Mumia Abu-Jamal: Prozeßbeobachterinterview

Berliner Bündnis für Mumia Abu-Jamal 21.08.2007 15:49
Das Interview beleuchtet neben dem Ablauf und den juristischen Ergebnismöglichkeiten die aktuelle Unterstützung für Mumia Abu-Jamal in den USA und teilweise auch in Deutschland.
So lassen sich jetzt schon Vorbereitungen und Aktivitäten erkennen, um für Mumias Freiheit und die weltweite Abschaffung der Todesstrafe aktiv zu werden.
Freiheit für Mumia Abu-Jamal !

Das im Frühjahr 2007 gegründete Berliner Bündnis für Mumia Abu-Jamal interviewte anlässlich der Anhörung von Mumia Abu-Jamals Anwälten vor dem 3. Bundesberufungsgericht in Philadelphia, USA den internationalen Prozessbeobachter Michael Schiffmann (MS).
Das Gespräch führten Markus (M) und Thomas (T):

M: Hallo, du warst auf der seit mehreren Jahren erwarteten Anhörung in Mumias Verfahren am 17.05. im Gerichtsaal anwesend. Kannst du uns kurz erläutern, warum diese Anhörung stattfand und was deren Bedeutung zum jetzigen Zeitpunkt ist?

MS: Die Anhörung vom 17. Mai war das erste öffentliche Gerichtshearing zum Fall Mumia Abu-Jamal seit 1997. Sie fand vor dem für dieses Gebiet der USA höchsten Gericht unterhalb des US Supreme Court statt, und da letzterer es in 95 Prozent aller ihm angetragenen Fälle ablehnt, sich mit ihnen zu befassen, wird die Entscheidung dieses so genannten Dritten Bundesberufungsgerichts aller Voraussicht nach Bestand haben.
Mumias Fall befindet sich seit 1999 auf der Bundesebene; davor wurde vor Gerichten des Bundesstaates Pennsylvania verhandelt. Im Oktober 1999 stellte Mumia einen so genannten Habeas-Corpus-Antrag, in dem die Verteidigung auf 29 Punkte hinweist, in denen das Urteil gegen Mumia ihrer Ansicht nach gegen die US-Verfassung verstößt. 20 dieser Punkte bezogen sich auf den Schuldspruch, 8 weitere auf das auf den Schuldspruch folgende Todesurteil gegen Mumia, und ein weiterer Punkt auf Mumias Bemühungen um eine Wiederaufnahme seines Verfahrens 1995-97.
Am 18. Dezember 2001 gab der Bundesrichter William Yohn Jr. vom Dritten Bundesbezirksgericht (dem Gericht direkt unter dem jetzigen Gericht) der Verteidigung in einem Punkt Recht und hob das Todesurteil gegen Mumia auf. Da aber das Urteil gegen Mumia seit 1990 rechtskräftig ist und die Staatsanwaltschaft, die daher automatisches Berufungsrecht hat, davon sofort Gebrauch gemacht hat, hat Mumia die Todeszelle nie verlassen.
