Ilmenau: Rechte Umtriebe nehmen zu

AGIL 11.10.2010 20:23 Themen: Antifa
Faschistische Strukturen treiben steigend ihr Unwesen in Ilmenau und Umgebung. Nächtliche Sprüh- und Klebeaktionen, Flyeraktionen, Anschläge: die Nazis kämpfen um die Hegemonie in der Kleinstadt. Nachdem bereits der bekennende Faschist David Poppel als Beisitzender in den Jugendbeirat gewählt wurde, schrecken die Nazis auch vor Anschlägen nicht mehr zurück. An diesem Wochenende kam es zu zwei Pflastersteinattacken gegen Gebäude, in denen sie Antifaschist_innen vermuteten.
Krise der Demokratie

In Ilmenau gibt es seit kurzem einen Kinder- und Jugendbeirat. Die Entstehung des Beirates dauerte über ein halbes Jahr und ist schlicht ein Trauerspiel gewesen. Bevor ein legales Organ für mehr Mitbestimmung in die Welt gerufen werden konnte, mussten erst einmal die Formalitäten geklärt werden, also die Satzung. Es ist nicht verwunderlich, dass dieser bürokratische Entstehungsprozess keine gute Werbung für neue Mitglieder darstellte. Erst nachdem Mitarbeiter_innen aus der Stadtverwaltung Saalfeld zu Besuch kamen und über ihre Erfahrungen berichtet wurde, erkannte man den Hauptfehler, welcher das Desinteresse in der Ilmenauer Jugend begründet. In Saalfeld gibt es seit der Entstehung 1992 nicht einmal eine Satzung, nur ein paar Regeln, die eingehalten werden müssen.
Dass die Jugendlichen keine Mitbestimmung haben, sondern nur in demokratische Bahnen gelenkt werden sollen, sagt das Anhängsel "Beirat". Hierbei hat der Beirat nur die beratende Rolle, wobei nicht unbedingt auf die Wünsche eingegangen werden muss. Es ist schon traurig, dass es als großen Erfolg gewertet wird, dass Kinder und Jugendliche auch eine Meinung haben und sie diese kenntlich machen dürfen. Ein Privileg von oben, statt einer Demokratisierung von unten. Denn die Stadtverwaltung sträubt sich immernoch gegen ein selbstverwaltetes Jugenzentrum, das seit einiger Zeit von alternativen Jugendlichen gefordert wird (Bericht)
Vorgeschlagen von dem Nazi Martin Gert wurden Martin Porsche, Junge Union- und RCDS-Mitglied an der TU Ilmenau, als stellvertretender Vorsitzender sowie der "Autonome Nationalist" David Poppel als Beisitzender in den Kinder- und Jugendbeirat gewählt. Dieses historische Bündnis zwischen Konservativen und Nazis hat sich schon einmal bewährt, nämlich 1933. Nun kann David Poppel seine nationalistische und antisemitische Politik legal im Schoß der Stadt betreiben. Der 25-jährige fungierte 2008 bei einer Nazi-Demo als Ordner, geht gerne Nazi-Propaganda kleben oder sprühen und verteilt mit Vorliebe Nazi-Flyer mit schlechter Rechtschreibung und noch schlechteren Inhalten in der Stadt. Erst im August diesen Jahres wurde er mit einem seiner Kameraden beim Plakatieren "Am Stolllen" erwischt und durfte die Nacht auf der Polizeiwache verbringen.

Nazis in Pogromstimmung

Am Samstag, den 9.10., verteilten die Nazis verkleidet Flyer und warnten vor dem vermeintlichen "Volkstod". Sie ließen sich jedoch von engagierten Antifaschist_innen schnell vertreiben.
Am späten Nachmittag wurde die Eingangstür eines Hauses in Langewiesen (nahe Ilmenau) mit zwei Pflastersteinen eingeworfen, weil sie dort einen antifaschistischen Jugendlichen aus dem Dorf vermuteten.
Sonntag gegen Mitternacht wurden wieder Pflastersteine geworfen. Diesmal in eine linke WG, auch sie passt den Nazis nicht. In der Kneipe um die Ecke, wo sich gerne einige Nazis treffen, machte man die Wohnung wohl für einige Anti-Nazi-Aufkleber verantwortlich, die den Gästen den Appetit verdorben haben.

