"Wortergreifungsstrategie" der Nazis gestärkt

Erk 25.07.2008 15:27 Themen: Antifa
Hamburger Gericht stärkt „Wortergreifungsstrategie" der Neofaschisten. Was können AntifaschistInnen tun?

Am 21. Juli 2008 erklärte das Hamburger Verwaltungsgericht eine angestrebte und durch die Polizei erzwungene Teilnahme von Neofaschisten an einer Veranstaltung der DGB-Jugend im November 2006 für rechtens. Diese Entscheidung speist sich aus falsch verstandener Toleranz gegenüber den Totengräbern der Demokratie und hat drastische Konsequenzen für alle Menschen, die ohne Störung durch Nazis Veranstaltungen abhalten möchten.
Die Vorgeschichte

Am 16. November 2006 machte die DGB-Jugend Hamburg eine Veranstaltung zum Thema „Strukturen der rechten Szene in Hamburg-Wandsbek. Wohl wissend um die sog. „Wortergreifungsstrategie" der Neonazis, mittels derer linke Veranstaltungen vereinnahmt, gestört und gegebenenfalls auch gesprengt werden sollen, erfolgte ein Ausschluss gemäß § 6 Versammlungsgesetz. In der Einladung, e-mails, Plakaten und Pressemitteilungen hieß es: „Mitglieder und Anhänger rechtsextremer Parteien und Organisationen wie NPD, DVU, REP und der ‚Freien Kameradschaften', haben keinen Zutritt." Trotzdem kamen an dem Abend ca. 20 Neonazis unter Führung des stellvertretenden NPD-Landesvorsitzenden Karl-Heinz Göbel und begehrten handgreiflich Einlass. Die anwesenden Ordner konnten den Nazis zwar den Zutritt verwehren, wenig später kamen diese jedoch mit der Polizei zurück. Der Einsatzleiter forderte die Nazis einzulassen, da die Veranstaltung öffentlich angekündigt sei, andernfalls müsse die Veranstaltung abgebrochen werden. Zur Sicherheit der übrigen Veranstaltungsteilnehmer erfolgte letzteres - sie wurde später, ohne Nazis, nachgeholt. Der Vorgang sorgte für bundesweite Empörung, in der Hamburger Bürgerschaft gab es eine Debatte und zwei Anfragen zum Thema, der örtliche DGB-Vorsitzende Erhard Pumm erklärte dazu: „Es darf nicht sein, dass Rechtsextreme ihre Teilnahme an politischen Veranstaltungen gegebenenfalls mithilfe der Polizei durchsetzen und sie damit de facto verhindern können."

Der Prozess

Mittels einer Klage wollte die DGB-Jugend im Nachhinein die Unrechtmäßigkeit des polizeilichen Handelns feststellen lassen und scheiterte nun an der fast grenzenlosen Toleranz des Hamburger Verwaltungsgerichts gegenüber Neonazis.
Zwar sei der Ausschluss bestimmter „Personen und Personenkreise" durch das Versammlungsgesetz gedeckt, allerdings müsse der Ausschluss „für jedermann erkennbar" sein. Göbel und seine Kameraden konnten jedoch einen Zeitungsartikel vorweisen, in dem die besagte Veranstaltung ohne den Ausschluss-Zusatz angekündigt worden war. Die DGB-Jugend hatte ihre Pressemitteilung zwar mit entsprechendem Hinweis versehen, verständlicherweise allerdings keinen Einfluss auf redaktionelle Kürzungen. Den Vize-Präsidenten des Verwaltungsgerichts Joachim-Mathias Roggentin focht das nicht an: Dann hätte die DGB-Jugend die Medien zu überprüfen, und wenn der Zusatz nicht abgedruckt worden sei, müsse notfalls auf eine Korrektur oder den vollständigen Abdruck der Pressemeldung bestanden werden. Da Veranstaltungshinweise in Zeitungen üblicherweise sehr kurzfristig erscheinen, ist der Verweis auf eine Richtigstellung müßig - sie wird fast immer zu spät abgedruckt werden.

Die Konsequenzen

Die Entscheidung des Hamburger Verwaltungsgericht betritt zwar „absolutes Neuland", so Roggentin, „dazu gibt es bisher keine Rechtssprechung", trotzdem wurden hier Möglichkeiten für neofaschistische Kräfte öffentlich aufzutreten, entschieden gestärkt. Für das Gericht ist Faschismus anscheinend doch nur eine Meinung unter vielen und kein Verbrechen.
Die taz kommentierte dementsprechend auch, der entsprechende Teil des Versammlungsgesetzes werde damit zum „Null-Paragrafen" degradiert. In einem Abschnitt irrt die Zeitung jedoch zum Glück. Neonazis können keineswegs Ankündigungen für Veranstaltungen in ihren Foren oder Zeitungen ohne Ausschlusszusatz veröffentlichen, um dann damit Zutritt zu erzwingen. Juristisch belastbar sind nämlich nur diejenigen Ankündigungen, welche der Veranstalter auch zu verantworten hat. Ein Journalist, erst Recht ein Nazi, der ein Flugblatt findet und daraufhin eine Veranstaltung bewusst oder unbewusst ohne Ausschluss nach § 6 ankündigt, handelt nicht im Sinne der Veranstalter. Er wurde nicht gezielt kontaktiert, die Verantwortung liegt somit nicht beim Veranstalter. Allerdings wird es eventuell schwierig bei einer Veranstaltung gegenüber der Polizei diese Hintergründe deutlich zu machen.

Folgendes Vorgehen erscheint vor dem geschilderten Hintergrund empfehlenswert:

1. Wer Veranstaltungen ohne unliebsamen Besuch machen möchte, sollte diesen auch weiterhin dringend nach § 6 Versammlungsgesetz ausschließen, den Zutritt entsprechend kontrollieren und sich ggfs. juristischen Beistand sichern.

2. Werbung über eigene Mittel wie Flugblätter, Plakate oder eigene Internetwerbung sind problemlos. Wer das Geld hat, kann natürlich auch Anzeigen mit entsprechendem Zusatz in Zeitungen schalten.

3. Pressemitteilungen mit Bitte um Abdruck oder Ankündigung müssen zukünftig vorsichtiger gehandhabt werden. Sie sollten ausdrücklich den vollständigen Abdruck der Einladung einfordern, sonst lieber gänzlich auf eine Ankündigung verzichten. Ein persönlicher Kontakt zur lokalen Presse erleichtert sicherlich dieses Vorgehen. Solidarische JournalistInnen sollten auf die neue, problematische Rechtslage aufmerksam gemacht werden.

4. Generell ist weiterhin ein offensiver Ausschluss von neofaschistischen Personen aus der Öffentlichkeit und aus öffentlichen Veranstaltungen zu fordern. Denn Faschismus ist keine Meinung - sondern ein Verbrechen.
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