Auch die Verteidigung legte damals Berufung ein, und vier Jahre später, am 6. Dezember 2005, gestand das 3. Bundesberufungsgericht der Verteidigung drei der ursprünglich 29 geltend gemachten Punkte zur Berufung zu. Dabei geht es 1) um die Behauptung des Staatsanwalts im Prozess, die Jury könne ruhig zugunsten der Anklage irren, da der Angeklagte ja noch „eine Berufung nach der anderen“ haben werde, 2) um den systematischen Ausschluss von Schwarzen bei der Juryauswahl und 3) um das unfaire Verhalten des ursprünglichen Prozessrichters Albert F. Sabo während der Anhörungen zur Wiederaufnahme des Verfahrens von Mumia Abu-Jamal von 1995 bis 1997. In Bezug auf diese drei Punkte sind die möglichen Resultate grob folgende:
Wenn die Verteidigung in Punkt 1 recht bekommt, ein neues Verfahren – also das, was Mumia bereits seit 1982 fordert
Wenn die Verteidigung in Punkt 2 recht bekommt, eine Rückverweisung an das nächst untere Gericht zwecks weiterer Erörterung, ob der Ausschluss von Schwarzen auf Rassismus seitens der Staatsanwaltschaft zurückzuführen war
Wenn die Verteidigung in Punkt 3 recht bekommt, erneute Anhörungen zur Wiederaufnahme des Verfahrens
Zum andern könnte die Verteidigung in all diesen Punkten verlieren, und hier gibt es dann nur zwei Möglichkeiten, die beide äußerst finster sind:
Im günstigeren Fall verliert auch die Anklage ihre Berufung. Das würde für Mumia lebenslänglich Knast ohne Möglichkeit vorzeitiger Entlassung bedeuten – aber auch das nur, wenn die Anklage nicht innerhalb von 180 Tagen nach Rechtskraft des Urteils ein erneutes Gerichtsverfahren beantragt, in dem es nicht um Schuld oder Unschuld, sondern ausschließlich um die Strafmaße Lebenslänglich oder erneutes Todesurteil geht.
Die Verteidigung verliert und die Staatsanwaltschaft gewinnt. Damit wäre das Todesurteil gegen Mumia praktisch endgültig. Die Verteidigung würde dann zwar den US Supreme Court anrufen, aber wie erwähnt, hört dieser solche Fälle nur sehr selten an.
Im letzten Fall wäre Mumia akut von der Hinrichtung bedroht, da der Gouverneur Pennsylvanias Ed Rendell – während Mumias Prozess 1982 oberster Leiter der Anklagebehörde war – bereits angekündigt hat, dann sofort einen Hinrichtungsbefehl zu unterzeichnen.
Insofern gibt die Entscheidung des 3.Bundesberufungsgerichts den weiteren juristischen Verlauf vor. Es ist damit zu rechnen, dass Mumias 25-jähriger Kampf um Freiheit noch dieses Jahr in die eine oder andere Richtung entschieden wird. Laut Auskunft von Mumias Anwalt kann das Gericht jederzeit zwischen jetzt sofort und Ende des Jahres eine Entscheidung fällen.

