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Justizopfer Harry Wörz: "Ich kämpfe weiter"

Stadtblatt Pforzheim 16.03.2011 00:13
Ein wahrer Krimi: Die langen Leiden des Justizopfers Harry Wörz - Pforzheimer Presse mit schuld - Kommentar

"Polizisten haben gelogen und betrogen, aber ich kämpfe weiter"

Wer mit Harry Wörz nur fünf Minuten redet, spürt instinktiv: Dieser Mann könnte kein Mörder sein. Trotzdem saß der heute 44-jährige fast fünf Jahre ohne Beweise im Gefängnis, bevor er Mitte Dezember 2010 vom höchsten Bundesgerichtshof endgültig freigesprochen wurde. Dreizehn lange Jahre musste er für seine Unschuld kämpfen. Immer wieder wurde ihm vorgeworfen, er habe im Jahr 1997 versucht, seine Ex-Frau, eine Polizistin, umzubringen.
Ein nervenaufreibender Kampf, der deutliche Zeichen an dem eher schmalen, zerbrechlich wirkenden Mann hinterlassen hat. "Jetzt brauche ich erstmal viel Ruhe", sagt der frühere Installateur und Bauzeichner aus Birkenfeld bei Pforzheim im Exklusiv-Gespräch mit unserer Redaktion. "Mein geliebtes Motorrad lasse ich erstmal in der Garage, bis ich wieder ganz fit bin", lächelt der früher leidenschaftliche Biker etwas bitter.

Diese Ruhe hat er dreizehn schwere Jahre nicht gehabt: "Ein Leben unter Verdacht" heißt denn auch ein Fernsehfilm über die langen Leiden des Harry Wörz. Mehrfach ging der Justiz- und Polizeiskandal quer durch alle deutschen Medien. "Heute kann ich deutlich sagen: Die Pforzheimer Polizei hat gelogen und betrogen, um mich fertig zu machen", sagt er.

Viele Jahre in ständiger Angst - seine innere Stärke war sein Glück

Ist Harry Wörz, das wohl bekannteste Justiz- und Polizeiopfer Deutschlands, inzwischen ein "Medien-Star"? "Das kann vielleicht schon sein, aber ich fühle mich nicht so." Er sei immer ein einfacher, bescheidener Mann gewesen und wolle dies bleiben, meint der 44-jährige nachdenklich. Immer wieder muss er während unseres Gespräches tief gähnen, die Erinnerung an die ganzen schlimmen Jahre der falschen Verdächtigungen steht ihm immer noch schmerzlich im Gesicht geschrieben. Er muss viel, viel Schlaf nachholen zur Zeit. Denn vor dem endgültigen Urteil im Dezember konnte er Jahr für Jahr oft tagelang keine Ruhe finden. Trotzdem wirkt der freundliche, ruhige Mann hellwach, wenn er uns von den kleinsten Details seiner Leidensgeschichte berichtet, die mitgebrachten Akten durchblättert, exakt und schnell Auskunft auf unsere Fragen gibt. Jedes Datum, jede Zahl, jeden Fakt hat er im Gedächtnis. Vielleicht hat ihn diese innere Stärke trotz allem über die ganzen schlimmen Jahre gerettet. Höchstwahrscheinlich.

Drogen und Beziehungsdrama unter den Beamten

"Sie haben mein Leben zerstört", sagte Wörz nach der endgültigen Urteilsverkündung Ende 2010. Wer sind "sie"? Eine verschworene Clique von Polizeibeamten, Staatsanwälten und auch Richtern. Sogar sein Ex-Schwiegervater, der ihn immer wieder schwer belastet hat, war Polizist. Dieser - er hatte neben seiner Frau eine Geliebte - war ursprünglich selbst der Tat verdächtigt, wurde aber nicht weiter verfolgt. Immer wieder wurden neue Anklagepunkte konstruiert. Denn eines durfte für die Pforzheimer Beamten nicht sein: Dass einer aus ihren eigenen Reihen es gewesen war, der seine Kollegin und Harrys Ex-Frau Andrea W. töten wollte. Vorangegangen war damals zur Tatzeit ein klassisches Beziehungsdrama. Die Polizistin Andrea (sie lebte seit längerer Zeit von Wörz getrennt) hatte ein Verhältnis mit ihrem Kollegen Thomas H., der aber verheiratet war und zwei Kinder hat. Abwechselnd schlief dieser "Macho" mit beiden Frauen, bis seine Ehefrau ihm kurz vor der Tat ein Ultimatum stellte: "Entweder sie oder ich!"

