Gegen Internationalismus? (AOK-Aufruf 15.5.)

AOK Leipzig 23.04.2004 00:27
Erläuternde Anmerkung zur umstrittenen Forderung im Aufruf „Fatal Error – The game is over“ (bundesweite Anti-Olympia-Demo am 15.05.2004 in Leipzig)
Uns wurde – zum Teil direkt, zum Teil nur hintenrum – Kritik und Unverständnis bezüglich unserer Forderung „Gegen Nationalismus und Internationalismus“ am Ende des Demo-Aufrufs für den 15. Mai mitgeteilt. Einige Gruppen kündigten sogar an, nur deswegen nicht mehr nach Leipzig mobilisieren zu wollen. Um einige Missverständnisse (denn für nichts anderes halten wir es) auszuräumen, möchten wir hiermit kurz erklären, warum wir uns gegen ein weithin als links angesehenes Ziel, den Internationalismus, im Kontext der Olympia-Kritik aussprechen.

1. Die Olympischen Spiele verstanden sich immer als internationalistisch – und zwar als Gegensatz zum Kosmopolitismus, zur Heimatlosigkeit, zum Antinationalismus, die als Gefahr für die Menschheit definiert wurden. Die Rituale (Einzug der Nationen mit ihren Fahnen, Abspielen der Nationalhymne) sollen den Wettstreit der Nationen – und eben nicht nur der SportlerInnen untereinander – anschaulich machen. Der Kontakt mit „fremden“ Nationen sollte der Bewusstwerdung der eigenen nationalen Eigenheiten, die als Naturkonstanten begriffen wurden, dienen. Der olympische Internationalismus spiegelt letztendlich auf einer ideologischen Ebene lediglich die Herausbildung des kapitalistischen Weltmarktes wieder – und dies in verschleierter Form, da die Spiele den Schein aufrecht zu erhalten versuchten, die Nationen würden sich gleichberechtigt gegenübertreten. Am Anfang sollten die Spiele und die Weltausstellungen, die heutige Expo, zusammen stattfinden. Coubertin, der Begründer der neuzeitlichen Spiele, äußerte sich diesbezüglich folgendermaßen: „Die Völker sind miteinander in Verkehr getreten, haben sich besser kennen gelernt und Gefallen daran gefunden, untereinander Vergleiche zu ziehen.“ Auch heute noch werden uns die Spiele als „Fest der Nationen“ angepriesen, bei dem sich die Völker der Erde im „friedlichen Wettstreit“ messen. Schon allein die damit verbundenen Argumentationsmuster sollten Misstrauen zumindest gegenüber dem olympischen Internationalismus wecken. (Mehr dazu findet sich in unserem Anti-Olympia-Reader:  http://www.nein-zu-olympia.de/html/reader.htm)
2. Nun mögen einige einwenden: Das IOC pervertiert die Idee des Internationalismus – und deswegen sei der eigentlich emanzipatorische Begriff zu verteidigen. Allerdings sehen wir auch das nicht so: Internationalismus setzt das Konstrukt der Nationen voraus: die "Zärtlichkeit der Völker" kann nur eingefordert werden, wo anerkannt wird, dass es Völker gibt. Als Linke sind wir allerdings der Meinung, dass es weder Völker noch Nationen geben sollte – sie gehören abgeschafft und die zugrunde liegenden Ideologien bekämpft. Gewiss gibt es einen Unterschied zwischen dem „olympischen Internationalismus“ und dem „linken Internationalismus“. Doch die Gemeinsamkeiten sind unübersehbar, der eine leitete sich aus dem anderen ab und die politischen Implikationen des Begriffes und des damit verbundenen Konzeptes vom Umgang der Nationen miteinander sind fragwürdig.
3. Es ist deswegen in Teilen der Linken inzwischen üblich, Internationalismus genau unter diesem Gesichtspunkt zu kritisieren und für Kosmopolitismus einzutreten. (Als Einstieg sei der Text „Transnational statt internationalistisch!“ von Franz Schandl in den Streifzügen 01/2003 empfohlen.)
4. Unser Aufruf erklärt, dass der Internationalismus (auch der olympische) dem Nationalismus (z.B. dem deutsch-völkischen) vorzuziehen ist. Der Internationalismus ist ein Produkt der Aufklärung, der Nationalismus der Gegenaufklärung. Eine Verteidigung des Internationalismus gegen den Nationalismus bedeutet aber nicht, dass der Internationalismus nicht mehr kritisiert werden darf. Denn der Gegensatz von Nationalismus und Internationalismus ist kein prinzipieller, vielmehr handelt es sich bei dem Begriffspaar um zwei Seiten einer Medaille. Dass wir jedoch die Unterschiede der verschiedenen Sporttraditionen – völkisch in Deutschland oder internationalistisch in anderen Ländern – nicht ignorieren, wird ja im Aufruf deutlich, ausführlicher jedoch in dem Text „Leipziger Sporttradition“ ( http://www.nein-zu-olympia.de/html/texte/tradition.php) erklärt.
5. Eine Linke, sofern sie mit ihrem Internationalismus indirekt (und vielleicht auch unbewusst) nationalistische Ideologien befördert hat, gehört natürlich dafür kritisiert. Dies bedeutet allerdings von unserer Seite keine Entsolidarisierung. Deswegen finden wir es schade, dass unsere Analyse bislang nicht zu einer Diskussion angeregt hat, sondern nur zu Abgrenzungs- und Abwehrversuchen.
6. Gerade im Zusammenhang mit Olympia in Leipzig macht die Parole am Ende des Aufrufs Sinn: Diejenigen, die uns jahrelang den Internationalismus eingehämmert haben (nämlich die DDR-Partei- und Stasi-Kader, die uns monatlich dazu drängten, Spendenmarken für die Deutsch-Sowjetische Freundschaft für 50 Pfennig das Stück zu kaufen und in das Mitgliedsheft einzukleben), sitzen nun in der PDS und sogar direkt in den Olympia-Bewerbungsgremien und promoten die Olympiade als national-internationalistisches Event. Das ist die Leipziger „linke“ (d.h. realsozialistische) Geschichte – und für die haben wir natürlich nur Verachtung übrig.

