Staatsanwaltschaft schont NS-Kriegsverbrecher

Wolfram Siede 27.11.2005 00:39 Themen: Antifa
Nachdem in den vergangenen Monaten mehrfach Flugblätter verteilt worden waren, wurde am 26. November nachgelegt: 180 Teilnehmerinnen und Teilnehmern besuchten die Hamburger Randgemeinde und sorgten dort für Aufsehen und gleichermaßen für zustimmende wie empörte Reaktionen.
Stuttgarter Staatsanwaltschaft verzögert die strafrechtliche Verfolgung von NS-Kriegsverbrechen

Gerhard Sommer, einer der in Italien wegen des Massakers von Sant'Anna verurteilten Kriegsverbrecher, lebt seit Anfang des Jahres in einer Seniorenwohnanlage in Hamburg-Volksdorf. Sommer bestreitet bis heute, Unrecht begangen zu haben. Erst durch die Presse erfuhren die Bewohner, Bewohnerinnen und Angestellten der Seniorenresidenz davon.
Nachdem in den vergangenen Monaten mehrfach Flugblätter verteilt worden waren, wurde am 26. November nachgelegt: 180 Teilnehmerinnen und Teilnehmern besuchten die Hamburger Randgemeinde und sorgten dort für Aufsehen und gleichermaßen für zustimmende wie empörte Reaktionen. In der Nacht zuvor waren Gedenktafeln an verschiedenen Stellen in der Einkaufspassage mit Schnellzement eingelassen worden. Und auch in den Redebeiträgen der Kundgebung wurde insbesondere auf die Empfindungen und Forderungen der überlebenden Opfer und Angehörigen abgestellt. So wurde am Zaun der Altenresidenz, in der Gerhard Sommer lebt, vier Tafeln mit den 394 namentlich ermittelten Opfern des Massakers niedergelegt und das folgende Grußwort verlesen: "Vor 60 Jahren wollte der Nazifaschismus im kleinen Dorf von Sant' Anna di Stazzema, eine Gemeinschaft zerstören, Alte, Frauen und Kinder, es wurde versucht die Existenz von Hunderten von Menschen auszulöschen, aber einige von ihnen leben immer noch, und sie werden nie vergessen. Der Verband der "Opfer von Sant' Anna di Stazzema" arbeitet, um die Erinnerung daran lebendig zu halten, was wirklich geschah, und um für Wahrheit und Gerechtigkeit zu kämpfen . Wir bedanken uns von Herzen bei all den Leuten, die heute an der Demonstration in Hamburg teilnehmen, für die Solidarität mit unserem Kampf und wir hoffen, dass in Kürze auch in Deutschland der Prozess gegen die Mörder eröffnet wird, so wie er uns vom deutschen Staatsanwalt aus Stuttgart versprochen wurde."

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Ergänzungen

NS-Mörder sind unter uns!

Kuni 27.11.2005 - 00:52
(Hier der Aufruftext:
Im Juni 2005 wurde der ehemalige SS-Offizier Gerhard Sommer zusammen mit neun weiteren Angeklagten vom italienischen Militärgericht zu lebenslanger Haft und Entschädigungszahlungen verurteilt. Als leitender Offizier war der in Hamburg lebende Pensionär vor rund sechzig Jahren an Kriegsverbrechen in Sant' Anna di Stazzema beteiligt. Dieses Jahr sprach das Gericht von La Spezia den rüstigen Rentner des "fortgesetzten Mordes mit besonderer Grausamkeit" an 560 Einwohnern des Bergdorfes schuldig. Durch das Urteil in Italien wurde das Verbrechen erstmals als ein Massaker an der Zivilbevölkerung anerkannt.

In den Morgenstunden des 12. August 1944 fielen 300 Angehörige der 16. SSPanzergrenadier-Division »Reichsführer SS« unter dem Vorwand der Partisanenbekämpfung in das norditalienische Dorf Sant'Anna ein: »Es wurde überall getötet,in den Häusern, in den Ställen, auf dem Kirchplatz« berichtet der Überlebende Enio Mancini. »In einem Haus wurden 70 Menschen zusammengepfercht.Kinder, Frauen, alte Leute. Kaum waren sie in die Ställe eingeschlossen,warfen die Nazi-Soldaten Handgranaten rein, und dann zündeten sie das Haus an. Nur fünf Kinder entkamen dem Stall: Milena, Mauro, Enio,Lina und Mario.« Fast alle Dorfbewohner wurden erschossen, erschlagen, verbrannt. In weniger als 4 Stunden ermordete die SS-Einheit 560 Menschen, darunter 120 Kinder. Anna Pardini, gerade 20 Tage alt, war das jüngste Opfer.

