Mittenwald 2004 - Die Mörder sind unter uns

vvn-bda 14.05.2004 16:21
Schluss mit dem Pfingsttreffen der Gebirgsjäger in Mittenwald/Bayern.
Die Mörder sind unter uns
Das Aufrufsflugi 2004
Die layoutete Version als PDF zum download
Schluss mit dem Pfingsttreffen der Gebirgsjäger in Mittenwald/ Bayern


Traditionspflege in Mittenwald
Seit 1952 treffen sich alljährlich zu Pfingsten Veteranen der Wehrmachtseinheiten im Schulterschluss mit aktiven Bundeswehrsoldaten in Mittenwald, um eine der größten soldatischen Feiern Deutschlands zu begehen. Unterstützt von der Bundeswehr, gehuldigt durch Kranzniederlegungen des Verteidigungsministeriums und unter großer Anteilnahme der Bevölkerung.

Es wird der gefallenen Kameraden und ihrer anständigen Pflichterfüllung gedacht und der Mythos vom Kampfes- und Opfermut der Wehrmachtssoldaten genährt. Es wird eine Traditionspflege betrieben, die eine Verdrehung des Verhältnisses von Opfern und Tätern verfolgt, die die kriegerischen Handlungen der Soldaten verherrlicht und die Verbrechen verharmlost, leugnet oder als notwendige Kriegshandlungen umdeutet. Organisiert und ausgerichtet werden die Feiern vom Traditionsverband "Kameradenkreis der Gebirgstruppe", der sich 1952 gründete.

"Ich würde gern einen der Soldaten finden und ihn fragen, warum hast du das getan?" Diese Frage stellte Christina Dimou, Überlebende aus dem griechischen Dorf Kommeno, als sie Pfingsten 2003 an den Protestveranstaltungen gegen die Traditionspflege der Gebirgsjäger in Mittenwald teilnahm. Als 13-jähriges Mädchen hatte sie erleben müssen, wie im August 1943 ihr Dorf Kommeno in Nordgriechenland von einer Wehrmachtseinheit zerstört wurde und 317 Menschen erschossen wurden. Die tätige Wehrmachtseinheit war die 12. Kompanie des Gebirgsjäger-Regiments 98 der 1. Gebirgsjägerdivision aus Mittenwald gewesen.

In dem idyllisch anmutenden Städtchen Mittenwald in Bayern, das damals und heute Stationierungsort der Gebirgsjägereinheit war und ist, scheint seitens der Bevölkerung niemand Fragen zu haben - seit Jahrzehnten nicht!

Auf Fragen sowie auf die seit zwei Jahren stattfindenden Protestveranstaltungen reagieren die Mitglieder der Traditionsgemeinschaften und der Großteil der Bevölkerung mit Antworten, die sich in einem gruseligen Ordnungsdenken verlieren. Als die jahrzehntelange Ruhe des Traditionstreffens zu Pfingsten 2002 von einigen Personen durch Protest und mit der Aufforderung unterbrochen wurde, u.a. der griechischen Opfer der deutschen Gebirgsjäger zu gedenken, reagierten die ausgebildeten Kämpfer - Veteranen und Bundeswehrsoldaten vereint - mit gezielten Kniestößen und Fausthieben. Alte Veteranen verwandelten ihre Krückstöcke rasant zu Schlagstöcken. Der Wunsch nach Säuberungsaktionen und Entsorgungsphantasien wurden Pfingsten 2003 angesichts der Proteste vor laufender Fernsehkamera ausgesprochen.

Blutige Vergangenheit
Das von den Gebirgsjägern der Wehrmacht begangene Massaker in dem griechischen Dorf Kommeno am 16.August 1943 war kein Einzelfall; zum Katalog der Gebirgsjäger- Verbrechen gehört auch die Erschießung von ca. 5.000 italienischen Kriegsgefangenen auf der griechischen Insel Kephallonia im September 1943. Die Blutspur schwerster Kriegsverbrechen dieser Eliteeinheit zieht sich über Finnland, die heutige Ukraine, Jugoslawien, Italien, Frankreich bis nach Griechenland. "Sühnemaßnahme" und "Vergeltungsaktion" lautete die kriegspropagandistische Rechtfertigung, mit der die deutschen Gebirgsjäger Zivilisten ermordeten, plünderten und die Dörfer niederbrannten und zerstörten. Im Gefechtsbericht zu dem Massaker in Kommeno hieß es später: "Beute: etwa 150 tote Zivilisten, 16 Stück Großvieh, 1 LKW, 5 italienische Karabiner, eine italienische MP."

