nachbetrachtungen rund um den 1. mai/berlin

blätterteig 06.05.2004 13:05
quer durch alle großen parteien wurde der diesjährige polizeieinsatz am ersten mai in berlin gelobt. der bürgermeister spricht von polizeieinsätzen, bei denen u.a. zwei (lokal-) politiker aus der "befreundeten" koalitionspartei pds verletzt werden, von "großer professionalität", der innensenator meint gar...
...dass zum ersten mal seit vielen jahren das ritual der gewalt durchbrochen worden sei, obwohl es mehr verletzte als in den vorjahren gab. dies kann auch als strategie verstanden werden, sich die definitionsmacht über einen bestimmten diskurs nicht nehmen zu lassen, eine gewisse sicht durchzusetzen, die im gegensatz zu den ereignissen steht. in den letzten jahren gab es nach dem 1. mai streiterein und schuldzuweisungen zwischen den parteien, da gab es aber auch keine linken erfolge, wie in diesem jahr, die aus sicht der herrschender negiert werden müssen.

es war also ein erfolg, sind sich die mächtigen einig, keine streiterein wie in den vergangenen jahren über falsche polizei-taktiken usw., "die oppositionsparteien cdu, fdp und grüne überboten sich am sonntag gegenseitig mit lob für das einsatzkonzept der polizei", schreibt die berliner zeitung. den menschen soll als erfolg verkauft werden, was keiner war, aus der sicht der polizei nicht und "allgemein" nicht. die widersprüchlichkeit der argumentation zeigt sich in den eigenen zahlen, die der polizeipräsident präsentiert hat. mehr verletzte polizisten als im vorjahr (250, laut eigenen angaben, was auch immer das zum großteil für verletzungen sind), mehr verhaftungen als im vorjahr, das neue foto/video-auswertungs-system hat auch nicht viel gebracht ("das klappte jedoch nur in wenigen fällen", berliner zeitung), eigentlich müsste die bilanz (aus der logik) der diskurs-monopol-inhaberinnen negativ ausfallen. aber halt, erstens gab es ja weniger sachschäden und auch die feuerwehr musste weniger oft ausrücken. zwar mehr verletzte und sonst lief für die polizei auch einiges scheiße, aber es gab weniger sachschäden und das ist ja was in der kapitalistischen logik zählt (menschen natürlich auch, da die ja zum ausbeuten gebraucht werden, aber diese fetischisierung von eigentum ist krass). sachbeschädigungen geben dann also für die bewertung des 1. mai, den ausschlag, sind wichtiger als verletzte sogar in den "eigenen reihen". schöne geisteshaltung, sachen werden über menschen gestellt bzw. wird das (indirekt) quasi ganz offen ausgesprochen. von den vielen verletzten demonstrantinnen, polizei-einsatz-geschädigten, spreche ich da gar nicht, die kommen sowieso nur am rande oder gar nicht vor, wenn die "wichtigen herren" referieren.

interessanter ist vielleicht, dass dieser erste mai erfolgreich für "die linke" war: der neonaziaufmarsch wurde relativ erfolgreich gestört, die polizei, die ja immer beobachten und alles unter kontrolle haben will, hat kurzzeitig das gewaltmonopol verloren (in der konkreten "eingreif-situation" natürlich nicht), da sie es nicht schaffte oder sich nicht in der lage sah (auf grund des massiven und/oder noch zu erwarteten massiveren wiederstandes in friedrichshain) die demo der neonazis "durchzubringen"/ zu schützen. leider konnte die demo nicht ganz verhindert werden. der illegale polizeikessel wurde dann übrigens "natürlich" auch nicht erwähnt, auf den pressekonferenzen und in den bürgerlichen medien. gleichzeitig fand am späten nachmittag die revolutionäre 1. mai demo statt, mit mehreren tausend teilnehmerinnen, obwohl ein großer teil der linken noch mit den neonazis beschäftigt war. am abend dann der nächste erfolg, als die demo weiter und unangemeldet durchs so36 ging. lange keine so energie-geladene demo gesehen, noch dazu ganz ohne bullen-begleitung, die sonst bei jeder linksradikalen demo massiv dabei ist, da haben sie es anscheinend einfach nicht auf die reihe bekommen dabei zu sein. gut so. ob dann die üblichen kleinen riots, die später begannen heftiger ausfielen als in den letzten jahren oder nicht, weiß ich nicht. es gab sie aber natürlich wieder.

