Wahlen, Wahlen, Nazis, Wahlen

aiwp 19.09.2006 18:37 Themen: Antifa
7, 3 Prozent, d.h. mit sechs Abgeordneten, zieht die neofaschistische NPD in den Schweriner Landtag. Aber nicht nur Mecklenburg Vorpommern, sondern auch im multikulturellen Berlin, verbucht sie Erfolge durch die Wahl in vier Bezirksverordnetenversammlungen (sie ist zu fünf BVVs angetreten!): Marzahn-Hellersdorf, Lichtenberg, Treptow-Köpenick und auch Neukölln.

(Erstveröffentlichung auf Indymedia)
Dafür musste mensch kein Hellseher sein. Tage vor den Wahlen waren schon die künftigen Überschriften und Leitartikeln der großen Tageszeitungen nach dem großen Urnengang klar: Das allgemeine Gezeter, das die NPD in Meck-Pomm in den Landtag eingezogen ist und das Gejammer über die Erfolge bei den Berliner BVV-Wahlen. Dies drückte sich unter anderem durch die Mobilisierung der Stammwählerschaft der großen Volksparteien, Kampagnen und die spezielle Schulung von JournalistenInnen im Umgang mit den Nazis aus. Aufhalten konnte man sie dennoch nicht. Von Sachsen, über Brandenburg und Berlin, bis Mecklenburg-Vorpommern sitzen nun Nazis in den Parlamenten. Und jetzt?
Wie immer versucht man sich zu rechtfertigen, alles schön zu reden, das Problem zur "Chefsache" zu machen. Die Erklärungsansätze reichen von der geringen Wahlbeteiligung bis zur Zersplitterung der Parteienlandschaft, aber auch von wirtschaftlicher Misere und teilweisem Mitleid mit der braunen Wählerschaft.

Die Wahltaktik der Nazis

Wenn man die Strategie der Faschisten in Meck-Pomm und Berlin vergleicht zeigen sich einige Unterschiede. Während man in "Mitteldeutschland" sich dem alten Konzept der Materialschlacht - laut Eigenangaben steckte man mehrere hunderttausend Euro in den Wahlkampf -, Bürgernähe und Bündnissen mit Freien Kameradschaften und der DVU bedient, führt man etwas weiter im südlichen Osten einen unvergleichlich aggressiveren Wahlkampf, bei dem Wahlstände anderer Parteien (auch der CDU) angegriffen, offen Plakate anderer Parteien abgerissen (und eigene mit Glasscherben versehen wurden) und Ausländerfeindlichkeit in rohster Weise zur Schau gestellt wurde, wie z.B. im Antimoscheeprotest in Heinersdorf. Eindeutig wird hierbei, dass man sich in Berlin nur den Worten nach einen Einzig auch ins Abgeordnetenhaus erhofft und sich daher einer radikaleren Methode bedienen kann, während man in Meck-Pomm eine eher biedere Erscheinung aufzeigte. Natürlich gab es auch dort "Rückfälle" zu den Gewaltmethoden: So wurden wiederholt Betreuer von Info-Ständen der SPD und der Linkspartei von Nazis provoziert, beleidigt und bedroht und es wurde gegen einen Rentner tätlich vorgegangen, der keine NPD-Werbung vor seiner Haustür dulden wollte. In Meck-Pomm lag der Fokus jedoch auf Profilierung als "soziale" Partei, z.B. gründete der NPD-Spitzenkandidat Udo Pastörs in westmecklenburgischen Lübtheen eine Bürgerinitiative gegen den dort drohenden Braunkohleabbau.

Woher dieser Wahlerfolg kommt

Die bürgerliche Mitte kann die Katastrophe nicht erklären, denn sie ist ein Teil des Ursachegrundes. Bundeskanzlerin Merkel lag gar nicht so falsch: Merkel bezeichnete den Einzug der NPD in den Landtag von Mecklenburg-Vorpommern als "außerordentlich bedauerlich" und diese Entwicklung könne nur bekämpft werden, indem die wirtschaftlichen und sozialen Chancen der Menschen "durch eine beherzte Politik" wieder in den Mittelpunkt gerückt würden. Diese Wahrheit ist jedoch auch nicht das Wahre für Merkel, die nach Thatcherischer Methode nicht von den un"beherzten" Reformen des Arbeitsmarktes, der Unternehmensteuer und des Gesundheitswesens abrücken will. Es gäbe ja keine Alternative.
Die geringe Wahlbeteiligung an sich wird auch zu Felde geführt. Dabei wird vergessen, dass die DVU 1998 in Sachsen-Anhalt zu einem Rekordergebnis von 12,9 Prozent kam, obwohl die Wahlbeteiligung zweistellig gestiegen war.
Besonders in Berlin wird die Zersplitterung in vielen kleinen Parteien und dadurch der Niedergang der großen Volksparteien kritisiert. Es war jedoch gerade die Ignoranz der großen Parteien, die zur Gründung vieler neuen Parteien geführt hat.
Und es waren vor allem die etablierten Parteien, die den Nährboden für die NPD bereitet haben. Von der Fremdarbeiterdiskussion bis Antimoscheeprotesten, die Unterstützung des Bundes der "Vertriebenen" und Verschärfungen des Asylgesetzes schürten alle bürgerlichen Parteien schon mal rassistische, nationalistische oder chauvinistische Ressentiments. Damit wird der permanente Sozialabbau der letzten Jahre, Kriegseinsätze und Massenarbeitslosigkeit gerechtfertigt - und der NPD zum Wahlerfolg verholfen.