Keine Verurteilung der Täter
Wie es zu den "erbeuteten 150 toten Zivilisten" kam, beschäftigte die deutsche Justiz erst ein Vierteljahrhundert später, doch auch dann kam es nur zu Ermittlungsverfahren, die alle eingestellt wurden. Die begangenen Verbrechen wurden im Paragraphenmantel und mit juristischer Diktion versehen als Kriegshandlungen legitimiert, die Täter mit widersprüchlichen juristischen Konstruktionen vor einer Strafverfolgung geschützt. Keiner der Mörder von damals wurde je von einem deutschen Gericht verurteilt; sie konnten sogar unbedenklich öffentlich auftreten, ohne eine Verhaftung zu befürchten.

Dass Kriegsverbrechen begangen wurden, war bereits bald nach 1945 durch Kriegsberichterstattungen oder Unterlagen staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen mit Zeugenaussagen der Beteiligten bekannt geworden und dokumentiert. Im Nürnberger "Geiselmordprozess" 1948 waren u.a. wegen Okkupationsverbrechen in Griechenland einige Generäle zu Freiheitsstrafen verurteilt worden. Im Zuge der Amnestiewelle wurden sie jedoch im Jahre 1951 wieder aus der Haft entlassen.

Die personellen Kontinuitäten im Justizbereich, die Reintegration der Bundesrepublik in die westliche, kapitalistische Welt und die damit verbundene Wiederbewaffnung waren die Hintergründe dafür, dass kein Interesse an einer Strafverfolgung existierte, dass kein politischer Druck bestand und sich einige Politiker vielmehr engagierten, um die alten Offiziere nicht im Gefängnis, sondern in den militärischen Reihen der neu gegründeten Bundeswehr einzugliedern. Der Kameradenkreis hat somit auch die Funktion einer Art Selbsthilfegruppe von NS-Kriegsverbrechern.

Keine Entschädigung für die Opfer
Während die Mörder von einst strafrechtlich nicht verfolgt wurden und von staatlichen Renten leben, erhalten die meisten Opfer bis heute keine Entschädigungen, so auch nicht die Überlebenden der von den Gebirgsjägern begangenen Massaker in Griechenland. Die Entschädigungszahlung an Opfer von Kriegsverbrechen wurde mit Verweis auf das Londoner Schuldenabkommen von 1953 auf den Zeitpunkt eines endgültigen Friedensvertrages verschoben. Doch nach dem Zustandekommen des 2-plus-4 Abkommens 1989 verweigerte die Bundesrepublik die Verhandlungen über Entschädigungszahlungen, sprach weiterhin von notwendigen Kriegshandlungen oder betonte die guten zwischenstaatlichen Beziehungen, als Beweis des bereits gezogenen Schlussstrichs.

Elitetruppen: heute und gestern
Die Einheiten der Gebirgsjäger gehören auch heute zu den Elitetruppen der Bundeswehr, seit Mitte der 90er Jahre sind sie an Auslandseinsätzen beteiligt. Ihre Verbindungen zu den Traditionsgemeinschaften sind im Vergleich zu anderen Truppengattungen der Bundeswehr besonders ausgeprägt. Als Bestandteil der Krisenreaktionskräfte und des Kommandos Spezialkräfte werden sie auch in der seit Herbst 2003 bereitstehenden EU-Interventionstruppe zum Einsatz kommen. In Anlehnung an die Wehrmacht propagiert die Bundeswehr das sog. unpolitische Soldatentum, den "Kämpfertyp", der professionell seinen Job erledigt. Die in den Traditionsvereinen gepflegte "Kameradschaft" soll den Bundeswehrangehörigen - wie einst den Soldaten der Wehrmacht - dabei helfen, traumatische Erfahrungen wie Verwundung, Verstümmelung und Tod im Einsatz zu bewältigen.

Mittenwald - der Blick in ein Reagenzglas
Eng verstrickt zeigt sich in diesem Städtchen die Verwobenheit von Militär und Zivilgesellschaft. Dass der derzeitige Bürgermeister Salminger der Sohn von Josef Salminger ist, der u.a. im August 1943 das Massaker in Kommeno als Kommandeur des Gebirgsjägerregiments 98 zu verantworten hatte, ist exemplarisch für die enge familiäre Verflochtenheit. Für seinen familiären Ursprung ist der Bürgermeister nicht angreifbar, doch dass er unbeirrtMitglied im Kameradenkreis ist und die Traditionspflege betreibt, ist Ausdruck der verbreiteten Identifizierung mit der traditionellen Eliteeinheit und für die ungebrochene Verherrlichung der Taten in dieser Region.

Wir rufen alle AntifaschistInnen und AntimilitaristInnen zur Teilnahme an den geplanten Protestveranstaltungen gegen die Traditionspflege der Gebirgsjäger auf. Zu Pfingsten, am 29. und 30. Mai 04 wollen wir erneut dazu beitragen, dass dieses Soldatentreffen nicht ungestört über die Bühne gehen kann.

