Kritik an der spanischen Arbeitsmarktreform

Ralf Streck 19.05.2006 11:39
Die beiden großen spanischen Gewerkschaften Arbeiterkommissionen (CCOO) und die Arbeiterunion (UGT) haben mit der sozialistischen Regierung und den Unternehmern eine Arbeitsmarktreform verabschiedet. jW sprach mit German Kortabarria von der größten baskischen Gewerkschaft ELA über die Kritik an der Reform, die Verbilligung und Vereinfachung von Kündigungen vorsieht und wohl nichts an den vielen Zeitverträgen ändert.
Was ist das Ziel und der Inhalt der Reform?

Es soll eigentlich darum gehen, befristete Arbeitsverhältnisse einzuschränken. Mehr als 90 % aller Verträge im spanischen Staat werden derzeit befristet geschlossen, das sind insgesamt schon 33 % aller Verträge, bei den unter 30jährigen 50 %. Neue Verträge und schon bestehende Verträge sollen demnächst Festverträge werden. Wer von 30 Monaten 24 Monate auf der gleichen Stelle arbeitet, soll demnächst einen Festvertrag bekommen.

Doch den Arbeitgebern wurden auch Zugeständnisse gemacht

Die sollen für die Neuverträge weniger Anteile für die Arbeitslosenversicherung und für den Fogasa-Fond zahlen. Letzteres ist ein Fond, aus dem Löhne bezahlt werden, falls eine Firma Probleme hat. Wichtiger ist aber noch die Verringerung der Abfindungen. Bisher schreibt das Gesetz eine Entschädigung von 45 Tagen pro gearbeitetes Jahr mit einer Höchstgrenze von 42 Monatslöhnen vor. Für die neuen Verträge werden nur noch 33 Tage berechnet mit einer Höchstgrenze von 24 Monatslöhnen. Weil es keine Arbeitslosenhilfe gibt und selten Sozialhilfe, müssen die Arbeiter davon oft den Lebensunterhalt bestreiten.

Ihrer Gewerkschaft gefällt das nicht.

Nein, diese Reform folgt einer seit vielen Jahren bestehenden Linie, um Kündigungen zu vereinfachen und zu verbilligen. Anfang der 80er Jahre war die Abfindung noch viel höher und es gab auch praktische Möglichkeiten durch eine Klage eine Wiedereinstellung zu erreichen. Heute ist das kaum noch möglich und die Leute werden immer billiger abgefunden.

Also wurde nun mit der Reform eine Bresche geschlagen, die weiter ausgeweitet werden soll.

Einen Spalt gab es schon. Bei der Reform 1997 wurde für einige Gruppen eine Verbilligung eingeführt. Die wird nun allgemein angewendet. Das bedeutet, die Belegschaften werden schon jetzt massiv umgebaut. In einigen Jahren kann der Großteil billig raus geworfen werden. Die Reform ist eine Schminke der Statistiken. Es wird zwar mehr Festverträge geben, aber mit Verträgen, die keine Sicherheit bringen. Arbeiter können billiger und ohne risikolos gekündigt werden.

Wird es überhaupt signifikante Änderungen geben, schließlich wird die Reform nicht auf schon bestehende Verträge angewendet.

Das ist zweifelhaft. UGT und CCOO hatten damit schon die Reform 1997 begründet, doch befristete Verhältnisse haben seither zugenommen. Dahinter steht eine große Reform die über viele kleine Schritte erfolgt, die leider im Sozialpakt von diesen Gewerkschaften abgesegnet wird.

Doch am 1. Mai letztes Jahr hatten die noch vehement derlei Maßnahmen abgelehnt. Warum unterschreiben sie jetzt?

Sie sind Opfer ihrer eigenen Politik, die auf Sozialpakt statt auf Verteidigung von Rechten und, falls nötig, auf Konfrontation mit den Unternehmen und der Regierung setzt. In der Situation, wo wegen der neoliberalen Politik, der Verteilungsspielraum kleiner wird, macht die keinen Sinn. Dazu kommt, dass sie sich zum größten Teil aus den Staatskassen finanzieren.

Was wird ELA unternehmen?

Wir werden allgemein mit anderen gegen die Entrechtung mobilisieren. Es geht ja auch um die Frage der Subunternehmen und um die Arbeitssicherheit. Der spanische Staat steht an der Spitze der Arbeitsunfälle in der EU. Eine Kampagne wie in Frankreich wird es kaum geben, dabei ist die Situation hier schon viel schlechter, als die, die mit dem Einstiegsvertrag für Jugendliche (CPE) dort geschaffen werden sollte. Wir werden auch auf Betriebsebene gegen die Auswüchse vorgehen und Druck auf die Aufsichtsbehörden machen. Die Mehrzahl der befristeten Beschäftigung ist illegal, weil Gesetze missachtet werden. Die meisten Leute könnten sich individuell schon jetzt auf feste Stellen klagen. Doch das wäre ein Pyrrhussieg. Sie werden dann billig gekündigt und haben keine Chance auf Wiedereinstellung. Sie ziehen es deshalb vor, lieber weiter befristet zu arbeiten, als gar nicht. Hier müssen die Behörden eingreifen. Das ganze muss auch vor dem Hintergrund gesehen werden, dass es nicht einmal Arbeitslosenhilfe gibt.

© Ralf Streck, Bilbao den 12.05.2006
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