Protest gegen Heimattümelei in Frankfurt a. M

sheena 25.11.2005 11:20 Themen: Antifa
Gestern protestierten antifas in FfM gegen eine revisionistische Debatte um den Aufbau von zerbombten Fachwerkhäusern
Seit mehreren wochen läuft in frankfurt a.m. eine rege debatte über die sog. rekonstruktion der historischen altstadt. das technische rathaus, ein sehr gelungen-hässlicher betonklotz am rande des römerbergs, zwischen schirn und dom, soll abgerissen werden, um - so zumindest der willen etlicher bürgerInnen - dem aufbau "authentischer fachwerkhäuser" platz zu machen, die 1944 von den alliierten glorreicherweise plattgebombt wurden. in der debatte wird vehement mit kategorien wie "identität", "orientierung" und "sinn" argumentiert - das romantisierte vergangene, angeblich warm und heimelig, wird in anschlag gebracht gegen die kalte, sinnentleerte, gesichtslose moderne.diese mischung aus borniertem lokalpatriotismus und heimattümelnder kulturkritik wird von cdu-oberbürgermeisterin roth über etliche stadtgranden bis zur spd ("der bürger hat ein recht auf fachwerk") getragen, die junge union organisiert bereits eine unterschriftensammlung. die presse (fr, faz, fnp) berichtete beinahe täglich über neue entwicklungen.
der rechtsradikale wolfgang hübner, vorsitzender der römer-fraktion "bff", der vor wenigen jahren noch gemeinsam mit horst mahler demos organisierte und sich fortwährend an die spitze populistischer mobilisierungen zu setzen trachtet - so etwa gegen die doppete staatsbürgerschaft und den "ausverkauf der frankfurter u-bahn" (gemeinsam mit attac und pds) - hat eine bürgerinitiative gegründet, an deren gründungstreffen 70-80 leute teilnahmen, die das von hübner formulierte pamphlet einhellig abnickten. autoritäres staatsbürgertum im gewand der eigeninitiative also.von der reformistischen bis zur radikalen linken wurde die gespenstische debatte bisher nicht kommentiert.

gestern nun fand im plenarsaal des römers eine bürgerversammlung statt, an der neben den geladenen expertInnen und den römer-abgeordneten auch ca. 200 bürgerInnen teilnahmen. 10-15 antifaschistInnen wollten sich die günstige gelegenheit zur provokation nicht entgehen lassen und postierten sich mit transparent ("ANTIFAchwerk - Gegen Heimattümelei!") und flugblättern (siehe unten) direkt vor dem eingang des römers. die flugzettel gingen sehr schnell weg und lösten rege diskussionen aus, mit dem auf der rückseite kopierten bild des bombardierten römers wurde den bürgern nochmal in erinnerung gerufen, warum die sentimentalisierten fachwerkhäuser nicht mehr stehen.
einige securities des angrenzenden weihnachtsmarkts in extrem faschistoiden style wollten sich die gelegenheit nicht nehmen lassen, "ihr hausrecht" wahrzunehmen und die antifas zu verjagen. mit einer mischung aus gekonnter ignoranz, subtiler ironie und rumgeprolle konnten ihre gewaltdrohungen jedoch ausgebremst werden, so dass sie die aktion schließlich nur noch schweigend und grimmig dreinblickend begleiteten.

angesichts des geringen aufwands kann der protest als relativer erfolg gewertet werden. es bleibt zu hoffen, dass sich in den kommenden wochen vermehrt antinationale kräfte gegen die diskursive hegemonie der tümlerInnen wenden.

frankfurt von der karte streichen - darmstadt muss bis giessen reichen!



Hier noch der Text des verteilten Flugblattes:


Fuer die Dekonstruktion der Altstadt

1934 wurde zwecks der „Gesundung“ der angeblich fuenf schlimmsten Stellen
der Altstadt bereits aehnliche Vorschlaege gemacht – und ab 1936 umgesetzt – wie sie auch heute wieder die nach Rekonstruktion sich sehnenden Buerger fordern. Es handelte sich „damals“ um die Entfernung „entstellender“ Anbauten und Wiederherstellungen an Karmeliterkirche und Dominikanerkloster, einige Freilegungen von Fachwerk, vier Auskernungen, ein paar Abbrueche, ein Plaetzchen, eine kleine Strasse...

