Mittweida - das braune Herz Sachsens

AntifaschistInnen aus der Region 14.04.2007 14:13 Themen: Antifa
Hier wird ein Überblick über die Naziaktivitäten im Landkreis Mittweida und Umgebung gegeben, um die unhaltbaren Zustände in diesem etwa 700 km2 großen Gebiet zwischen Rochlitz, Burgstädt, Frankenberg, Hainichen und Döbeln zu skandalisieren. In Mittweida und Umgebung sind Zustände erreicht, wie sie sonst überregional nur aus der Sächsischen Schweiz bekannt sind. Hinsichtlich der Permanenz der Nazi-Gewalt kann es derzeit wohl aber als das braune Herz Sachsens gelten.
Das neue Braune Herz Sachsens - Neonazis im Landkreis Mittweida

Dieser Text soll einen Überblick über die Naziaktivitäten im Landkreis Mittweida und Umgebung geben, um die unhaltbaren Zustände in diesem etwa 700 km2 großen Gebiet zwischen Rochlitz, Burgstädt, Frankenberg, Hainichen und Döbeln zu skandalisieren. Damit ist noch nicht viel geschafft, die Zusammenstellung soll das Problem aber über den regionalen Rahmen hinaus bekannt machen und den Auftakt für weitere Berichte und Aktionen bilden. Vorab: In Mittweida und Umgebung sind Zustände erreicht, wie sie sonst überregional nur aus der Sächsischen Schweiz bekannt sind. Mittweida nimmt damit keine Sonderrolle ein. Hinsichtlich der Permanenz der Nazi-Gewalt kann es derzeit wohl aber als das braune Herz Sachsens gelten. Das allgemeine Urteil – das konstatieren einer „Faschisierung“ der Provinz – lässt sich hingegen für viele ländliche und kleinstädtische Regionen in Sachsen und vermutlich darüber hinaus fällen.

Im Fokus der Rechten
Bereits seit mehreren Jahren ist eine ständige Zunahme der rechten Gewalt im Landkreis Mittweida zu beobachten, die ihren vorläufigen Höhepunkt im Herbst letzten Jahres und im Frühjahr diesen Jahres fand. In einer uns vorliegenden Chronik wurden seit Anfang 2006 bis März 2007 mehr als 50 rechte Vorfälle erfasst. Diese umfassen die gesamte einschlägige Palette des Strafgesetzbuches von Landfriedensbruch und schweren Körperverletzungen bis hin zu Nötigungen und Beleidigungen. Zu den rechten Vorfällen in Mittweida und Umgebung zählen unter anderem Schmierereien, Bedrohung von Nichtrechten und politisch Andersdenkenden, Brandstiftungen, Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion und Sachbeschädigungen an Imbißständen und Treffpunkten politischer Gegner sowie Überfälle auf Menschen auf der Straße und auf Jugendeinrichtungen.
Zu Zielen rechter Angriffe und Drohungen wurden von 2006 bis heute Clubs und deren Besucher in Rochlitz (17.02., 08.10.,18.11., 08.12.2006), Tiefenbach/OT Naundorf (26.02.2006), Mittweida/OT Frankenau (26.02.2006), Kriebethal (18.11.,25.11.2006), Ehrenberg (21.11.2006), Leisnig (21.11.2006), Clausnitz (25.11.,27.11.2006), Geringswalde(10.01.2007) und Döbeln (10.02.2007).
Bereits im Dezember letzten Jahres hatte sich daraufhin die Sächsische Landjugend - der Trägerverein von mehreren betroffenen Jugendeinrichtungen in der Region - an die Öffentlichkeit gewandt und auf diese Vorfälle hingewiesen ( http://www.amal-sachsen.de/news.php?art=357&search=landjugend). Daraufhin wurde ein Mitarbeiter direkt von Nazis bedroht, er wäre schneller verschwunden, als er „Antifa“ schreien könne.
Gewalttätige Übergriffe auf Jugendliche gab es in Mittweida, Rosswein, Frankenau, Leisnig und Rochlitz, Markersdorf und Chemnitz, selbst vor einem Überfall auf ein Dorffest in Breitenborn schreckten die Neonazis nicht zurück. Rechte Schmierereien und Propaganda tauchten unter anderem in Mittweida, Königsfeld, Frankenberg, Burgstädt, Böhrigen, Geringswalde und Rochlitz auf. Zentrum der Naziszene in der Region ist Mittweida. Stellvertretend für die bis zu 60 kurzfristig mobilisierbaren Nazis werden hier zunächst M. Lux, T. Woost, und S. Seyfahrt genannt und letztere auch bebildert, alle vorbestrafte Kriminelle mit Kontakten zur NPD und Einfluss in die regionale Szene.
Mehr als diese abstrakte Aufzählung kann eine Mitteilung von Jugendlichen gegenüber Amal Sachsen einen Eindruck über die Zustände vor Ort geben: die Jugendlichen wissen angesichts der sich immer weiter eskalierenden Situation nicht mehr, was sie noch gegen die Neonazis in der Region tun sollen. Sie fragen, wer ihnen helfen könne, da viele sich nicht einmal mehr Nachts auf die Staße trauen, der Frust und die Wut immer mehr steigen.

