Scharfmacher bei der BVG

AG Innenstadt 03.11.2002 20:34
Über die Zusammenhänge zwischen innerer Aufrüstung und öffentlichem Nahverkehr
Eine ganz besondere U-Bahnfahrt

Am 5. August 2001 hatte ich die Möglichkeit eine ganz besondere U-Bahnfahrt mit zu erleben. Der Netzspinnen-Leser Horst Brackland, U-Bahnfahrer bei der BVG, lud mich dazu ein.



Für einen U-Bahnfahrer ist frühes Aufstehen nichts ungewöhnliches, für mich schon! Doch tapfer fand ich morgens um sechs den Weg aus dem Bett.

Es ist sonntag-früh 6:25 als wir, Horst und ich, uns in der Müllerstraße verabredeten. Mit preussischer Pünktlichkeit trafen wir uns zu dieser frühen Stunde. Zusammen gingen wir die wenigen Meter zur U-Bahn-BW. Ein freundliches "Guten Morgen" zu den zwei Monteuren, die in der Betriebswerkstatt Seestraße, der "BW-SEE" ihren Dienst versahen.


Der Zugang zur Betriebswerkstatt Seestraße von der Müllerstraße


Die Werkstatthallen

In der Halle jede Menge abgestellte U-Bahnzüge: Doras, F-Züge und "Jäger90er", alle Serien waren vertreten. Aber nur ein Zug machte Lärm: es ist der Umformer, der Geräusche von sich gibt. Der Umformer von einem "Stahl-Dora".

Wir hatten noch ein wenig Zeit, da wir erst 7:03 Uhr auf Strecke gehen sollten. So hatten wir noch Gelegenheit, uns ein wenig in der Halle umzusehen.

Viele Züge waren schadhaft abgestellt. Dies erkennt man daran, dass vorn in der Schlupftür ein rotes Schild hängt. Es trägt keine Aufschrift, sondern sind die Kurstafeln. Wenn hier rote Tafeln hängen, sind diese Fahrzeuge nicht für den Fahrgastverkehr zugelassen und dürfen nicht bewegt werden. Wenn dies eine grüne Tafel ist, dann ist der Zug einsatzgeprüft und darf auf Strecke gehen.

Dann gibt es noch das grüne Licht. Dies ist zumeist im Zielschilderkasten eingebaut und ist rein formell ein Signal: Z6, wie es im Signalbuch der Berliner U-Bahn genannt wird. Z6 bedeutet: "Kennzeichnung eines durchfahrenden Zuges"

Ein so ausgeschilderter Zug wird dann in den Bahnhöfen nicht halten. Unser Stahldora war so in Grün ausgeschildert.


Zug mit Zugspitzensignal "Z6" (Kennzeichnung eines durchfahrenden Zuges; An der Zugspitze ein grünes Licht sowie der grünen Kurstafel, die besagt, dass dieser Zug bewegt werden darf.)

Stahldora ist der BVG-umgangssprachliche Begriff für einen Zug der Baureihe D. Eine Baureihe, die es offiziell bei der BVG garnicht mehr gibt, denn die letzten Stahldoras wurden 1999 ausgemustert und gingen zum allergrößten Teil nach Nordkorea. Diese Baureihe ist nicht zu verwechseln mit den späteren "Doras", die zwischen 1965 und 1973 gebaut wurden. Stahldoras dagegen sind die Vorgänger und wurden von 1956 bis 1965 gebaut. Siehe Wagenpark

Unser Zug trägt die Wagennummer 4026/4027 und zählt durch diese Nummer zu den Arbeitszügen. Ursprünglich trug er die Nummer 2020/2021 und zählt somit zur Baureihe D-57.


Der Schmierzug, bis 1999 der D-57er 2020/2021

Es gab noch andere interessante Züge zu sehen: Den Brandschaden-Zug 2392/93, der an der Afrikanischen Straße im Juli durch einen Stromabnehmer-Brand einen schweren Zwischenfall verursachte. Auch vorhanden war der Hilfsgerätezug, der bei Haverien benötigt wird, sowie der B2-Museumszug von 1927.


Der Hilfsgerätezug (früher D-65er 2214/2215)


Sonntag-Morgen in der BW SEE




Der B2-Museumszug
Wagen 113 wurde später Arbeitswagen 1174, bevor er museal aufgearbeitet wurde

Doch nun war es Zeit, es war 6.55. Zeit unseren Stahldora aus der Halle zu fahren. Dieser Zug besitzt noch eine Besonderheit, weshalb diese heutige Fahrt überhaupt stattfindet: Er besitzt Einrichtungen zum Schmieren der Gleiskurven. Dies muss zweimal am Tag auf allen Hauptgleisen erfolgen. Hierbei wird in den Kurven Öl gegen die in der Kurve außenliegende Schieneninnenkante gesprüht. Bei dem Öl ist es unerheblich, um was für Öl es sich handelt, es kann auch Altöl verwendet werden. Hierbei wird erreicht, dass sich die Lärmemissionen und die Abnutzung der Radkränze und Schienen in Grenzen halten. Seit geraumer Zeit wird jedoch, um den Umweltschutzbestimmungen gerecht zu werden, bei der BVG nur noch ökologisch abbaubares Fett verwendet.