T: Wie sieht die Unterstützung für Mumia 2007 in den USA aus? Wie wurde die Anhörung dort beachtet?

MS: Es gab schon im Vorfeld sehr viele Aktivitäten, vor allem in den Bastionen der Mumia-Solidaritätsbewegung Philadelphia, New York und San Francisco. Ein wichtiger Fixpunkt hierbei ist jedes Jahr der Geburtstag Mumias am 24. April – ironischerweise ist das derselbe Tag, an dem 1996 auch ein Gesetz mit dem monströsen Namen „Gesetz zur Bekämpfung des Terrorismus und zur effizienteren Anwendung der Todesstrafe“ unterzeichnet wurde.
Auch dieses Jahr fanden zahlreiche Veranstaltungen und Kundgebungen zu Mumias Geburtstag statt. Wie ernst die Gegner Mumias, geschart um den über 300.000 Mitglieder starken extrem rechtslastigen Polizeiverband Fraternal Order of Police (FOP), diese Veranstaltungen nahmen, zeigt sich in dem teilweise offenen Terror, den sie gegen diese Veranstaltungen ausübten (Teilnehmer wurden bedroht, Inhaber möglicher Veranstaltungsorte genötigt, Veranstaltungszusagen zurückzuziehen etc.)
In der Woche rund um den Donnerstag der Anhörung fanden etliche Veranstaltungen statt, meist mehrere am Tag, manchmal sogar mehrere gleichzeitig. Die afroamerikanische Ex-Kongress­ab­geordnete Cynthia McKinney, der Indianer-Aktivist Ward Churchill, Ex-Black-Panther-Party-In­formationsministerin Kathleen Cleaver, der Journalist Linn Washington, Mumia-Buchautor Dave Lindorff und viele, viele andere sprachen oder waren beim Hearing oder beides. Ich selbst sprach am Vortag der Anhörung zusammen mit dem Theologieprofessor Mark Taylor, Linn Washington, Dave Lindorff und anderen auf einem Talk-in der Gruppe Educators for Mumia.
Am Abend vor der Anhörung fand in Westphiladelphia ein fabelhaftes Konzert mit Immortal Technique statt, und bei der Anhörung selbst waren dann, neben den Mumia-Unterstützern im Gerichtssaal, gut 500 Demonstrantinnen und Demonstranten außerhalb. Sie kamen von überall aus den USA, manche auch aus Europa oder sogar Afrika. Nach der Anhörung gab es dann eine Demonstration zum Tathaus („City Hall“), in dem auch der Gerichtssaal 253 liegt, in dem Mumia vor nun über 25 Jahren verurteilt wurde.
Einige Wochen vor der Anhörung haben der anarchistische Journalist Hans Bennett in Philadelphia und ich in einer Art transatlantischem Bündnis eine kleine neue Gruppe, die „Journalists for Mumia“ (J4M) gegründet, die – dank meines Gastgebers in Philadelphia, Ryan, der als unser Webmaster fungiert – die Website www.abu-jamal-news.com betreibt und die Zeitung Abu-Ja­mal News herausgibt. Die erste Nummer der Zeitung – acht Seiten im Zeitungsformat – wurde binnen weniger Wochen vor und nach dem Hearing in einer Auflage von 8.000 Stück in ganz Philadelphia sowie in New York und San Francisco verteilt; für die demnächst erscheinende zweite Nummer planen wir eine Auflage von 30.000. Diese Nummer wird einen wichtigen Artikel von Jeff Mackler von der San Francisco Mobilization to Free Mumia Abu-Jamal zum Hearing, einen Beitrag zum staatlichen und gerichtlichen Terror gegen die eng mit Mumia verbundene Gruppe MOVE, einen Artikel über das Verfahren gegen Mumias Bruder Billy Cook wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt, Materialien zu Mumias Zukunftsaussichten, Auszüge aus der Anhörung selbst und anderes mehr enthalten.
Ebenfalls in Riesenauflage verteilt wurde das Werbeplakat für unsere gut besuchte Veranstaltung am 18. Mai, auf der ich über die neu aufgetauchten Hinweise auf polizeiliche Manipulation von Beweismaterial in Mumias Fall sprach und auf der auch Linn Washington gesprochen hat. Bei diesen Beweisen handelt es sich um 26 Fotos eines Pressefotografen, der schon 10 bis 12 Minuten nach den Schüssen auf Mumia und den Polizeibeamten Faulkner und damit gut zehn Minuten vor dem Polizeifotografen am Tatort eintraf. Sie beweisen, wie skrupellos die Polizei Beweise gefälscht – und Zeugen erpresst – hat, um Mumia als den Schuldigen hinzustellen.
Auffällig war demgegenüber die spärliche Berichterstattung der offiziellen Medien. Überhaupt lässt sich deren Berichterstattung zu Mumia mit Linn Washingtons Worten charakterisieren, dass sie Mumia „entweder niedermachen oder ignorieren“. Auf der anderen Seite hat das wichtigste Anzeigenblatt der Stadt, das Philadelphia City Paper, einen recht langen Artikel von Dave Lindorff und einen wichtigen Leserbrief von ihm gebracht.
Es liegt an uns, weiter daran zu arbeiten, diesen wichtigen Fall in die Mainstream-Medien zu bringen.

T: Warum konnte Mumia nicht selbst an der für ihn so wichtigen Anhörung teilnehmen?

MS: Die Begründung war, dass es sich hier ja „nur“ um eine Anhörung und nicht um ein regelrechtes Gerichtsverfahren gehandelt hat, bei dem der Angeklagte natürlich ein Recht auf Anwesenheit hat. Ob das so richtig und gerecht ist, ist eine ganz andere Frage.

M: Zur Situation im Gerichtssaal: Wie viele Leute waren drin? Waren auch Mumias Gegner, z. B. Mitglieder des FOP zu sehen?