Noch in der Nacht sei der Beamte wahrscheinlich zu seiner Geliebten gefahren, so die heutigen Erkenntnisse. In deren Haus sei es zu einem Streit zwischen dem wohl drogenabhängigen Pärchen gekommen. Daraufhin habe wohl der Polizist versucht, seine Kollegin und Geliebte mit einem Schal zu strangulieren. Andrea überlebte knapp, ist aber seither so stark behindert, dass sie sich nicht mehr zu dem wahren Tatgeschehen äußern kann. "Ich wünschte mir, dass Andrea sagen könnte, wer es wirklich war", hatte Harry Wörz zahllose Male wieder und wieder seine Unschuld beteuert. "Sie tut mir immer noch sehr leid."

Spuren wurden absichtlich zu Harry Wörz geführt

Die angeblichen Spuren, die schließlich noch in der Tatnacht die Pforzheimer Kriminalpolizei zu dem einige Kilometer weiter in seinem Häuschen schlafenden Installateur führten, seien absichtlich falsch gelegt worden, um ihm die Schuld in die Schuhe zu schieben, sagt uns Wörz heute. Bei dem ohnmächtigen Opfer wurden Drogen entdeckt und einige Vinylhandschuhe, wie sie Wörz wegen einer Fingerverletzung häufig bei der Arbeit und im Garten trug. "Solche Handschuhe lagen bei mir zu Hause überall herum", berichtet er uns. Doch die an den Handschuhen am Tatort sichergestellten DNA-Spuren gaben keinen Nachweis für seine Schuld.

Polizei ließ wohl Beweise verschwinden

Dagegen wurden durch die ermittelnden Pforzheimer Polizisten wohl Beweise für seine Unschuld und wahrscheinlich für die Schuld des Polizisten Thomas vernichtet, glaubt Wörz. In der Asservatenkammer der Polizeidirektion tauchten sie nie mehr auf, ebenso wie wichtige schriftliche Unterlagen auf rätselhafte Weise verschwunden seien, sagt der gelernte Installateur. Auch die Drogen wurden nie gefunden. "An denen haben sich die Beamten wohl bereichert oder sie selber genommen", so Wörz. Sogar der Ex-Schwiegervater stand unter Verdacht, mit Drogen sein Haus und sein Wohnmobil finanziert zu haben, was sich aber bis heute nicht bestätigen ließ.

Richter: Wahrscheinlich war es der Polizist

Bei der vorletzten Gerichtsverhandlung in Mannheim sagte schließlich der mutige und kompetente Richter, dass es mit großer Wahrscheinlichkeit der Polizist Thomas gewesen sei, der seine Geliebte und Kollegin erdrosseln wollte. "Warum belügen Sie uns?", fuhr der Vorsitzende die Pforzheimer Kripobeamten an. "Was Sie uns erzählen, kann nicht sein!" Und: "Sie haben Ihre Arbeit nicht richtig gemacht." Das Urteil war schließlich vernichtend - nicht für Wörz, sondern für die Beamten und den Staatsanwalt. Dennoch seien sie alle noch im Dienst "und sogar noch aufgestiegen", sagt der sonst so freundliche Harry leicht wütend.

Bis auf Thomas H.: Er wurde vor rund einem Jahr vom Dienst suspendiert, befindet sich aber seltsamer Weise seither immer noch auf freiem Fuß. Warum? Schließlich landete damals Harry Wörz sofort in Untersuchungshaft und dann fast fünf Jahre im Gefängnis - ohne Beweise. Auf diese mehrfach von uns gestellte Frage will uns der Sprecher der zuständigen Staatsanwaltschaft in Karlsruhe bis heute keine klare Antwort geben. Es sei nach der langen Zeit kaum mehr zu rekonstruieren, was zur Tatzeit geschehen war, redet sich der Jurist immer wieder heraus. "Alles Lug und Betrug - dem Thomas passiert doch nichts", ist sich Harry Wörz sicher. Nur weil er ein Polizist ist.

Pforzheimer Zeitung im Visier

Zur Zeit spricht das bekannteste Justiz- und Polizeiopfer Deutschlands eigentlich mit keinem Journalisten. "Ich brauche jetzt erstmal Abstand, um neue Kraft zu sammeln." Doch für uns hat er eine Ausnahme gemacht - weil er Vertrauen habe und wisse, dass wir ihn nicht hinters Licht führen würden. Bei manchen anderen Presseleuten ist das nicht so, sagt er. Vor allem das marktführende Regionalblatt "Pforzheimer Zeitung" hat er im Visier: "Die sind mit Schuld an meiner schlimmen Geschichte", betont er. Die PZ sei "die Hauspost" der Polizei. Wenn diese Zeitung heute bei ihm wieder wegen einer "Story" anfragt, "dann weigere ich mich - mit denen will ich nicht mehr reden."

Kripo droht: "Wir kennen jeden Schritt, den du machst."

