Berlin: Freispruch wegen Stahlkappenschuhe

ProzessbeobachterIn 24.01.2007 18:47
Am 24.1.06 entschied das Berliner Landgericht, dass das Tragen von Stahlkappenschuhen auf Demonstration nicht strafbar ist.
Berlin: Freispruch wegen Stahlkappenschuhe





Zur Vorgeschichte. Im März wurde ein Antifaschist bei Vorkontrollen zur Demonstration „Den rechten Konsens brechen“ in Berlin festgehalten, kontrolliert und fotographiert, weil er Stahlkappenschuhe trug. Einige Monate später kam ein Strafbefehl in der Höhe von 600 Euro wegen passiver Bewaffnung.
Der Antifaschist legte mit einer Anwältin Widerspruch, so dass es am 24.1. zu einer Verhandlung kam.

Die Argumentieren des als Zeugen geladenen Polizisten war, die Schuhe seien geeignet, Tritte zu verstärken. Außerdem gehe die Polizei davon aus, dass die Schuhe gezielt für Auseinandersetzungen getragen werden und deshalb verboten wurden.
Die Anwältin des Antifaschisten widersprach dem mit der Einlassung, dass er die Schuhe ständig trägt und dass es ihm nie im Sinn gekommen wäre, die Schuhe als Waffe zu benutzten. Gab der Angeklagte in einer Erklärung an.
Dieser Argumentation schloss sich am Ende sogar der Staatsanwalt an und beantragte Freispruch. Er konnte nicht beweisen, dass die Schuhe zur Anwendung von Gewalt getragen worden sind. So musste der Richter schließlich den Freispruch bestätigen. Auch er erklärte, dass es keinen Beweis gibt, dass die Schuhe zur Gewaltanwendung getragen werden. Wenn es keine Äußerungen von den Angeklagten oder Aufrufe und Flyer gibt, die das annehmen lassen könnten. Deshalb Freispruch erster Klasse, so dass sämtliche Kosten die Gerichtskasse trägt.

Fazit: Die Leute sollen sich in ähnlichen Fällen nicht einschüchtern lassen, die Schuhe ihrer Wahl anziehen und bei Strafbefehlen Widerspruch eingehen und sich juristisch beraten lassen. Dabei kann ein solches Urteil herangezogen werden.




Creative Commons-Lizenzvertrag Dieser Inhalt ist unter einer
Creative Commons-Lizenz lizenziert.
Indymedia ist eine Veröffentlichungsplattform, auf der jede und jeder selbstverfasste Berichte publizieren kann. Eine Überprüfung der Inhalte und eine redaktionelle Bearbeitung der Beiträge finden nicht statt. Bei Anregungen und Fragen zu diesem Artikel wenden sie sich bitte direkt an die Verfasserin oder den Verfasser.
(Moderationskriterien von Indymedia Deutschland)

Ergänzungen

Bitte um Rückmeldung an ALB

Antifaschistische Linke Berlin 24.01.2007 - 20:13
Hallo "ProzessbeobachterIn",

bzgl. Deines obigen Eintrages wäre es nett, wenn Du Dich kurz bei uns zurück melden könntest. Einfach ne mail schreiben an:  antifa@antifa.de.

Danke, ALB.

Und jetzt noch die Seitentransparente..

c'est moi même 25.01.2007 - 02:08
Laufen denn überhaupt Klagen gegen die willkürlichen Auflagen was die Länge von Seitentranspis angeht? Falls ja, wie sieht der Stand der Dinge aus?

1,50 m. sind in jeder Hinsicht lächerlich, Demos in Berlin haben seit der rigorosen Durchsetzung solcher Auflagen eindeutig an Charakter verloren.

Titel der Ergänzung

Dein Name 25.01.2007 - 02:29
gibt es zu dem Urteil eine Aktennummer oder kann man sonst irgendwie direkt den urteilsspruich bekommen?

24.01.07

antifa 25.01.2007 - 03:51
"Am 24.1.06 entschied das Berliner Landgericht, dass das Tragen von Stahlkappenschuhen auf Demonstration nicht strafbar ist."

Ich nehme an, am 24.01.2007???

Schriftliches Urteil abwarten

Linksanwalt 25.01.2007 - 09:05
Ein Aktenzeichen anzugeben macht erst dann Sinn, wenn das Urteil mit schriftlicher Begründung vorliegt. Erst dann, läßt sich die Argumentationsweise des Gerichts nachvollziehbar analysieren.

Jetzt aber erstmal Herzlichen Glückwunsch zu diesem eigentlich selbstverständlichen Freispruch.