Deutlich erkennbar: Die Schmiereinrichtungen an der Achse

Die BVG besitzt mehrere dieser so ausgerüsteten Züge: Im Großprofil sind dies diese Zugeinheiten:
2000/2001 (heute: 4024/4025, der D-55er Vorserienzug)
2020/2021 (heute: 4026/4027, ein D-57er)
2200/2201 (heute: 4028/4029, ein D-65er)
2638/2639 (ein F79.1er)
2670/2671 (der letzte F79.1er)

Im Kleinprofil:
999/998 (heute 4022/4023, ein A3-60er)

Auf der U5 fahren heute sehr viele H-Züge. Diese Züge besitzen Spurkranz-Schmieranlagen, somit erübrigen sich dort herkömmliche Schmierfahrten. Auf der U7 ist dies ähnlich, seit einige Drehstrom-F-Züge mit solchen Schmieranlagen ausgerüstet wurden oder, wie die "Jäger90er", diese von Anfang an besaßen. Nur auf den Linien U6, U8 und U9 werden Schmierzüge herkömmlicher Art noch eingesetzt.

Die Schmiereinrichtungen befinden sich bei den herkömmlichen Schmierzügen in einem der beiden Führerstände. Es ist ein schlanker hoher brauner Kasten aus Blech, der im Betrieb ein pulsierendes Pumpgeräusch von sich gibt. Hierbei wird Öl über kleine Düsen hinter bzw. vor den Rädern an die Schienen gespritzt.

Der Fahrer kann dies manuell steuern, doch im Alltag funktioniert die Anlage vollkommen automatisch.

Gesteuert wird die Sprühanlage von kleinen an den Schienen angebrachten Magneten. Sie befinden sich bei den weißen Reflektoren. Gegenmagnete am Zug schalten bei dem ersten vor dem Kurvenbeginn befindlichen Reflektor die Sprühanlage ein und ein weiterer Magnet schaltet sie wieder ab. Die Lage dieser Magnete am Gleis steuert zusätzlich die Seite, welche besprüht werden soll: Es ist immer die kurvenäussere Schiene, die geschmiert werden muss.

Wie erwähnt finden Schmierfahrten zweimal am Tag statt, werktags und auch am Wochenende. Hierzu werden zwei Fahrer eingeteilt: Der eine Fahrer fährt den morgendlichen Zug und ist gegen 12:30 wieder zurück. Danach hat er "Bereitschaft" in Leopoldplatz und gegen 15 Uhr Dienstschluss. Danach beginnt der Spätfahrer seinen Bereitschaftsdienst am "Leo". Gegen 17 Uhr beginnt er dann die abendliche Schmierfahrt, die gegen 23 Uhr endet.
Für den Nichteingeweihten: "Bereitschaft" zu haben bedeutet, der Fahrer springt bei Fahrer- oder Zugausfall ein. Der Bahnhof Leopoldplatz bietet sich hierfür an, da sich hier zwei U-Bahnlinien, die Linien U6 und U9 kreuzen.

Wir begaben uns nun in den Führerstand des Wagens 4027. Ebenfalls dabei waren zwei Rangierer. Nur diese dürfen den Zug aus der Halle fahren, nicht der Zugfahrer! Einer befindet sich seitlich stehend neben dem Zug und hat für die Sicherheit um den zu bewegenden Zug zu sorgen. Der Zug ist durch ein Schleppkabel mit dem Fahrleitungsnetz verbunden. Der andere Rangierer beschleunigt den Zug ganz langsam, so dass der Zug ein paar Meter rollen kann. Dann löst der außenstehende Rangierer das Schleppkabel vom Stromabnehmer des Zuges und der Zug rollt stromlos aus der Halle bis zum Beginn der normalen Stromschiene. Dort kommt der Zug zum Stehen und der Rangierer verlässt den Zug. Erst von hier an darf der Zugfahrer den Zug bewegen. Auch dies hat im Schritttempo zu erfolgen, nachdem lautstark akustisch auf die Abfahrt hingewiesen wurde: "Vorsicht, an Gleis sowieso"!


Horst bereitet seinen Zug für die Fahrt vor...

Wir fuhren langsam mit dem Rest des Zweiwagenzuges aus der Halle über die engen Weichen im Hallenvorfeld.


Das Gleisvorfeld mit der Tunneleinfahrt unter
dem neuen Einkaufszentrum an der Ungarnstraße

Langsam näherten wir uns dem überdachten Tunnelmund, das sich unter einem Parkhaus eines Einkaufszentrums befindet. Auf dem "falschen Gleis" rollten wir in den Tunnel zum U-Bahnhof Seestraße. Das Signal vor dem Bahnhof zeigte Hp 0, also "Rot", wir hielten im Gleisvorfeld des U-Bahnhofs und warteten auf grün. Doch zuvor sollte noch ein Fahrgastzug passieren. Er stand schon im Bahnsteig. Am frühen Sonntag-Morgen werden auf der U6 nur "Ponys" eingesetzt. Das ist der Begriff für 2-Wagenzüge, wie auch unserer einer ist. Mit hohem Tempo näherte sich uns dieses Pony und rauschte an uns vorbei Richtung Tegel.

Die Schutzweiche wurde umgestellt und das Signal zeigte Hp 2, also Fahrt mit höchstens 40 km/h. Nun war die Fahrstraße frei in den Bahnhof Seestraße. Wir fuhren in den menschenleeren Bahnhof ein und nun mußte alles ganz schnell gehen: Wir wechselten den Führerstand und los ging es: Schön gemütlich fuhren wir mit 40 km/h Richtung Tegel. Auf den Bahnhöfen der U6 sind Daisy-Anlagen montiert. Sie geben den Fahrgästen minutengenau Auskunft, wann der nächste Zug fahren wird. Bei uns stand an diesen Tafeln immer

U6 ALT-TEGEL Zug fährt in 8 Minuten

Das war für uns hilfreich, denn nun wussten wir, dass wir den anderem Zug recht dicht hinterher fuhren und nachfolgende Züge nicht behinderten. Stets waren die Signale grün, so dass der Abstand zum Vorderzug immer groß genug war.