MS: Der Gerichtsaal fasst etwa 250 Personen und war restlos gefüllt. Ich denke, es waren zu etwa gleichen Teilen Unterstützer und Gegner Mumias. Vielleicht auch ein paar Leute, die sich einfach informieren wollten – direkt neben mir saßen Leute, die auf mich wie Jurastudenten wirkten. Dabei haben sich die Gegner im Gegensatz zu den Monaten davor auffällig zurückgehalten. Es war ihnen wohl klar, dass das extreme, teilweise kriminelle Verhalten, das sie in letzter Zeit an den Tag gelegt haben, vor einem so hohen Gericht leicht nach hinten hätte losgehen können.

T: Der Staatsanwalt von Pennsylvania will in diesem Verfahrensabschnitt die Wiedereinsetzung der Todesstrafe erreichen. Wie trat er auf, was waren kurz gesagt seine Argumente und wie nahm das Gericht das deiner Meinung nach auf?

MS: Ich denke, der Staatsanwalt, ein Mann namens Hugh Burns, der seit zwölf Jahren mit diesem Fall befasst ist, hat in den 10 der ihm zugestandenen 65 Minuten, in denen er die Widereinführung der Todesstrafe gefordert hat, eine schlechte Figur gemacht, und mit dieser Einschätzung stehe ich nicht allein da. Es war ein typisches Beispiel echter Paragrafenreiterei, aber er hatte noch keine Minute geredet, als die Richter schon begannen, ihm sehr pointierte Fragen zu stellen.
Kern der Sache war die Frage des Formulars, das der Jury vorgelegt wurde, bevor sie nach dem Schuldspruch gegen Mumia über die zu verhängende Strafe – Lebenslänglich oder Tod – zu entscheiden hatte. Todesstrafenverfahren in den USA finden in zwei Phasen statt. Zuerst befinden die 12 Geschworenen über die Schuld eines Angeklagten, dann über das Strafmaß.
Für die Phase der Strafzumessung ist es sehr wichtig, wie die Jury instruiert wird. Das geschieht zum Teil mündlich durch den Richter, aber danach sind die Geschworenen mit sich allein, bis sie zu einem Urteil kommen. Das einzige, was ihnen dabei hilft, ist ein Formular, auf dem sie angewiesen werden, wie sie schulderschwerende und schuldmindernde Umstände zu bewerten haben.
Nun sagt die Rechtslage, dass sich die Geschorenen über erschwerende Umstände einstimmig einig sein müssen, während das bei mildernden Umständen nicht der Fall ist. Das bis 1988 in Pennsylvania gültige Standardformular für die Geschworenen, das in Mumias Fall verwendet wurde, suggeriert das genaue Gegenteil. Deswegen wurde es nach einem diese Frage betreffenden Urteil des US Supreme Court von 1988 auch noch im selben Jahr geändert.
Bei dem Hearing versuchte Staatsanwalt Hugh Burns, von dieser zentralen Frage abzulenken, aber gemessen an der Anzahl sehr kritischer Fragen, die sie ihm stellten die drei Bundesrichter davon unbeeindruckt. Ich wäre überrascht, wenn sie dem Antrag der Staatsanwaltschaft auf Wiederinkraftsetzung des Todesurteils stattgeben würden. Aber das heißt in keiner Weise, dass wir in unserer Wachsamkeit nachlassen dürfen – der Kampf gegen die Hinrichtung Mumias bleibt solange zentral, bis diese Möglichkeit endgültig vom Tisch ist!

M: Kommen wir nun zur Verteidigung. Kannst du noch einmal kurz skizzieren, was 2005 von dem jetzigen Gericht als prüfungswürdig eingestuft worden ist und wie demnach die Verteidigung Mumias versucht, ein neues Verfahren für ihn zu erkämpfen?