Schon lange habe ich über Berichte über pol. Maßnahmen oder Urteile den Kopf schütteln müssen, die das Tragen von "verletzungsgeeigneter" Kleidung (Stahlkappenschuhe, Nietenarmbänder etc.) auf Demonstrationen zum Gegenstand hatten. Dabei wurde immer mit dem Versammlungsrecht argumentiert, welches bewaffnete Demonstrationen und Verstöße gegen Auflagen nicht zuläßt und ahndet. Bei rechten Demos wurden Stahlkappen- stiefel per Auflage verboten, jedoch nicht weil sie als potentielle Waffen angesehen wurden, sondern wil ein uniformiertes, martialisches Auftreten verhindert werden sollte. Irgendwann sind die Gerichte und die Polizei dazu übergegangen, besagte Kleidung als Waffen iSd. Versammlungsrechtes aufzufassen und dementsprechend dagegen vorzugehen. Dem liegt meines Erachtens eine fehlerhafter Analogieschluß zu Grunde. Der Begriff "gefährliche Werkzeug bzw. Waffe" findet sich in § 224 StGB zur "gefährlichen Körperverletzung", die man begeht, wenn man "mit einer Waffe oder einem anderen gefährlichen Werkzeug" einen anderen verletzt. Dabei definiert sich "ein gefährliches Werkzeug" durch die Art seiner Anwendung, die zu einer Verletzung geeignet sein muss.(im einzelnen umstr.) Wenn man jemanden bspw. mit einem Stalkappenstiefel tritt, ist dies unzweifelhaft verletzungsgeeignet, der Stahlkappenstiefel also ganz klar "gefährliches Werkzeug" (gleichgestellt mit Waffe) iSd. StGB. Wichtig ist dabei jedoch, dass es auf die Art der Anwendung, also den verfolgten Zweck ankommt, der sich in der Körperverletzungshandlung widerspiegelt.

Im Versammlungsrecht geht es darum die Gefahr eines bewaffneten Mobs zu verhindern. Daher ist präventiv das tragen von Waffen verboten und wird geahndet. An dieser Stelle erfolgt die von mir als fehlerhaft beschriebene Analogie, die aber der Schlüssel zu den unsäglichen und unverhältnismäßigen Maßnahmen von Polizei und Justiz ist. Die Definition des "gefährlichen Weerkzeugs" aus " 224 stGb wird einfach übernommen, ohne zu bedenken, dass bei § 224 die Gefährlichkeit aus der Körperverletzungshandlung resultiert. Eine solche Körperverletzungshandlung fehlt aber bei der Situation einer Versammlung, die (noch) nicht gewalttätig ist. Der präventive Charakter des Versammlungsrechts rechtfertigt meines Erachtens eine Klassifikation als "gefährliches erkzeug" und damit als Waffe erst, wenn konkrete Indizien vorliegen die darauf schließen lassen, dass der gEGENSTAND als Waffe eingesetzt werden soll. Ein in der Hand geführtes Brecheisen ohne erkennbaren "zivilen" Einsatzzweck wäre ohne weiteres als waffe zu qualifizieren. Bei Stiefeln müsste aber, wie ja auch das Urteil richtig bemerkt, zumindest eine Verwendungsabsicht bspw. durch aggressives Kundtun einer solchen ("Ich trete euch zusammen") erkennbar sein. Erst dann läßt sich ein Einschreiten gegn den Träger juristisch rechtfertigen.

Ähnliches ist zu Auflagen zu sagen, die das Tragen von solcher Kleidung verbieten. Alleine die abstrakte Möglichkeit diese Kleidung als Waffe einzusetzen reicht jedenfalls nicht.

Bei aller Genugtuung über das freisprechende Urteil ist jedoch Vorsicht geboten: dieses Urteil ist auch nach seiner Rechtskraft für andere Gerichte oder Behörden nicht bindend. Es kann und wird wahrscheinlich auch so sein, dass trotzdem in mE nach rechtsfehlerhafter Weise undifferenziert gegen Träger solcher Kleidung, insb. Stahlkappenschuhen vorgegangen wird.

Also, dies ist nur meine persönliche Ansicht und nicht die der herrschenden Justizpraxis (leider), man kann sich zwar darauf berufen, aber nicht darauf vertrauen damit gehört zu werden ( ebenfalls leider ;-) ). So, hoffentlich habe ich jetzt niemandn mit meinen Ausführungen zu Tode gelangweilt, sonst wird dieser Beitrag noch zur "gefährlichen Waffe" deklariert.

FIGHT ON!!!



Stahlkappenstiefel

Angeklagter 26.01.2007 - 11:29
Hallo

nochmal eine ergänzung.
Das Urteil ist noch nicht schriftlich bei mir eingegangen aber ich schreibe mal die Geschäftsnummer rein.
(277 Cs) 81 Js 1197/06 (153/06)
Man sagte mir das sei das Aktenzeichen.

Schönen gruß

aktenzeichen

erklärt 26.01.2007 - 12:45
81 Js 1197/06 ist das aktenzeichen des gerichts, 277 Cs 153/06 das aktenzeichen der staatsanwaltschaft.

Titel der Ergänzung

Dein Name 29.01.2007 - 14:59
Falls das Foto den Angeklagten zeigt, wundere ich mich doch etwas, daß die Schuhe als Bewaffnung bezeichnet wurden und die Kette keine Erwähnung findet.

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

Zeige die folgenden 4 Kommentare an

AZ — ACAB

passive bewaffnung — noch'n linksanwalt

Bitte um Kontaktaufnahme — RoteHilfeGöttingen

hmm — egal