40 km/h ist ein Tempo, das für diese Betriebsfahrt vollkommen ausreicht, denn wir brauchen nur so schnell sein, wie ein normaler Fahrgastzug in der Reisegeschwindigkeit ist. Und die beträgt rund 35 km/h bei der Berliner U-Bahn, denn schließlich halten wir ja auf keinem Bahnhof. Ausserdem ist unser Zug auf 40 km/h "runtergeklingelt", bedeutet: 40 km/h ist die maximale Zuggeschwindigkeit als Arbeitszug. Früher, als dieser Zug noch im Fahrgasteinsatz war, konnte er spielend 70 km/h erreichen und begann erst bei Überschreiten dieser Geschwindigkeit zu klingeln. Die Klingeln befinden sich im Führerstand und zeigen ein Überschreiten der Höchstgeschwindigkeit an.

Unser Stahldora war tatsächlich bis etwa 1999 noch im Fahrgasteinsatz. Noch heute unterscheidet er sich nicht von Fahrgastzügen, er besitzt noch alle Sitzbänke, sogar die "Perlschnüre" der U7 sind über den Türen noch vorhanden. Zeichen davon, dass er zuletzt zwischen Spandau und Rudow unterwegs war. Das einzige, was verändert wurde: Die Türgriffe auf der Aussenseite wurden abmontiert.


Horst fährt U-Bahn
Ein sogenannter "Hand-Fahrer"


Die U6: die Berliner Antwort auf die Hamburger Walddörferbahn
Heute sind die Bäume aufgrund des Sturmes im Juli 2002 gefällt worden.

Von der Seestraße ging´s zunächst nach Tegel. Ein Teil der Strecke verläuft hier oberirdisch.
Rund zehn Minuten später kamen wir in Tegel an. Wir fuhren bis zum Bahnsteigende und hielten an, denn hier war das Signal noch rot, da unsere Fahrstraße in das Kehrgleis noch nicht eingestellt war. Wenige Sekunden später war es so weit, wir fuhren in das Gleis 4 ein. Bei der Fahrt in das Kehrgleis wedelte eine BVGerin ganz aufgeregt mit einigen Zetteln in der Hand. Horst meinte: "Ja, ja, wir kommen ja gleich." Ein Führerstandswechsel war erforderlich. Es ging sehr zügig wieder zurück zum Bahnsteig, doch vorher hielten wir noch am Stellwerk, es befindet sich in Alt-Tegel am nördlichen Bahnhofsende den Kehrgleisen zugewandt, gewissermaßen unter der Treppe. Dort drückte uns die Mitarbeiterin des Stellwerks die Zettel in die Hand, dies sind die Umlaufzettel aller auf der U6 im Einsatz befindlichen Züge. Somit dienen wir in dieser Funktion auch als interner Postverkehr. Diese Zettel werden zwecks Auswertung der Laufleistungen der U-Bahnwagen in der BW SEE gesammelt.

Diese Daten sind sehr wichtig, denn nach einer bestimmten Laufleistung muss jeder U-Bahnzug zu Untersuchungen in die Werkstatt. Diese Untersuchungen sind je nach Laufleistung verschieden wobei die umfassenste Untersuchtung die sogenannte "HU" ist, eine Hauptuntersuchung, wobei der gesamte U-Bahnzug komplett zerlegt und wieder zusammengefügt wird. Alle Teile werden entsprechend geprüft werden und gegebenenfalls ausgetauscht. Somit ist die Sicherheit für Betrieb und Fahrgäste jederzeit gewährleistet.

Wir fuhren wieder in den Bahnhof Alt-Tegel ein und fuhren mit 40 km/h die Strecke zurück zur Seestraße. Hinter Borsigwerke kamen wir ans Tageslicht, die Strecke führt auf einer Dammschüttung weiter. Hier verläuft die U6 in Hochlage zwischen den Kleingärten und Gewerbegebieten von Borsigwalde. Kurz vor dem Bahnhof Scharnweberstraße überquert der Zug die Hamburger Autobahn, sie ist um diese Zeit noch fast leer. Die Sonne war längst aufgegangen, das Wetter versprach einen sonnigen Vormittag. In der Ferne hörte man das Dröhnen der landenden Flugzeuge auf dem Tegeler Flughafen. Kurz vor Kurt-Schumacher-Platz sollten wir für längere Zeit das letzte Mal was von der Sonne haben: Die Gleise senken sich wieder ab in einem Betoneinschnitt. Nun ging es unterirdisch durch Berlins Untergrund weiter nach Mariendorf in den Süden der Stadt.

Wir sind am Leopoldplatz. Ich höre das Zippo klappen: Horst steckt sich eine Zigarette an. "Wenn ick auf der U6 fahre, rauche ich immer drei Zigaretten" sagt er. "Hier ist mein Zigaretten-Halt, det mach ick immer so: Hier am Leopoldplatz, in Alt-Mariendorf und dann wieder Leopoldplatz rauch ick eine. Grundsätzlich!"

