Lübeck: 120 gegen Antisemitismus und Rassismus

Warda 09.11.2008 23:30 Themen: Antifa
Am Sa., 8. November gedachten in Lübeck am Nachmittag etwa 120 Menschen vor allem aus dem autonomen Antifa-Spektrum mit einer Demonstration unter dem Motto "Deutschland? Nie wieder! Gegen Rassismus und Antisemitismus! Gegen Volk und Nation!" den Opfern der reichsweiten antisemitischen Pogrome im November des Jahres 1938.
Die Demo, zu der mehrere antifaschistische und linksradikale Gruppen aus Schleswig-Holstein aufgerufen hatten, startete gegen 15.30 Uhr auf dem Kohlmarkt und bewegte sich knapp 2 Stunden durch die Lübecker Innenstadt. Neben einer Auftaktkundgebung gab es Redebeiträge vor der Synagoge und in der belebten Einkaufsstraße.
Der Ausfall des Lautsprecherwagens während der ersten Zwischenkundgebung führte zu kuriosen Szenen: Die Redebeiträge wurden im Folgenden unverstärkt unter voller Ausreizung der Stimme in die Menge gerufen. Dies hatte wider Erwarten nicht nur negative Auswirkungen: Zumindest während der ersten Zwischenkundgebung, die in einer schmalen Straße stattfand, führte dies dazu, dass die DemonstrantInnen ihre Unterhaltungen einstellten und dem Redner zuhörten. Bei der zweiten Kundgebung gestaltete sich dies jedoch auch wegen des Shopping-Gewusels drum herum schon schwieriger. Auch wenn diese technischen Probleme zwar nicht gerade für organisatorische Begabung sprechen, trug die fehlende Beschallung auch während der Demo immerhin dazu bei, dass zumindest in Teilen ungewohnt viel (auch mit PassantInnen) inhaltlich diskutiert wurde - zumindest dann, wenn keine Parolen gerufen wurden.

Neben dem mehrmaligen Verweis auf die Geschehnisse der Reichsprogromnacht 1938 und der Herleitung des nationalsozialistischen Vernichtungswahns aus der deutschen Geschichte mit der konsequenten Forderung nach der Demontage Deutschlands, wurden in den Redebeiträgen auch der Bezug zu Rassismus und Antisemitismus heutzutage hergestellt. Darüber hinaus wurde in einem Beitrag aus der positiven Bezugnahme auf diejenigen KämpferInnen der Novemberrevolte, die schon im November 1918 mit deutschnationalem Irrsinn brechen und ihm eine sozialistische Gesellschaftsordnung entgegen setzen wollten, sowie auch auf die emanzipatorischen Teile der DDR-Opposition, die 1989 eine Grunderneuerung der DDR, anstatt eines von schwarz-rot-gelbem Taumel begleiteten Anschlusses an die kapitalistische BRD wollten, der dringende Aufruf abgeleitet, deutscher Barbarei eine starke revolutionäre Bewegung von unten entgegen zusetzen.

Kritikwürdig waren außer der etwas peinlichen technischen Probleme, dem Anlass nicht angemessene oder gar widersprechende Parolen, die zeitweilig von einigen TeilnehmerInnen gerufen wurden - leider obligatorisch, auch wenn's schon schlimmere Beispiele gab. Auch war der offizielle Demoaufruf durch einige etwas identitäre und eher pseudo-radikale Passagen etwas dürftig, weshalb es wohl auch nicht verwunderlich ist, dass sich nicht viel mehr als 120 BerufsdemonstrantInnen zusammenfanden. Während der Demo selbst gab's dagegen auch wegen der belebten Straßen erfreulicherweise recht viel Aufmerksamkeit.

Respekt geht raus an die unplugged-Redner und auch für die Mühe, die sich ein Teil der aufrufenden Gruppen mit ihren spannenden, wenn auch kontroversen Redebeiträgen gemacht haben.
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Ergänzungen

120 Demonstranten gegen Antisemitismus in Lübeck

HL-Live 09.11.2008 - 23:46
Zum 9. November demonstrierten am Sonnabend in Lübeck rund 120 überwiegend junge Leute gegen Antisemitismus und Rassismus. Der Zug führte von der Alternativen durch die Innenstadt. Vor der Synagoge und in der Königstraße wurden Zwischenkundgebungen gehalten.

