[Aachen] Naziaufmarsch + Störungen

zxy 25.12.2008 14:59 Themen: Antifa
Am 24.12. marschierten ca. 38 Neonazis unter Federführung Axel Reitz durch die Aachener Innenstadt – begleitet von etlichen Störungen und einer Hausbesetzung.
Neun Uhr: Ab 9:00h sammelten sich bei der VVN-Kundgebung gegen den Aufmarsch ca. 300 Menschen, in direkter Nähe zum Bahnhof, an dem auch die Neonazis ihre Auftaktkundgebung angemeldet hatten. Etliche, ca. 150 Menschen, hielten sich zudem direkt am Bahnhofsvorplatz auf.
Redebeiträge, Musik, Zeitung lesen, Kaffee trinken.

Zehn Uhr: Altes Zollamt. Bahnhofsvorplatz.
Aus dem zukünftigen, bislang leer stehenden, NRW-Bundespolizei-Gebäude, direkt an den Bahnhofsvorplatz angrenzend, ertönte durch ein Megaphon Celine Dion. Titanic. Zur gleichen Zeit wurde ein großes Transparent aus dem dritten Stock gespannt. „Antifaschismus braucht Freiräume“. Die HausbesetzerInnen oder AntifaschistInnen oder beides verlasen eine leider kaum hörbare Rede aus dem Haus.

In Auszügen:
„Wir stehen hier, weil wir davon überzeugt sind, dass politische Auseinandersetzungen manchmal eigensinnige und kreative Wege erfordern. Wir sind davon überzeugt, dass eine Vielfalt von Widerständen, von solidarischen Widerständen uns nicht nur unseren Zielen näher bringt, sondern uns auch lernen lässt, welcher Wert in Differenz, welcher Wert in den kleinen Kämpfen und in der Vernetzung, in der Bezugnahme der kleinen Kämpfe steckt.
...Unser heutiges Ziel ist es, zu verhindern, dass Neonazis durch diese Stadt ziehen, dass Faschisten und Faschistinnen für ihre Sache, für den Faschismus werben. Faschismus bedeutet die Auslöschung der Differenz, bedeutet Homogenisierung, Vereinheitlichung, bedeutet Ausgrenzung, Kontrolle über das Leben, bedeutet schließlich – so hat es uns die deutsche Geschichte am deutlichsten gezeigt – die Auslöschung des Lebens, das für nicht lebenswert befunden wird. Kategorisierung und Vernichtung.
...Faschismus fängt allerdings nicht erst bei Straßennazis an. Gesellschaftlicher Rassismus und Nationalismus, der Ruf nach Sicherheit – koste sie was es wolle –, die Mechanismen der Ausgrenzung, die romantische Sehnsucht nach einfachen Lösungen, all diese Punkte begünstigen ein Klima, in dem Neonazis agieren, in dem Faschistinnen und Faschisten die Gewalt auf die Straße tragen können.
...FaschistInnen setzen gezielt auf Gewalt, zur Einschüchterung ihrer GegnerInnen. Eine Gewalt, die nicht wahrgenommen wird, solange sie keine RepräsentantInnen trifft. Nahezu jedes Wochenende werden in Aachen meist junge Menschen verfolgt und angegriffen. Die Verletzungen lassen sich kaum mehr zählen. Anstatt sich dem Problem zu stellen, es zu benennen, dreschen die PolitikerInnen Phrasen von einem kleinen Häuflein Irregeleiteter. Dass Aachen sich zu einer Hochburg der extremen Rechten in NRW entwickelt hat, versuchen die etablierten Parteien zu ignorieren. Aber sie werden ja auch nicht angegriffen, da ist Ignoranz ziemlich leicht.
...Polizei und Justiz verhalten sich eindeutig. Nach einem Angriff auf eine antifaschistische Demonstration durch Neonazis im Frühling diesen Jahres kommt es in den nächsten Tagen zu Prozessen. Allerdings nicht gegen die Neonazis, sondern gegen einige AntifaschistInnen.
Welch klare Positionierung.
...In dieser Aktion – so hoffen wir – drücken sich viele Momente unserer Wut aus, Wut über marschierende Neonazis, über ihre faschistische Ideologie, über die alltäglich rechte Gewalt, über die Angst die sie verbreiten. Wut, über den Schutz von faschistischen Umzügen durch diesen Staat, der die Aufmärsche zu oft schon brutal gegen ihre Gegnerinnen, gegen Antifaschistinnen durchgesetzt hat. Ohne Polizeischutz würden hier keine Neonazis marschieren. Wut, über die offizielle Politik, die immer noch glaubt, Rechtsextremismus entweder mit Lippenbekenntnissen oder gar mit der Einschränkung von Rechten oder repressiven Maßnahmen bekämpfen zu können. Wir glauben hingegen, dass ein Mehr an Staatlichkeit, an Kontrolle, an Herrschaft faschistische Ideologien begünstigt.
… Antifaschismus bedeutet für uns Veränderung und Bewegung, bedeutet nicht nur eine Reaktion auf faschistische Gefahr, sondern das Begehren eines Lebens, das die Bedingungen für Faschismus abschafft. Ihm den fruchtbaren Schoß entzieht. Für uns bedeutet Antifaschismus nicht die Verteidigung des Bestehenden, sondern er bedeutet, weiterzugehen.
...Wir wissen, dass hier Menschen mit ganz unterschiedlichen Motivationen sind, Menschen, die aus verschiedensten Interessen in verschiedensten Formen hier sind, um diesen Naziaufmarsch zu verhindern, um ihren Unmut auszudrücken. Wir wissen auch, dass wir alle ganz verschiedene Strategien im Kopf haben, wie effektiv Faschismus zurückgedrängt werden kann. Nicht nur diese Differenzen sind ein guter Garant gegen autoritäre Vereinheitlichung, auch dass Menschen mit so vielen unterschiedlichen Ideen hier solidarisch zusammen gegen rechts stehen. Das ist wohl die beste Hoffnung, die wir haben.
...Wir können und wollen hier nicht für alle oder für viele sprechen. Keine Masterpläne.
Unsere Strategie begreift Affirmation, das Streben nach Selbstorganisation und Autonomie – Prinzipien, die einer extremen Rechten diametral entgegenstehen – als konkreten antifaschistischen Akt. Nicht zuletzt autonome, linke, progressive Kultur schafft Gegengewichte zu faschistischer Formierung.
...Insofern ist diese Aktion auch symbolisch zu verstehen als Reaktion auf den Angriff auf Linke Infrastruktur. Antifaschismus braucht Freiräume!“