Gemütlich mit 40 km/h rollten wir durch Berlins Innenstadt. Hinter dem Bahnhof Reinickendorfer Straße ist ein breiter weisser Strich an den Wänden zu erkennen. Dieser Strich kennzeichnete bis 1990 die exakte Lage der Sektorengrenze: bekanntlich wurde die U6 (wie auch die U8) zwischen 1961 und 1990 als Transitstrecke betrieben. Die Züge hielten nur auf dem Bahnhof Friedrichstraße, sonst nirgends. Die anderen Bahnhöfe waren sogenannte "Geisterbahnhöfe", die im schummrigen Dämmerlicht lagen. Nur Grenzpatroullien gingen auf den Bahnsteigen auf und ab. Die Gleise dieser Transitstrecken waren in sehr schlechtem Zustand, denn für die Wartung war damals die BVG-Ost verantwortlich. Und die taten nur das notwendigste. Einige Gleise dürften noch aus der Vorkriegszeit gestammt haben. Auch ich kann mich noch gut an das Gerumpel erinnern...

Erst nach der Wiedervereinigung wurden die Gleisanlagen umfassend instandgesetzt.

Zu DDR-Zeiten durften die Westberliner U-Bahnzüge niemals nur mit dem Fahrer allein durch den Osten fahren, stets musste ein Begleiter dabei sein. Der Zugfunk konnte und durfte nicht benutzt werden. So eine Fahrt durch den Osten konnte schnell zu einem Himmelfahrtskommando werden... Nicht selten kam es vor, dass ein Zug hier unten stecken blieb. An den letzten Bahnhöfen im Westen wurde sehr genau beobachtet, ob der Zugverkehr durch den Osten reibungslos verlief. Wenn sich Unregelmäßigkeiten ankündigten, wurde der Zugverkehr seitens des Westens sofort unterbrochen.

Kurz vor dem Bahnhof Kochstraße war der Westen Berlins wieder erreicht. Hier verließ der Begleiter damals wieder den Zug und fuhr mit dem Nächsten wieder zurück zur Reinickendorfer Straße. Lang ist´s her...

Hinter dem Bahnhof Hallesches Tor war das Signal rot. Horst hielt weit vor dem Signal, denn an dieser Stelle wird der Landwehrkanal unterquert. Jede Flussunterfahrung muss gegen eindringendes Wasser durch Wehrtore verschließbar sein. Wir hielten vor diesem Wehrtor, denn es könnte durch einen technischen Defekt passieren, dass sich dieses Tor schließen könnte, während wir dort stehen. Deshalb der Halt vor dem Tor. Wir sollten noch durch viele dieser Tore fahren...

Hinter dem Bahnhof Platz der Luftbrücke fällt die Deckenkonstruktion auf: Hier überspannt die Decke insgesamt vier Gleise, da hier eine Kehrgleisanlage befindlich ist. Das besondere daran ist, dass die Decke keine Stützen hat! Eine statische Meisterleistung. Ich merkte an, dass die Decke auch nicht sonderlich viel zu tragen hat, da sich der U-Bahntunnel an dieser Stelle neben dem Tempelhofer Damm befindet und somit der Belastung durch Autoverkehr nicht ausgesetzt ist. Horst berichtete, dass dies die breiteste stützenlose Stelle im Berliner U-Bahnnetz ist.

In Alt-Mariendorf angekommen hielten wir am Bahnsteigende kurz an, nahmen noch kurz die Wagenzettel mit und fuhren in das uns zugewiesene Kehrgleis. Es vergingen einige Minuten, in denen nichts passierte. Horst war der Ansicht, dass wir vergessen wurden. Kurz entschlossen ging er zum Telefon und rief in der Leitstelle an... Anschließend ging es zurück in die Stadt.


In Mariendorf fragt Horst in der Leitstelle nach, warum es nicht weitergeht...

Ab und zu quäckte das Funkgerät. In einem Falle wurde mitgeteilt, dass der Zugverkehr auf der Linie 7 zwischen Hermannplatz und Rathaus Neukölln wieder reibungslos liefe. Die Störung sei behoben, hieß es. Horst merkte an, dass "nicht viel los sei" Na, ja: Sonntag-früh gegen halb Neun...

An der Seestraße angekommen fuhren wir auf das Gleis 3 und hielten im Bahnsteigbereich, das ist das mittlere der drei Bahnsteiggleise. Wir wechselten den Führerstand und fuhren zurück. Unsere Fahrt auf der U6 war hiermit zu Ende. Es ging über Weichen in den Leopoldtunnel, der die Linie 6 mit der Linie 9 verbindet. Es ist eine recht enge und steile Kurve, sie führt direkt am Fuße der Nazarethkirche vorbei. Am Ende der Kurve befand sich wieder ein Signal, es zeigte rot, denn nun verließen wir den Stellbezirk Seestraße der U6 und fuhren in den Stellbezirk Berliner Straße zuständig für die U9 ein. Der Weichensteller Seestraße rief zu diesem Zeitpunkt den Weichensteller Berliner Straße an und teilte unser Kommen mit. Er ließ noch einen U9-Zug passieren und dann ließ er uns durch. Wir wollten in Richtung Nauener Platz weiter, doch dies ist direkt nicht möglich, hier sind "Sägefahrten" erforderlich. So mussten wir erst auf ein Kehrgleis, Gleis 3, nördlich des U-Bahnhofs Leopoldplatz (unten) fahren. Hier war ein kurzes Warten erforderlich, wobei wir den Führerstand wechselten, denn auch hier sollte erst der U9-Fahrgastzug zur Osloer Straße passieren. Er stand schon am Bahnsteig. Kurz darauf rauschte der Zug mit hohen Tempo an uns vorbei.

An einem auf Gleis 4 abgestellten F-Zug erklärte Horst mir die Funktionsweise der Fahrgasttüren. Sie funktionieren sogar im abgestellten Zustand des Zuges, denn prompt sprang nach meiner "Spielerei" an den Türen der Kompressor an. Völlig normal, da die Türen mit Druckluft betrieben werden. Sowohl beim Öffnen als auch beim Schließen.