Die Rekonstruktion von Fachwerkhaeusern der Frankfurter Altstadt wird heuteunter anderem mit einem Begehren nach Waerme und Heimatgefuehl begruendet
und als ueberfaelliges Aufbegehren des kleinen Mannes gegen die Moderne
(Architektur) inszeniert. Was „damals“ war soll „heute“ werden.
Dahinter verbirgt sich das Haesslichste: Das deutsche „Leiden“ an der
Geschichte - welches das Leiden der Opfer der Deutschen vergessen will,
indem es geschwaetzig vom “eigenen Leid“ berichtet - nur um sich des
eigentlich Eigenen nicht zu erinnern, der Schuld. Dass der Wahn der
voelkischen Idylle von damals nur durch die alliierten Streitkraefte und
ihre Bombardements beendet werden konnte, geraet eben dabei leicht in
Vergessenheit. Denn was unter dem Schutt des „alten Frankfurt“ und anderswo unter den Truemmern begraben wurde und heute - dem deutschen Wohlgefuehl zuliebe - stolz wieder aufgebaut werden soll, riecht nach Gas. Selbstverstaendlich wurde der Bruch mit dem „Damals“, welcher seit den fuenfziger Jahren von den „gelaeuterten Deutschen“ so gerne vor sich
hergetragen wird, nie wirklich vollzogen, und selbstverstaendlich war auch der moderne Neuaufbau der Stadt kaum getruebt von einer Auseinandersetzung mit der juengeren Vergangenheit, vielmehr charakterisiert von Verdrängung der eigenen Schuld, dem Verwischen der Spuren der nationalsozialistischen Verbrechen und dem Unsichtbarmachen des ausgeloeschten juedischen Lebens.
Dennoch sperrte sich bislang - wenigstens baulich - die Paradoxie einer
Altstadt ohne alte Haeuschen gegen den plumpen Versuch, einfach so zu tun
als waere nichts passiert.

Aktion ANTIFAchwerk
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Ergänzungen

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hand 25.11.2005 - 11:38
eberhard dähne, der stadtverordnete der pds, die bereits mehrfach mit der rechten bff kollaborierte, saß auch gestern wieder neben wolfgang hübner und schien sich mit prächtig mit diesem zu amüsieren. angesichts der beiden gemeinsamen beschwörung von historischer identität, wie sie unten in einem auszug aus daehnes homepage aufscheint, kein wunder.

gegen die querfront!

______________

Eberhard Daehne:
Stadtentwicklung, -planung
WolfcityFür eine Stadtplanung, in der die Interessen der Frankfurterinnen und Frankfurter Vorrang vor denen des großen Kapitals haben. Verstärkte Zuwendung für Frankfurts Stadtteile, die alle eine eigene historische, soziale und kulturelle Identität haben, die sich nicht vom Stadtzentrum und den Hochhäusern des Bankenviertels herleitet. Mehr Rechte und Pflichten für die Ortsbeiräte, die dann auch eine eigene Finanzausstattung benötigen.


Mensch das ist doch albern

... 25.11.2005 - 13:00
Wenn heutzutage alte Bauwerke (Stichwort Unesco) aufgebaut, restauriert werden, dann hat das nichts mit Deutschtümelei oder dergleichen zu tun. Ok, wenn man stattdessen lieber "häßliche Betonblöcke" mag, wirds schwer mit Argumenten dagegen anzugehen.
Falls die Aufbau-Kampagne mit Worten wie "identität", "orientierung" und "sinn" begründet wird, mag dies natürlich ein Stirnrunzeln hervorrufen. In dem Falle sollte man aber nicht dazu übergehen den Aufbau der Fachwerkhäuser als die Wurzel allen Übels anzuprangern, sondern man sollte die Kampagne dzu angreifen. Im obigen sinistra-Text scheint mir das aber nicht der Fall. Es wird wie üblich mit Schlagworten argumentiert, quasi in gleicher Weise wie die Kampagne ihrerseits das macht.

Mit Losungen wie "Fuer die Dekonstruktion der Altstadt" ignoriert ihr völlig die Geschichte der Altstädte. Denn, und nu passt auf, diese wurden nicht zur Nazizeit erbaut, sondern reichen weit in die Geschichte zurück. Hier gehts eben nicht um Führerbunker, Flaktürme oder ähnliches, sondern um stinknormale Wohnhäuser. Und bei diesen spielt es keine Rolle ob Nazideutschland den Krieg angefangen hat oder nicht, eigentlich ist es völlig irrelevant in diesem Zusammenhang.