MS: Ich habe diese Punkte ja vorhin schon grob umrissen. Zum einen geht es immer noch um Leben und Tod. Wenn die Staatsanwaltschaft gewinnt, wird Mumia hingerichtet. Abgesehen von meiner Beurteilung und der der meisten anderen Beobachter hinsichtlich des Gerichtshearings vom 17. Mai bleibt das eine realistische Möglichkeit. Unsere rechtlichen Chance, die Hinrichtung Mumias zu verhindern, wären damit praktisch auf Null reduziert, aber natürlich müssten wir dann dennoch unser Letztes geben, um das zu verhindern.
Die Verteidigung hat zu all diesen Punkten – dem Berufungspunkt der Anklage und ihren eigenen Berufungspunkten, die ich schon skizziert habe – mehrere hundert Seiten umfassende Anträge vorgelegt, die meines Erachtens klarmachen, dass nicht nur die Gerechtigkeit, sondern auch das geltende Recht auf ihrer Seite stehen.
Die Richter in Philadelphia haben sich sowohl als außergewöhnlich interessiert als auch als ungewöhnlich informiert gezeigt, was Anlass zu einem gewissen Optimismus gibt. Die Verteidigung hat also ihren Job getan – sie hat gezeigt, dass eine Wiederinkraftsetzung des Todesurteils gegen Mumia nicht rechtens wäre, dass der Staatsanwalt die Jury mit seiner Bemerkung, es werde noch „eine Berufung nach der anderen“ geben, darüber getäuscht hat, dass sie und nur sie die Verantwortung für Schuldspruch und Urteil trug.
Sie hat außerdem, und das ist ein zentraler Punkt, gezeigt, wie rassistisch die Anklage bei der Juryauswahl vor sich ging. Bei der Geschworenenauswahl für ein Verfahren haben Anklage und Verteidigung je 20 Mal die Möglichkeit, Geschworene ohne Angabe von Gründen abzulehnen. Das heißt, sie müssen nicht sagen, dieser oder jene potentielle Geschworene ist parteiisch, ist nicht bereit, die gesetzlich mögliche Todesstrafe zu verhängen etc.
Hier wurden in Mumias Verfahren 10 von 14 qualifizierten schwarzen Geschworenen von der Staatsanwaltschaft abgelehnt, während sie von 25 weißen qualifizierten Geschworenen nur 5 von der Liste strich. Von den weißen potentiellen Geschworenen werden nur 20 Prozent abgelehnt, von den potentiellen schwarzen aber 71 Prozent – bei insgesamt 39 (14 schwarzen und 25 weißen) potentiellen Geschorenen ist die statistische Chance, dass das purer Zufall war und mit rassistischen Erwägungen seitens des Staatsanwalts nichts zu tun hatte, verschwindend gering.
Die Verteidigung hat hier gute Chancen, dass es eine weitere gerichtliche Überprüfung der Frage geben wird, ob dem wirklich rassistische Beweggründe auf Seiten der Staatsanwaltschaft zugrunde lagen.
Und natürlich hat die Verteidigung auch umfangreiches Material darüber vorgelegt, wie parteiisch der ursprüngliche Prozessrichter Albert F. Sabo während der Anhörungen zu einer möglichen Wideraufnahme des Verfahrens von Mumia 1995, 1996 und 1997 war, Anhörungen, in denen er nicht zuletzt „neutral“ darüber zu befinden hatte, ob seine Prozessführung bei Mumias Verfahren von 1982 fair war!
Mit ihren Anträgen und mit ihren mündlichen Präsentationen hat die Verteidigung Mumias also jetzt getan, was sie konnte. Hier gibt es im Augenblick nichts weiter hinzuzufügen.
Hier setzt aber die Verantwortung der internationalen Solidaritätsbewegung ein, und nicht nur ihre, sondern auch die aller verantwortungsvollen Journalistinnen und Journalisten.
Warum Letzteres? Dies ist ein Musterfall für alles, was falsch ist an der Todesstrafe, für alles, was falsch ist am US-Justizsystem. Die Öffentlichkeit hat ein Recht darauf, zu erfahren, was hier passiert, und genau das ist es, was wir im Moment tun sollten: Öffentlichkeit schaffen. Nur dann kann die Öffentlichkeit das tun, was andererseits ihre Pflicht ist, nämlich, die derzeit zuständigen Gerichte wissen zu lassen, dass sie eine ungerechte Entscheidung nicht tolerieren wird. Klarzumachen, dass das US-Justizsystem erheblich an Respekt verlieren wird, wenn es auch jetzt, an diesem letzten Punkt noch die Ungerechtigkeiten gegen Mumia Abu-Jamal aufrechterhält und fortsetzt.