22. April 2004

Unser Aufruf ist unter  http://www.nein-zu-olympia.de/html/aufruf.php nachzulesen.
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Ergänzungen

Peinlicher Abgesang der Linken...

Anna 23.04.2004 - 13:08
Ich finde es peinlich, daß (ehemalige) Linke sich so Teile ihrer Geschichte, incl. einer positiven Besetzung bestimmter Begrifflichkeiten, einfach selber zerstören. Ich wundere mich, daß ihr hier den Begriff "olympischer Internationalismus" als erstes anführt: Schlimm genug, daß linke Begrifflichkeiten im gesellschaftlichen Diskurs neu besetzt werden, wieso aber dieser Neubesetzung vorgedacht werden muß, ist mir ein Rätsel...
Ist tut mir ja leid, daß ihr in den Kerkern der SED-Diktatur leiden mußtet (insbesondere für die Jüngeren unter Euch muß die DDR eine Qual gewesen sein), aber nun seid ihr ja endlich frei (gell?!) und könntet ja genauso gut Versuchen, linke Geschichte aufzuarbeiten und einen eingebetteten Ansatz zu formuliere.
Zum Beispiel die (einstige) klare Konnotierung des Internationalismusbegriffs eben in klarer Abgrenzung zu Volk, völkischem Denken, etc., eine Verbindung und Zusammenführung der Menschen unterschiedlicher Kulturen auf ihrem Weg zu einer besseren Welt - bevor eine Neubesetzung des Begriffs durch Diskurse der neuen Rechten und sog. Antideutscher staatgefunden hat, die den Begriff wieder völkisch zu besetzen versuchen...
Zum Begriff des Kosmopolitischen: Ein interessanter Ansatz, schade nur, daß die Zielprojektion meistens das Ergebnis eines westlichen, bzw. "deutschen" Wertesystems ist... Es existieren nunmal Nationalstaaten mit unterschiedlichem politischen Einfluß, daß werdet ihr nicht wegdiskutieren können. Ein kritischer Internationalismus greift unterstützend die Machtstrukturen im "eigenen" Land an (und könnte somit eigentlich auch als antideutsche Politik bezeichnet werden, wenn dieser Begriff nicht schon völkisch besetzt wäre...) und hat eben nichts mit Fahnenschwingen und anhimmeln von irgendwelchen Gurus und momentan "hippen" Bewegungen zu tun.