Vorläufiger Endpunkt der Chronik: In der Nacht zum Ostersonntag wurden die Scheiben des PDS-Abgeordnetenbüros von MdB Michael Leutert in Mittweida eingeschlagen. Es handelt sich dabei um den 5. Anschlag seit Dezember vergangenen Jahres und den 8. Übergriff seit Eröffnung des Büros im April 2005. Außerdem werden in der gleichen Nacht Scheiben an 3 Dönergeschäften im Stadtgebiet Mittweida eingeworfen.
Das hinter dem permanenten Naziterror organisierte Strukturen stehen, kann bereits nach dieser Aufzählung vermutet werden. Deutlicher wird es durch folgende Vorfälle:
Im August 2006 versuchten ca. 35 Neoazis einen Gedenkmarsch an Rudolf Hess in Mittweida durchzuführen, konnten aber von der Polizei daran gehindert werden. Gerade bei Angriffen auf Jugendclubs und beim Überfall auf das Dorffest ist ein organisiertes Vorgehen zu beobachten. Die Überfälle auf die Jugendclubs der Sächsischen Landjugend im letzten Jahr liefen überall nach ähnlichem Schema ab: Eine größere, geschlossene Gruppe taucht auf und geht zuerst gezielt gegen „alternativ“ aussehende Menschen vor. In den Clubs wird gezielt nach vermeintlich „linken“ Plakaten und Aufklebern gesucht. Nach den Angriffen verschwindet die Gruppe geschlossen. Für das Selbstbewusstsein der Naziszene im Raum Mittweida spricht zudem, dass mehrere Übergriffe im Vorfeld angekündigt wurden.