M: Wie ging die Verteidigung vor? Gingen sie auf alle 3 zur Berufung zu prüfenden Themenbereiche ein?

MS: Nein, die Verteidigung ging nicht auf alle drei Punkte ein; sie konzentrierte sich auf die Frage der Todesstrafe und des Rassismus in der Juryauswahl. Aber natürlich hat sie, wie erwähnt, die beiden anderen zur Debatte stehenden Punkten in ihren schriftlichen Ausführungen bereits umfangreich behandelt.
Die Co-Anwältin von Mumias Hauptanwalt Robert R. Bryan, Judith Ritter, antwortete etwa zehn Minuten lang auf Staatsanwalt Hugh Burns Ausführungen zur Todesstrafe. Dabei war auffällig, wie selten sie im Vergleich zu Hugh Burns von den drei Richtern unterbrochen wurde.
Nach Judith Ritter sprach Hauptanwalt Robert R. Bryan ausführlich zum Rassismus des Staatsanwalts bei der Geschworenenauswahl, wobei er sehr deutlich machte, dass es hier nicht nur um die vorhin erwähnten Statistiken geht, sondern auch darum, dass schwarze potentielle Geschworene von der Anklage nachweislich auf andere – auf Ausschluss gerichtete – Weise befragt wurden als ihre weißen Mitbürgerinnen und Mitbürger.
Zur selben Frage sprach dann auch noch Christina Swarns vom „Legal Fund of the National Association for the Advancement of Colored People“ (NAACP). Diese Organisation hatte einen Antrag von so genannten „Freunden des Gerichts“ eingereicht. Dabei handelt es sich um Gruppen oder Organisationen, die ein gesellschaftliches Interesse an dem zur Debatte stehenden Fall geltend machen.
Die Gerichte können solche Anträge ablehnen, was aber in diesem Fall nicht geschah. Stattdessen ließ das Gericht ungewöhnlicherweise sogar Swarns auf dem Hearing sprechen, eine Aufgabe, derer sie sich nach übereinstimmender Ansicht aller, mit denen ich gesprochen habe, brillant entledigt hat. Die Frage des Rassismus bei der Juryauswahl, eines Rassismus, der zur Folge hat, dass Schwarze von zu hundert Prozent weißen Jury zum Tod verurteilt und dann hingerichtet werden wie im Dezember 2005 der bekannte Kinderbuchautor und zum Anti-Gang-Aktivisten gewandelte Straßengangleaders Stan Tookie Williams in Kalifornien bleibt von eminenter Bedeutung, in Mumias wie in vielen anderen Fällen.
Aber dasselbe gilt für die beiden Punkte, die beim Hearing von der Verteidigung nicht angesprochen wurden, nämlich die rechts- und wahrheitswidrige „Belehrung“ der Jury durch den Staatsanwalt, sie könne Mumia ruhig verurteilen, da es ja dann noch eine Berufung nach der anderen geben würde, und das unfaire Verhalten von Prozessrichter Sabo Mitte der 1990er Jahre.
Von beiden Punkten ist nicht nur Mumia betroffen, sondern auch eine ganze Reihe von anderen Gefangenen. Von den 32 Personen – 27 schwarz, 2 Asian Americans, 1 Latino – die Albert Sabo im Lauf seiner Karriere zum Tod verurteilt hat, befinden sich 20 immer noch im Todestrakt des Staates Pennsylvania.

