Über die sogenannte Hedonistische Internation
Ohne große Gefahr, sich zu irren, können dessen Kritiker behaupten, daß der und die Poplinke in der “hedonist international” (1) nach dem Polizisten und dem Priester das am weitesten verachtete Wesen ist. Wenn auch die Gründe für seine Verachtung oft falsche sind, die aus der herrschenden Ideologie stammen, sind die Gründe dafür, dass er vom Standpunkt der revolutionären Kritik aus wirklich verachtungswürdig ist und verachtet wird, verdrängt und uneingestanden.
So geschichtsträchtig rumpelnd möchte man in den Text einsteigen, dessen Erstellung durch die voranschreitenden Ereignisse den Kritiker_innen der poplinken Vereinnahmung des Hedonismus nun in ungeahnter Dringlichkeit aufgezwungen ist. Die Gründung dieser sogenannten hedonistischen Internationalen, und ihre ideologische Zementierung in ihrem Manifest (2) haben die wissenschaftliche Arbeit am Hedonismus von Epikur über Marx bis Debord mit einem Schlag in die am weitesten entfernte Region der Wahrnehmung verdrängt und an deren Stelle den Jargon der NSB mit einem offen eingestandenen Spektakel der Kritik, statt einer Spektakelkritik, gesetzt: “Und weil wir die besseren Ideen, die schöneren Träume haben als diese Veranstaltung, wäre es doch wunderbar diesem Spektakel ein anderes entgegen zu setzen.” (3)
Nicht, dass die Ideen und Konzepte der Hedonistischen Internationalen besonders originell oder gar interessant wären. Nein, warum dazu etwas geschrieben wird, liegt allein daran, dass deren Protagonisten alte Fehler als neue Wahrheiten verpacken, ihre Ideologie ist also das alte Falsche in seiner aktuellsten Form. So geht es den Poplinken dann auch augenscheinlich nicht um den Hedonismus sondern ganz banal um das, worum es allen Linksdeutschen zur Zeit zu gehen scheint: G8-Gipfel in Heiligendamm und diesen möchte man “wegtanzen, wegbassen, die Show stehlen”.
Doch um sich der Verkommenheit und der Anmaßung jener sogenannten “hedonist international” zu nähern, lohnt ein Blick auf ihr begriffliches Werkzeug. Das ist auch explizit nicht von prozesshaftem Charakter, nein es ist in Form eines Manifests in endgültige, starre Formen gegossen, 13 Punkte umfassend. Hierbei fühlt man sich spontan an die Gruppe Spur mit Nationalsituationist und späterem militantem Antisemit Kunzelmann als Theoretiker erinnert, deren “Gaudi-Manifest” (4) von 1961 es aber immerhin auf 20 Punke brachte und auch nicht ganz so hohl war. Vielmehr brachte das Gaudi-Manifest, betrachtet man es im historischen Kontext, ein paar druchaus erfrischende und auch lustige Momente in die Positionsbestimmung. Es verströmt noch trotz seiner Verkehrtheit einen Hauch von Neuem, Abenteuerlichkeit und auch Witz. Das sind Kategorien, die dem Manifest dieser hedonistischen Internationalen total abgehen.
Der Leser_in wäre nicht damit gedient hier die einzelnen Punkte des Manifests abzuarbeiten, dazu haben sie großteils zu wenig Substanz. Kein einziger der Begriffe in diesem Manifest wird definiert oder auch nur ansatzweise gefasst, also muss man aus der Verwendung der großen Begrifflichkeiten wie “Freiheit”, “Lust”, “Genuß” auf den Alltagsgebrauch dieser Begriffe schließen. Dass die Alltagssprache nicht die Sprache der Kritik ist, und auch unter den gegebenen gesellschaftlichen Umständen nie sein kann, setzen die Kritiker_innen als bekannt voraus.
Freiheit von oder Freiheit zu?
Dieser, gerade in bauchlinken Zusammenhängen, gerne gebrauchte Begriff ist als für sich stehende Kategorie völlig unbrauchbar. Geht es hierbei um die Massen dieser Welt die frei von den Möglichkeiten sich am Leben zu erhalten sind, oder vielmehr um die Freiheit des Metropolenbewohners in sogenannten Freiräumen seinen “Rave” zu veranstalten? Diese Problematik wird dort nicht mal angerissen. Die viermalige Verwendung des Begriffs macht seinen Umriss nicht klarer, verdeckt ihn eher als ihn zu klären.
