Ageeb: Staatsanwalt fordert 1 Jahr Haft

res publica 08.10.2004 21:38
Wer sich mehr erwartet hat von einem Prozess gegen deutsche Polizeibeamte, die einen Menschen in ihren Händen gewaltsam zu Tode bringen, sieht sich enttäuscht. Die Staatsanwaltschaft im Ageeb-Prozess fordert 1 Jahr Haft mit Bewährung für die BGS-Beamten wegen "vorsätzlicher Körperverletzung im Amt mit Todesfolge in einem minderschwerem Fall". Urteil: 18.10.2004
Auch die BGS-Beamten, die Aamir Ageeb bei seiner Abschiebung von Frankfurt am Main in den Sudan am 28.05.1999 gewaltsam erstickten, sollen lediglich eine Freiheitsstrafe von einem Jahr auf Bewährung erhalten, so die Forderung der Staatsanwaltschaft. Das sichert ihnen wenigstens den Verbleib im Staatsdienst.
Zwar sieht auch der Staatsanwaltschaft den Vorsatz bestätigt, da die Beamten hätten wissen müssen, dass ihr Handeln zum Tod von Ageeb führen kann. Doch durch die unklare Befehlslage, mangelnde Ausbildung und organisatorisches Versagen des BGS plädiert er auf die Anerkennung eines minderschweren Falls. Nur deshalb ist die Absenkung der 3-jährigen Mindeststrafe auf ein Jahr überhaupt möglich.

Hier der ganze Bericht vom 7. Prozesstag im Verfahren vor dem Landgericht Frankfurt am Main:

Der Richter schließt die Beweisaufnahme. Plädoyers werden gehalten.

Staatsanwalt Koch:

Staatsanwalt Koch plädiert auf Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr auf Bewährung wegen: Vorsätzlicher Körperverletzung im Amt mit Todesfolge in minderschwerem Fall (§ 227 StGB)

Der Staatsanwalt beginnt sein Plädoyer mit den Worten "Der Prozess habe sprachlos gemacht". Dies liege nicht direkt an dem Fall, sondern an den Begleitumständen und der Rolle des BGS. Er beschreibt aus seiner Sicht, wie alles vor sich gegangen ist. Das Ageeb erst in einer menschenunwürdigen Stellung in den Gewahrsamszelle gefesselt wurde (hogtie-Fesselung), dann sei er verschnürt wie ein "Postpaket" die Treppe hochgetragen und dann sei er mehrfach am Sitz fixiert worden. Er sei nicht mehr wie ein Mensch, sondern wie ein Paket voll verschnürt gewesen. Mehrere Vorgesetzte kamen in der Situation dazu, (wegen eventueller Abschiebegegner) keinen habe die Art der Fesselung interessiert, keiner habe Anstoß an der Art der Fesselung genommen und die Verantwortung wurde auf die Begleitbeamten abgewälzt. Ebenso hatte der Pilot keine Veranlassung gesehen, die Abschiebung abzubrechen und, wie er im Prozess aussagte, wusste er nicht genau bescheid, wir das mit der Bordgewalt sei.

Dann kam der Vorgang der Startphase, in der Ageeb unruhig wurde und sich dann in der Steigphase aufgerichtet haben soll. Die Begleitbeamten seien panisch, völlig überfordert gewesen und beugten ihn daraufhin nach vorne. Die Angeklagten hatten ausgesagt, dass es immer wieder zum Kampf gekommen sei. Großzügig bemessen gehe er davon aus, dass die Phase des Runterdrückens ca. 5 Minuten angedauert habe, das sagte auch der Angeklagte Schw. aus. Als rechtliche Würdigung der Körperverletzung mit Todesfolge nimmt er an, sie hätten den Tod von Ageeb zwar vorsätzlich nicht gewollt, aber er war vorhersehbar. Es habe keinen vernünftigen Grund gegeben, Ageeb herunterzudrücken. Es ging keinerlei Gefährdung mehr von ihm aus. Zu dem Zeitpunkt, als die Beamten ihn wieder in den Sitz gesetzt hatten, war die Situation geklärt und es gab daher keine Notwendigkeit mehr ihn herunter zu drücken.