T: Wie nahm das Gericht das Ganze auf? Scheint es die Richter überhaupt zu interessieren? Schließlich wissen wir von Richter Sabo und anderen, die in der Vergangenheit über die diversen Manipulationen in Mumias Verfahren von 1982 „geurteilt“ haben, dass sie sich regelmäßig hinter Desinteresse und Formalitäten versteckt haben.

MS: Das ist eine interessante Frage. Mein Freund Lamar Williams, Regisseur eines Films über rassistische Polizeibrutalität in Philadelphia namens „Black and Blue“ (in den USA ist die Farbe der Polizei nicht grün, sondern blau), meinte mir gegenüber nach dem Hearing, es sei dort „zivil“ zugegangen, d.h., so wie man sich die Ausübung von Recht und Gerechtigkeit vorstellt.
Für mich hatte die Vorstellung, dass dort in sehr freundlichem, höflichem Ton über Leben oder Tod eines Menschen verhandelt wird, etwas sehr Bizarres, um nicht zu sagen, Widerwärtiges.
Dennoch glaube ich zu verstehen, was Lamar meint. Ebenso wie Volker Ratzmann war auch Lamar 1995 bei den ersten Anhörungen zur Wideraufnahme des Verfahrens von Mumia dabei, das seinerzeit auch in Deutschland großes Aufsehen erregte.
Ich habe schon erwähnt, dass der ursprüngliche Verfahrensrichter Albert Sabo auch hier wieder den Vorsitz führte. Fast alle Beobachter bis in die Mainstream-Presse Philadelphias hinein waren sich einig, dass Sabo unfassbar unfair war. Wie viele Beobachter berichtet haben (und Lamar es mir bestätigte), befanden sich seinerzeit nicht im Dienst befindliche Polizisten in Zivil im Gerichtssaal, die deutlich sichtbar bewaffnet waren, und als die Verteidigung sich über diese Drohkulisse beschwerte, wurde sie von Richter Sabo mit der Bemerkung „Die sind hier, um mich zu beschützen“ abgeschmettert.
Eine Beschreibung des unfairen Verhaltens Sabos 1982 und dann 1995-97, als er sozusagen, nicht zuletzt jedenfalls, über seine eigene Verhandlungsführung 1982 zu Gericht sitzen sollte, würde Bücher füllen; tatsächlich schreibe ich gerade im Moment für Abu-Jamal News einen längeren Artikel darüber, der hoffentlich noch im August fertig wird.
Die jetzigen Richter, d. h., der Vorsitzende Richter des 3. Bundesberufungsgerichts Scirica und die beiden Richter Ambro und Cowen, erweckten den Eindruck, als seien sie hochgradig interessiert und informiert, was diesen Fall betrifft. Heißt das, dass sie gerecht urteilen werden? Wir haben nur eine Möglichkeit, dass zu beeinflussen, nämlich, indem wir selbst aktiv werden. Weitere Berichte über das, was bei der Anhörung vor sich ging, finden sich auf der News-Sektion meiner Website www.againstthecrimeofsilence.de.

M: Wann wird es eine Entscheidung geben?

MS: Das ist im Moment wirklich offen. Die Anhörung war am 17. Mai, jetzt, wo wir dieses Interview führen, haben wir den 15. August. Nach der Anhörung meinte Mumias Hauptanwalt Robert R. Bryan, er rechne mit einer Entscheidung innerhalb von 45 bis 90 Tage, aber zugleich unterstrich er, dass das mehr geraten als geschätzt sei, da das Gericht allein entscheidet, wie lang es über jeden Einzelfall beraten will. Und dieser Fall ist, nach einem Vierteljahrhundert Rechtsstreit, enorm kompliziert.
Die „90 Tage“ sind also schon abgelaufen, und Robert Bryans nächste Schätzung lautete dementsprechend dann auch „irgendwann zwischen jetzt sofort und Ende Herbst“, was ja dann fast Weihnachten wäre.
Wir wissen es also nicht. Wir wissen nur, dass die Entscheidung bald kommen wird – nicht 2009 oder Sommer oder Frühjahr 2008, sondern noch dieses Jahr, und dass wir vorbereitet sein müssen, leider, selbst wenn es unwahrscheinlich ist, unter anderem auch auf das Schlimmste.