Lust an oder Lust auf?
Ganz ähnlich verhält es sich mit der Lust, für den Hedonismus (hedone, altgr.: Lust, Freude) eine eigentlich zentrale Angelegenheit. Die Verwendung lässt einen jedoch im Dunklen darüber, ob hier einerseits die Fassung des Begriffs über Bedürfnisse gemeint ist, im Sinne einer Lust auf etwas, oder die sinnliche Erfahrung im Kontinuum zwischen Lust und Unlust, die jedes Handeln mit sich bringt. Dass diese Kategorie zu allem Übel dann auch noch unabgegrenzt neben der “Freude” steht, trägt zur weiteren Verwirrung bei. Die Kategorie der Lust funktioniert im Zusammenhang mit dem Hedonismus nicht ohne einen Begriff von Bedürfnis, da die Lust diesem nachgeordnet, als Effekt der Befriedigung von Bedürfnissen steht. Im Sinne der Lust an etwas.
Genuß
Wie wenig dieser pseudoradikale, werbetextaffine Linksrave mit kommunistischer Kritik am Hut hat, macht auch die zweimalige, ungebrochene Verwendung dieses Begriffes deutlich, denn so Marx “Der Zusammenhang des Genießens der Individuen jeder Zeit mit den Klassenverhältnissen und den sie erzeugenden Produktions- und Verkehrsbedingungen, in denen sie leben, die Borniertheit des bisherigen, außer dem wirklichen Lebensinhalt der Individuen und zu ihm in Gegensatz stehenden Genießens, der Zusammenhang jeder Philosophie des Genießens mit dem ihr vorliegenden wirklichen Genießen und die Heuchelei einer solchen Philosophie, die sich an alle Individuen ohne Unterschied richtet, konnte natürlich erst aufgedeckt werden, als die Produktions- und Verkehrsbedingungen der bisherigen Welt kritisiert werden konnten, d.h. als der Gegensatz zwischen Bourgeoisie und Proletariat kommunistische und sozialistische Anschauungen erzeugt hatte. Damit war aller Moral, sei sie Moral der Askese oder des Genusses, der Stab gebrochen.” (5)Im hedonistischen Manifest dagegen wird die Schwierigkeit der Entwicklung einer gesellschaftlichen Kategorie des Hedonismus, als eine für alle verwirklichte Möglichkeit, zugunsten der Propagierung von willkürlich gesetzten genußvollen Tätigkeiten und Erfahrungen aufgegeben. Unter den gesellschaftlichen Bedingung, unter denen wir alle hier unsere Existenz fristen müssen, ist die Propagierung solcherlei nur Heuchelei und Ideologie. Dem wäre ein negativer Hedonismus, also das aktive erforschen, erkennen und bekämpfen der Unlustmomente, der Verstümmelung der menschlichen Bedürfnisstruktur und des Möglichkeitsraums des Gattungswesens durch die Notwendigkeiten des Kapitals, als eine gesellschaftliche Perspektive entgegen zu stellen.
Politik
Aber mit der schnöden Theorie hat man bei der “hedonist international” damit dann schon abgeschlossen, jetzt kann es also an die griffige Praxis gehen. Hierbei sei die “Hedonistische Internationale” davon überzeugt, “dass Politik und Aktion Spaß machen können.” Diese ausdrücklich in der Möglichkeitsform gehaltene Äußerung lässt einen tiefen Einblick in die instrumentalisierte Vorstellung, die diese Internationale von ihrem Hedonismus hat. Politik und Aktion sind ein Begriffspaar, das durch die Trennung in dieser Gegenüberstellung völlig zweckfrei und somit substanzlos ist. Vielmehr gilt es dagegen zu betonen, dass Theoriepraxis und Praxistheorie so einzurichten sind, dass sie einem die Möglichkeiten zum sinnlichen Genießen nach den individuellen Maßstäben überhaupt erst ermöglichen.