Auf dem Bahnhofsvorplatz herrschte erst mal Erstaunen.Jubel bei AntifaschistInnen, Verwirrung bei den Cops, der totale Ärger Christian Worchs, der den Platz vor dem Gebäude wegen erhöhter Gefahrenlage verlassen musste. Er war wirklich not amused.
Dann – viel zu schnell – drang eine BFE in das Haus ein, räumte unter lautstarkem Protest der BürgerInnen, nahm sechs Personen in Gewahrsam. Die Cops rätselten noch lange, wie die BesetzerInnen in das Haus kamen. Den alle Türen waren verschlossen. Für Team Green ein Mysterium.

Auch auf dem Bahnhofsvorplatz wurden Transpis ausgepackt. Es gab kleine Rangeleien. Inzwischen trafen ungefähr 38 Neonazis ein, der nächste Flop des Axel Reitz. Ein Großteil der Aachener Szene war anscheinend bereits mit der Vorbereitung des Weihnachtsabends beschäftigt oder hatte elterlichen Weihnachtshausarrest. Die glänzten jedenfalls durch Abwesenheit.

Erfreulich: Der Bahnhofsvorplatz wurde auch von etlichen renitenten BürgerInnen bevölkert, die viel Zustimmung für kreativen antifaschistischen Widerstand hegten, die dem Aufrug zur Ignoranz des Aachener Bürgermeisters nicht folgten. Nach drei Nazireden, von lautstarkem Protest begleitet, zogen die FaschistInnen in Richtung Innenstadt. Auf der Zwischenkundgebung der Neonazis, welche durch Eier und Tomaten verschönert wurden, verstärkten sich die Rangeleien zwischen Antifas und Cops. Zwischendurch löste die Polizei eine Sitzblockade von 30 BürgerInnen auf, mitten auf der Route der Neonazis. Am Marschiertor hielt sich vor Ankunft der Neonazis eine Menge GegendemonstrantInnen auf. Eine Gruppe Bullen schützte die vorbei ziehenden Nazis. Bevor es zu einer direkten Konfrontation kommen konnte, griff eine Hundertschaft ein. Mehrere AntifaschistInnen versuchten folgend auf anderem Weg die Naziroute zu erreichen wurden aber von der Hundertschaft gestoppt, wobei es zu zwei Ingewahrsamnahmen kam.