M: Wie reagiert die Unterstützungsbewegung in den USA bisher darauf?

MS: Mit dem Versuch, erneut eine breite Bewegung zu entwickeln. Mit dem Versuch, klar zu machen, dass Mumia, wie Jeff Mackler in seinem langen Artikel über die Anhörung schreibt, „Everyman and Everywoman“ ist, das heißt, für uns alle steht, mit dem Versuch, die Einsicht zu verbreiten, dass eine Hinrichtung oder lebenslängliche Einbetonierung Mumias nicht nur in sich ein Horror wäre, der nicht toleriert werden kann, sondern auch Hunderte von Gefangenen in den Todestrakten und Hunderttausende von anderen Gefangenen in den US-Gefangenen ein weiteres Stück Leben, ein weiteres Stück Freiheit und ein weiteres Stück Hoffung nehmen würde.
All das versuchen die US-Aktivistinnen und -aktivisten in zahlreichen Aktivitäten zu entwickeln, und dabei versuchen auch Hans und ich von AJN eine Plattform zu sein. Andere Websites, auf denen man sich hierzu informieren kann, sind www.freemumia.org und www.freemuumia.com.
Ich sollte auch darauf hinweisen, dass es in Frankreich eine lebhafte Solidaritätsbewegung für Mumia gibt und dass auch in Österreich, der Schweiz und England sich Aktivistinnen und Aktivisten für ihn einsetzen.
Für uns in Deutschland ist natürlich die Frage, „Was gedenken wir selbst zu tun, um den Justizmord an Mumia zu verhindern?“
Diese Frage richtet sich natürlich nicht in erster Linie an euch beide, sondern ganz konkret, ganz akut, ganz aktuell an die vielen, vielen Leute, die im Lauf vieler Jahre oder vielleicht auch gerade erst von Mumias Fall gehört haben und die hoffentlich durch dieses Interview animiert werden, sich genauer zu informieren. Sobald sie dies tun, müssten sie wissen: Hier gilt es, etwas zu tun. Denn ein Unrecht gegen eine/n von uns ist ein Unrecht gegen uns alle.
Ich bin sicher, dass ihr hier eine Menge Ansatzpunkte liefern könnt, an denen potentielle Aktivistinnen und Aktivisten andocken können.

T: Na klar. In Berlin bereiten wir für den Notfall eine Demo vor, weil wir denken, dass wir in diesem Fall mit vielen und entschlossen vor die US-Botschaft müssen. Parallel erstellen E-Mail-Notfalllisten, in denen wir regelmäßig Infos rumschicken und im Falle eines Urteils sehr schnell informieren können. Außerdem sind wir durch Infotische, Redebeiträge und Teilnahme an vielen linken Demonstrationen und Veranstaltungen in Berlin zur Zeit damit beschäftigt, die von dir erwähnte notwendige Öffentlichkeit herzustellen. Falls sich mensch in die E-Mail-Notfallliste eintragen möchte oder sonst Fragen hat: mailt an  free.mumia@gmx.net .

M: Außerdem sollten wir hier die „sprechende Broschüre“, das mit dir erstellte Hörbuch „Wettlauf gegen den Tod“ erwähnen. Es kam anlässlich des Tages der politischen Gefangenen am 18. März 2007 heraus. Es enthält viele Infos zu Hintergrund und Geschichte von Mumia Abu-Jamal, staatlicher Repression gegen die schwarze Bürgerrechtsbewegung generell und die Black Panther Party im Speziellen, sowie über Strafentwicklung vor dem Hintergrund der privatisierten Gefängnisindustrie in den USA. Begleitend dazu gibt es die ständig aktualisierte Webseite www.mumia-hoerbuch.de, auf der darüber und zu allen aktuellen Schritten der Kampagne für die Freiheit von Mumia und gegen die Todesstrafe generell informiert wird.

T: Michael, wir danken dir für dieses Gespräch.

MS: Ich danke euch.
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Ergänzungen