Arbeit
Aber mit sprachlichen Unsinnigkeiten geht es weiter, so ist man “überzeugt davon in einer Welt leben zu wollen”. Das ist schön, wenn man von seinem eigenen Wollen überzeugt ist. Das zeigt zumindest, dass man sich auf sich selber verlassen kann, sofern man Schopenhauers Wort ausblendet, dass man zwar tun kann, was man will, aber nicht wollen kann, was man will oder die fundamentale Marxsche Erkenntnis ignoriert, dass „nicht das Bewußtsein [...] das Leben [bestimmt], sondern das Leben bestimmt das Bewusstsein.“ Aber bei Marx heisst es noch weiter: “in der hochentwickelte Technologie der gesamten Menschheit ein Leben ohne Arbeitszwang und Ausbeutung, sondern in purer Hingebung an die Künste und die schönen Dinge ermöglicht.” Dass damit die grundsätzliche Problematik der Ausweitung des “Reichs der Freiheit” gegenüber dem “Reich der Notwendigkeit” (6) als gesamtgesellschaftliche Dimensionen auf “Arbeitszwang und Ausbeutung” sprachlich reduziert werden, und damit die Möglichkeit verschleiern, dass es immer gesellschaftlich notwendige Arbeit geben wird, die erledigt werden muss, dabei aber keinesfalls der geisttötenden Lohnarbeit ähneln muss, ist den internationalen Hedonisten keinen Gedanken wert. So zerrinnt auch dieser Äußerungsversuch im reinen Wunschdenken und in der Belanglosigkeit. Zudem wird der technologische Fortschritt alleine, sofern er weiterhin unter kapitalistischen Wertverwertungsinteressen stattfindet, die Menschheit in keinster Weise befreien. Dazu bedarf es immernoch der kollektiven revolutionären Praxis der größten gesellschaftlichen Produktivkraft: des Proletariats.
Grundsätzlicher Reformismus in der Praxistheorie
Da die “Hedonistische Internationale” einsieht, “dass auch kleine Annäherungen an die Ziele des Hedonismus eine Verbesserung der Ausgangslage bedeuten”, macht sie deutlich, dass sie keinen Begriff vom Hedonismus hat und mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit auch keinen haben möchte. So kann der Hedonismus keine Ziele haben, da er seine eigene Verwirklichung ist. Der Hedonismus ist keine Haltung oder Kampfprogramm, schon gar nicht eine “Chance zur Überwindung des Bestehenden”. Genausowenig, und da hat die Hedonistische Internationale trotz allem recht, wie der Hedonismus “als Motor einer dumpfen, materialistischen Spaßgesellschaft” funktioniert. Hedonismus beschreibt vielmehr die Möglichkeit, die die totale gesellschaftliche Revolution bietet, indem sie die Sphärentrennung der wertverwertenden Gesellschaft und ihrer entmenschlichten Züge aufhebt und das Reich der Freiheit auf Kosten des Reichs der Notwendigkeit für die gesamte Menschheit ausweitet. Unter anderen Umständen verkommt er zur Ideologie des Genusses oder des Verzichts. Da aber eben der Hedonismus nur in der Überwindung des Kapitals, als gesellschaftlichem Verhältnis, seine Verwirklichung finden kann, geraten “kleine Annäherungen” zur Affirmation bzw. Modernisierung des Bestehenden, zumal, wenn diese nicht mal näher bestimmt werden können, da solcherlei Gerede mit Sicherheit in sozialdemokratische Politik der kleinen Schritte mündet. Dieser Unwillen zur Arbeit des Begriffs und der grundsätzliche Reformismus rührt maßgeblich daher, dass jener Hedonismus entweder zum Kampfmittel oder zum verschleiernden Schmuckwort von diesen Kreisen instrumentalisiert wird. So ist man auch immer wieder erstaunt, was alles mit dem Adjektiv “hedonistisch” ausgezeichnet werden kann, von der “Stadtentwicklung” bis hin zur “Fußballfront” (7).
Wie grundsätzlich regressiv und begriffslos-beliebig diese Internationale ist, tritt besonders plastisch zu Tage, betrachtet man den vorletzten Punkt dieses Manifests. Hier reihen sich dann erstmal emanzipatorisch belegte Begriffe wie “die Ideen Epikurs”, “Sinnlichkeit” und “Ausschweifung” neben den Vorboten der finsteren, dumpfen Gemeinschaftlichkeit wie “bunte Freude”, “Gerechtigkeit”, “Toleranz”, “Nachhaltigkeit” und “freien Zugang zu Information” aneinander. Als Ausdruck ihrer tiefen Verhaftung im Bestehenden, und dort auch noch der, in ihrer unverwirklichten Verfasstheit, armseligsten Sphäre der heutigen Gesellschaft, beziehen sie sich auf: die “Kunst”. Hierbei wird auch die Ausrichtung der Kampagne hin auf die allgemeine Bewegungshuberei im Zuge der G8-Mobilisierung deutlich.
