Berlin: Vera Lengsfeld befreit Kreuzberg

Kommando Tolerantes Bebra 28.08.2009 10:39 Themen: Freiräume
Die ehemalige Bürgerrechtlerin Vera Lengsfeld hält in Friedrichshain-Kreuzberg die letzte Bastion gegen den Untergang des Abendlandes
“Freiheit und Fairness statt Gleichheit und Gerechtigkeit”*



„Die intolerante, dogmatische linke Szene ist zwar längst marginalisiert, ohne jeden Rückhalt in der Bevölkerung. Sie beherrscht aber nach wie vor die Medien. Leider.“ Diese knallharte, mutige Analyse kann man im Wahlkampf-Blog von Vera Lengsfeld nachlesen, die sich zur Zeit als Direktkandidatin für den Splitterverband der CDU in Friedrichshain-Kreuzberg versucht. Als dogmatische Linke tun wir nun dies, was von uns erwartet wird, und machen uns ein paar intolerante Gedanken zu Frau Lengsfeld. Da wir die Medien beherrschen, wird es uns ein Leichtes sein, ihren erneuten Einzug in den Bundestag zu verhindern und sie endlich gänzlich zu marginalisieren.

Vera Lengsfeld war seit den 70er Jahren in der DDR-Opposition aktiv und deswegen auch immer wieder Opfer verschiedener Repressionsmaßnahmen. 1988 wurde sie aus der DDR abgeschoben, kehrte kurz darauf zurück und wurde in der so genannten Wendezeit für die DDR-Grünen Mitglied der Volkskammer. Später ging sie für das Bündnis 90 in den Deutschen Bundestag, dessen Mitglied sie bis 2005 blieb. Zwischendurch wechselte sie die Seiten und wurde 1996 Mitglied der CDU-Bundestagsfraktion, angeblich weil ihr die Grünen zu PDS-nah waren. Und nun will sie wieder für die CDU ins Parlament. Als besonders chancenreich wird ihr Antritt von der Partei allerdings nicht gesehen. Sonst hätte sie Frau Lengsfeld sicherlich eine vernünftige Homepage spendiert, CDU-Größen wie Christian Wulff würden sich nicht im Fernsehen über ihre Wahlkampagne mokieren und ihr Wahlkampfmanager hätte nicht einfach hingeschmissen.

Die ehemalige Bürgerrechtlerin, die sich heute einen konservativen Anstrich gibt, verarbeitet nun bei jeder sich bietenden Gelegenheit ihre DDR-Vergangenheit. Dies ist nicht nur legitim, sondern stünde vielen anderen Persönlichkeiten auch gut zu Gesicht. Leider sieht diese Verarbeitung bei Frau Lengsfeld so wirr aus, dass sie alles, was sie als „links“ definiert, irgendwie mit der SED bzw. der PDS gleichsetzt, und das alles irgendwie in einem großen weltkommunistischen Zusammenhang einordnet. So kann man in ihrem Wahlkampfblog dann auch die unterschiedlichsten Variationen konservativ-vermiefter Abneigung gegen alles „Linke“ lesen, die – typisch für dieses Milieu – aus dem Zusammenreimen unterstellter Bösartigkeiten besteht, die allesamt den Untergang des Abendlandes als alleiniges Ziel haben. Der Konservative an sich sieht sich in diesem Zusammenhang als aufrechten Kämpen im Grabenkampf gegen die linken Horden, die sich in Gestalt von Lafontaine, südamerikanischen Guerrillas, der PDS, Autonomen oder den 68ern daran gemacht haben, seinen Stammtisch zum Volkseigentum zu erklären bzw. sein letzten Samstag gewaschenes Auto anzukokeln.