In Redebeiträgen machten die Teilnehmer ihre Haltung deutlich: Gegen Antisemitismus und Rassismus könne nur der Kommunismus helfen. Das sei die Lehre aus der Geschichte. Entsprechend ist ihre Forderung die Nationalstaaten zu überwinden.

Die Zahl der Teilnehmer überraschte auch die Organisatoren. Sie hatten mit 50 Demonstranten gerechnet. Der Zug wuchs aber schnell auf rund 120 Personen an. Ein ungewohntes Bild für viele Alt-Linke am Straßenrand: Neben der roten Flagge wurde auch die israelische Fahne gezeigt.

Apropos Novemberrevolte!

... 10.11.2008 - 00:03
Heute, am Vormittag des 9. November 2008, gedachten auch in diesem Jahr anlässlich der 90. Jährung des Matrosenauftandes in Kiel, der sich Anfang November 1918 schnell im ganzen Reich zur Novemberrevolte ausweitete, etwa 40 Menschen den dabei ums Leben gekommenen GenossInnen an der Gedenkstätte der Revolutionäre auf dem Kieler Eichhoffriedhof.
Den mitgetragenen Fahnen nach zu urteilen waren der Großteil der Teilnehmenden aus dem parteikommunistischen Spektrum, aber auch ein paar Libertäre waren anwesend.

Schon die ganze Woche über fanden in Kiel zu diesem Thema verschiedene Stadtrundgänge, Diskussions- und Kulturveranstaltungen statt.

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--- 10.11.2008 - 00:19
was waren denn jetzt ganz genau die unfassbar schlimmen parolen?

Di., 11.11. Kiel: Antifa-Gedenkkundgebung

marlene hates germany 10.11.2008 - 13:34
No one forgotten - nothing forgiven
Allen Opfern des Faschismus gedenken: Deutschland demontieren!

Antifaschistische Kundgebung im Gedenken an alle Opfer des Faschismus
11. November 2008, 16:30, Asmus-Bremer-Platz

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Warda 10.11.2008 - 13:42
Gegen Ende der Demo kam z.B. "Bambule! Randale! Linksradikale!", was bis auf das letzte Schlagwort wohl nix auf 'ner Demo zur Reichspogromnacht zu suchen hat, wenn man sich bewusst macht, was genau im November 1938 geschehen ist.
Und was tatsächlich NIE geht, aber auch kurz auftauchte, ist die Parole "Ein Baum, ein Strick, ein Nazigenick!", die in seiner Originalfassung der Soundtrack zu dem war, gegen das wir am Samstag unsere Abscheu ausdrücken wollten.
Dass diese Parolen glücklicherweise nicht prägend für die Demo waren, da gebe ich Dir recht.

Redebeitrag - Demo in Lübeck, 08.11.08

Gruppe Zunder (Kiel) 10.11.2008 - 22:34
Es ist schön, dass Ihr hier seit und diese Demonstration heute stattfindet. Die Initiative dazu finden wir wirklich gut und freuen uns, dass wir hier reden können.

Der 9.11. wird ja gerne als „Schicksalstag der Deutschen“ bezeichnet. Es ist uns ein Bedürfnis, diesem propagandistischen Unfug eine eigene Sicht entgegenzustellen. In der offiziöse Darstellung werden unterschiedlichste Ereignisse in einen Topf geworfen, Geschichte drauf geschrieben und aus dem Ganzen ein „gesundes“ und „neues“ Nationalbewusstsein abgeleitet. Nach dem Motto: „Wir hatten viele Höhen und Tiefen und haben daraus gelernt“. Mit dieser Masche werden dann z.B. Kriegseinsätze der Bundeswehr gerechtfertigt. Spätestens an sowas wird deutlich, warum eine linksradikale Perspektive auf die Geschichte notwendig ist.

Das es daran häufig hapert, dafür ist der 9.11.1918 ein gutes Beispiel. Auf den beziehen sich heute wahrscheinlich mehr SPDler als Antifas positiv. Dabei rief Karl Liebknecht an diesem Tag die sozialistische Republik aus und im ganzen Land entstanden Soldaten- und ArbeiterInnenräte.

Wie das heute aber so ist, fehlte es auch damals an Wille, Mut und Organisation. Die (M)SPD konnte sich mit ihren faulen, gesellschaftlichen Kompromiss durchsetzen. Die wichtigsten VordenkerInnen der revolutionären Bewegung Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg wurden am 15.1.1919 ermordet. Rosa Luxemburg hatte mit Blick auf den drohenden ersten Weltkrieg den Satz „Sozialismus oder Barbarei“ geprägt und damit auf grausame Weise Recht behalten.