Mitmachen, Dabeisein
“Weil der G8-Gipfel für alles steht, was schiefläuft, kommen auch alle möglichen Leute, die wollen, dass es anders läuft. Da kommen Anti-Walfang-Ökos und auch stramme Politfreaks, die das Lachen schon lange verlernt haben. Es kommen aber auch jede Menge nette Leute aus vielen Ländern dieser Welt, mit denen wir die paar Tage im Juni zu einem Festival des Protests machen können.” Es reicht also als Begründung für das Mitmachen am Protest, welches nur notdürftig als ein Dagegensein gegen den G8-Gipfel verbrämt wird, aus, dass “jede Menge” Leute kommen. Dass es dem Löwenanteil dieser Menge wohl um Probleme des Ackerbaus, den Besuch von Feldgottesdiensten oder auch das Verprügeltwerden von Spezialeinheiten der Deutschen Polizei, also um dezidiert antihedonistische Vorstellungen und Praxen gehen wird, interessiert unsere Berliner Tanzbärchen nicht wirklich. So möchte man dort auch nicht stören, die Menschen- und Lustfeindlichkeit der vielen Ansätze als Feinde erkennen, und dementsprechend behandeln, sondern man will sich als Hedonistische Internationale in den Protest “einbringen”. Und zwar mit diesen ganzen tollen und “hedonistischen” Aktionsformen, die man so zur Hand hat: “bunt und laut die Großdemo bereichern, danach einen Rave veranstalten, [...] vielleicht ein paar Workshops anbieten”.Anschließend kann man sich ja auf dem Protestcamp, beim Donnerbalkenscheißen mit Vertretern des “Anti-G8 Bündnis für eine revolutionäre Perspektive” und attac verbrüdern um der G8 auch anständig “die Show [zu] stehlen”. So funktionieren die Wege aus der Einsamkeit, zurück in den warmen Schoß der Protestgemeinschaft.
Langeweile
Durch die offensiv oberflächliche Verwendung angenehm klingender Begriffe, deren tiefere Bedeutung gar nicht erst ergründet werden soll, genauso wie durch den Zuschnitt auf die Protestbewegung ist diese Internationale und ihr Manifest vorallem eines, nämlich langweilig. All die abenteuerlichen Aspekte, die eine Beschäftigung mit der Thematik enthält, werden bewusst ausgeblendet: so findet keine Verständigung über den gesellschaftlichen Charakter von Genuss, von Bedürfnissen oder von Lust statt. Deren prozesshafte, und damit für Revolutionstheorie interessante, Form wird zu Gunsten eines völlig unsinnigen und unreflektierten Vitalismus ausgeblendet. Man muss nur alles fließen lassen, was der Körper will, deleuzistisch, “es atmet, wärmt, ißt. Es scheißt, es fickt. Das Es ...”, dann wird der (Ferien-)Kommunismus ganz von alleine kommen, oder der Kapitalismus besser werden. Diese Haltung ignoriert völlig, dass vorrangig die Gesellschaft, und also das Realitätsprinzip, die Bedürfnisstruktur des Menschen bedingen, eine emanzipative Entwicklung der Bedürfnistruktur also vor allen Dingen eine Veränderung der Vergesellschaftungsform mit sich bringen müsste.
Die geisttötende Langeweile ist Ausdruck der mangelnden inhaltlichen wie praktischen Substanz, auf die bemüht der hippe und freshe Lack des Hedonismus aufgepinselt wird, und das auch noch mit den Rezepten an denen vor ungefähr zehn Jahren schon einmal die Poplinken scheiterten und vor vierzig Jahren die Hippies, Yippies und Provos sich noch weniger lächerlich machten, als der heutige abgeschmackte laue Aufguß der “Hedonistischen Internationalen”. Wie wenig also ein Bewußtsein um die eigene (Praxistheorie-)Geschichte besteht, ist ein weiteres Indiz dafür, mit was man es bei dieser Internationalen zu tun hat: Ausgehend von der wichtigen Entdeckung der Situationistischen Internationalen, dass Langeweile konterrevolutionär ist, gilt es diese sich hedonistisch nennende Internationale als das zu brandmarken was sie ist, als langweilig und damit als eine Erscheinungsform der permanenten Konterrevolution. Und als eine solche ist diese Internationale und die darin organisierten sogenannten Hedonisten auch zu behandeln.
