Frontex - Schreibtischtäter und Agenten

dpreg 13.08.2009 17:59
"Frontex trägt Anzug, nicht Uniform."

"Frontex ist keine EU-Polizeieinheit, Frontex ist auch keine europäische Küstenwache. Frontex koordiniert aber mittlerweile die Küstenwachen der südlichen EU-Staaten und ist eine Agentur, die sich mit der Frage beschäftigt, wie man dem Ziel, europäische Sicherheitskräfte mit polizeilichen Befugnissen zu schaffen, näher kommen kann."
Was sich die EU-Sicherheitspolitiker gedacht haben, als sie ihrer neuen "Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen" den martialischen Namen "FRONTEX" (abgeleitet aus Frontiers Exterieurs) gegeben haben, ist unklar. Haben sie sich damit einen Gefallen getan? Wohl kaum, mag man zunächst meinen. Die Agentur hatte von Anfang an keinen guten Ruf. Noch bevor erste Informationen über ihre Tätigkeiten durchsickerten war für viele klar: Frontex steht für die Militarisierung der Migrationspolitik, Frontex verletzt Menschenrechte. Entsprechend hoch waren auf der anderen Seite die Erwartungen, Frontex würde nun doch endlich die Grenzen dicht machen, Schluss machen mit der "Invasion von Afrikanern" übers Mittelmeer und die Kanarischen Inseln. Rechts wie Links wurde Frontex als eine martialische Gendarmerietruppe imaginiert, welche die Grenzen gegen ünerwünschte Immigranten abriegelt. Zumindest die letzte Erwartung scheint mittlerweile in sich zusammengefallen. Es war bislang eher von Misserfolgen der Agentur die Rede - zumindest gemessen an den in sie gesetzten Erwartungen und Befürchtungen.

Das liegt daran, dass sich die Grenzen nicht so einfach dicht machen lassen, jedenfalls nicht mit martialischen Gendarmerietruppen.

Trotzdem könnte es sein, dass die Ankunft von Bootsflüchtlingen dieses Jahr tatsächlich aufhört, zumindest auf denjenigen Routen, die bislang am meisten benutzt werden. So spekuliert zumindest Bernd Kasparek in der neu erschienenen Broschüre "Frontex - Widersprüche im erweiterten Grenzraum". Denn die Frontex-Operation Hera, die dem Hörensagen nach auf bzw. vor den Kanarischen Inseln, tatsächlich aber immer mehr vor der Westafrikanischen Küste, in Senegal und Mauretanien stattfindet, scheint erfolgreich zu sein. Durch die Zusammenarbeit mit den Polizeien der Transitstaaten wurde diese Route weitgehend blockiert. Bernd Kasparek beschreibt, wie die Operation Hera in verschiedenen Phasen verschiedene Methoden ausprobierte, ein Modell zur Fluchtverhinderung weiterentwickelte, bis es zu funktionieren schien und dieses nun an der gesamten europäischen Südflanke zur Anwendung bringen will. Zweifellos, dieses Modell beinhaltet militärische Aufklärungsflugzeuge, bewaffnete Grenzschützer, Menschenrechtsverletzungen und all das. Dass diese aber effektiv werden, setzt Absprachen, internationale Abkommen, Gesetzesänderungen in Drittstaaten und vieles mehr voraus. Eine Arbeit, die auf Konferenzen und an Schreibtischen erledigt wird - von Frontex.

Ähnliches dokumentiert Conni Gunßer im Bereich der Abschiebungen. Jede Ausländerbehörde kann ein Flugzeug chartern oder Plätze in einem Linienflug buchen, sie kann die Polizei anweisen Menschen in den Morgenstunden abzuholen und unter Zwang in die Flugzeuge zu "verfrachten". Doch es existieren Hindernisse praktischer und rechtlicher Art und nicht zuletzt auch die perverse Frage nach der "Rentabilität". Vor allem aber muss die Nationalität der Betroffenen geklärt sein und sich der Zielstaat einverstanden erklären, diese aufzunehmen. Warum sollte er das, wie wird er dazu gebracht, wie können die Menschen möglichst einfach, billig im doppelten Wortsinne, identifiziert und abtransportiert werden. Auch darüber macht sich Frontex Gedanken, exportiert das "erfolgreiche" deutsche Modell der Abschiebeanhörungen mit willigem Botschaftspersonal und organisiert Charterabschiebungen auf Europäischer Ebene. Bürokratische Akte, die auf Konferenzen und an Schreibtischen vollzogen werden. Von Frontex.