5 Jahre später, am 9.11.1923 versuchten Hitler und Ludendorff erfolglos einen Putsch. Dessen bleibenste Wirkung war wohl, dass Hitler den Tag später gerne abfeiern lies und in dem anschließenden Jahr Luxusarrest Zeit hatte, Rudolf Heß „Mein Kampf“ in die Feder zu diktieren.

Bekannter ist in unseren Kreisen die Reichspogromnacht. Sie war am 9.11.1938 der Auftakt zur Shoa. Die Angriffe gegen alles, was als jüdisch eingestuft wurde, waren von den Nazis organisiert und durchgeführt worden. Sie wurden von der deutschen Mehrheitsbevölkerung begrüßt und mitgetragen. Wir halten diese Differenzierung für wichtig. Schon alleine deshalb, um nicht die Nazi-Version von der „spontanen Reaktion des deutschen Volkes“ nachträglich für wahr zu erklären.

Auf das Scheitern der sozialistischen Revolution folgte also die nationalsozialistische Barbarei. Auch hier passt Rosas Satz.

Kucken wir uns den 9.11.89 an. Noch ein schönes Beispiel, wie mit Geschichte Politik gemacht wird. Horst Köhler lobte in seiner Festrede zum Nationalfeiertag die Rolle des „Neuen Forums“. Damit wird im Nachhinein verschleiert, dass diese Gruppe den Anschluss der DDR an die BRD nicht wollte. Viele träumten damals von einem eigenständigen Staat mit einem freien Sozialismus. Und - auch wenn man sich das heute nicht mehr vorstellen kann – damals schien (!) das gar nicht so unrealistisch.

Stattdessen setzte sich der Kapitalismus mit seinen Lügen von den „blühenden Landschaften“ durch. Aus „Wir sind das Volk“ wurde „Wir sind ein Volk“ und nach abklingen der Kapitalismusgläubigkeit blieb dieser Nationalismus erhalten. Auf das Scheitern sozialistischer Träume folgte die Barbarei der Pogrome von Rostock-Lichtenhagen, Solingen, Mölln, Hoyerswerda, ...

Damit sind wir wieder in der Jetzt-Zeit angekomen. Statt den Nationalismus zu ächten, wird er nach Kräften gefördert. Um Weltmachtansprüche oder auch rassistische Abschottung besser begründen zu können. Umdeklariert zur Standortfrage, lassen sich auch Hartz 4 oder Einschnitte im Gesundheits- und Bildungssystem damit durchsetzen. Garniert wird die Situation mit ständig fortschreitender Repression und Überwachung. Sogar Inlandseinsätze der Bundeswehr sollen auf einmal mit den Lehren aus der deutschen Geschichte vereinbar sein.

Das Nazis in so einem Klima super gedeihen, ist klar. Fast noch schlimmer ist aber, das es sonst auch niemanden zu interessieren scheint. Die meisten 68er können nichts daran finden zur WM mit Schwarz-Rot-Pisse zu wedeln. Oder, um es mit der Hamburger MoPo auszudrücken: „Nur 1650 Autonome sind nicht stolz auf Ihr Land“.

Im Moment sind wir so unbedeutend, dass wir noch nicht einmal von der Finanzkrise profitieren können. Obwohl hier sogar ausgewiesene Wirtschaftsliberale anfangen Systemkritik zu üben. Grade in solchen Situationen ist es aber wichtig, sich die Geschichte vor Augen zu halten und sich auch selber darin zu positionieren.

Denn was der 9.11. auch vor Augen führt ist, das der Kampf für ein menschenwürdiges Leben abseits von Nationalismus, Rassismus, Antisemitismus, Kapitalismus, Kriegshetze und staatlicher Autorität geführt werden muss. Das das leider viel zu wenige tun, ist dramatisch. Denn „Sozialismus oder Barbarei“ heißt ja nicht anderes als: Wo die revolutionäre Bewegung zu schwach ist, setzt sich die Scheisse auf ganzer Linie durch.

In diesem Sinne - Remember the spirit of 1918:
Für den Aufbau einer neuen, revolutionären Bewegung von unten!
Nie mehr deutsche Barbarei!

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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uverständlich2 — martin geheim

Peinlich — aber echt

Verwirrung — Rot/Schwarz/Grün/Violett