Zwischenzeitlich war das Signal grün, denn der Zug "nach Oslo" war längst durch. Wir fuhren in das "falsche Gleis" des Bahnhofs ein. Wieder wechselten wir den Führerstand und es ging weiter Richtung Osloer Straße. Hinter dem Bahnhof Nauener Platz fuhren wir aus der U9 wieder raus in ein mittleres Gleis. Wenig später senkt sich dieses Gleis zwischen den Hauptgleisen der U9 ab und taucht in einen eigenen Tunnel ein. Es folgt eine enge Kurve, bei der wir von der U9 zur U8 hinüberwechseln. Dieses Gleis mündet in den U8-Tunnel nördlich des Bahnhofs Osloer Straße (unten) und verläuft parallel zur U8. Es ist das Gleis 7. Wir hielten an und wechselten wieder den Führerstand. In beiden Richtungen donnerten zwei H-Züge an uns vorbei. Sofort wurde das Signal grün und wir fuhren auf das Hauptgleis der U8 hinüber mit Ziel Hermannstraße. Langsam und immer mit dem gleichen Tempo ging es voran Richtung Süden. Die U8 ist baulich wirklich eine interessante Strecke, ständig wechselt die Bauform des Tunnels, der ja aus verschiedenen Jahren stammt und daher konstruktiv höchst verschieden ist. Für den Fahrgast unmerklich ist, dass ein Großteil der Tunnel (auch auf der U6) Gewölbetunnel hat. Oftmals sind sie durch horizontale Streben über dem Zugprofil stabilisiert. Auch sehr oft sind die Tunnel sehr hoch, all dies merkt der Fahrgast nie. Sieht wirklich interessant aus, aber bemerkenswert sind auch die Tunnel mit ihren engen Kurven zwischen Weinmeisterstraße und Jannowitzbrücke. Hinter Jannowitzbrücke gehts unter der Spree hindurch und von rechts mündet der Waisentunnel ein. Er führt hinüber zur Abstellanlage der U5 am Alexanderplatz. Vor dem Bahnhof Hermannplatz fällt die imposante Breite des Tunnels auf: Hier zweigt der Karstadt-Tunnel ab, der unter dem Warenhaus hindurch im Gefälle zur U7 führt. Zwischen dem Karstadt-Tunnel und dem U-Bahnhof befanden sich früher noch weitere Kehrgleise. Sie wurden um 1940 abgebaut und es wurde ein Luftschutzbunker erstellt. Schemenhaft kann man die dicken Betonwände erkennen.

Im weiteren Verlauf wusste Horst zu berichten, dass hinter dem Bahnhof Leinestraße früher ein Maschendrahtzaun gespannt war. Dahinter war es immer stockdunkel. "Dort konnte man niemals was erkennen." Dort waren früher alte U-Bahnzüge hinterstellt. Schließlich reichte der Tunnel schon seit 1931 bis zur Ringbahn. Später dann, also nach 1992, wurde der Abschnitt bis zur Hermannstraße ausgebaut. Das erste Drittel des heutigen Endbahnhofs entstand bereits vor dem Krieg. Während des Krieges wurde auch dieser Rohbau zum Bunker umfunktioniert. Die alten Wandbeschriftungen sind heute in dem Bahnhof hinter Glas konserviert:



Wir fuhren in den Bahnhof Hermannstraße ein und fuhren ohne Halt in die Kehranlage durch.

Die Zugfahrer fertigen ihre Züge über Spiegel ab. Wichtig ist also das exakte Halten in einem Bahnhof, damit sie den Bahnsteig gut überblicken können.

An einem Spiegel war der Hinweis "Tee im Kasten": Ich fragte Horst, was das zu bedeuten hat.

Die BVG spendiert ihren Zugpersonal an heissen Tagen Eistee, der ist in Thermoskannen tatsächlich zur Selbstbedienung deponiert.


Die Kehranlage HMS

In der Kehranlage Hermannstraße angekommen fielen mir sofort die andersartigen Gehsteige auf. Normalerweise befinden sich für das Fahrpersonal schmale Holzbahnsteige entlang der Kehrgleise. Hier aber sind es Gitterroste. Horst meint: "Det gibt's nur hier an der Hermannstraße". Kurz nach unserer Einfahrt kam ein H-Zug in die Kehre, überhaupt waren an dem Morgen sehr viele oder besser: fast nur H-Züge auf der U8 im Einsatz. Auffallend ist, wie kurz diese Kehranlage ist. Sie bietet knapp für einen 6-Wagenzug Platz: Der Sparwille der Stadt wird hier sichtbar. Es gab beim Bau dieser Strecke heftige Reibereien zwischen der Stadt und der BVG über den Sinn dieser Kehranlage. Die BVG hielt sie für unentbehrlich. Doch hier ist sogar Kunst am Bau zu bewundern: Die Tunnelabschlusswand ist blau gestrichen!

Horst ist normalerweise Stammfahrer auf der U6 und vornehmlich morgens unterwegs. Er fährt am liebsten die Frühschichten. "Dat ich früh aufstehen muß, macht mir nüscht aus" meinte er in seiner unnachahmlichen Mischung aus berliner und westphälischer Mundart. "Aber die Schmierfahrt ist ab und zu eine willkommene Abwechslung, also ick fahr den Schmierzuch ab und zu ganz gerne."