Der Gedanke der mitspielte: "Ruhe im Flieger, Zeit zu gewinnen, Ageeb habe sie vorher schon zweimal kalt erwischt, dies sollte nicht noch mal passieren." Es gab nach Aussagen des Staatsanwalts jedoch keine Veranlassung, Gewaltanwendung zu vollziehen. Die Angeklagten hätten wissen müssen, dass sie Ageebs Atmung beim Herunterdrücken behindern würden, dass sie ihm schaden würden. Daher gehe er von Vorsatz aus, dies hätte ihnen aus klarem Menschenverstand heraus klar sein müssen.

Daher kommt er zu dem Schluss: Körperverletzung mit Todesfolge, aber in einem minder schweren Fall und fordert Freiheitsstrafe von einem Jahr auf Bewährung. Er begründet den minder schweren Fall mit dem Versagen des BGS und der Behörden. Dies sei auch deutlich bei den Aussagen zur Ausbildung geworden. Es handle sich um Rückführungen von Menschen und nicht von Paketen, daher müssen Beamte gut ausgebildet werden. Er beschrieb die Ausbildung als "Realsatire" und auch die Angeklagten seien "Opfer, arme Hansel, die es getroffen hat".

Vertreter der Nebenklage, Rechtsanwalt Kornblum:

Rechtsanwalt Kornblum plädiert auf Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr auf Bewährung wegen: Vorsätzlicher Körperverletzung im Amt mit Todesfolge in minderschwerem Fall (§ 227 StGB)

Der Prozess hätte das "Totalversagen des BGS als auch der Angeklagten" gezeigt. Er beschreibt noch einmal die unklare Erlasslage, die Lehrgänge seien nur Erfahrungsaustausch gewesen, BGS habe auch keinen Abstand von der unzulässigen Fesselung genommen. Das ominöse Treffen in Berlin blieb unklar, dem BKA Ermittler Helmut H., der "kritisch" recherchierte, wurde der Fallentzogen. Dennoch gehe er davon aus, dass die Beamten sich selbst hätten informieren müssen. Daher seien sie auch nicht von jeglicher Verantwortung frei zu sprechen. Sie hatten billigend in Kauf genommen, dass Ageeb panische Angstzustände und Schmerzen hatte. Sie hätten sich zwar für ihr Handeln entschuldigt, dennoch hätte ihnen, wie jedem Menschen mit klarem Menschenverstand und mit Allgemeinwissen und aufgrund ihres Wissens aus dem Erste-Hilfe-Kurs klar sein müssen, welche Folgen es habe.

Ebenfalls sehe er es als sehr negativ an, dass die Angeklagten sich erst bei dem Prozess im Landgericht für ihr Handeln entschuldigt hatten. Dies hätten sie auch ohne Aussagen bereits beim Amtsgericht tun können.

Verteidigung Borowski:

Die Verteidiger plädieren auf Freispruch, da weder vorsätzliche Körperverletzung im Amt mit Todesfolge noch fahrlässige Tötung vorgelegen habe, sondern allenfalls Fahrlässigkeit, Gefahren nicht rechtzeitig erkannt zu haben.

Abschiebung sei das tägliche Brot des BGS gewesen. Grundlage seien die ausländerrechtlichen Verfügungen gewesen, die durch Gerichte überprüft wurden. Begleitete Rückführungen finden nur mit Menschen statt, die als renitent und unwillig eingeschätzt werden. Dies sei ein sehr schwieriges Klientel. Die Zahlen des BMI sagen aus, dass im Jahr 1998 70.000 Abschiebungen (davon 42.000 auf dem Luftweg) durchgeführt wurden. Es seien insgesamt 9.000 Beamte im Dienst gewesen. Alle mit unklarer Erlasslage, was zu dem Schluss führe, ohne Rechtsgrundlage.

