Prozess gegen Neonazis in Delmenhorst.

Beitrag. 29.07.2009 20:59 Themen: Antifa
Am heutigen Mittwoch, dem 29. Juli 2009, standen zwei Mitglieder der regionalen Neonazistruktur vor dem Jugendgericht Delmenhorst. Die Angeklagten, Kevin B. (Bookholzberg) und Niklas R. (Wildeshausen) wurden aufgrund von Sachbeschädigung zu einerseits 60 Sozialstunden - und weiter 250 Euro Bußgeldzahlungen verurteilt. Eine Anzeige aufgrund von gefährlicher Körperverletzung wurde bereits vor Prozessbeginn fallengelassen. In Sichtweite des Amtsgerichts führten 40 AntifaschistInnen eine Kundgebung durch, um auf die kontinuirlichen Naziaktivitäten in Delmenhorst hinzuweisen.
Keinesfalls ein trauriger Einzelfall
Die im heutigen Prozess angeklagten Neonazis sind aktive Mitglieder der regionalen Neonaziszene. Weiter ordnete sich die Verhandlung in eine konstante Abfolge von Übergriffen- und Aktionen ein, an denen auch die Angeklagten beteiligt waren.
Tatsächlich bildete sich innerhalb der letzten Jahre eine aktive Struktur: Hauptsächlich drei Gruppierungen agieren am rechtsradikalen Rand. So sind die „Jungen Nationaldemokraten“ als die Jugendorganisation der NPD zu nennen; kontinuierlich verteilen sie große Stückzahlen eigene Flugblätter in Wohngebieten und an Schulen, kleben zahlreich ihre Aufkleber, plakatieren und beschmieren Wände mit rassistischen Parolen.
Zudem produzieren sie derzeit in Eigenregie eine Zeitung mit dem harmlos-anmutenden Titel „Delme-Bote“. Diese Zeitung propagiert auf mehreren Seiten antisemitische, völkisch-rassistische Kapitalismuskritik und führt als einzigen Ausweg den "nationalen Sozialismus" an – nichts Anderes als den Nationalsozialismus von vor über 60 Jahren. Die „Aktionsgruppe Delmenhorst“ veranstaltete mit einem Fackelzug am 15. November 2008 den ersten Naziaufmarsch in Delmenhorst seit 1945 und organisiert Schulungs- und Saalveranstaltungen mit überregionaler Beteiligung.
Die „Jungen Nationaldemokraten“ und die „Aktionsgruppe Delmenhorst“ offenbaren sich gerade mit Hinblick auf die kommende Bundestagswahl als unheilvolle Konstellation und betreiben zur Zeit beinahe ausschließlich Wahlpropaganda für die NPD
Selbst der Versuch von Neonazis, einen Antifaschisten nach anfänglichen Pöbeleien mit dem Auto anzufahren, fand weder polizeilich, noch medial Beachtung oder löste gar Entsetzen aus. Vielmehr verlor sich auch dieser Vorfall in der üblichen Kontinuität von Negation, Ausblendung und Relativierung seitens öffentlicher Organe und Institutionen wie Polizei, Lokalpolitik und -presse. So werden auch rechtsradikale Graffitis als vermeintliche Diffarmierungsversuche von "Linken" fehlinterpretiert und regelmäßig die Verteilaktionen offen antisemitischer Agitationsschriften an Schulen und in Wohnbezirken herunterspielt. Auch alternative Veranstaltungen wie z.B. Konzerte, die sich inhaltlich offen von rechten Strukturen distanzieren, wurden in jüngster Vergangenheit von kleineren Neonazigruppen angegriffen.

Grundlage
Die heutige Verhandlung resultierte aus einer durch eine Neonazigruppe ausgeführte Aktion. So brachten Neonazis im Sommer 2008 Aufkleber im Stadtgebiet an, als sie durch zwei Personen angesprochen wurden. Nach kurzer Zeit umringte die Gruppe um die Neonazis Kevin B., Niklas R. und Anika K. die heutigen Ankläger_Innen und attackierten diese mit Reizgas - weiter wurden die Kläger_Innen massivst bedroht.

Keineswegs jedoch ist der heutige Prozess - und das vergleichsweise milde Urteil (eine Klage aufgrund gefährlicher Körperverletzung wurde zu Beginn abgelehnt) die erhoffte Lösung der Neonaziproblematik in Delmenhorst. Aus diesem Grund demonstrierten etwa 40 AntifaschistInnen in Form einer Kundgebung vor dem Amtsgericht und verteilten mehr als 500 Flugblätter um die Neonazigewalt und -aktivitäten des letzten Jahres zu thematisieren.

So forderten die Demonstrant_Innen im Verlauf der Kundgebung in Redebeiträgen und den verteilten Flugblättern wie folgt:
Im Kontext neonazistischer Aktivität ist es notwendig, aktiv gegen Faschismus und seine Wurzeln anzugehen. Die vielfach nahezu störungsfreien Aktionen der Neonazis müssen endlich skandalisiert, blockiert und verhindert werden!
Weiter sei eine antifaschistische Intervention in Delmenhorst vonnöten - Neonazis sollten als gesamtgesellschaftliches Problem erkannt und bekämpft werden. Letztlich wurde aufgerufen weitere Menschen über die Aktivitäten der Neonazis zu informieren.

Prozess und Kundgebung
Entgegen anfänglicher Vermutungen wurden die einschlägig bekannten Neonazis letztlich zu einer Bußgeldstrafe und Sozialstunden verurteilt. Niklas R. (Wildeshausen) versuchte einer Strafe zu entgehen, indem er sich nach gängiger Neonazipraxis von den Mittätern distanzierte und einen Ausstieg aus der Neonaziszene angab.


Antifaschistische Kundgebung in Delmenhorst.

Dennoch versammelten sich seit dem frühen Morgen Neonazis in Delmenhorst. Unter anderem trafen sich Mario Müller (Delmenhorst), Julian Monaco (Delmenhorst, ehemals Soltau), Sebastian Müller (Delmenhorst), Jonathan von S. (Bookholzberg) - sowie weitere Mitglieder der delmenhorster Naziszene bereits früh vor dem delmenhorster Amtsgericht und posierten martialisch mit Handschuhen.

Mehrfach versuchten diese Antifaschst_Innen zu provozieren und anzugehen. Vor den Kameras eines Fernsehteams postierte sich Neonazikader Mario M. vermummt und mit einem Karabinerhaken in der Faust bewaffnet auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Die anwesenden Polizeikräfte reagierten mit einem Platzverweis für etwa 8 der insgesamt rund 15 Nazis zu diesem Zeitpunkt. Dennoch versuchten mehrere Neonazis mehrfach erneut zur Kundgebung der Antifaschist_Innen zu gelangen.


Mario Müller mit Schlagutensil.


Zuvor: Mario Müller und Julian Monaco (Delmenhorst).

Insgesamt jedoch lässt sich der heutige Tag als Erfolg bewerten. 40 Antifaschist_Innen verteilten mehr als 500 Flugblätter, informierten Bürger_Innen über Neonazis und ihre Aktivitäten in Delmenhorst.
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