So versucht Frau Lengsfeld in einem Text von 2007 sich mit der Person Oskar Lafontaine auseinanderzusetzen. Dabei wirft sie, basierend auf angeblichen Äußerungen Lafontaines zu den sozialistischen Ostblockstaaten, „der Linken“ vor, sich „aus der Verantwortung für ihre Geschichte“ stehlen zu wollen. Schließlich, und hier hat Frau Lengsfeld gut aufgepasst, wurden dort Menschen unter dem Label „Sozialismus“ traktiert, misshandelt und umgebracht. Sich damit auseinanderzusetzen, ist angebracht und wird vielfach getan. Der Schuldzuweisungskitsch lengsfeldscher Prägung allerdings ist aufgeblasenes Geplapper. Denn wenn es Frau Lengsfeld um eine ernsthafte Auseinandersetzung mit historischen Zusammenhängen ginge, hätte sie nicht Friedrich-August von Hayek zu ihrem „Lieblingsdenker“ erkoren, wie es auf ihrer Internetseite nachzulesen ist. Wenn es Frau Lengsfeld um gefolterte und ermordete Menschen ginge, würde sie sich mit der Ideologie ihres „Lieblingsdenkers“ auseinandersetzen, die die autoritären Regime Lateinamerikas zur Doktrin erhoben und Hand in Hand mit den Jüngern von Hayeks und Friedmans Abertausende Menschen folterten und ermordeten. Wo ist denn da „die Verantwortung“ der Neoliberalen für ihre Geschichte? Aber um solche Spitzfindigkeiten geht es Frau Lengsfeld gar nicht, ihr geht es angeblich um „Freiheit“. In ihrem Blog heißt es: „Als Bundestagskandidatin trete ich dafür ein, dass wir alle – Ost- und Westdeutsche – einen starken, einen vollentwickelten Begriff von Freiheit erobern müssen.“

Wie Frau Lengsfeld selbst es mit der Freiheit hält, wurde Mitte der 90er Jahre deutlich. Damals veröffentlichten Wiglaf Droste und Gerhard Henschel den heiteren Fortsetzungsroman „Der Barbier von Bebra“ in der taz. In dieser Geschichte geht ein geheimnisvoller Mörder im Nachwende-Deutschland um, der unter Anderem einige Bürgerrechtler auf phantasievolle Weise umbringt, nachdem er ihnen die Bärte gestutzt hat. Neben Wolfgang Thierse (Klarinette in der Gurgel) müssen auch Rainer Eppelmann (Beton an den Füßen) und Jürgen Fuchs (in Shampoo ertränkt) dran glauben. Frau Lengsfeld fand das alles gar nicht witzig und weil „Freiheit“ anscheinend nur gilt, wenn sie Frau Lengsfeld gerade in den Kram passt, versuchte sie allen Ernstes einen Boykott der taz anzuzetteln. Das Vorhaben ging aber in die Hose, denn die Anhängerschaft Lengsfelds hielt sich auch damals schon in Grenzen. Wahrscheinlich war das Ganze auch gar nicht politisch gemeint und Frau Lengsfeld nur stinkig, weil sie, die wichtigste Freiheitskämpferin der Welt, nicht in dem Roman vorkam.

Wenn Frau Lengsfeld sich schon um die Freiheit der Kunst und der Presse nicht zu scheren scheint, wie hält sie es mit anderen Grundrechten? Zum Protesttag rund um den stillgelegten Flughafen Tempelhof im Juni dieses Jahres heißt es in ihrem Wahlkampf-Blog:

„Etwa 1,8 Millionen Euro hat nach Schätzungen der Polizeigewerkschaft am letzten Wochenende der Polizeieinsatz zum Schutz des gesperrten Flughafens Tempelhof gekostet. Geld, das für die Kreuzberger Schulen und Integrationskurse, die Friedrichshainer Kitas, die Bibliotheken in Prenzlauer Berg fehlt. Aber was soll’s. Die Leute, die diese Kosten verursacht haben, hatten ihren Spaß. Sie haben sich mit der Polizei ein Katz-und-Maus-Spiel geliefert. Viele Polizeibeamte mussten das Wochenende getrennt von ihren Familien verbringen, die Kosten des Polizeieinsatzes trägt der Steuerzahler.“

Demonstrationen und Kundgebungen sind für LengsfelderianerInnen also kein zu verteidigendes Grundrecht, sondern Kostenfaktoren, die darüber hinaus die armen Schutzmänner um das entspannte Wochenende bringen. Wahrscheinlich marschieren „legitime“ DemonstrantInnen nach solchen Vorstellungen nur in Reih und Glied und haben am besten noch ein blaues Hemd an. Ganz schön verdreht kommen auch andere historisch-politische Analysen im Blog von Frau Lengsfeld daher. In einem Text über „Freiräume“ wird genau geschildert, was „Extremisten“ machen müssen, damit der Staat geschwächt wird. (Hoffentlich liest diese detaillierte Anleitung jetzt kein/e ExtremistIn und schwächt danach den Staat):