Auch wenn die Bundesregierung auf eine kleine Anfrage schnell eine klare Antwort zur Hand hatte, dass nämlich die Bordgewalt nach Schließen der Außentüren allein dem Kapitän zuzusprechen sei, wurde dies beim BGS anderes gelehrt. Nach der Dienstanweisung, die während des Prozesses ständig vorgehalten wurde, war dies nicht eindeutig geklärt. Borowski führt länger aus, wie sich die Literatur mit diesem Thema beschäftigt hat sowie auch mit dem Tokioter Abkommen und das diese Kompetenzen kaum delegierbar seien. Demnach wäre diese eigentlich das Ende der begleiteten Rückführung. Dies wäre nur durch Abschiebungen mit staatseigenen Maschinen leistbar. In einer Zeitschrift wurde berichtet, dass die Bordgewalt nur in Entführungssituationen auf die Polizei zu übertragen möglich sei. Dadurch gab es weiter die Rechtsunsicherheiten in diesen Fällen.

Er geht soweit und zieht das Fazit: "Es gibt keine Rechtsgrundlage". Der BGS würde in all seinen Anweisungen nur schreiben, was Beamte nicht dürften, aber nicht wie sei handeln sollten.

Die Angeklagten hätten alles nötige veranlasst, so wie das angebliche Lösen der Fesseln, als Ageeb keine Luft mehr bekam. In dem Moment als Ageeb aufgestanden sei, mussten die Beamten handeln und die Situation wieder unter Kontrolle bringen. Aufgrund des wenigen Platzes im Flugzeug hatten sie nicht viele Möglichkeiten und hatten daraufhin Ageeb herunter gedrückt. Die Zeugin O.-T. hatte ebenfalls ausgesagt, dass sie für sich eine ganz reale Bedrohung gesehen habe. Notwehr sei dies sicherlich nicht gewesen, aber sie hätten davon ausgehen müssen, das sie das Recht hatten, den Widerstand zu unterbinden.

Weiter führt er die Aussagen zum PA-Syndrom aus. In dem Rahmen beschrieb er noch mal die US-Studien, in denen Beamte den Widerstand falsch verstanden hätten. Wenn sich jemand versuche aufzurichten, gingen die Beamten immer davon aus, dass der Betroffene Widerstand leisten wollte und nicht sich deswegen aufrichten wollte, weil er keine Luft mehr bekomme. Die Beamten hätten nicht feststellen können, dass Ageeb ums Überleben kämpfte, dies sei für einen Laien nicht möglich, dies sei von den Angeklagten missverstanden worden.

In dieser Zeit des Kampfes, der evt. 3-5 Minuten lang ging, hatten die Beamten auch noch versucht, die Passagiere zu beruhigen.

Fazit: Fahrlässig war es vielleicht, dass sie die Gefahr nicht erkannt haben, Vorsatz lasse sich jedoch nicht begründen. Daher plädiert er auf Freispruch für die Angeklagten.

Die beiden anderen Verteidiger schließen sich diesem Plädoyer an.

Das letzte Wort haben die Angeklagten, die alle noch mal alles bedauern, es würde ihn leid tun und der Vorfall würde sie ihr ganzes Leben begleiten.

Ende der Verhandlung

Urteil am 18.10.04 um 10.00 Landgericht Frankfurt Gebäude C Saal 165

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Ergänzungen

Richtige Website zum Fall Ageeb ...

res publica 08.10.2004 - 21:45
... ist natürlich:

 http://www.aamir-ageeb.de

krass wenig!

mondlicht 08.10.2004 - 23:25
also die thüringer bullen, die in hamburg bei ´ner bambule-demo ihre zivi-kollegen aus kiel verprügelt haben, haben in erster instanz auch 12 monate auf bewährung bekommen. wegen (schwerer?) körperverletzung.
d.h. für polizistenverprügeln gibt´s die gleiche strafe, wie für asylanten umbringen? oder was will uns der staatsanwalt sagen?

leider kein einzelfall

mason & dixon 11.10.2004 - 00:56
auch im sauberen hamburger stadteil eppendorf werden weiterhin menschen gequält und die ordentliche justiz schaut zu. die am tod von achidi john beteiligten haben jedenfalls nichts zu befürchten.

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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xx — no comment

ich glaube eher an die — unschuld einer hure

sauberes Früchtchen — BRD-Grrr!