Horst ist ein sicherheitsbewusster Zugfahrer. "Ich hab dat Dingen noch nie festjefahren, ne Zwangsbremse wejen zu hohem Tempo hatt ick noch nie", meint Horst, "denn ich fahr nicht schnell. Ich fahre immer gleich. Immer an den gleichen Stellen schalt ich ab und lass rollen, während manche Kollegen noch mal richtich Zunda jeben und sich dann wundan, wenn se durchn Bahnhof rauschen, weil sie den Zuch nicht halten können. Dit kann mir nich passieren." Horst fährt nicht langsam, aber er fährt sehr besonnen.

Bei anderer Gelegenheit hat er mir mal demonstriert, zu was die Züge in der Lage sind. Es ist schon beachtlich, wie ein F-Zug abgehen kann, aber bei Allradantrieb ist das ja auch nicht verwunderlich. Aber wie gesagt, auf der U6 ist es normalerweise nie erforderlich, an diese Grenzwerte heran zu gehen. Auf der U7 und U9 mag das anders sein.

Nachdem der am Bahnsteig stehende H-Zug Richtung Wittenau abfuhr, wurden auch für uns die Weichen gestellt, wir konnten dem H-Zug folgen. Mit 40 km/h fuhren wir die U8 Richtung Wittenau. "Auf der U8" meint Horst "sind die Magnete sehr scharf eingestellt. Hier ist es wichtig, die Limits genau einzuhalten." In der Tat befinden sich vor Hermannplatz und Kottbusser Tor heftige Kurven. Etwas bekommt der Fahrgast auch nicht mit: Es ist immer wieder erstaunlich, was für Steigungen und Gefälle die Strecken aufweisen.

Hinter dem Bahnhof Moritzplatz hielt Horst den Zug mal kurz an, denn hier gibt es U-Bahnbaugeschichte zu bewundern: Ein abzweigender Tunnel mündet hier ein. Dieser Tunnel hat keine Gleise, es ist der nie fertiggestellte "Dresdener Tunnel". Er reicht aber nur etwa 10 Meter weit und deutlich konnten wir die Betonwand mit der Stahltür darin erkennen. Dahinter reicht der Tunnel noch einige 100 Meter weit bis fast zum Oranienplatz. Ursprünglich sollte diese U-Bahnlinie dorthin führen aber während des Baus dieser Strecke um 1926 war es August Wertheim, der 5 Millionen Reichsmark dem Bau beisteuerte und damit eine Planungsänderung zu Gunsten des Anschlusses des Moritzplatz erwirkte. Dort besaß Wertheim nämlich ein Warenhaus. Es war das Grenzregime der DDR, das ein Vermauern dieses Tunnels veranlasste: Dort befand sich einst die Sektorengrenze zwischen West- und Ostberlin. Vor dem Krieg befand sich in diesem Tunnel ein Abstellgleis. Es hatte keine Funktion für den Alltagbetrieb, aber Arbeitszüge konnten so abgestellt werden. Um 1940 verschwand das Gleis, denn in diesem Tunnel entstand ebenfalls ein Luftschutzraum.

Überhaupt: An vier Stellen unterquert die U-Bahn die Mauer im Bereich der Linien U6 und U8. Alle Stellen wurden kürzlich wieder durch den breiten weißen Strich an der Wand kenntlich gemacht, was ich vorhin schon schrieb. Die BVG ließ sich diese Arbeiten 40.000 DM kosten, denn zusätzlich wurden Schilder angebracht, auf denen "Übergang", "Übergabe", "überirdisch" und weitere Wörter mit "über..." angebracht wurden. Stellt sich eigentlich die Frage, wofür dort so viel Geld ausgegeben wurde. Der normale Fahrgast kann die Schilder während der Zugfahrt eh kaum lesen.

1994 gab es an der Weinmeisterstraße einen Unfall, wobei ein "Jäger90" (F-92) einem Dora auffuhr. Das ist eine tückische Stelle: Der Fahrer hatte ein gestörtes Signal, dass Hp0, also rot zeigte. Lt. Dienstvorschrift durfte er das Signal "auf Sicht" überfahren, was bedeutet, dass er nur so schnell fahren darf, wie es die Sichtverhältnisse erlauben, maximal mit 20 km/h. Nun befinden sich vor diesem Bahnhof sehr enge Kurven und noch dazu eine Steigung. Hierdurch war der damalige Fahrer mit seinem Zug zu schnell und konnte in der Bahnhofseinfahrt den Zug nicht rechtzeitig zum Stehen bringen und fuhr dem am Bahnsteig stehenden Zug auf. In der Tat wäre ein dort stehender Zug erst sehr spät zu sehen, das wurde auch mir klar. Nun, der damalige Fahrer durfte daraufhin nicht mehr fahren und Horst sagte, dass er ihn auch lange nicht mehr gesehen hätte: "Ist wohl nicht mehr dabei".

Kurz vor dem Bahnhof Pankstraße fallen wieder sehr massive Sperrtore auf. Hierbei handelt es sich aber nicht um eine Flussunterfahrung sondern um ein Relikt des Kalten Krieges: Der Bahnhof Pankstraße kann im Krisenfall als Schutzanlage genutzt werden. 3.300 Menschen können in diesem U-Bahnhof drei Wochen von der Aussenwelt abgeschnitten überleben. Dieser Bahnhof besitzt sämtliche dafür notwendige Einbauten. Der Kalte Krieg ist überwunden, dennoch werden heute in regelmäßigen Abständen diese Schutztore auf ihre Funktion überprüft. Horst sagt, dass dies dann in den späten Abendstunden geschieht. Die Tore sind so konstruiert, dass sie den Bahnhofsbereich gegenüber der freien Strecke "gasdicht" verschließen können. Sollte eines dieser Tore nicht in seiner geöffneten Stellung befindlich sein, schaltet sich sofort ein Signal Sh2 ein. (Sh2: ein rotes Licht: Halt!)