"Gegen NPD wählen" und Parlamentarismus

Selbst innerhalb der Linken wird die Illusion in die parlamentarische Demokratie geschürt. Man solle wählen gehen, um den Einzug der NPD zu verhindern. Faschismus ist jedoch teil des kapitalistischen Systems. Wahlen werden faschistoide Tendenzen niemals aufhalten.
Es ist umgekehrt ein großer Fehler, Hoffnungen ins bürgerliche Parlament zu tragen. Denn politische Macht beruht in erster Linie auf ökonomischer Macht und das Kapital entscheidet, was zu tun ist. Im besten Fall ist die parlamentarische Demokratie eine "Demokratie" von oben nach unten, im schlimmsten, eine Diktatur des Kapitals.
Entgegen der üblichen Meinung ist zum Beispiel die NSDAP niemals durch Wahlen an die politische Macht gekommen, sondern ihr wurde die Macht übertragen. Lange bevor sie die Mehrheit hatte - jedoch nicht die notwendige absolute Mehrheit! - wurde Hitler von Hindenburg zum Reichskanzler ernannt. Demokratie hat in diesem Fall keine Rolle gespielt.
Parlamentarischer Kampf ist wie einen Wecker zu stellen, der nicht laut genug ist um jemanden aus dem Schlaf zu reißen. Ohne lautstarken Druck auf den Straßen ist er wertlos.

Der Erfolg der NPD und ihre Auswirkungen

Der Sieg der reaktionären NPD ist ein Rückschlag für jeden emanzipatorischen Kampf. Der Wahlkampf in Meck-Pomm und Berlin wurde aus der Kasse der sächsischen NPD finanziert, die Wahlkampfkostenerstattung und des weiteren erhält. Die Faschisten sind somit zumindest finanziell gestärkt. Anders als in Sachsen ist die NPD in Meck-Pomm sehr klein und wird daher keine oder kaum Spaltungstendenzen haben.
Da jede soziale Bewegung in erster Linie außerparlamentarisch ist, bedeutet dies nicht das die NPD zwangsläufig an Bedeutung gewinnen wird. Gerade außerhalb der Parlamente muss die NPD bekämpft werden: Auf den Straßen und nicht in den Parlamenten. Gleichzeitig muss auch das System bekämpft werden, dass Faschismus überhaupt möglich macht. Wahrer Antifaschismus ist antikapitalistisch und revolutionär.

aiwp - Antifaschistische Initiative weinrotes Prenzlauer Berg
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Ergänzungen

Nazis teilweise sehr viele Stimmen

HanZ 19.09.2006 - 19:21
Menschenleere Dörfer ohne Perspektive, die Jugend flieht, die Verbitterten bleiben: Vor allem in Vorpommern fand die NPD den Nährboden für ihren Wahlsieg. In ihrer Hochburg Postlow schließt nicht einmal der Bürgermeister aus, aus Protest mal rechtsextrem zu wählen.
Auch der Wahlkreis Uecker-Randow I hat es am Sonntag auf Platz eins einer der Wahlstatistiken geschafft: 15 Prozent der Wähler haben hier für die NPD gestimmt. Das war der Rekord aller Wahlkreise. In Wilhelmsburg kam die NPD auf 27,9 Prozent. Zehnmal so viel wie vor vier Jahren.
www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,437748,00.html

Helfen gegen solche Zustände wirklich nur Demos und Flugis? Wirds nicht langsam Zeit, die Menschen zu erreichen?

Nicht nur lamentieren - Solidarität gefragt!

roter helfer aus m-v 19.09.2006 - 22:14
Die NPD hat in ihrem Wahlkampf nach eigenen Angaben "etwas mehr als 400.000 Euro" eingesetzt. Dafür wurden u.a. 1,4 Mio. Flyer produziert und ganze Straßenzüge landauf landab mehrmals flächendeckend mit ihren Hetzplakaten überzogen, in den letzten beiden Wochen vor der Wahl auch noch durch eigene großflächige Wahlaufsteller mit dem Hitler-Bewunderer und Colognia Dignidad-Liebhaber Pastörs drauf.

Gegen diesen flächendeckenden Nazi-Unrat gab es in vielen Teilen des Bundeslandes couragiertes Eingreifen, sei es durch Verhinderungen von NPD-Infoständen, sei es durch Entfernen bzw. Verfremden von Nazi-Plakaten.

Mittlerweile sind gegen einige dieser antifaschistisch Gesinnten, die diese Form von faschistischer Umweltverschmutzung nicht einfach hinnehmen wollten, Ermittlungsverfahren wegen des Entfernens von NPD-Plakaten eingeleitet worden.

Die Rote Hilfe hat daher vor einigen Tagen ein Soli-Konto für die Betroffenen eingerichtet, damit die nicht auf den Kosten in Form von Geldstrafen und Bußgeldern sitzenbleiben.

Nun können auch all diejenigen, die nicht in M-V leben, aber dennoch diese Nazi-Plakate angekotzt haben, etwas tun, und zwar durch eine (größere oder auch kleinere) Geldspende auf das Soli-Konto.

Sollten Überschüsse übrigbleiben, werden diese zweckgebunden für künftige Antifa-Verfahren in M-V verwendet.

Anbei der Soli-Aufruf der Roten Hilfe Greifswald als pdf.

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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McPom ist nicht Mitteldeutschland — Richtigstellung

@Richtigstellung — Besserwisser