In Kamenz marschierten die Nazis

Herr M 09.09.2008 20:44 Themen: Antifa
Am 6. September marschierten ertwa 200 nazis durch die sächsische Kleinstadt Kamenz. Das erste Mal und die Stadt war mit der Situation von Anfang an überfordert...
Stell dir vor, es kommen Nazis in die Stadt und keiner soll hin

Kamenz, eine beschauliche Kleinstadt mit gerade einmal 18.000 Einwohnern mitten in der Lausitz. Einer dieser typischen Orte, wo abends ab Acht die Bordsteinkanten hochgeklappt werden und der letzte Bus bereits vor zwei Stunden seine letzte Runde gedreht hat. Das politische Geschehen ist auch recht überschaubar. Tonangebend im Stadtrat sind de facto die CDU sowie die Linke. Oberbürgermeister Roland Dantz ist zwar ein parteiloser, wird aber von den Linken unterstützt. Seit einigen Monaten jedoch machen sich die Rechten im Stadtgebiet breit. Erst gründete sich ein NPD-Kreisverband, dann gab es den ersten rechten Jugendklub, gefördert durch den Kreisvorsitzenden der NPD, Mario Ertel, welcher es zu einem ansehnlichen Status in der Bevölkerung gebracht hat. Der Mitte 40er besitzt eine Pizzeria, eine Autolackiererei, zwei Kleinflugzeuge und hat sich zuletzt vor einem Jahr eine größere Immobilie inmitten der Stadt gekauft, welche er derzeit noch renoviert. Persönlich hält er sich mit politisch rechtsmotivierten Äußerungen stark zurück, eine Taktik welche aufzugehen scheint. Bei den letzten Kreistagswahlen im Juni 2008 erreichte Ertel sowohl mit seiner Partei als auch als Einzelbewerber den dritten Platz. Satte 1720 Stimmen holte der NPD-Kreischef für sich und lag damit noch fast 400 Stimmen vor dem besten CDU-Kandidaten. Nur der amtierende Bürgermeister sowie seine Vorgänger (beide Linke) konnten Ertel noch, wenn auch deutlich, überflügeln. Ein deutliches Alarmsignal, welches die Stadtvertreter dennoch in den Wind schlugen. Die rechte Szene machte es sich in kleinen Schritten in Kamenz und Umland gemütlich. Offizielle Gegenwehr hat sie kaum zu befürchten. Es gibt zwar eine linke Jugendgruppe vor Ort, (ich bin einer davon) diese ist jedoch sowohl personell als auch materiell schwach aufgestellt und kann sich nur auf wenige Aktionen im Jahr begrenzen. Mehrfache Warnungen seitens von mir und andere einzelner Personen, die Rechten würden sich in der Stadt immer mehr ausbreiten wurden nur wenig gehört und wenn, dann kaum beachtet.