Ein ungelöstes Problem
Dieses Auftreten ist auch Polizei und Verfassungsschutz nicht verborgen geblieben. Im März 2006 wurde erstmals die Existenz einer neonazistischen Kameradschaft „Sturm 34“ öffentlich eingestanden. Das führte am 26.07.2006 zu einer Razzia gegen die Gruppierung, bei der rund 30 Wohnungen in den Landkreisen Mittweida und Stollberg durchsucht wurden. Sollte das Ziel dieser Aktion die Beendigung der Aktivitäten dieser Gruppe gewesen sein, so kann sie durchaus als Fehlschlag bezeichnet werden. Das wird vor allem an der Häufung von Überfällen im darauffolgenden Herbst deutlich. Zur Zeit wird die Eröffnung des Verfahrens gegen den „Sturm 34“ angeblich aufgrund von Überarbeitung und Aktenfülle Monat für Monat weiter hinaus geschoben.
Die Polizei verschweigt bei einem Großteil der Nazigewalttaten den politischen Hintergrund. Andere Gewalttaten und Anschläge tauchen erst gar nicht in den Polizeimeldungen und damit in der Presse, die sich weitgehend darauf stützt auf. Ohne die Arbeit von Initiativen wie Amal Sachsen würde dieser ungenannt bleiben und die Opfer nicht zu Wort kommen.
Allein am Wochenende vom 23./24.3. kam es zu drei Nazi-Überfällen, deren politischer Hintergrund in den Polizeiberichten ungenannt blieb und die einen Eindruck in das mittlerweile fast alltägliche Geschehen vermitteln. So wurde am 24.3. ein junger Mann auf der Feldstraße in Mittweida angegriffen und laut Polizei grundlos zusammengeschlagen. Die Chemnitzer Morgenpost wußte ein wenig mehr: Grund für den Angriff war ein Punk-Sweatshirt, welches das Opfer trug. In Markersdorf wurde eine Geburtstagsparty von 10-20 Rechten überfallen. Die Feiernden verbarrikadierten sich, zwei zufällig außerhalb des Hauses befindliche Menschen wurden zusammengeschlagen. In Mühlau wurde am gleichen Wochenende ein Asia-Imbiss verwüstet.
Deutlich wird hier auch, dass die Polizei das Problem nicht im Griff hat, wie sie hinter vorgehaltener Hand selbst zugibt. Auf den Marktplätzen der Region wird nahezu jedes Wochenende erneut die Machtfrage zwischen Nazicliquen und der Polizei gestellt, wobei letztere in Sachen Selbstbewußtsein häufig die schlechtere Figur abgeben. Das staatliche Vorgehen gegen Rechts hat in einer Region mit rechter Hegemonie so keine Chancen.

Die durch den Rückzug des Staates und der Zivilgesellschaft aufgrund Sparzwängen, Bevölkerungsrückgang usw. entstehende Lücke wird von einer „rechten Ordnungsmacht“ gefüllt. Dabei spielen die Kleinstadt- und Dorfstrukturen den rechten Bestrebungen in die Hände, traditionell sind in solchem xenophobe und autoritäre Einstellungen verbreiteter als in Städten. Hinzu kommen Verlustängste „wenn denn ringsum alles den Bach runtergeht“. Linke, emanzipatorische, somit grundsätzlich antifaschistische Positionen sind demgegenüber im vorhinein marginalisiert, die Hegemonie wird hier von Ausnahmen abgesehen rechts besetzt.
Eine deutliche politische Reaktion von lokalen Politikern (Bürgermeister MW Matthias Damm, Landrat Andreas Schramm) steht bisher, entgegen aller Notwendigkeit, aus. Die Zustände werden ignoriert, die politischen Entscheidungsträger handeln ebenso wie die Polizei verantwortungslos und sorgen für viele Menschen im Landkreis schon lange nicht mehr für Schutz, Ruhe und Sicherheit. Auch eine längerfristige Strategie zum Umgang mit diesem Problem, von der direkten strafrechtlichen Verfolgung einzelner Vorfälle aus den Vorjahren einmal abgesehen, ist nicht erkennbar.
Couragierte Einzelpersonen -wie Mitarbeiter der Sächsischen Landjugend-, die das Problem benennen, werden persönlich bedroht und erfahren kaum öffentliche Unterstützung. Anträge der Fraktion DIE LINKE.PDS im Stadtrat Mittweida zur Erstellung einer Konzeption „Weltoffenes Mittweida – für Demokratie und Toleranz“ und zur Realisierung eines Streetworker-Projekts für die Stadt Mittweida wurden erst kürzlich abgelehnt.
Der Chemnitzer Morgenpost war gestern (13.04.2007) schließlich zu entnehmen, wie man sich den Umgang mit den Nazis in der Hochschulstadt Mittweida künftig vorstellt. Rektor Lothar Otto gab sich sehr besorgt und bekannt, dass die Hochschule nun mit der Stadt einen Plan entwickle, „die von der Gesellschaft Ausgestoßenen zu integrieren“.