Bestrafung der Kriegsverbrecher
Entschädigung aller NS-Opfer
Für die Auflösung der Bundeswehr

Termine
Samstag, den 29. Mai 2004
11.00 Demonstration ab Bahnhof durch Mittenwald
15.00 bis 18.00 Uhr Veranstaltung mit Beiträgen zu den NS-Kriegsverbrechen der Gebirgsjäger in Frankreich, Italien und Griechenland
Sonntag, den 30. Mai 2004
ab 9 Uhr Kundgebung gegen das Pfingsttreffen am Hohen Brendten

Infos unter:  http://www.nadir.org/nadir/kampagnen/mittenwald/
Kontakt:  angreifbare.tradition@freenet.de
Spendenkonto: Freie Medien "Traditionspflege" Postbank Essen Kto 470834437, BLZ 36010043

ViSdP: M. Gramlich, Schwanthalerstr. 139, 80339 München.
Indymedia ist eine Veröffentlichungsplattform, auf der jede und jeder selbstverfasste Berichte publizieren kann. Eine Überprüfung der Inhalte und eine redaktionelle Bearbeitung der Beiträge finden nicht statt. Bei Anregungen und Fragen zu diesem Artikel wenden sie sich bitte direkt an die Verfasserin oder den Verfasser.
(Moderationskriterien von Indymedia Deutschland)

Ergänzungen

für ösis

agnoli 14.05.2004 - 18:35
menschen, die aus richtung österreich nach mittenwald fahren wollen und dies auch noch mit der mittenwaldbahn ab innsbruck tun, die melden sich am besten bei  gajtirol.03@reflex.at

die gaj in tirol organisiert einen treffpunkt für diese menschen in innsbruck und kann auch an andere menschen in österreich weitervermitteln, weil die fahrt mit gruppenticket per bahn billiger ist.

es gibt auch eine mobililsierungsveranstaltung mit stephan stracke in innsbruck, und zwar am 19.5. im café sub, dreiheiligenstraße 9, a-6020 innsbruck als gemeinsame veranstaltung von gaj in tirol und grauzone. nähere infos dazu unter www.catbull.com/grauzone

hier auch noch ein mail, welches aus mittenwald an den ak angreifbare traditionspflege ging und natürlich niemandem vorenthalten werden sollte:

"From: "Michael XXXXX"
To:
Sent: Thursday, May 13, 2004 7:16 PM
Subject: Pfingsttreffen 2004 Mittenwald


Tag! Mein Name ist Michael und ich wohne in Mittenwald. Ich kann euch
versichern, eure Sicht des faschismus völlig zu teilen. Auch stelle ich die
zahlreichen Massaker der Wehrmacht keinesfalls in Frage. Allerdings denke
ich, dass eure Sicht der Bundeswehr äußerst einseitig und unbedacht ist.
Mein Vater ist Soldat. Mein Bruder ist Soldat. Nachweislich hat keiner von
beiden je einem Menschen etwas zu Leide getan, geschweige denn irgendwie
etwas mit beschissenen Faschos oder Skins zu tun. Beide sind sehr
traditionsbewusst, beschäftigen sich aber auch sehr intensiv mit der
Aufarbeitung der Geschichte insbesondere der Wehrmacht und befinden diese
keinesfalls für ruhmreich und unbefleckt, so wie es von euch dargestellt
wird. Das was Ihr betreibt nenne ich Volksverhetzung. Ihr ruft Leute dazu
auf, gegen ehemalige Nazis zu demonstrieren, von denen ich glaube, dass
nicht mal ein drittel gewusst hat, was im Krieg gelaufen ist. Aber nun gut.
Aber ruft doch besser noch gegen die Neonazis auf, die frei in unserm Lande
herumlaufen und die freiheitlich demokratische Grundordnung stören! oder
verfolgt ihr ähnliche Ziele? Denn was ihr macht ist in keinster Weise
demokratisch! Jeder hat das Recht seine Meinung in Wort, Schrift und Bild
auszudrücken. Aber es hat ebenfalls jeder das Recht, sich friedlich und ohne
Waffen zu versammeln, und nichts anderes passiert am Hohen Brendten. Hört
endlich auf, den jungen Leuten Halbwissen zu vermitteln und ihre eigentlich
positive Gesinnung zu manipulieren und sie gegen alte leute aufzustacheln.
Und ganz nebenbei: Ich denke Soldaten sind keine Mörder. Soldaten setzen in
gewisser Weise sogar ihr leben für eures ein. Es starben nämlich und es
werden sicher noch weitere Soldaten dafür sterben, dass die Demokratie in
Deutschland erhalten bleibt, sprich also dass jeder von uns das Maul
aufmachen darf. denkt mal drüber nach. An Pfingsten findet ihr mich auf der
anderen seite. Ich helfe den angeblichen Mördern bei der Regelung des
Verkehrs."