Sofortige Anklageerhebung gegen Gerhard Sommer und die Mittäter in Deutschland!

Gerhard Sommer, wohnhaft in der CURA-Seniorenwohnanlage am Lerchenberg in Hamburg-Volksdorf ist für dieses Massaker führend verantwortlich. Auch heute noch zeigt er keine Spur von Reue. 2002 äußerte er sich gegenüber dem Fernsehmagazin Kontraste: »Ich habe mir keinerlei Vorwürfe zu machen, ich habe ein absolut reines Gewissen.«

Den Opfern Gerechtigkeit...

Das fehlende Unrechtsbewusstsein der Täter hat bis heute Kontinuität, ebenso wie das Nichtinteresse der deutschen Justiz an ihrer Strafverfolgung. Angehörige von Wehrmacht, SS und anderen NS-Organisationen mussten sich in der Bundesrepublik Deutschland für ihre Taten nur in Ausnahmefällen vor Gericht verantworten. Nach ca. 106.000 Vorermittlungsverfahren wurden seit 1958 gerade einmal 6.500 NS-Täter verurteilt, davon lediglich 160 zu lebenslanger Haft. Wegen im Ausland begangener NS-Kriegsverbrechen mit Todesfolge wurden bis 1997 in der BRD sogar nur 71 Verfahren eingeleitet, von denen nur die Hälfte mit einer Verurteilung endete. Dagegen steht eine unüberschaubare Zahl von Verbrechen gegen die Menschheit, die bis heute ungesühnt blieben.

... den Tätern der Prozess!

Seit 10 Jahren verzögern die bundesdeutschen Strafverfolgungsbehörden die Aufnahme eines entsprechenden Strafverfahrens gegen Gerhard Sommer und die anderen Täter, obwohl die Beweislage durch die gründlichen Ermittlungen in Italien eindeutig ist. Und selbst nach der Bekanntgabe des italienischen Urteils betonte die Staatsanwaltschaft, dass es nicht einmal sicher sei, ob es noch zu einer Anklage in der BRD kommen werde. Jahr rechtskräftig wird, wird der deutsche Staatsbürger Gerhard Sommer nicht nach Italien ausgeliefert.

Unser Anliegen ist es, den Opfern und ihren Angehörigen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Wir schließen uns deshalb der Forderung an, das Verfahren wegen 560fachen Mordes gegen Gerhard Sommer in der BRD aufzunehmen. Die Nichtverfolgung solcher Massenmörder ist nicht nur der Haltung der Justiz geschuldet, sondern auch der unzureichenden gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit den faschistischen Verbrechen. Es geht um die Frage, ob die deutsche Gesellschaft bereit ist, aus ihrem historischem Versagen heute Konsequenzen zu ziehen. Denn, von »alten Geschichten« und »alten Männern, die man in Frieden lassen soll« redet nur, wer die Überlebenden und die ermordeten Opfer vergessen oder missachten will.

Eine Initiative vom Arbeitskreis Distomo; Auschwitz-Komitee in der BRD e.V., Avanti - Projekt undogmatische Linke; Libertäre Harburg, Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschisten.

Kundgebung & Demo, Samstag, 26. November
Gedenkstein Weiße Rose, 11.30 Uhr
2 Minuten vom linken Ausgang U-Bahnhof Volksdorf entfernt.

Kundgebung und Demonstration unterstützen (Stand: 8.11.): AG Sputnik, Arbeitskreis gegen das Vergessen Hamburg, Arbeitsgemeinschaft freier Jugendverbände in Hamburg e.V. (AGfJ), autonome.harburger.antifa (aha), Deutscher Freidenkerverband - Ortsverband Hamburg, DKP-Hamburg, Hamburger Wählervereinigung REGENBOGEN, Kuratorium der Gedenkstätte Ernst Thälmann, Red&Anarchist Skinheads Hamburg, Stadtteilkollektiv Rotes Winterhude, Willi-Bredel-Gesellschaft.

Übrigens: Gedenktafeln schnell entfernt

Winter 27.11.2005 - 20:07
"So wurde am Zaun der Altenresidenz, in der Gerhard Sommer lebt, vier Tafeln mit den 394 namentlich ermittelten Opfern des Massakers niedergelegt [...]"
Jene Tafeln waren bereits am selben Nachmittag nicht mehr zu sehen - vermutlich leistete das Personal der Altenresidenz ganze Arbeit...

Berichterstattung in der taz-hamburg

Wolfram Siede 28.11.2005 - 07:16
Ein guter Bericht erschin auch in der taz-hamburg:
 http://www.taz.de/pt/2005/11/28/a0025.nf/text

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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