Ostdeutsche Provinz

Ihre mangelende Bildung wollen die Nazis nun mit Aktivismus wettmachen, ob ihnen das gelingt, hängt auch von der antifaschistischen Gegenwehr ab. Das Leben für alternative und antifaschistische Jugendliche wird zunehmend trister in der Kleinstadt. Verantwortlich dafür sind nicht nur die Nazis, sondern auch Lokalpolitik und bürgerliche Medien, die die Mär vom bösen "Extremismus" verbreiten. Die bürgerliche Totalität ist soweit, dass Linke und Rechte gleich schlimm seien und verharmlosen damit die Gewalt gegenüber den Menschen, die den Nazis nicht ins Bild passen, die alltäglich von Nazis in der ostdeutschen Provinz ausgeübt wird und relativieren damit die Verbrechen des Nationalsozialismus.
Nach dem Alkoholverbot, um die örtliche Punk-Szene los zu werden, dem Räumen besetzter Häuser bundesweit, um die "rechtsfreien Räume" zu zerschlagen, zunehmender Repression gegen antifaschistisch engagierte Menschen in der Region und rassistischer Hetze gegen Migrant_innen á la Sarrazin nebst ideologischen Trittbrettfahrern, steckt die bürgerliche Gesellschaft immernoch in der Krise. Dass die Krise des Kapitalismus nicht emanzipatorisch gelöst werden soll, hat der Staat klar gemacht. Mit Rechtspopulismus jedoch lassen sich Wahlen gewinnen, das zeigt sich nicht nur in Arnstadt, sondern auch in europäischen Nachbarländern. Die Stoßrichtung ist also klar. Und wen wundert es da noch, dass ein Nazi in ein Gremium der Stadt zur Repräsentation der Jugend gewählt wird?


mehr Info aus der Region unter http://agst.afaction.us
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Ergänzungen

Schon lange gefestigt

King George 12.10.2010 - 19:20
Was mir an dem Beitrag nicht gefällt ist der Umstand, dass ein Mosaiksteinchen unter vielen zum großen Wurf deklariert wird. In Ilmenau gibt es schon seit Jahren/Jahrzehnten ein manifestiertes Problem mit Neonazis und der konservativen Mitte der Gesellschaft (und nicht nur in Ilmenau). Nur weil ein 25jähriger Naseweiß in einem Beirat sitzt, ist den Faschisten noch nichts gelungen. Der Vergleich mit 1933 ist nicht nur übertrieben sondern auch dumm. Natürlich ist es ein Warnsignal, wenn Neonazis Gebäude und deren Bewohner_innen attakieren, es ist allerdings nicht mit den Leiderfahrungen der Naziopfer von 1933 vergleichbar. Denn wie der Bericht ja richtig erkennt gibt es ein Demokratiedefizit in Ilmenau, nicht jedoch eine offen nationalsozialistische Gesellschaft. Das Problem ist eben jenes, dass die bürgerliche Mitte mit einem inflationären Extremismusbegriff hantiert, blind vor der Konsequenz damit die gefestigten faschisischen Strukturen zu zementieren während man die Keime antifaschistischer Politik damit erstickt. Weil - so die Fehleinschätzung - es sei ja alles gleich übel und müsse somit gleichstark bekämpft werden. Ein Heimvorteil für FaschistInnen die sich schon etabliert haben und für die diese gleichen Mittel viel zu Lasch sind.

Neben den Verbindungen zwischen RDCS gab es auch schon Vorfälle, bei denen es rechtsgerichtete Angriffe von lokalen Bikergangs auf alternative Lokalitäten (links wäre übertrieben) gab. Auch der Umstand das die Stadt überhaupt den Faschisten ein Jugendzentrum gab (das ehem. Blaue Wunder) zeugt von der Ohnmachtssituation der Stadt, die sich nicht besser zu helfen weiß als ihren (!) Kids alle Wünsche von den Lippen abzulesen.
Wie schön wäre da der Volkstod ;).