1) www.hedonist-international.org2) http://hedonist-international.org/?q=de/manifest3) http://hedonist-international.org/?q=de/wakeupcall4) http://members.chello.nl/j.seegers1/doc_si/doc_spur1961-1.html5) MEW 3, S. 403f. / http://www.mlwerke.de/me/me03/me03_380.htm#I_III_1_5_C6) vgl. Heller, Agnes: Theorie der Bedürfnisse bei Marx. Hamburg 1980. S. 75ff7) http://hedonist-international.org/?q=de/subhedonist
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Ergänzungen
Inhaltliche Ergänzungen
die das Lachen schon lange verlernt haben"...
=> Warum bloß muss mensch bei letzterem fast unwillkürlich an den/die VerfasserIn dieses Textes denken? ;-)
"Durch die offensiv oberflächliche Verwendung angenehm
klingender Begriffe, deren tiefere Bedeutung gar nicht
erst ergründet werden soll, genauso wie durch den Zuschnitt
auf die Protestbewegung ist diese Internationale und ihr
Manifest vorallem eines, nämlich langweilig".
=> Und wie genau kommt nun der/die verfasserIn dieses Textes darauf, dass ausgerechnet dieser Text hier WENIGER langweilig ist? Und warum wirft er/sie den HedonistInnen vor, Begriffe "offensiv und oberflächlich" zu verwenden - und verwendet Begriffe im gleichen Atemzug selbst "offensiv und oberflächlich", ohne "deren tiefere Bedeutung" zu "ergründen" (Beispiel: "Langeweile", "langweilig")? Fragen über Fragen...
"Ausgehend von der wichtigen Entdeckung der Situationistischen
Internationalen, dass Langeweile konterrevolutionär ist, gilt
es diese sich hedonistisch nennende Internationale als das zu
brandmarken was sie ist, als langweilig und damit als eine
Erscheinungsform der permanenten Konterrevolution. Und als eine
solche ist diese Internationale und die darin organisierten
sogenannten Hedonisten auch zu behandeln!"
=> Uiuiui... jetzt wird´s aber richtig haarig. Zunächst kritisiert der/die VerfasserIn, dass (an sich auch ohne ein Politologie-Lexikon allgemein verständliche) Begriffe wie "Lust" oder "Genuss" nicht bis ins kleinste Detail durch-definiert und zu-Tode-problematisiert werden... dann jedoch wirft er/sie plötzlich und völlig überraschend mit "Langeweile" und "langweilig" selbst Kampfbegriffe in die Runde, die ebenfalls in keiner Weise näher definiert werden (können sie ja auch gar nicht... da "Langeweile" immer nur ein rein subjektives Empfinden eines Einzelnen ausdrücken kann - in dem Falle: des/der VerfasserIn)... und dann soll diese rein subjektive, nicht objektivierbare, sachlich völlig undefinierte und nicht näher problematisierte "gelangweilte" Befindlichkeit des/der VerfasserIn auch noch zu einem allgemein gültigen (!) Ausgangspunkt dafür gemacht werden, Menschen willkürlich als "Konterrevolutionäre" zu behandeln.
Dieser "Logik" folgend, müsste ab sofort wohl vor allem eine/r als KonterrevolutionärIn "zu behandeln" sein: der/die VerfasserIn dieses zweifelsohne "Langeweile" verbreitenden Textes! ;-)
Mal ganz davon abgesehen, dass der/die VerfasserIn dabei offenbar überhaupt gar nicht merkt, wie er/sie selbst genau so selbstverständlich mit unbestimmten, nicht objektivierbaren Begrifflichkeiten um sich wirft und damit sogar gegen andere Menschen ("Konterrevolutionäre!") hetzt, wie er/sie es noch gerade erst wenige Sätze zuvor den "HedonistInnen" vorgeworfen hat...... nur, die hetzen gegen niemanden, sondern wollen einfach nur Spaß, Lust, Freude und Genuss aus dem ziehen, was sie tun. wer das als "konterrevolutionär" begreift, dessen "Revolution" ist offenkundig nicht meine Revolution (wobei es fast schon müßig ist, zu bemerken, dass der/die VerfasserIn natürlich auch eine nähere Definition und Problematisierung seines/ihres "Revolutions"-Begriffs gänzlich schuldig bleibt...).
naja geht so
"Ihre" ganze Erscheinungsform is mir auch nen bissl zu star, da wird aus Hedonisimus nen Kollektividentitäres Projekt, welches Aushandlungsprozesse innerhalb solcher Zusammenhänge verdeckt, von daher altunbewährte Praxis verbunden damit die sonst auch stattfindenden Raves als politisch zu verkaufen, oder mal woanders stattfinden zu lassen.