Mal ehrlich: Könnten Sie sich vorstellen, hier in diesem fiesen Bahnhof drei Wochen mit tausenden Anderen zu (über-)leben? Also, ich hätte damit so meine Probleme. Und sicher nicht nur ich...

Interessant und wirklich schön anzusehen ist die Fahrt von Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik nach Rathaus Reinickendorf, wo die Röhrenstrecke (Bauweise im bergmännischen Schildvortrieb) durchfahren wird.

Wir kamen in Wittenau an und fuhren in die Kehranlage ein und hielten am nördlichsten Gleis. Hier hatten wir eine viertel Stunde Zeit, und Horst zeigte mir einen "Pumpensumpf" in einem Notausgang. Nun liegt die Berliner U-Bahn ja im allgemeinen unter der städtischen Kanalisation. Logischerweise sammelt sich unten im Tunnelsystem der U-Bahn Wasser aller Art an: Eingedrungenes Grundwasser, Regenwasser aber auch Brauch- und Abwasser. Diesen "Pumpensumpf" muss man sich vorstellen als eine ausbetonierte Grube mit einem Gitter drauf. Durch dieses Gitter ragt ein Rohr an dessen Ende eine Pumpe montiert ist. In dieser Grube steht Wasser. Wenn nun dieser Wasserpegel steigt und einen bestimmten Stand erreicht, springt die Pumpe an, die das Wasser über Steigleitungen in die städtische Kanalisation entsorgt. Dieser Pumpensumpf befindet sich in einem Notausgang und es ist schon interessant, so einen Notausgang mit den verschachtelten Stahltreppen von unten zu sehen.


Ein Notausgang aus ungewohnter Perspektive




Kehranlage Wittenau

Nun war es Zeit, das Signal zeigte wieder Hp 2 (Grün-Gelb: max 40 km/h) und wir konnten losfahren. Wir fuhren zurück zur Osloer Straße. Vor dem Bahnhof angekommen zweigten wir wieder vom Hauptgleis ab und fuhren in den "Osloer Tunnel" ein, der die U8 mit der U9 verbindet. Wenige Augenblicke später standen wir vor dem Bahnhof Nauener Platz der U9 auf dem Mittelgleis und warteten auf grün. Es dauerte bestimmt fünf Minuten, bis es grün wurde. "Lässt er uns doch erst durch" meinte Horst, denn zwischenzeitlich war kein Zug auf der U9 von Osloer Straße gekommen. Das bedeutet für uns: Feuer geben, denn der Fahrgastzug dürfte kurz hinter uns her fahren. Besonderes Problem auf der U9 ist, dass hier in aller Regel sehr zügig und schnell gefahren wird. Die Daisyanzeige am Nauener Platz zeigte aber noch 4 Minuten bis zum Eintreffen des nächsten Fahrgastzuges. Am Leopoldplatz und Amrumer Straße waren es bereits 7 Minuten. Arbeitet die Anlage fehlerhaft? Zeichen, dass der nächste Zug nicht weit hinter uns sein dürfte ist, dass bereits viele Fahrgäste auf dem Bahnsteig sind.

Überhaupt Fahrgäste: Immer wieder beobachteten wir, dass die Fahrgäste auf unseren Zug zustreben, obwohl an den Anzeigen NICHT EINSTEIGEN steht und wir auch keinerlei Anstalten machten, anzuhalten. Horst meint: "Ich könnte hier auch mit einem gelben Briefkasten durchfahren. Die Fahrjäste würden sogar da noch reinklettern."

Wir fuhren also wie gewohnt mit 40 nach Steglitz. Und dort entstand ein "Streitgespräch" zwischen mir und Horst. Ich bin der Meinung, der derzeitige Bahnhof Rathaus Steglitz ist eigentlich für die U10 gebaut worden, Horst meint, er sei für die U9 schon immer geplant gewesen... Fakt ist, dass der Zug zwischen Walther-Scheiber-Platz und Schlossstraße von dem U9-Gleis auf das U10-Gleis wechselt, denn hier ist der Tunnel insgesamt viergleisig für beide Linien ausgebaut. Die U10 wurde ja bekanntlich nie gebaut. Auch in Steglitz nahmen wir die Wagenzettel vom Kasten in Empfang. Dann fuhren wir wieder in die Kehre. Deutlich im Gleis sind noch die LZB-Anlagen zu erkennen. Bekanntlich wurde die LZB-Anlage 1999 abgestellt, als die Entwicklungsphase beendet war und nun bedeutete, dass die BVG dafür Geld bezahlen müsste. Heute ist die U9 fahrbetrieblich eine ganz normale U-Bahnlinie. Bereits 1969 wurden die Züge zwischen Hansaplatz und Spichernstraße automatisch gefahren, wobei immer ein Fahrer dabei war. Der Fahrer aber hatte buchstäblich nichts zu tun, ausser da zu sein. Seit 1979 wurde die gesamte U9 automatisch betrieben.

Wir fuhren nun wieder zurück Richtung Osloer Straße. In Osloer Straße angekommen fuhren wir in die Kehranlage, die bemerkenswerterweise nur aus zwei Gleisen besteht. Dafür ist diese sehr lang und bietet insgesamt vier Sechswagenzügen Platz. Niemals jedoch darf die Anlage vollständig belegt sein, da sonst das Wenden von Zügen wie diesem Schmierzug unmöglich wird. Dies gilt aber grundsätzlich für Kehranlagen, es muß immer Reserveplatz für einen 6-Wagenzug bestehen.