Ich wandere lieber durch hübsche Altbauten und Innenstädte mit Fachwerkhäusern, als durch hochglanzpolierte Glaspaläste mit Shoppingcenter und Bräunungsstudio nebenan. Aber Fachwerkhäuser als neuestes Feindbild der Antifa (zmindestens der sinistra) kommt mir ziemlich absurd vor. Als ob es nicht genung andere Probleme gibt...

Zu Wolfgang Hübner

AlterNation 25.11.2005 - 17:48
über hübner, den gründer der bürgerinitiative, maßgeblichen stichwortgeber der jetzigen debatte (vor allem in der Frankfurter Neuen Presse, die immer wieder mit schlagzeilen wie "Stoppt Wien die Türkei?" aufwartet) und organisator des letztjährigen, erfolgreich von antifas gestörten gedenkens an die frankfurter, die beim alliierten bombardement ums leben kamen, ein auszug aus einer rede von jutta ditfurth, die dessen kooperation mit horst mahler belegt, und daneben seine guten kontakte zur pds beklagt:


 http://www.frankfurter-info.org/1098398492/index_html

Ich habe den folgenden Konflikt direkt mit PDSlern zigmal direkt angesprochen, erfolglos, ich gebe in dieser Hinsicht auf. Da wird nur wachsweich drumherum geredet. Also spreche ich jetzt Klartext über das, was an Bündnispolitik vollends unerträglich ist: Am 29. September 2004 haben FAG, Europaliste und PDS eine gemeinsame Pressekonferenz mit dem rechtsextremen BFF-Stadtverordneten Wolfgang Hübner veranstaltet. Das immer wieder auftauchende Bündnis zwischen PDS und der rechtsextremen BFF, das gemeingefährlich völkisch-populistische Hintertürchen, das die PDS da manchmal aufmacht, hat nicht nur im Osten des Landes bereits Teile der Bewegung gegen die Zerstörung des restlichen Sozialstaats vergiftet siehe Montagsdemos! Oder siehe schon frühere Kooperationen von PDS-FunktionärInnen wie Christine Ostrowsky in Dresden mit Neonazis.

Unwidersprochen von den anderen Mitgliedern des Bündnisses konnte WolfgangHübner auf der Pressekonferenz das Parlament als »verwahrlost« bezeichnen. Das ist Nazi-Jargon. - Ein »kleiner Vierer« hieß es über die Pressekonferenz in den Medien.

Es ist obszön: Sozialisten beklagen sich gemeinsam mit Rechtsextremen, dass sie von einer bürgerlichen Mehrheit schlecht behandelt werden. Soll Euch das bei kommenden Wahlen helfen? Das ist ein zu hoher, ein unbezahlbarer Preis!

Heiner Halberstadt, der Fraktionsvorsitzende der PDS, behauptete danach in einer Presseerklärung: Der Eindruck sei falsch, es werde keine Kooperation zwischen PDS und BFF angestrebt.

Richtig. Es gibt sie schon und nicht zum ersten Mal: Auch im Frankfurter Bündnis gegen das Cross Border Leasing, an dem wir vor allem deshalb nicht teilnahmen, weil attac Rechtsextreme so lange duldete und erst nach langem Streit und mit viel zu knapper Mehrheit ausschloß, gab es die Kooperation der PDS mit der BFF. [Nicht zu vergessen: bei der Aufstellung einer gemeinsamen Liste zur Wahl des ehrenamtlichen Magistrats zu Beginn der Wahlperiode wollte die PDS, dass die BFF/Wolfgang Hübner dabei ist. Das haben wir abgelehnt. Es kam eine Liste von PDS, Europaliste und ÖkoLinX-ARL zustande.]

In den Kommunalwahlkämpfen und -programmen von 1997 und 2001 haben Hübner und die BFF in ihren Programmen bewiesen, dass sie rechtsextrem sind. Ich muss die Details aus Zeitgründen hier weglassen.

[Anmerkung: Im Rahmen der neonazistischen »Querfrontstrategie« dringt die BFF in letzten Jahren in bürgerlich-linke Bündnisse ein, wie z.B. in das Bürgerbegehren gegen das Cross-Border-Leasing oder in die Bewegung gegen die Flughafenerweiterung.]

Auf der website von attac bestritt Wolfgang Hübner (BFF) am 4. August 2003, dass er »ein 'Kampf- und Weggefährte Horst Mahlers'« war oder ist. Hübner und die BFF habe »1998/99« nur »für einen Volksentscheid über die generelle doppelte Staatsbürgerschaft im Rahmen einer 'Frankfurter Initiative'« gearbeitet, mit der »der damals noch keineswegs ins extreme Abseits geratene Horst Mahler Kontakt« aufgenommen habe.