Doch in der seriösen bundesweiten Presse sei demnächst wieder eine Veröffentlichung über seinen Fall geplant, verrät Wörz mit leichter Genugtuung in der Stimme. "Ich lasse mir das alles nicht so einfach gefallen!" Ist das nicht gefährlich für ihn? "Ich kann mir nicht vorstellen, was mir noch passieren sollte", kommt die schnelle und klare Antwort. "Die lassen ihre Füße nicht still", weiß er trotzdem. Spitzel der Kripo gebe es fast überall. "Wir kennen jeden Schritt, den du machst", hätten sie ihm gedroht. Einschüchtern lässt er sich aber nicht: "Jetzt fülle ich erstmal meine Akkus neu. Dann geht es weiter."

Und fügt hinzu: "Ich habe genug Schutz, auf den ich mich absolut verlassen kann." Damit meint Harry zum einen seinen großen Bekanntheitsgrad aber vor allem seinen großen Freundeskreis. "Nur dadurch habe ich die ganzen Jahre überlebt." So viele Helfer, ist das nicht erstaunlich? "Ich selbst war und bin immer freundlich und hilfsbereit zu allen Menschen", antwortet er. Diese vielen Freunde haben ihn auch vor dem völligen finanziellen Ruin bewahrt. Denn die zahllosen Verfahren und seine teilweise inkompetenten oder unter Druck gesetzten Advokaten, zuletzt zum Glück aber auch ein fähiger und mutiger Rechtsanwalt, haben ihn sein ganzes Hab und Gut gekostet. "In meinem Heimatdorf sind fast alle zu mir gestanden - sogar der Pfarrer hat sich von der Kanzel für mich eingesetzt", lächelt Wörz endlich mal wieder. In seinem Gesicht geht für einen Moment die Sonne auf.

Aber dann muss er an seinen inzwischen 16-jährigen Sohn denken und wird wieder sehr ernst: "Ich durfte ihn seit sieben Jahren nicht mehr sehen - sie haben mir den Umgang mit ihm verboten." Das sei fast das Schlimmste von allem.

Hat Harry nach den ganzen Leidensjahren und schrecklichen Erfahrungen nicht starke Rachegefühle? Er denkt kurz nach, sagt dann ganz bedächtig: "Nein - ich finde das alles nur unendlich traurig!" JW


UNSER KOMMENTAR:

Dieser Skandal muss endlich wirkliche Konsequenzen haben

Jeder einigermaßen interessierte Mensch in Deutschland kennt inzwischen den unfassbaren Fall Harry Wörz. Zahllose Artikel und unzählige Fernsehberichte wurden in den letzten Jahren über diesen riesigen Justizskandal veröffentlicht. Und es wird weiter gehen. Die Öffentlichkeit ist wachgerüttelt und extrem sensibilisiert für dieses Thema. Dennoch versuchen die Behörden, allen voran die Pforzheimer Polizei, weiterhin so weiter zu machen, als wäre nichts geschehen. Die Glaubwürdigkeit der Beamten und großer Teile der Justiz ist bis in die Grundmauern erschüttert. Und wenn in nächster Zeit die ganze Wahrheit ans Licht kommt, wird der GAU noch heftiger werden.

Die Vorfälle im Fall Harry Wörz erinnern an Methoden der Stasi oder gar der Gestapo. Und sind leider keine Einzelfälle im Bereich der Pforzheimer Polizeidirektion. Es ist unerträglich und ein Skandal, dass bis heute die betreffenden Polizisten nicht im Geringsten zur Verantwortung gezogen, ja sogar noch befördert wurden. Der des versuchten Totschlags und des mutmaßlichen Drogenmissbrauchs beschuldigte Beamte befindet sich weiterhin, schon seit einem Jahr auf freiem Fuß. Eigentlich unerklärlich. Oder doch nicht? Die Staatsanwaltschaft hüllt sich in Schweigen.

Dieser Fall muss endlich Konsequenzen haben. Der Augiasstall bei Polizei und Justiz muss gnadenlos ausgemistet werden. Die Verantwortlichen müssen die Spreu vom Weizen trennen und der bundesweiten Öffentlichkeit vermitteln: "Wir haben große Fehler gemacht - aber so etwas kann und wird sich nicht wiederholen." Ansonsten führt sich unser angeblicher Rechtsstaat weiter selbst ad absurdum und mutiert zum Polizeistaat.

Außerdem muss das Opfer Harry Wörz endlich angemessen für seine fast fünf im Gefängnis verlorenen Jahre und die lange Zeit der Seelenqualen und seine hohen finanziellen Verluste entschädigt werden.

Alles andere wäre eine Ungerechtigkeit, die zum Himmel schreit!

Jürgen Wiedmann
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