„Wichtig ist: Die Polizei und die Justiz müssen durch weit gestreute, praktisch nicht mehr beherrschbare Einzelaktionen an der Erfüllung ihrer Kernaufgaben gehindert werden! In die so erkämpften Freiräume sickern Drogenhändler, links- und rechtsextreme bewaffnete Kräfte ein, der Staat zieht sich zurück. Dieses Rezept funktioniert, es hat seine Tauglichkeit wieder und wieder unter Beweis gestellt – in Russland im Jahr 1917 nach der Februarrevolution, in südamerikanischen Staaten heute, und sogar in unserem schnuckligen, kleinen und feinen Kreuzberg. In der Hasenheide ist das so, im Künstlerhaus Bethanien auch. Ist das nicht schön? Wir sind doch Eine Welt!“

Das Ganze ist natürlich konstruierter Quatsch. Allerdings wird es gänzlich abstrus, wenn die samtpfötigen Bethanien-BewohnerInnen mit bewaffneten Gangs in den Slums südamerikanischer Städte gleichgesetzt werden. Doch nicht nur dies. Weil die „Freiraum“-BewohnerInnen des Bethanien nicht in die idealisierte Datschenwelt passen, wird einfach die Tatsache ignoriert, dass sie Mietverträge haben und man rührt sich schnell eine Geschichte mit „Extremisten“ zurecht. Also wieder mal typisch „konservativ“: Auf die Fakten scheißen und sich die Realität so garstig hinbiegen, wie man sie gerade braucht.

Deswegen kandidiert Frau Lengsfeld doch im angeblich so linken Friedrichshain-Kreuzberg. Wo man noch angeraunzt wird, wenn man kriegsheldenhaft einen CDU-Sonnenschirm aufstellt, wo dieser Splitterpartei nur von wenigen aufrechten Mütterlein und ein paar Milchbärten der Jungen Union die Stange gehalten wird, wo brave CDUler sich als Opfer fühlen können – genau da ist Frau Lengsfeld berufen, sich schrill und selbstlos aufzuopfern für die Freiheit der verfolgten Konservativen. Denn wo keine Feinde sind, da könnte sie nicht ständig als Verteidigerin und Bewahrerin und Mahnerin und was sonst noch alles gehen – Stahlgewitter von Mexico City bis Kreuzberg und Lady Liberty vorweg, verteidigend, bewahrend und mahnend.



*Wahlkampfmotto von Vera Lengsfeld. Dessen Sinn bitte bei Frau Lengsfeld selbst erfrage
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Ergänzungen

Suspekte DDR-Bürgerrechtler

@@@@@@@ 28.08.2009 - 12:42
Nur mal so nebenbei .. is schon seltsam, wie erzreaktionär doch recht viele der selbsternannten DDR-Bürgerrechtler offensichtlich sind, wenn sie heute bei der CDU ihre politische Heimat haben, während sie sich zu DDR-Zeiten im Schoß der Kirchen verkrochen haben, um den Sozialismus zu zersetzen.

Die Bevölkerung der DDR wollte damals mehrheitlich einen anderen und reformierten Sozialismus. Nicht das, wofür Lengsfelds Bürgerrechtsabbau-Partei steht!

Guter Artikel. Danke!

Rechtskonservatives Pack

henrik broiler 28.08.2009 - 13:01
In dem Artikel fehlt leider der Hinweis, dass Lengsfeld zur Autoreninnenschaft der rechtsradikalen "Junge Freiheit" gehört. Das sagt doch eigentlich schon alles über diese Frau aus.

bzgl. " Suspekte DDR-Bürgerrechtler"

Entdinglichung 28.08.2009 - 13:32
ist teilweise eine eher medial generierte Wahrnehmung, weil Leute wie Lengsfeld, Nooke, Neubert, Templin, Birthler & Konsorten in den Medien gehypt werden, gibt da aber auch einen ganzen Haufen andere, z.B.:

-  http://www.labournet.de/branchen/dienstleistung/eh/emmely_buergerrechtler.pdf
-  http://www.labournet.de/diskussion/arbeit/aktionen/herbst04ddr.html

auch islamophob

Paul 28.08.2009 - 13:43
Tante Lengsfeld hat nicht nur in einer ihrer wenigen Volkskammerreden das Schicksal der Imker hervorgehoben, von welchen sie mit einem verheiratet war, der sich dann als IM entpuppte. Das erklärt vielleicht ihren pathologischen Irrsinn. Ausserdem war sie mit aktiv in der Kampagne gegen den Moscheebau in Pankow und ging schon mal auf Tuchfühlung zum rechten Mainstream. Frau Lengsfeld begreift sich gemeinsam mit ihrem Wahlkampfberater Modest Broder als Ritter im Kreuzzug zur Verteidigung des Abendlandes.