Fazit 1: Erfreulich viel Engagement der BürgerInnen und auch da ein Wissen um den Wert differenter Widerstände. Dem Aufruf des Oberbürgermeisters nach Ignoranz mochten Viele scheinbar nicht folgen.
Fazit 2: Eine schöne Überraschungsaktion, die vielleicht antifaschistische Routinen in Aachen verwirren kann und dazu aufruft, Wege zu kreativen Widerstandsmöglichkeiten zu beschreiten und die verschiedenen Widerstände zu verbinden sucht.
Fazit 3: Die Nazis konnten marschieren.
Fazit 4: Allerdings begleitet von lautstarken Protesten von Wut und Power. Mehr Eier-Tomaten-Würfe!
Fazit 5: Alle sind wieder draußen!
Fazit 6: Alter Spruch, aber immer noch treffend: Es sind nicht die Niederlagen an denen wir scheitern, sondern die Kämpfe die wir nicht führen.
Was Bleibt? Danke an all die, die da waren, hier besonders an die Angereisten :)
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Ergänzungen

Ergänzungen

Mitglied der VVN-BdA 25.12.2008 - 18:47
Ein sehr guter Bericht.

Ein paar kleine Ergänzungen: Veranstalter der angemeldeten Gegenkundgebung in der Hackländerstraße am Aachener Hauptbahnhof war nicht die VVN-BdA, sondern das "Antifaschistische Aktionsbündnis Aachen" ( http://afab.tk), in dem die VVN-BdA Aachen aktiv mitarbeitet.

Die Teilnehmerzahl dieser Gegenkundgebung, an der viele sogenannte Normalbürgerinnen und -bürger teilnahmen, wurde selbst von der Polizei auf 300-400 Personen geschätzt. In der Aachener Lokalpresse ( http://az-web.de,http://an.online.de), beim freien Journalisten Michael Klarmann ( http://blogsport.de) und bei der "Zeitung für Aachen" ( http://z-ac.de) war von sogar 500 Personen die Rede.

Parallel zur angemeldeten Kundgebung hatte sich auf dem Bahnhofsvorplatz eine spontane Versammlung in unmittelbarer Nähe der Nazis gebildet.

Auf der angemeldeten Gegenkundgebung hielten es die Menschen allerdings nicht mehr lange aus, als klar wurde, daß sie von der Auftaktkundgebung der Nazis zu weit weg waren, um angemessen protestieren zu können und daß die Nazis unter massivem Polizeischutz durch die Stadt marschieren würden. Die meisten verließen deshalb die Kundgebung spätestens in dem Moment als die Nazis vom Bahnhof Richtung Theater loszogen um in unmittelbarer Nähe gegen die Nazis zu protestieren.

Angesichts des Datums und der Kampagne zur "aktiven Ignoranz" ist die große Teilnehmerzahl an den Protesten als Erfolg zu werten.





Lektürehinweise

e.g.a.l. 25.12.2008 - 20:16
Klar, Mann? 24.12.2008 - 16:43

Bericht über Demo einen Tag vorher:

 http://klarmann.blogsport.de/2008/12/23/gegenrechts-800-mal-nein-zu-fehlgeleitetes-denken-und-boesartiges-handeln/

Fotogalerie (Link dahin) über Vorporteste und Heiligabend-Demos (bald ergänzt):

 http://klarmann.blogsport.de/2008/12/23/reitziade-die-spiele-sind-eroeffnet-20/

Bericht über Heiligabend (Aktualisierung folgt später):

 http://klarmann.blogsport.de/2008/12/24/rechts-peinlich-peinlich/

Offizielle Presserklärung der Polizei

Aachener 26.12.2008 - 15:45

Fotoergänzung

bla 26.12.2008 - 17:35
hier noch einige Fotos:

namentliche nazis

angel456 27.12.2008 - 12:00
auf www.ag-rheinland.net sind zur zeit alle inhaftierten namentlich genannten nazis genannt!!

GEH DOCH ZU HAUSE DU ALTE SCHEISSE

Klar, Mann? 28.12.2008 - 20:39
GEH DOCH ZU HAUSE DU ALTE SCHEISSE

Ein analysierender Kommentar zum Neonazi-Aufmarsch an Heiligabend und dem Spielverlauf der aktuellen Runde Haller-ärger-Kunkel-nicht…

 http://klarmann.blogsport.de/2008/12/28/rechts-geh-doch-zu-hause-du-alte-scheisse/

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

Zeige die folgenden 2 Kommentare an

Solidarität aus Berlin — no Nazis anymore

@angel456 — (muss ausgefüllt werden)