Wenig später fuhren wir wieder zurück zum Bahnsteig des Bahnhofs Osloer Straße und fuhren weiter zum Nauener Platz. Hinter diesem Bahnhof zweigten wir rechts ab in den Leopoldtunnel und verließen so die U9. Jetzt erfolgte wieder unsere Übergabe an die U6. Das Signal wurde grün und wir rumpelten hinüber auf das mittlere Gleis im Bahnhof Seestraße. Nun näherte sich die Fahrt wieder ihrem Ende und -zumindest mir ging es so- ich freute mich wieder auf Tageslicht und Sonnenschein. Im Bahnhof Seestraße erahnte man schon, dass die Sonne scheint, denn dies war nach langem der erste Bahnhof, der direkt unter der Straße liegt und an den Zugängen konnte man die Sonnenstrahlen auf den Treppenstufen erkennen. Es ging nun weiter -wieder über das falsche Gleis- die Rampe hinauf in die Betriebswerkstatt. Über das Weichenfeld fuhren wir bis vor die Halleneinfahrt, da hier die Werkstätten-Mitarbeiter den Zug wieder übernehmen müssen. Es war richtig hell! Ungewohnt lange Zeit dauerte es, bis sich die Augen wieder an das grelle Sonnenlicht gewöhnt hatten, denn zeitweise hatten wir es mit stockfinsterer Nacht zu tun. Horst meinte, das ist völlig normal. Das sind halt die Schattenseiten dieses Berufs. Man weiss wirklich nach gewisser Zeit nicht mehr, was für ein Wetter draussen herrscht. Wenns regnet, sieht man es nur an der nassen Kleidung der Fahrgäste. Dies alles sind Umstände die auch mir erst richtig bewusst wurden, als ich Horst sechs Stunden lang im Berliner Untergrund begleitet habe. Doch unterm Strich hat die Aktion riesigen Spaß gemacht.


Das überbaute Stellwerk Seestraße aus den 70ern

An dieser Stelle möchte ich mich ganz herzlich bei Horst bedanken, dass er seinen freien Tag für diese Aktion geopfert hat, dass er mir unbürokratisch eine Übernachtungsmöglichkeit bei Rocky Woller vermittelt hat und dass die Berliner Verkehrsbetriebe bei dieser Aktion mitgespielt haben. Denn auch hier gilt: Ohne eine förmliche Genehmigung geht auch hier nichts. Schließlich gibt es viele Stellen und Situationen, die höchste Gefahr bedeuten, zumal für eine betriebsfremde Person, wie ich es bin und er war in diesem Moment für meine persönliche Sicherheit verantwortlich. Das sollte man dabei nicht vergessen.
Gruß an dieser Stelle auch an die vielen Kollegen, die wie Horst dafür sorgen, dass wir Fahrgäste jeden Tag pünktlich und sicher an unser Ziel kommen.

Hier die Seite von Horst Brackland
Er stammt aus dem westphälischen Raum und ist seit 1986 bei der BVG.
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Ergänzungen

süß

gisela, die havariebahn 03.11.2002 - 21:17
da hat sich aber jemand einen spass gemacht und erst ein total brisantes thema angekündigt, und dann ... trotzdem nett, weil so hab ich als berliner u-bahnfahrende mal einen einblick in die perspektive der u-bahnfahrer bekommen :-)

Gut recherchiertes Hintergrundwissen.

André Loop 03.11.2002 - 22:08
Der Artikel muss auf die Startseite! Sofort! Morgen um 18.00 Uhr Spontandemo am Kotti! Lasst uns mit dem militärisch-industriellen Komplex radikal brechen und seine willfährigen Handlanger der BVG stoppen.

Falscher Titel

Mogelpackung 03.11.2002 - 22:56
der eigentliche titel lautet:
Eine ganz besondere U-Bahnfahrt

 http://home.arcor.de/netzspinne/schmier.htm

was die BVG sonst so treibt wäre viel interessanter asl dieser artikel für zug-narren.

Falscher Titel

Mogelpackung 03.11.2002 - 22:56
der eigentliche titel lautet:
Eine ganz besondere U-Bahnfahrt

 http://home.arcor.de/netzspinne/schmier.htm

was die BVG sonst so treibt wäre viel interessanter als dieser artikel für zug-narren.

bitte dran denken

berlinerin 03.11.2002 - 22:59
nicht alle wissen auf den ersten blick dass es um berlin geht

Großstadtaroganz

Lahn-Dill 04.11.2002 - 00:40
Hier zeigt sich mal wieder die bekannte Großstadtaroganz diverser zugereisten Neuberliner bzw. Möchtegernberliner.

Auf nach Halbe am 17.11.01 !

Super Geschichte! Mehr davon!

Zapata 04.11.2002 - 04:34
Endlich mal wieder ein wenig Arbeiter-Kitsch.
Der Artikel ist sau-nett geschrieben, leider muss mensch aber
auch einiges an Geduld mitbringen. Der Stil ist jedenfalls super.
Und an all die Möchtegern-Journalisten da draußen:
Genau so betreibt mensch dieses Geschäft, sauberer wohlrecherchierter Journalismus mit Stil und (vorallem!) Fakten, Fakten, Fakten. Das ziehe ich einer (der etlichen)versoffenen, unklaren und faktisch völlig falschen Provomeldung(en) auf jeden Fall vor.

RADICAL TRAINSPOTTERS - UNITE!!

04.11.2002 - 08:50