Ergänzung

@re 28.08.2009 - 14:48
Vera Lengsfeld war ab 1975 Mitglied der SED. Sie ist also von einer konservativen Partei über eine linke Bewegung wieder zu einer konservativen Partei gekommen.

sogar linkssozialistische opposition!

geschichte 28.08.2009 - 17:34
Lengsfeld, damals noch Wollenberger (hat sich später von ihrem Mann getrennt, nachdem rauskam, das der sie bespitzelt hat) ist in der Tat eine interessante Figur. Sie war in der DDR Mitglied in einer explizit sozialistischen Gruppe, die sich eben ganz klar von dem abgegrenzt hat, was bis heute so als "Bürgerrechtler" unterwegs ist... Hier Wikipedia:

Die Gruppe "Gegenstimmen" (teilweise auch Gegenstimme genannt) war eine Oppositionsgruppe in der DDR. Die im wesentlichen in Ost-Berlin existierende Gruppe, in welcher linke Christen und oppositionelle Marxisten Mitglieder waren, entstand Mitte der 1980er Jahre und setzte sich durch ihren betont sozialistischen Anspruch von der Initiative Frieden und Menschenrechte ab. Bekannte Mitglieder der Gruppe waren unter anderem Thomas Klein, Reinhard Schult, Marion Seelig und Vera Wollenberger. Die Gruppe war eine der initiierenden Kräfte der in Ost-Berlin stattfinden Aktivitäten gegen den IWF-Gipfel in West-Berlin im Oktober 1988, welche gleichzeitig mit den Protesten und Demonstrationen in Westberlin stattfanden. Im Herbst 1989 schlossen sich Teile der Gruppe der Vereinigten Linken, andere den Grünen und dem Neuen Forum an.

Die Bürgerrechtlerinnen

89er!!! 28.08.2009 - 19:43
von damals, die heute noch was im politischen Geschäft sind, sind leider häufig so Trunken von der angeblichen Freiheit und vor allem dem materiellen Reichtum des kapitalistischen Marktes (auf dessen eher besserer Seite sie sitzen), dass sie gar nicht merken, dass hier und heute stattliche und private Überwachung öffentlicher Räume, des Internets, der MitarbeiterInnen, die Einführung der elektronischen Krankenkassenkarte, die Ausweise mit biometrischen Bildmaterial und/ oder Fingerabdruck, Folterkeller geduldet, mitorganisiert oder eben einfach wegschauend tolleriert usw. in der Tendenz und Absicht nichts anderes ist, als der Versuch Menschen unter Kontrolle zu halten, sie notfalls zu kriminalisieren, ihnen nicht zu vertrauen und dafür zu sorgen, dass die Macht und deren Struktur im Großen und Ganzen so verteilt bleibt, wie bisher ... Wer der StaSi Feind war, der/ die sollte auch Feind des heutigen Überwachungswahns seitens der Konzerne und der Gesetzgeber sein.

Es gibt solche, nur werden diese in Medien und Öffentlichkeit nicht mehr oder nur sehr selten wahrgenommen, gehört und was hinzu kommt: viele derer von damals, die nicht den neuen Politmachtscheiß mitgemacht haben, haben sich zurückgezogen und eben auch damit zu kämpfen gehabt, sich in der BRD über Wasser zu halten.

PS. Die linke Hausbesetzerszene des Osten 1988/1993 war auch Teil der Opposition - in den meisten ehemaligen Bezirksstädten gabe es ganze Viertel von besetzen Häusern - ab 1990 zumindest in Berlin auch als Experiment zwischen Ost und West - Linken. Diese Zeit und Bewegung sollten wir uns zuwenden und lernen, verstehen und vor allem auch für uns nutzen, anstatt diesen "Größen" der Bürgerrechtler aufs Maul, sorry auf den Ausschnitt zu schauen.

DDR opposition

sandra 29.08.2009 - 09:03
es gibt eine recht gute webseite zur DDR opposition, die ein weit breiteres bild aufzeigt von dem was es an wiederstand gab. eben weit mehr als die wendegewinner oppositionelllen bürgerrechtler und so. die webseite isz von der robert havemann gesellschaft gemacht worden.

www.jugendopposition.de/

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