Das ist eine doppelte Lüge. In zeitbedingter Kürze: Spätestens 1997 hat sich Mahler selbst als Faschist geoutet. 1998 trat er mehrfach als Referent bei der NPD auf und bei anderen faschistischen Organisationen in Deutschland und Österreich. 1999 galt Mahler in Nazi-Kreisen und in Nazi-Medien als Integrationsfigur und brauner Hoffnungsträger. Er sagte, die »Auschwitz-Keule« bedrohe die »Lebensinteressen unseres Volkes«. Er hetzte gegen Überfremdung, verteidigte Hitler, und sagte, dass das »jüdische Volk« der »Feind« der Deutschen sei.

Ich möchte Sie mit einem vertraulichen Dokument bekannt machen, das die Zusammenarbeit von Wolfgang Hübner und Horst Mahler belegt. Aus dem Protokoll der »Frankfurter Initiative« vom 13. und 14. März 1999 geht folgendes hervor: Zu den aktiven Teilnehmern des Bündnisses gehörten u.a.: Horst Mahler, Annemarie Paulitsch - bald darauf NPD-Vorsitzende in Offenbach­, und Wolfgang Hübner als Versammlungsleiter. Es wurde über Vernetzung diskutiert, über strategische Ziele, und wie man gegen das Einwanderungsgesetz, die Reste des Asylrechts und gegen den Doppelpass vorgehen wollte. Man beschloss einen Verein zu gründen. »Vereinsname: Wir sind das Volk«. Die Betonung liegt wohl auf »Wir«. Geplant wurden ­ 1999! ­»Montagsdemonstrationen«.

Horst Mahler übernahm das Juristische wie Satzungsentwürfe für den Verein und Demo-Anmeldung. Bei der Pressearbeit dachte man auch an die »Junge Freiheit«; Mahler, Mechtersheimer und Hübner sollten »die Publikationsorgane harmonisieren«. Wie man sieht, hat Horst Mahler keineswegs unverbindlich mit Herrn Hübner »Kontakt aufgenommen«.

Hat die PDS eigentlich Wolfgang Hübners Verteidigung von Martin Hohmanns Antisemitismus hier im Haus vergessen? Und all die anderen Äußerungen? Ist Euch das inzwischen alles gleichgültig?

Im Dezember 1998 hatte die faschistische »Junge Freiheit« angekündigt, dass Hübner und die BFF eine »Frankfurter Initiative« gegen die doppelte Staatsbürgerschaft gründen werden, die auch das Ziel habe, »Bündnisse zu schmieden«. Das ist Teil der sogenannten »Querfrontstrategie« der Nazi-Szene, über die ich aus Zeitgründen ein anderes Mal reden muss.

Was die PDS und die FAG und leider auch die Europaliste angeht, ist das »Bündnis« diesmal gelungen.

Nazis versuchen in die Bewegung gegen die Flughafenerweiterung einzudringen, ist das der FAG egal? Die PDS will mit Hilfe völkischer Bündnisse Wahlerfolge? Ist das nicht ein viel zu hoher, abscheulicher Preis?

So kann es keinen emanzipatorischen Erfolg im Kampf gegen Sozialterror geben.

weil ich ja sonst nix zu tun habe:

problem child 25.11.2005 - 19:07
um gleich einmal vorneweg ein missverständnis (?) aus dem weg zu räumen: es geht hier nicht um eine dogmatische (und unsinnige) gegenüberstellung "alte" versus "neue" architektur.

auch soll nicht in abrede gestellt werden, dass viele neuere bauwerke stadtplanerisch, qualitativ und ästhetisch katastrophen sind. auch die sinistra wohnt zugegebenermaßen überwiegend in den altbauquartieren bockenheim, nordend, sachsenhausen und nicht etwa in der nordweststadt oder bonames. das liegt aber nicht daran, dass moderne architektur älteren konzepten unterlegen wäre, sondern an den konkreten gesellschaftlichen bedingungen im spätkapitalismus.