für mich ist das ganz klar ein beispiel, wie die mächtigen diskurse steuern und versuchen zu beherrschen, was ja nichts neues wäre, da diejenigen, die über die geeigneten mittel, ressourcen und kapitalien verfügen (politikerinnen, "intelektuelle", journalistinnen, wirtschaftsbosse usw.) ganz klar erstens die definitionsmacht über die "symbolischen formen" ("was gehört sich und was nicht", um es so zu sagen) und zweitens eben alle macht in ihren händen haben und so die diskurse prägen und gemeinsam ihre weltsichten durchsetzen können. arbeitslose und sozialhilfeempfängerinnen, marginalisierte, ausgeschlossene kommen nun mal nicht vor, im herrschenden diskurs, da sie nicht die mittel dazu haben bzw. es ungleich schwerer haben sich zu artikulieren, nicht gehört werden.
das besondere am diskurs um den 1. mai ist, dass diese einigkeit ganz offensichtlich taktische gründe hat, es ist ja (scheinbar) paradox, dass sie gerade in diesem jahr das vorgehen am ersten mai so feiern, obwohl es weniger gründe, als in den letzten jahren (das einzig "positive" sind die wenigeren sachbeschädigungen) dafür gibt. es war nun mal kein erfolgreicher polizei-erster-mai, sondern ein erfolg für die linke, umso mehr müssen jetzt alle politikerinnen, polizei-funktionäre usw. zusammenstehen, um den leuten weiß zu machen, wie toll doch alles war. es darf eben in den medien nicht das bild aufkommen, dass andere (teilweise) das ruder am 1. mai übernommen haben. das geht ja nicht, sich von anderen, "linksradikalen", vielleicht sogar "schlimmen, gefährlichen“ autonomen den diskurs aufzwingen/stören zu lassen. das wäre passiert, wenn eingestanden hätte werden müssen, dass z.b. an der frankfurter allee (teilweise und zweitweise) die kontrolle verloren wurde, dass nicht mit so großen gegenaktionen/bewegungen seitens der demonstrantinnen gerechnet wurde, die neonazidemo wegen linkem widerstand nicht durch friedrichshain gehen konnte (und nicht wie behauptet aus „zeitgründen“ usw.).
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Ergänzungen

was mich interessieren würde ...

k.A. 06.05.2004 - 13:36
wären zwei Sachen, von denen ich gar nichts mehr gehört habe.

Zum einen ist jemand in Friedrichshain wohl von einer Polizei-Wanne angefahren und schwer verletzt worden. Und auch in Kreuzberg abends am Heinrichplatz ist die Polizei mit Einsatzfahrzeugen in die Menschenmenge gefahren. wobei aber wohl niemand verletzt wurde.

Und im Focus wurde folgendes berichtet:

"Der dramatischste Zwischenfall ereignete sich gegen 22.45 Uhr am Heinrichplatz in Berlin-Kreuzberg. Unbestätigten Angaben zufolge soll ein Polizist nach einem Flaschenwurf eine schwere Schnittverletzung am Hals davon getragen und das Bewusstsein verloren haben. Der Beamte wurde ins Berliner Bundeswehr-Krankenhaus eingeliefert."
 http://aktuell.focus.msn.de/hps/fol/newsausgabe/newsausgabe.htm?id=2074

Wenn das so passiert wäre, hätte man doch sicher mehr davon gehört, oder?

Achja, hier noch 'ne lustige Presseerklärung: Koschyk/Gewalt: Rückkehr zur Taktik des konsequenten Einschreitens war am 1. Mai erfolgreich
 http://www.mysan.de/article4067.html

wurde ja auch zeit...

anti 06.05.2004 - 14:58
das wirklich peinliche für bullen und stadtregierung sollte doch eigentlich sein, dass es 18 (!) jahre gedauert, ein halbwegs funktionierendes konzept zustande zukriegen! nach pannen wie dem lahmlegen
eines wasserwerfers, dem krankenhausreif-prügeln des berliner polizeichefs, den skandalen um hemmungslos prügelnde bullen hätten die marionetten der kapitalinteressen eigentlich schon viel früher draufkommen
müssen, dass der erste mai weder mit "deeskalation" noch mit hau-drauf-taktik zu kontrollieren ist. wir sollten unbesorgt sein: eine "ordnugsmacht", die so lange braucht, um ein solches ereignis ein einziges mal halbwegs unter kontrolle zu kriegen, ist in meinen augen v.a.
eines: lächerlich

1. Mai für die Po-li-zei

mobster 06.05.2004 - 15:11
Der erste Mai ist vor allen Dingen eins: Das perfekte Übungsgelände für Festnahme- und Zugriffseinheiten, BePos und SEKs der Länderpolizeien. Alle Bundesländer schicken ihre Beamten nach Berlin, um (vor allem an besoffenen Prolls) Austandsbekämpfung unter lebensechten Bedingungen proben zu können.

übungsfeld für die polizei

roger 06.05.2004 - 19:04
ist wirklich so. siehe auch:  http://germany.indymedia.org/2004/05/82643.shtml

und gerade die aktionen gegen nazis haben gezeigt, dass den cops eher da, wo sie noch nicht so zu Hause sind wie in kreuzberg am ehesten noch schwierigkeiten bereitet werden können.

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