Am 6. September gab es nun den nächsten Paukenschlag. Knapp 200 Nazis vom "Arbeitskreis Zukunft" im freien Widerstand der Lausitz marschierten fröhlich einmal quer durch die Innenstadt. Doch um das wahre Ausmaß des Problems zu erkennen, muss man es von hinten aufrollen. Erster Fehler: Mitte August meldeten die Rechtsradikalen ihre Demonstration beim zuständigen Landratsamt an. Statt, wie in anderen Fällen durchaus üblich, erst ein Telefonat mit dem Bürgermeister zu führen und diesen zu warnen, damit der sich relevante Orte für den geplanten Demotag für eine Kundgebung sichern kann, wurde die Demo ohne weiteres sofort genehmigt. In der Presse hieß es dazu später, unter besonders strengen Auflagen. Was allerdings an 40 schwarzen bzw. Länderfahnen, Transparenten mit einer max. Länge von 3 Metern sowie erlaubten Trageschildern und einem Fanfarenzug streng gewesen sein soll, weiß wohl nur die örtliche Lokalredaktion. Erfahrungen mit Demos hatte sie jedoch scheinbar kaum. Fehler 2: Nachdem Oberbürgermeister Roland Dantz dann doch von der geplanten und bereits genehmigten Demo erfahren hatte, schien er es für sicherer zu halten, die Sache auszusitzen. Seit dem 15. August wusste er Bescheid, ließ sich aber ganze 14 Tage Zeit, bis er sich genötigt sah Gegenmaßnahmen einzuleiten. Dadurch ging jedoch viel wertvolle Planungszeit ungenutzt ins Land.
Fehler 3: Ende August (28.August) hatte sich dann die Nachricht herumgesprochen, der Oberbürgermeister lade für den 2. September alle Interessierten zu einem Planungsgespräch ins Rathaus ein. Von der CDU ließ sich erst gar kein Vertreter blicken. Parallel dazu hatte sich im Internet eine Gruppe von etwa 150 Gegendemonstranten gegründet, welche sich jedoch in der Mehrheit an einer erhofften Kundgebung/Demo seitens der Stadtvertreter beteiligen wollten. Doch es sollte alles anderes als geplant kommen.
Fehler 4: das Planungstreffen beim Bürgermeister fand nicht den gewünschten Erfolg. Da ich selbst nicht an dem Gespräch teilnehmen konnte, teilte ich Herrn Dantz meine Gedanken wenigstens via Mail mit und forderte ihm darin auf, mindestens eine Kundgebung zu organisieren, da es Interesse seitens der jungen Bevölkerung daran gab. Doch die Forderung wurde nicht erfüllt. Stattdessen einigte man sich darauf eine Erklärung herauszugeben, in welcher man sich gegen den Nazi-Aufmarsch in Stellung brachte. Papier ist jedoch beständig und soll nur das eigene Gewissen beruhigen. Von einem ersten Entwurf, welcher die Stadtratsfraktion der CDU auch als Unterzeichner vorsah, lies sich selbige streichen. Nicht einmal dazu waren die Christdemokraten in der Lage. Die Kirche wollte am Demo-Tag immerhin ein Friedensgebet abhalten und die Glocken als Zeichen gegen die Nazis läuten lassen. Seitens der Stadt war die Kreativität jedoch äußerst beschränkt. Am Freitag vor der Demo sollten sich Kamenzer Schüler auf dem Marktplatz treffen und gemeinsam Transparente malen, welche dann in der Stadt an relevanten Plätzen aufgehangen werden sollten. Und weil man sich für die örtlichen Medien herausputzen wollte, entschloss man sich dazu den Markt mit vielen Besen symbolisch zu säubern, nachdem die Nazis dort vorbeigezogen waren. Der MDR nahm dies in den Abendnachrichten dankend an. Mehr war von offizieller Seite nicht zu bekommen. Keine Kundgebung, kein Versuch den Rechtsradikalen ihren marsch zu verbieten. Stattdessen ließ man in der örtlichen Presse verlauten einem seien die Hände gebunden und man könne gar nicht verstehen warum die Nazis ausgerechnet in Kamenz aufmarschierten, wo es sich doch bei Kamenz um die Geburtsstadt des Humanisten Lessing handelte. Nazis scheren sich aber bekanntlich nicht um so etwas. Als Krönung des ganzen forderte man die Bürgerinnen noch dazu auf, sich von der Demo fernzuhalten. Man sollte den Nazis den Rücken kehren, eine Taktik welche noch nie wirklich aufgegangen ist.
Fehler 5: Am eigentliche Demotag, dem 6. September, ging dann alles schief, was schief gehen konnte. Leider war ich an besagten Tag beruflich gebunden und musste es mir daher im Nachhinein von Freunden erzählen lassen. Rund 200 Nazis marschierten pünktlich unter der Begleitung von 300 Polizisten durch die gesamte Innenstadt. Motto der Demo: „Zukunft für unsere Kinder? Nicht in diesem System!“ Das Transparent mit der Forderung nach der Wiedereinführung der Todesstrafe für Kinderschänder durfte natürlich nicht fehlen. Etwaige Gegner der Demo hatten sich in der Nähe zusammengefunden, waren sich aber über Gegenmaßnahmen nicht einig geworden. Die Idee zur Blockade der strecke wurde genauso in betracht gezogen wie der Versuch einer spontan Gegendemo. Soweit kam es jedoch erst nicht. Angereiste Polizeikräfte aus Sachsen-Anhalt verteilten bevor überhaupt etwas passieren konnte 90 Platzverweise an die mutmaßlichen Demonstranten und verboten diesen sich bis auf 50 Meter der Demoroute zu nähern. Einzelne Personen, welche noch zur Gruppe stoßen wollten, wurden unterwegs bereits von der Polizei abgefangen und kontrolliert. Ein 19jähriger mutmaßlicher Demonstrant wurde sogar für vier Stunden mit aufs Revier genommen, weil er sich nicht ausweisen konnte und überdies noch für Polizisten scheinbar problematisch, „nicht deutsch genug“ aussah. Auf der Polizeistation musste der 19jährige dann schließlich seine Fingerabdrücke hinterlassen und wurde polizeilich fotografiert. Man bedenke das er bis dato keine Straftat begangen hatte und andere Demonstranten, welche ebenfalls keinen Ausweis vorweisen konnten, „nur“ vor Ort kontrolliert wurden. Diese so teilten, einige mir später mit, „fühlten sich wie Schwerverbrecher behandelt“. Die Nazis konnten währenddessen in ruhe ihre Demo abhalten, zogen über den Markt und jedes Mal wenn sich unbeteiligte Passanten auch nur blicken ließen, wurden die Sprechchöre der Nazis ein ganzes Stück lauter. Den mutmaßlichen Gegendemonstranten erging es währenddessen schlecht. Die 50 Meter Bannmeile wurde von den zuständigen Beamten recht willkürlich ausgelegt. Es gab seitens der Gegendemonstranten massive Probleme überhaupt nur in Sichtweite der Nazis zu gelangen. Nur einmal waren deutliche hörbare Sprechchöre möglich.
Fehler 6: Die Nazis konnten in aller Ruhe ihre Demo beenden und die städtische Vertretung mit mediale Begleitung ihre Besen auf dem Marktplatz schwingen. Rückblickend wertete man die Aktion als Erfolg. In der Presse überschlug man sich mit Lobeshymnen und spielte die Nazidemo eiskalt herunter. Stadt und Polizei sprechen einstimmig von einem großen Erfolg, die Kritik der jungen Leute am Vorgehen wird nur in einem Nebensatz erwähnt. Kamenz hat eben nichts gelernt…
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Ergänzungen