sich jedoch moderne stadtkonzeptionen nicht jenseits von kameraüberwachten obdachlosenfreien einkaufsstraßen, bürostädten und autobahnzubringern in die miefigen antiurbanen reihenhaussiedlungen der vorstädte vorstellen zu können zeugt allerdings von einem eklatanten mangel an phantasie - insbesondere dann, wenn hier eine bautechnik und stadtgestaltung, die dem feudalismus angemessen gewesen sein mag und dem damaligen, dürftigen stand der produktivkraftentwicklung entsprach als sinnvolle alternative für die heutige zeit verkauft werden soll. zudem können die in frage stehenden häuser, im gegensatz etwa zum dom, auch kaum für sich in anspruch nehmen kulturhistorisch einzigartige zeugnisse zu sein.

letzten endes ging es uns aber nicht um ein geschmäcklerisches statement in einer lokalpolitischen städtebaulichen debatte, sondern um eine intervention in den historisch-politischen diskurs: um ein zurückweisen des versuches, die geschichte des nationalsozialismus (und die nicht-existenz der altstadt verweist zumindest indirekt auf diesen) zu gunsten einer vor- und antimodernen idylle aus dem stadtbild zu tilgen und so zu tun als wäre nichts passiert. fragen könnten sich die freunde der historischen rekonstruktion, wenn sie unbedingt etwas wiederaufbauen wollen, ja auch einmal, wieso sie nicht beispielsweise den wiederaufbau der von der frankfurter bevölkerung 1938 abgefackelten drei großen synagogen (börneplatz, friedberger anlage, börnestraße) fordern?!

Albern??

Warhead 26.11.2005 - 10:39
Nun,Wohnquartiere und Innenstädte wurden ganz authentisch zusammengebombt.Jetzt,über fünfzig Jahre später und zwei Generationen von Städteplanern weiter,oder doch besser Städteverplaner,gehen den urbanen Planern die Ideen und Experimente aus.Nachdem sie neue Sachlichkeit,Bauhaus,Postmoderne,Pompösbarock,Klassisismus,Industrial und neoklassizistische Ensembles durcheinanderschmissen,es hier mit Auflockerungen,dort mit Blockrandbebauungen oder Sichtachsen,Betonburgen,Zuckerbäckerei oder auch little Villages im Stil amerikanischer Vorstädte probierten,versucht man es jetzt mit Reastauratismus.Dabei wird nicht etwa auf Vorhandenes zurückgegriffen und stilgetreu widerhergestellt,nein,da wo Bomben und die Bausünden der sechziger bzw siebziger jahre wüteten,will man altes neu bauen.Alte Speicherhäuser,Rathäuser,Kirchen,Dome,Stadtschlösser,Stadtvillen und Bürgerpalais lässt man wieder originalgetreu auferstehen.Man buddelt auf Schuttplätzen alte Putten und Fassaden aus,wühlt in alten Plänen,durchsucht Photoarchive,quetscht Zeitzeugen aus.In Dresden zieht man die Frauenkirche wieder hoch,In Potsdam das Stadtschloss,In Berlin selbiges.Nun,bis auf die Frauenkirche haben alle diese Gebäude gemein das sie jeglicher Authentizität entbehren,Sandsteinfassaden vor Beton.Und...der fehlende Nutzen.Was kann ein widerrekonstruiertes Stadtschloss für einen Nutzen haben,ausser eine künstliche Fassade der Macht darzustellen.Am Pariser Platz lässt sich das Ergebnis aufs Trefflichste besichtigen.Da hat man behauptet den Vorkriegszustand wiederherzustellen,herausgekommen ist architektonisches Stückwerk,eine peinliche Persiflage,nicht Architektur hat sich dort manifestiert,sondern ingenieutechnische Kompromisse.Das Haus Liebermann schloss früher direkt ans Brandenburger Tor an,jetzt,zwei Meter Sockelabstand bilden eine ideale Toilette,in einem Atrium,welcher anno dazumal in Form und Funktion ein ganz anderer war,tobt Gastronomie.An lieblos hingeklatschten Sandsteinfassaden beginnt es zu bröckeln und zu schimmeln.Das Haus Sommer rechterseits wirkt wie ein verzierter Schuhkarton.Neben der Akademie der Künste,dort wurde Architektur von Stadtbaurat Stimman regelrecht verhindert,dominiert ein Büroklotz der DG-Bank,Sandsteinfassade und rhombische Fenster wirken wie eine Architekturstudie des ersten Semesters.In den Gebäuden selber protzt alles vor Modernismus,jedoch hat man nicht mit Marmor in den Foyers gespart.Spätestens im ersten Stockwerk vermisst man Stuck,Verzierungen,Putten,all dieses Zuckerwerk der Gründerzeit,alles kläglich eingespart.So zieht sich das Ensemble des Grauens vom Brandenburger Tor über unter den Linden bis zum Alex.Man klotzt die östliche Innenstadt voll von seltsamen Fassaden,nichts davon ist wirklich neoklassizistisch,die keinerlei lebensspuren bergen.Denn alle alte Gebäudesubstanz in der Dorotheenstadt und der Friedrichsstadt sind authentisch verlebt,weisen massenhaft Einschusslöcher und Bombenabsplitterungen auf,sind gelebte Geschichte.Die Kolonnaden der Museumsinsel sehen trotz Restaurierung wie ein Flickenteppich aus,die Unibibliothek am Kupfergraben hat keine zwei zentimeter Fassade ohne Einschussloch.Diese Gebäude leben,im Gegensatz zu der erbärmlichen Adaption die Bertelsmann gegenüber vom Zeughaus hingeklotzt hat,Schinkel und Schlüter rotieren in ihren Gräbern.Den nächsten Anschlag plant man mit der Widererrichtung der Schinkelschen Bauakademie.Die alten Pläne wurden von einem Fliegerangriff dahingerafft,man will nach Photos und Bildern bauen.Eine Ecke weiter das Gezerre ums Stadtschloss,dort will man schnelle Tatsachen schaffen,keiner weiss wie es zu nutzen wäre,als Bürgerforum,Bibliothek oder Hüpfburg für Erwachsene.Ein Fünf Sterne Hotel,noch eins,soll für Amortisierung sorgen.Niemand weiss wo die Milliarden herkommen sollen,erst sollte es schlappe 800 Millionen kosten,mittlerweile sind die Planungen bei zweieinhalb Milliarden angekommen.Schwer den Menschen das bei ständigen Spardiktat zu vermitteln.Und so geht das fröhlich weiter,da werden Bäume für die Reinerhaltung von Sichtachsen weggeholzt.Am heiligen See in Potsdam,von der Unesco zum Weltkulturerbe erhoben,darf man nicht mehr im Grase liegen,die Würde des Denkmals wäre entweiht,eine Formel welche die Unesco schon dazu brachte darüber nachzudenken die Weihen wieder zu entziehen.Gleiches auf der Museumsinsel wo mehrere Fraktionen von Architekten,Denkmalschützern und Konservatoren in erbitterten Kleinkrieg verfehdet sind.Man zankt sich um zerbombte Treppenhäuser und die Authentizität des Schimmelbefalls,man zankt sich um Fassaden und Verputz,die Hardcorefraktion möchte authentische Kriegsschäden um jeden Preis erhalten wissen,auch wenn Mauerwerk und das Tragwerk zum weiteren dahinsichen gezwungen sind,neuer Verputz und Schadensbeseitigung sehen sie als Sakrileg