Vorraussetzung für Abschottung und Ausschaffung ist die Illegalisierung. Wie diese durch die internationale Vernetzung von Polizeien und Geheimdiensten vollzogen wird, beschreibt Christoph Marischka. Schon in den Herkunfts- und Transitstaaten beobachten Verbindungsbeamte das Migrationsgeschehen. Nimmt dieses unerwünschte Züge an, werden die notwendig hinter Migrationen stehenden Netzwerke analysiert - von Organisationen wie Europol oder Geheimdiensten, die quasi per Definition "transnational organisierte Kriminalität" aufdecken müssen. Auf der Grundlage von vagen Informationen aus den geheimdienstlichen Netzwerken werden dann ganze Routen kriminalisiert die auf formal völlig legalen Vorgängen basieren.

Die Broschüre "Frontex. Widersprüche im erweiterten Grenzraum" wurde von der Informationsstelle Militarisierung herausgegeben. Es überrascht ein wenig, dass genau diese Institution - die Frontex keineswegs freundlich gegenübersteht - das Bild der martialisch auftretenden Grenzschutztruppe so gründlich demontiert. Auf den ersten Blick wirkt die Broschüre fast wie ein Beweis, dass der Grenzschutz eben doch nicht militarisiert, allenfalls vergeheimdienstlicht wird. Tatsächlich aber bietet die Broschüre auch viele Anhaltspunkte dafür, die Schreibtischtäter und Agenten von Frontex eben doch als Teil einer Kriegsführung zu verstehen, welche die Gegenwart und wohl auch die Zukunft bestimmen wird. So zeigt das Bremer Bündnis gegen Frontex in seinem Beitrag zur Verstrickung der Bremer Rüstungsindustrie in die Flüchtlingsabwehr, dass sich die Tätigkeit von Frontex nahtlos in die neue NATO-Strategie einfügt und darüber hinaus, dass es exakt die selben Fähigkeiten sind, die Frontex für den Grenzschutz und das Militär für seine Stabilisierungseinsätze entwickeln - gemeinsam. An anderer Stelle werden die "Schnellen Eingreifkräfte für den Grenzschutz" als eine Form der Okkupation bezeichnet da mit diesen Polizeikräfte geschaffen wurden, die ohne klare rechtlich Grundlage und Verantwortlichkeit agieren können - mitten in Europa und auch gegen europäische Bürger. Ein weiterer Beitrag geht auf die Sicherheitsforschung ein, die von Frontex mitgestaltet und der Rüstungsindustrie umgesetzt wird. Drei Autorinnen eines Autonomen Seminars "Grenzräume Europas" liefern in einem kurzen Beitrag über einen Besuch in der Frontex-Zentrale in Warschau erschreckende Beispiele dafür, wie ökonomisch die Agentur denkt und spricht und wie "unpolitisch" sie sich dabei gibt. Dieser Eindruck bleibt und wird durch viele andere Beiträge vertieft: Frontex als unpolitischer Dienstleister für die Seite der Herrschenden im sozialen Bürgerkrieg! Dieser wird in der Ukraine, in Nord- und Westafrika und auf hoher See durchaus auch mal blutig geführt, aber eben auch an Schreibtischen und auf Konferenzen in und um Europa. Und er wird von der Gegenseite auf die Straße und in die Öffentlichkeit gezerrt. Nicht nur in Bremen, auch in Lübeck, Warschau und in Bamako wurde bislang das dreckige Geschäft von Frontex thematisiert und angeprangert. Auch davon berichtet die Broschüre. Der nächste Termin hierfür ist noch in diesem August das Grenzcamp auf der griechischen Insel Lesvos. Gegen Schreibtischtäter, Agenten und deren nationale Schergen!

Die Broschüre kann bei der IMI heruntergeladen und/oder bestellt werden.
 http://www.imi-online.de/2009.php3?id=2002
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Ergänzungen

noborder camp lesvos (25.8. - 31.8.2009)

fight frontex at work 14.08.2009 - 12:29