Lea-Won: "Der Beste MC"

Suphi Toprak (RIO) 17.03.2011 03:03 Themen: Antifa Kultur

Interview mit dem Münchner Rap-Poeten Lea-Won über seinen Text "Der beste MC".


Eine Version vs. Früchte des Zorns

Eine Version im klassischeren Rapstil



Mehr von und zu Lea-Won auf seiner Webpage: www.Lea-Won.net

- Wie kamst du darauf, einen Song über das Leben Adolf Hitlers zu schreiben? Das ist ja nicht gerade ein typisches Thema, was man jetzt von vielen Rappern so schon gehört hätte.

Die Idee dazu kam mir, als ich eine Dokumentation über Hitlers Leben sah. Genauer genommen war es eine Aufarbeitung der Entstehung seines Buches "Mein Kampf". Mir fielen da biographisch ein paar Eckpunkte ins Auge, die mich stark daran erinnerten, was man aus manchen Rapper-Lebensläufen so kennt... eben arme Verhältnisse, gewalttätige (Stief-)Väter, die Flucht von zu Hause, künstlerisches Interesse (vielleicht sogar Richtung Malerei -> Graffiti), sich als Künstler unverstanden fühlen, dann irgendwas anderes machen, mit Waffen rumspielen, im Knast landen usw. Klar ist auch, dass Gangster-Rapper jetzt nicht wegen Putsch-Versuchen im Knast waren, und dass ich natürlich nicht so tun will, als wären Hitlers gewaltsamen Bestrebungen auch solche Kleinigkeiten wie manche bewaffneten Gang-Konflikte, wenn man sie dem versuchten Hitler-Putsch gegenüberstellt.

Ich entwickelte aus diesen Parallelen aber dann eine Idee weiter, die ich schon länger hatte. Ich bin seit zehn Jahren selbst auf Bühnen und verfolge auch die Geschehnisse in der Rap-Szene aufmerksam mit, erlebe sowas oft auf Konzerten. Oft kamen mir viele Menschen wie gleichgeschaltete Lemminge vor, die irgendetwas nachplappern oder toll finden, nur weil es ein starker, vielleicht sogar schöner, auf jeden Fall imposant wirkender Mann auf der Bühne von sich gibt. Die Art, wie jemand auf der Bühne redet, gehört natürlich auch dazu, was für Metaphern er benutzt, wie er die Leute aufhetzt usw. Doch allein der Umstand, dass jemand auf der Bühne steht und schon dadurch eine im wahrsten Sinne des Wortes erhobene und höhere Position als die anderen im Raum hat, führt zu einer automatischen Autorität. Dazu kommt, dass man mit Mikrophon eh lauter ist als alle anderen im Raum... nicht umsonst ist es für viele Menschen, die sich ansonsten eher ohnmächtig fühlen, attraktiv, mal auf der Bühne zu stehen. Dass man auf die Bühne darf, ist eben auch allein schon eine Auszeichnung, um die man sich erst anstrengen und kämpfen muss, eben deshalb, weil alle wissen, dass so etwas Macht und automatisches Ansehen und Respekt erzeugt usw.

Wenn man bei einigen Rappern genau zuhört, dann merkt man eben, wie sie auf "Opfer" schimpfen, sich als Täter geben, den "starken Mann" markieren. Viele schaffen es, ihrer eigenen Hörerschaft ein Feindbild zu zeichnen. So fühlen sich die zuhörenden eingeschworen und mehr zusammengeschweißt. Da sehe ich einfach Parallelen dazu, wie das bei Demagogen – von denen Hitler eben der Wirkungsmächtigste, aber nicht der einzige war – so läuft.

In dem Sinne war es auch nicht mein Hauptanliegen, einen Song über Hitler zu schreiben, sondern mit diesem Konzept meines Liedes eher auf die Gefahren von solchen Massendynamiken hinzuweisen, dass Leute halt nicht einfach was mitschreien sollen, nicht einfach bei etwas mitjubeln sollen, ohne dabei nachzudenken, was das in letzter Konsequenz für Auswirkungen hätte. So kann ich das kritisieren, was ich in meinem kulturellen Umfeld so an Obrigkeits-Hörigkeit und unbedachter Unterwürfigkeit mitbekomme, ohne dass ich dabei plump mich über andere einzelne Rapper beschwere, wenn sie mal wieder mächtig auf der Bühne protzen und gegen Frauen, Schwule oder sonstige Menschen hetzen, die sie als minderwertig oder schwächer begreifen.

Viele berufen sich als "Künstler" darauf, dass das ja nur Metaphern und Worte wären, oder dass sie so ihre Wut rauslassen würden. Ja, schön, aber was ist, wenn Hitler auch ein Typ war, der in seinem Leben viel einstecken musste und bei dem sich Wut, Frust, Komplexe und Neurosen ansammelten, und der sich auch so als "Künstler" sah? Soweit ich weiß war er es auch nicht selber, der die Menschen, die dann vergast wurden, selbst in die Vernichtungslager gefahren hat...