Naja aber wenigstens machen einige Hedonist_Innen nicht nur Lusttötende Latschdemos.
(1) http://www.hedonist-international.org/?q=de/node/176
Mitmach-Projekt
Gegenkritik der "Kritik"
Ich finde die Aktionsformen, die die HI wählt auch ziemlich witzig und originell, aber ihr Manifest ist tatsächlich nicht besonders informativ, sondern äußerst nichtsagend (das Adjektiv "offen" ist da nichts weiter als ein Euphemismus). Sie bringt es weder auf eine einigermaßen begründete Kritik der Gesellschaft, ist also im Grunde garnicht als "linksradikal" zu bezeichnen, obwohl es doch schon mal ganz interessant wäre, warum man als überzeugter Hedonist überhaupt politisch wird, Epikur hat doch gerade dazu aufgerufen, sich jeder politischen Betätigung zu entsagen (der ganze Bezug auf Epikur wirkt auf mich ohnehin eher als ein Witz. Also zumindest da wäre es doch wirklich mal angebracht, näher zu exiplizieren, was man denn konkret an Epikur so gut findet). Dann müsste man sich nämlich mal näher mit der Marxschen Gesellschaftskritik befassen, aber das wäre den Hedonisten wohl viel zu langweilig.
Gerade in der heutigen Situation der fast vollständigen Kapitulation des kritischen Denkens vor dem universellen Fetisch des "Nun-mal-so-seins" finde ich es auf jeden Fall reichlich affirmativ, die Unterstützung dieser Kapitulation mit irgendwelcher Pseudotheorie zu untermauern. Eine subversive Praxis ist halt ohne eine subversive Theorie nicht zu haben.
Noch zwei Anmerkungen zu Kritiken an dem Text:
@ Rote Zora:
Der Autor/die Autorin des Textes stellt den Begriff "Langeweile" in einen eindeutigen Kontext, nämlich den der situationistischen Theorie. Die HI bezieht sich dagegen nur auf Epikur und macht gewisse Anspielungen auf die SI, die aber äußerst vage bleiben.
@ egal:
Ich würde eher sagen, dass die Leute, die die Theorie zugunsten der Praxis unterordnen, letztendlich "Betonköpfe" sind, da sie sich offensichtlich weigern, die Zwecksetzung ihrer Praxis einer offenen Diskussion zu stellen. Da werden Spaßaktionen halt schnell mal zum Selbstzweck, zur puren Kunstperformance ohne subversive Funktion. Wenn die HI den Anspruch hat, irgendwie antikapitalistisch-politisch zu sein, dann muss sie diesen Anspruch schon irgendwie begründen.
Theorie, in der es nur um Rechthaberei geht, ist natürlich zu kritisieren, aber genau das will kritische Theorie ja garnicht sein.
Freudlose Analyse
So lange die linksradikale Szene so ein unattraktiver Haufen mit einer vollkommen freudlosen Ausstrahlung ist, ist an mehr werden nicht zu denken!
Mag sein, daß es den meisten linksradikalen darum geht, für eine Gesellschaft zu kämpfen, in der Lebensfreude für alle möglich ist. Glaubhaft und deutlich vermittelt wird dies selten.
Und das ganze von wegen falsche Bedürfnisse und repressiver Spaß im Kapitalismus, das ist ja richtig. Aber mit Bedürfniskritik vom Schreibtisch und in ätzenden Plena alleine kommt ihr besseren Formen von Lebensfreude keinen Schritt näher. Die Entwicklung emanzipativer Formen von Lebensfreude ist ohne Spaßfaktor nicht möglich.
Von daher: der Ansatz der hedonistischen Internationale könnte etwas in die radikale Linke hineinbringen, was wirklich not tut.
Zum autoritär-religiösen Charakter der HI
Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen
Texftformatierung — Beavis
Texftformatierung — mi
kreative aktionsformen oder reine lehre? — Dein Name
die begrifflichkeiten — nicht theoriefeindlicher linksradikaler
was schon max goldt wusste — taubertal
spassdiktatur — joffe
Gegenstand des Gedankens obigen Verfassers — Sexist.
Zwei Kehrseiten derselben Medallie — teamore
ja bitte — mädchen