Bauen im Nationalsozialismus

Patrick B. 28.11.2005 - 11:40
Es gibt keine einheitliche Architektur des 3. Reiches (obwohl dies häufig behauptet wird).
- Bei neuen Bauernhäusern griff man ab und zu auf Fachwerk zurück
- einige berühmte Parteibauten (Münchner Königsplatz, Reichskanzlei) wurde im Neoklassizismus errichtet
- einige Öffentliche Gebäude wurden im Barock gebaut (Oberfinanzdirektion München, Luftgaukommando München)
- einige Bauten sollten in Stahl und Glas errichtet werden (z.B. Hauptbahnhof München - wegen 2. Wk nicht begonnen)

Wenn man einen verhassten Stil des 3. Reiches wählen will bleiben einem eigentlich nur
- Bauhaus (- auch Elemente des Bauhauses kann man im 3. Reich findne, nur wurde dies nicht beim Namen genannt. Das Hotel Rhenischer Hof zum Beispiel war eom wunderbarer klassizistischer Bau - bei diesem wurde 1935 Stuck, Schmiedeeisen, Schmuck entfernt um einen einfachen, sachlichen Bau zu erhalten.)
- Gründerzeitbauten - Speer schreibt in seinen Erinnerungen, dass er die "hässlichen" Fassaden der Gründerzeithäuser mit Flaggen verdecken ließ

Hitler persönlich war am meisten von der barocken Wiener Ringstraße beeindruckt. Im München war er von dem Neoklassizisten Troost begeistert - Fachwerk war nicht sein Stil (es gibt unzählige Entwürfe von Hitler zu diversen Gebäuden - meines Wissens ist kein Fachwerk dabei).

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