieren und die Zusammenarbeit von bürgerlichen und linksradikalen Bündnispartner_innen zu diskreditieren. Diese angestrebte Spaltung wird nicht gelingen. Ebenso wie am 19. Februar 2011 zusammen blockiert wurde, werden die verschiedenen Akteur_innen gemeinsam die Repression durchstehen. Eine entsprechende Solidaritätserklärung fand bereits zahlreiche Unterstützer_innen.

Dresden 2011 – Erfolg, Bilanz, Ausblick

Die Ereignisse in Dresden 2011 stellen den Höhepunkt der bundesweiten antifaschistischen Proteste der letzten Jahre dar. Selten gelang es, gegen einen Neonazi-Aufmarsch derart viele Menschen zu mobilisieren. Dass allerdings derart viel Intervention von Außen notwendig ist, ist bezeichnend für die Verhältnisse vor Ort. Doch auch hier ist ein erfreulicher Wandel spürbar: Immer mehr Dresdener_innen begreifen die Notwendigkeit, selbst aktiv zu werden.

Die erneute Verhinderung des Neonazi-Großevents ist der deutlichste Erfolg einer dreijährigen Strategie gegen eine scheinbare Normalität des Hinnehmens und Wegschauens in Dresden. Trotz massiver Repression und staatlicher Gewalt wurde 2011 erneut blockiert. Für diesen Erfolg wurde eine hoher Preis gezahlt mit teilweise erheblichen Verletzungen und starker Repression. Dieses Risiko einzugehen waren offensichtlich mehr als 21.000 Menschen bereit.

Doch die Ereignisse in Dresden weisen über die bloße Verhinderung eines Neonazi-Events hinaus: Immer mehr Menschen merken, dass Politik nicht nur über Parteien oder Stellvertreter zu machen ist. Ihnen wird bewusst, dass bestimmte Dinge nur erreicht werden, wenn sie sich nicht auf etablierte Politikformen, Politiker_innen und erst recht nicht auf Gerichte verlassen. Es gilt, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen und sich dabei auch nicht zwangsläufig an die „Straßenverkehrsordnung“ zu halten. Und dieser Effekt entwickelte sich recht schnell: War es im letzten Jahr noch eine Hauptaufgabe der Mobilisierung, Verständnis und Bereitschaft zur Blockade zu vermitteln, bedurfte es dieses Jahr dazu keinerlei Überzeugungsarbeit mehr. Allen war klar, dass Blockieren die Aktionsform zur Verhinderung des Aufmarsches sein würde. Und allen war klar, dass es notwendig sein würde, mit dem mobilen Fingerkonzept Polizeiabsperrungen zu überwinden. Die persönliche Erfahrung der vielen Beteiligten, wie wichtig und wirksam eigenes Handeln gegen Nazis oder auch gegenüber einem scheinbar übermächtigen Staat ist, gibt Hoffnung für weitere Aktionsfelder linker Politik (Soziale Frage, Anti-Atom-Bewegung oder Anti-Militarismus).

Dem Staat und den Bullen, die mit Kadavergehorsam dessen Anweisungen auf der Straße umsetzen, missfallen solche Entwicklungen selbstverständlich. Deshalb scheint zur Durchsetzung des Neonazi-Aufmarsches auf derart massive Polizeigewalt gesetzt worden zu sein. Aktivist_innen sollten sich bei vergleichbaren Aktionen dieser Größenordnung in Zukunft – aber insbesondere im nächsten Jahr in Dresden – schützen und das Risiko schwerer Verletzungen nicht in Kauf nehmen. Neben der Ausweitung des politischen Drucks auf Stadt, Institutionen und Polizei muss offen über Schutzbrillen und Masken gegen Pfefferspray bzw. Pepperballs oder auch Schaumstoff-Matten gegen Bullenknüppel und bissige Hunde diskutiert werden. Den Menschen sollte vermittelt werden, wie sie sich gegen Polizeigewalt schützen können. Ganz sicher werden die Blockierer_innen nicht auch noch die andere Wange hinhalten, wenn sie verprügelt werden, nur weil sie einen Marsch von Faschisten verhindern wollen, deren Ziel nicht weniger als die erneute Barbarei und Vernichtung ist.

Die Voraussetzungen für eine dauerhafte Perspektive gegen den Neonazi-Aufmarsch in Dresden sind mittlerweile gegeben. Auch in den Köpfen der Menschen vor Ort findet ein Umdenken statt. Bundes- und europaweit ist das Großevent der Neonazis im Februar in Dresden und die Rolle der Stadt und des Bundeslandes als Steigbügelhalter für reibungslose Faschisten-Märsche bekannt. Auch das Thema Gedenkpolitik und die Dresdener Spezifik ist immer mehr Menschen ein Begriff. Hierbei geht es um das bundesdeutsche Prinzip eines Gedenkens, welches das „Erinnern und Gedenken“ als einen Teil des nationalen Selbstverständnisses gemacht hat. Fragen nach dem Warum werden selten gestellt. Die entpolitisierte Definition von Opfern bewirkt eine Relativierung des Nationalsozialismus. Unsere Aufgabe ist es deshalb zu fragen, was Ursache und was Wirkung war, was zur Bombardierung führte und wer die Täter_innen waren.
Gerade in diesem Bereich muss allerdings noch einiges passieren. Die Dresdener Gedenkpolitik muss schärfer in den Fokus – auch bürgerlicher – Kritik geraten. Dies sollte als Ziel der Intervention die nächsten Jahre noch deutlicher formuliert werden.

Epilog

Die Neonazis kamen nicht durch und haben erneut eine empfindliche Niederlage erlitten. Sie selbst haben sich den Spiegel ihrer politischen Ausweglosigkeit und Überholtheit vorgehalten. Sie werden von nun an immer wieder mit erheblichen Widerstand in Dresden rechnen müssen. Das ist mittlerweile sicher. Egal, in welcher Form die Proteste in den nächsten Jahren stattfinden werden – ungehindert und protestlos werden die Neonazis in Dresden nie wieder marschieren.



Für mehr Geigenkästen aus Schweinetrögen!
¡No pasarán!



Antifaschistische Linke Berlin [ALB] im März 2011
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Ergänzungen