- Aber wieso "der beste MC"? Was hat es mit der Bezeichnung "MC" auf sich, und denkst du nicht, dass du da misverstanden werden könntest, dass Leute auf die Idee kommen, du fändest Hitler gut?

MC bedeutet eben "Master of ceremony" (Meister der Zeremonie), was andere dann auch mit "Move the Crowd" ausgeschrieben haben. Es geht eben darum, die Leute zu unterhalten, bei Laune zu halten, glücklich und euphorisch zu machen, vielleicht auch... aber das lässt eben viel offen. Glücklich machen dadurch, dass man ihnen Illusionen unterbreitet, oder dadurch, dass sie ihre eigene Stärke erkennen!?! Euphorisch werden lassen, indem man sie aufhetzt gegen andere, oder dadurch, dass man ihnen den Wert des Lebens vermittelt und sie ihre eigene Macht erkennen?

Hitler kann in zwei Sichtweisen als "bester MC" bezeichnet werden. Erstens hatte er die Fähigkeit und die Gabe (manche nennen so etwas auch "Charisma"), die Massen zu erreichen, wie kaum jemand sonst in der Weltgeschichte. Andererseits war er auch in dem Sinne der "beste", dass ihn die meisten Menschen toll fanden. Wenn es unterschiedliche Meinungen und Geschmäcker und Ansichten gibt, dann ist nach demokratischer Zählweise eben derjenige Demagoge der beste, den die meisten toll finden.

- Wie denkst du, war es für Hitler möglich, als einzelne Person so großen Schaden weltweit anzurichten?

Das gelang ihm nur scheinbar als einzelne Person. Er zeigte Lösungswege auf, die für eine breite Masse der Deutschen Sinn machten. Für eine breite Masse, die teils schon zuvor selbst sehr rassistisch und antisemitisch war und für die diese Ideologie nichts fremdes mehr war.

Auch den anderen Punkt spreche ich ja im Text an, wie Hitler eben von der Industrie auch unterstützt wurde, die fürchtete, dass es sonst vielleicht eine fortschrittliche Revolution geben könnte, die für die Position der Reichsten und Mächtigsten im Land unangenehmer geworden wäre, nämlich eine sozialistische, kommunistisch orientierte Revolution. Da haben damals natürlich auch SPD und KPD versagt, in dem sie sich nicht gemeinsam und geschlossen gegen den Faschismus stellten, sondern gegenseitig in den Rücken fielen und bekämpften. Die Parallele mit der Unterstützung durch die Industrie trifft natürlich - in etwas anderem, im Ausgang nicht so drastischem Maße - auch auf die heutigen Popstars und berühmtesten Rapper zu: kapitalistische Unternehmen würden sich selbst ins Fleisch schneiden, wenn sie Kultur unterstützen würden, die zu deutlich in die Richtung Revolution und damit in Richtung der Auflösung der kapitalistischen Wirtschaftsweise weisen würde.

Auf damals bezogen wird aber auch klar, dass Hitler genau in den geschichtlichen Ablauf und diese Situation passte. Selbst wenn heute Einzelne das gleiche wie Hitler fordern würden und damit sogar mehr Menschen - über Medien, Lieder oder Internet - erreichen könnten, heißt das nicht, dass es einen neuen Hitler gäbe. Die Situation ist einfach eine andere, Macht wird heute ganz anders ausgeübt und kanalisiert. Und das hat eben nicht nur etwas mit Hitler und seinen damaligen Fähigkeiten (als MC sozusagen) zu tun.

- Hältst du dich selbst für einen guten MC?

Ja, schon. Ich denke, dass ich gut mit Worten umgehen kann, und dass auch der stilistische Rahmen, in dem ich mich bewege, dazu führen kann, dass die Inhalte, die ich verbreite, bei Leuten "besser rein gehen", oder auch emotional aufgenommen werden könnten. Ich denke, mir ist es einfach ein Anliegen, vielleicht zum Nachdenken zu bewegen, was man alles bewegen kann. Die Frage ist im Endeffekt, wie man seine Fähigkeiten benutzt und für was man diese Fähigkeiten und die Aufmerksamkeit benutzt, die man z.B. dadurch bekommt, dass den Leuten auch der Beat gefällt, auf dem man etwas rappt, oder den Leuten gefällt, wie man seine Stimme rhythmisch benutzt. Im Endeffekt würde ich nicht wollen, dass die Zuhörenden zur stummen, anonymen Masse werden, die mir einfach beipflichtet und alles abnickt, sondern selbst mündige Entscheidungsträger und -trägerinnen, die sich das anhören, aber genau so ihre eigene Meinung dazu geben und wir dann alle gemeinsam weiterkommen können.

Interview: Suphi Toprak, Revolutionäre Internationalistische Organisation (RIO), München

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??? — morus

was ihr verschweigt: — Zeitwolf

Lemming-Metapher — Walt Disney

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... — ...

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popantifa den Platz nehmen — antifa ist kein mainstream

Nice try — Hip and Hop

an Antifa B: — Lea-Won