Elitär

Mensch 23.04.2004 - 14:59
Elitärer geht´s kaum noch.
Internationalismus ist also völkisch besetzt. Dass es in der Linken auf der gesamten Welt vielleicht noch eine andere Definition von Internationalismus gibt, als die eurer piefigen SED-Kader, habt ihr vielleicht in eurem Tal noch nicht mitbekommen. Seit Jahrzehnten wird über den Internationalismus-Begriff diskutiert und hat dieser einige Veränderungen erlebt. Dabei wird von einer emanzipatorischen Linken schon seit zwei Jahrzehnten Bezug genommen auf soziale Bewegungen hier und im Trikont und nicht auf nicht mehr auf sogenannte Volksbefreiungsparteien und schon gar nicht auf irgendwelche "Volksgemeinschaften".
Vom olympischen Internationalismus habe ich allerdings noch nie was gehört. Da konstruiert ihr euch ganz schön was zusammen.

Als neuen Begriff jetzt den Kosmopolit vorzuschlagen ist genauso krampfhaft konstruiert. Kosmopolit ist nun wirklich ein rein westlicher Begriff, der auf eine sozial gut situierte weiße Identität hinweist. Für die indischen Bäuerinnen, die sich im Kampf für eine besseres Leben befinden, wirkt der Begriff Kosmopolit ziemlich daneben.
Aber vielleicht ist das auch euer Problem mit dem Internationalismus. Dass ihr nur eure eigene westliche Sichtweise im Kopf habt, vergleichbar mit der antideutschen Debatte zum Nahen Osten, wo mit rein westlicher (deutscher) Sichtweise argumentiert wird, und die Lebensbedingungen der dort lebenden Menschen, ob nun Juden oder Araber, den westlichen Wohlstandskinder völlig am Arsch vorbei gehen.
Auch wie ihr den Begriff Völker definiert, ist so jenseits jeglicher linker emanzipierter Politik. Man könnte bei euch den Begriff Volk auch durch Bevölkerung ersetzen und käme so auf den Kernpunkt. Im Prinzip fühlt ihr euch als etwas Besonderes/Besseres als der Rest der Menschheit. Der Rest der Menschheit ist ja entweder nationalistisch, antizionistisch, oder schlichtweg barbarisch... Dieses Elitäre ist allerdings auch keine Erfindung der neueren Jahre. Auch für einen großen Teil der Altautonomen waren die "Bürger"(was in der damaligen wie heutigen, Definition alle außerhalb der Szene sind) die eigentlichen Feinde.
Dieser elitäre Mist hat allerdings mit linker Politik, die auf Gesellschaftsveränderung abzielt, rein gar nix zu tun. Sie zeigt nur die eigene soziale Herkunft auf...
Solche Vorstellungen von Internationalismus, Völkern und Bevölkerung enden schließlich in der Verteidigung der Werte der westlichen Mittel- und Oberschichten und gehen in einen Rassismus über, in dem Menschen, die sich gegen diese westlichen kapitalistischen Werte wehren als Nationalisten, oder in zugespitzter Form als Barbaren diffamiert werden.

Ihr solltet euch entscheiden, ob ihr als Kosmopoliten euren westliche Wohlstandsarsch verteidigen wollt, oder euch als Internationalisten solidarisch mit den sozialen Bewegungen hier und im Trikont verhaltet.

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peinlich... — ich

bvcbv — cbv

Hmmm? — name halt so, naja, n name eben