Antisemitische Anschläge in und um Rostock

Antifa A3 Rostock 16.01.2009 21:56 Themen: Antifa
In Anbetracht von Schmierereien und Anschlägen auf jüdische Einrichtungen und Relikte jüdischen Lebens in Rostock, Güstrow und Teterow warnt die Antifa A3 vor einer Welle antisemitisch motivierter Gewalt- und Hasstiraden. Allein im Umkreis von Rostock sind für die erste Januarhälfte eine Reihe derartiger Vorfälle zu vermelden.
Rostock, 16.01.2009. In der Nacht vom 7. zum 8. Januar 2009 wurde ein Anschlag auf das Haus der Jüdischen Gemeinde in der Augustenstraße 20, in der Rostocker Steintor-Vorstadt verübt. An der Straßenfront wurden fünf Scheiben zerstört, darunter das Oberlicht über der Eingangstür, in das ein Davidstern eingeschliffen ist. Die Schäden am Gebäudekomplex der Gemeinde - nur wenige Meter entfernt vom Standort der ehemaligen Rostocker Synagoge, welche die Nationalsozialisten während der Novemberpogrome 1938 niederbrannten - waren bereits kurz nach Mitternacht von einer Polizeistreife festgestellt worden, woraufhin der polizeiliche Staatsschutz der Kriminalpolizeiinspektion Rostock wegen gemeinschädlicher Sachbeschädigung [§ 304 StGB] umgehend die Ermittlungen aufgenommen hatte.
Von Seiten der Stadtverwaltung sicherte Oberbürgermeister Roland Methling [parteilos] umgehend Hilfe bei der Beseitigung der Schäden zu, kündigte an die Sicherheitsvorkehrungen zu erhöhen und teilte der Presse mit: „Rostock ist stolz und froh, das zu unserer Stadt heute auch wieder ein reges jüdisches Gemeindeleben gehört!“ Gemeinsam mit dem Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde, Juri Rosov, verurteilte Methling den Anschlag als „schändliche[n] Akt von Vandalismus, der uns sehr entsetzt“. Gegenüber der Ostseezeitung teilte Juri Rosov zudem mit, das Gemeindeleben solle nicht beeinträchtigt werden, wenngleich sich unter den Mitgliedern Trauer und Empörung breit gemacht hätte, als sie die zerstörten Scheiben gesehen hatten. In Bezug auf die antisemitische Logik der Täter, deren Motiv in der Militäroffensive Israels gegen die islamistische Hamas im Gaza-Streifen vermutet wird, stellte der Gemeindevorsitzende unmissverständlich klar: „Ich habe es schon viele Mal gesagt, wir sind keine Vertreter des israelischen Staates.“

Das „Rostocker Friedensbündnis“ und die „Regionalgruppe Mittleres Mecklenburg der DFG-VK“ teilten in einer gemeinsamen Pressemitteilung folgerichtig mit:
„Die wiedergewonnene Möglichkeit für jüdisches Leben in Deutschland ist ein hohes Gut, das durch nichts in Frage gestellt werden darf. Ein Anschlag wie dieser ist zu allen Zeiten zu verurteilen und seine Ursachen müssen bekämpft werden. In diesen Tagen der Eskalation des Nahostkonflikts ist es aber von besonderer Wichtigkeit, angesichts eines solchen Anschlags nicht zur Tagesordnung überzugehen. Wer diesen Anschlag verübt hat, rechnet möglicherweise auf Sympathie, weil er gegen Juden gehandelt hat. Aber jüdische Menschen und die Politik des israelischen Staates sind nicht dasselbe. Die eingeworfenen Scheiben sind deshalb unabhängig von dem möglichen politischen Hintergrund der Täter Ausdruck einer verachtenswerten antisemitischen Logik.“
Auch Vertreter_innen der Rostocker Grünen verurteilten den Anschlag scharf, fühlten sich jedoch zudem - wie auch das „Rostocker Friedensbündnis“ und der „DFG-VK“ - zu einer Stellungsnahme zum Nahost-Konflikt genötigt. Während das Friedensbündnis vorgibt Kritik am militärischen Vorgehen Israels zu üben, ohne „das Leiden der israelischen Zivilbevölkerung (Juden und Nichtjuden) sowie die besondere Angst der jüdischen Bevölkerung des Staates Israel vor einer Bedrohung durch arabische Antisemiten” auszublenden, verknüpfen die Grünen ihre Solidaritätserklärung mit der Botschaft, Israel dürfe die humanitäre Hilfe nicht vernachlässigen und solle ein Mandat der UN befürworten. Wenngleich um eine ausgewogene Berichterstattung bemüht, verkamen diese weltpolitischen Heilsbotschaften in der Lokalpresse zur Randnotiz.

Die Antifa A3 Rostock begrüßt die Solidaritätsbekundungen, äußert jedoch Bedenken einen antisemitischen Anschlag gleichwohl zum Anlass zu nehmen, eine wie auch immer geartete Kritik an der Militäroperation der israelischen Streitkräfte im Gaza-Streifen zu formulieren. „Die Diskussion um das Vorgehen Israels im Nahen Osten scheint völlig aus dem Kontext gerissen. Derartige reflexartige Reaktionen auf antisemitische Ausfälle neigen dazu, das von den Akteuren zurecht verkündete Ziel - die Unterscheidung zwischen israelischer Politik, den Staatsbürgern Israels, sowie den Jüdinnen und Juden der Diaspora - zu unterlaufen und politischer Instrumentalisierung Tür und Tor zu öffnen“ warnt Caroline Jürgens von der Antifa A3. „Zudem muss jedweder antisemitische Anschlag konsequent verurteilt werden, obgleich er sich direkt gegen Repräsentanten und Einrichtungen des jüdischen Staates richtet oder sich eben diese herbeihalluziniert.“