Die organisierten neonazistischen Aktivitäten bilden aber nur die Spitze des Eisberges. Sie passieren vor einem gesellschaftlichen Klima, in dem rassistische, antisemitische und offen nationalsozialistische Äußerungen zum Alltag gehören. Als Beispiel sei hier der Fall eines Mitarbeiters eines Hainichener Busunternehmens genannt, der vom Inhaber Siegfried L. mit folgenden Worten gekündigt wurde: „Schade, dass es Hitler nicht mehr gibt, da wären Sie schon lange nicht mehr da.“ Dieses Unternehmen ist unter anderem mit der Schülerbeförderung im Landkreis Mittweida beauftragt.
Am 6.3.07 fanden sich in Mittweida etwa 200 Menschen – Punks, Jugendliche, sowie Vertreter von Vereinen, der lokalen PDS und der Verwaltung zusammen und gründeten das "Bündnis für Menschenwürde - gegen Rechtsextremismus im Landkreis Mittweida" ( https://www.buendnis-mittweida.de). Konkrete Vorhaben wurden zunächst nicht vereinbart, aber das Problem mit Nazis in Mittweida und Umgebung wurde von niemanden in Frage gestellt. Die ersten Ansätze des Bündnisses gehen inhaltlich über vergleichbare Initiativen hinaus, jedoch ist aufgrund der Breite des Bündnisses und der Alibi-Platzierung von Lokalpolitikern auch die Gefahr der Abschwächung und Entpolitisierung (hin zu einem „Bündnis gegen Gewalt“) gegeben. Die Anzahl der TeilnehmerInnen spricht jedenfalls einerseits für die Größe des Problems, macht andererseits aber auch deutlich, dass selbst hier noch genügend Menschen leben, die sich offen gegen Nazis stellen. Die Bündnisveranstaltung war nur mit Polizeischutz möglich. Einzelne Abreisende wurden dennoch von Nazis bedroht und beschimpft.

Ansätze: Was Tun?
Hilfe und Solidarität mit Opfern von Nazigewalt ist geauso unabdingbar wie die Unterstützung antifaschistischen Engagements vor Ort. Kritische Einrichtungen und Personen sind von Kommunen und Landkreis politisch und finanziell zu stärken. Von dieser Seite wird das Problem aber ebensowenig wie durch polizeiliche Maßnahmen lösbar sein.
Kurzfristig ist aufgrund des Naziterrors eine antifaschistische Intervention nötig, um im Sinne von „Enough is enough“ das Problem zu skandalisieren und den Nazis und deren „No-Go-Areas“ wenigstens temporär etwas entgegen zu setzen, aber auf lange Sicht verspricht nur eine Antifa-Selbstorganisation vor Ort Erfolg. Dafür muss die alternative, antifaschistische Gegenkultur vor Ort gestärkt werden. Nötig sind Freiräume, wo sich Jugendliche selbstbestimmt aufhalten können und wo sie die Nazis draußen halten.
Denn zumindest in Mittweida sind die Probleme hausgemacht. Seit der Schließung des alternativen Jugendzentrums auf Betreiben des Bürgermeisters Ende der 1990er Jahre fehlt hier ein selbstbestimmter Anlaufpunkt für alternative, nichtrechte Jugendliche. Dass es auch anders geht, zeigt das Beipiel Landkreis Döbeln, in dem sich durch drei alternative Zentren samt ihrer Aktionen und Veranstaltungen ein Umfeld mit einer grundsätzlichen Antinazihaltung bilden und halten konnte.

AntifaschistInnen aus der Region
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Ergänzungen

noch ein name zum bild

mir 17.04.2007 - 17:52
da die titel des ersten bildes immer geschluckt werden: das titelbild zeigt von rechts (hihi) T. Wxxx und S. Sxxxxxxx bei einer npd-demo in chemnitz am 16.08.2005 (vgl.  http://germany.indymedia.org/2005/08/125314.shtml)

Blog zur Demo am 12. Mai 2007 in Mittweida

demo_mittweida_12_05_2007 20.04.2007 - 23:45

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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leave them alone — Midget Jones

Genau! — abc

Ausflug aufs Land — Tokio Hotel Songwriter

Mittweida rocken — antifa

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