Über die Kamenzer Antifa/Linke

Afa Oberlausitz 10.09.2008 - 12:54
Ich stimme mit der Kritik in diesem Artikel gegenüber der Stadt Kamenz und dem Bürgermeister überein ...
Jedoch sollte aus der Sicht der Kamenzer Jugend/Antifa auch eine gewisse Selbstkritik angebracht werden!
Die Gruppe im Internet war fast für jedermann zugänglich und euer Treffpunkt somit für Polizei und Nasen sehr leicht herauszufinden ...
es ist also nicht verwundelrich, dass Antifagruppen die extra aus dem Umland mit Autos angereist sind schon vor erreichen des Treffpunktes von der Polizei festgesetzt, mit Platzverweisen versehen und teilweise sogar mit Ordnungswidrigkeiten sanktioniert wurden!
Selbst als es nahe eures Treffpunktes zu einer kleinen Auseinandersetzung zwischen Antifas ( die nicht aus Kamenz waren ) und ein paar Naziprolls kam, wurde dies nicht unterstützt, sondern ablehnend behandelt und somit jeder Enthusiasmus aktiv gegen Nazis in kmaenz vorzugehen im Kein erstickt.
Es gab desweiteren eine Gruppe von ca 50 Leuten in der nähe des Lidl Parkplatzes um die sich aus Kamenzer Seite einfach nicht gekümmert wurde.
Also fürs nächste mal:
. weniger kritisieren und selber aktiver werden
. Informationen nciht in öffentlichen foren posten
. probieren auf eigene faust oder im notfall auch mithilfe der Linke(n) einen Kundgebungsort anmelden


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