Zunahme antisemitischer Gewalt- und Propagandadelikte

Obschon der Anschlag, seit der Eröffnung des Gemeindehauses im Jahr 2004, ein bisher für die Stadt Rostock unbekanntes Ausmaß markiert, reiht er sich ein in eine Vielzahl antisemitisch motivierter Gewalt- und Propagandadelikte in der Region:Bereits in den ersten Januartagen war das Haus der Jüdischen Gemeinde Rostock Ziel von Schmierereien. Unbekannte hatten die Seitenfront des Hauses und eine mit einem Davidstern verzierte Hinweistafel beschmiert.
Etwa im selben Zeitraum beschmierten offenbar Neonazis aus dem Umfeld der „Nationalen Sozialisten Rostock“ [NSR] eine Turnhalle im Stephan-Jantzen-Ring in Rostock-Evershagen mit Parolen wie “Fuck of Israel”, “Zionismus zerschlagen” und “Mörder Israel”. Die Urheber_innen hinterließen das Kürzel NSR, sowie einen Verweis auf ihre Internetpräsenz.Am Schulkamp in Teterow skandierten Unbekannte an einer Fassade antizionistische Losungen wie „Scheiß Israel“.
Israelfeindliche Parolen grölten auch etwa 25 Neonazis der „Autonomen Nationalisten Güstrow“ [ANG] und der NSR, als sie am 3. Januar 2009 durch die Stadt Güstrow zogen. In der Barlachstadt waren in den Vorwochen ebenfalls vermehrt rechtsextreme und antisemitische Schmierereien aufgetaucht, die zum Teil den Straftatbestand der Volksverhetzung erfüllen und für die sich Mitglieder der ANG verantwortlich zeichnen. So hinterließen die Neonazis unter anderem auf dem jüdischen Friedhof in der Neukruger Straße holocaustleugnende Parolen und am einstigen Standort der 1938 zerstörten Synagoge (Krönchenhagen 13) forderten sie unverhohlen „Bomben auf Israel“ und „Juden raus aus Palästina“.
Am 11. Januar war bekannt geworden, dass in Teterow eine Gedenktafel zur Erinnerung an die ehemalige Synagoge zerstört wurde. Nach Polizeiangaben sei die Tafel mit einem stumpfen Gegenstand oder Werkzeug zerbrochen worden. Anlässlich des 50. Jahrestages der Novemberpogrome von 1938, wurde die Granittafel an der Toreinfahrt eines Hauses in der Großen Knickhäger Straße 22 angebracht. In der Inschrift der Tafel heißt es über die Synagoge, die von 1805 bis 1938 das Teterower Stadtbild prägte: „Auf dem Hof dieses Hauses befand sich bis 1938 die Synagoge der Teterower Judengemeinde. Nach der Demolierung durch die Faschisten in der „Kristallnacht“ erfolgte der Abbruchbefehl. Die jüdischen Bürger wurden im gleichen Jahr deportiert und später ermordet. Zum Gedenken. November 1988.“In der Region ereigneten sich Anschläge vergleichbarer Größenordnung zuletzt im März und Juli 2008. Unbekannte hatten die Gedenkstele auf dem jüdischen Friedhof in Rostock und die Grabsteine auf dem jüdischen Friedhof in Güstrow mit dem Neonazi-Code „C-18“ beschmiert. In Güstrow hinterließen die Täter zudem Hakenkreuz-Schmiereien und SS-Runen.

Die Antifa A3 Rostock unterstützt die Forderung nach einer schnellen und lückenlosen Aufklärung der Vorfälle und weist in aller Deutlichkeit daraufhin, dass dem weltweit dramatischen Anstieg antisemitischer Gewalt- und Hetztiraden kaum mit erhöhten Sicherheitsmaßnahmen beizukommen ist. Angesichts weit verbreiteter antisemitischer Einstellungspotenziale gilt es die Präventionsarbeit von Antisemitismus, Rassismus und Nationalismus auf kommunaler Ebene voranzutreiben und Trägern der historisch-politischen Bildung, Opferberatungsvereinen und zivilgesellschaftlichen Initiativen dauerhafte Unterstützung zuzusichern.
Creative Commons-Lizenzvertrag Dieser Inhalt ist unter einer
Creative Commons-Lizenz lizenziert.
Indymedia ist eine Veröffentlichungsplattform, auf der jede und jeder selbstverfasste Berichte publizieren kann. Eine Überprüfung der Inhalte und eine redaktionelle Bearbeitung der Beiträge finden nicht statt. Bei Anregungen und Fragen zu diesem Artikel wenden sie sich bitte direkt an die Verfasserin oder den Verfasser.
(Moderationskriterien von Indymedia Deutschland)

Ergänzungen

gleiche dummheit

henk 17.01.2009 - 11:43
da haben ja die von nsr den gleichen schreibfehler wie in bad segeberg gemacht...da stand "fuck of antifa"...tja, die guten deutschen haben es nicht so mit dem englisch.

[redok] berichtete ...

SpongeBob 18.01.2009 - 12:59
Attacke gegen SPD-Politiker als Spitze des Eisberges --- Teterow. In der im Kreis Güstrow gelegenen Stadt häufen sich militante Aktivitäten der rechtsextremen Szene. (...) ->  http://www.redok.de/content/view/1302/38/

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

Zeige die folgenden 4 Kommentare an

Hammer die Typen... — veganxedge

@henk — (muss ausgefüllt werden)

Nicht verwunderlich. — Gaza Streifenhörnchen