Mord an Ahmet Sharlak

UnderTakeThisLaw 24.08.2002 01:17 Themen: Antifa
Am 9.8.2002 gegen 23.00 Uhr wurde in Sulzbach/Saar der 19jährige Ahmed Sharlak von einem rechtsradikalen Skinhead ermordet. Während einer Streiterei zog der 25jährige Faschist ein Messer und stach mehrmals zu. Sharlak starb am Morgen des 10.8.02 an seinen Verletzungen.
Die Stadt selbst bezeichnet die Faschisten statt ihren eigenen Umgang mit ihnen als "problematisch". Schon seit längerem gibt es "Probleme" mit "Rechten". Menschen, die nicht in das homogene Deutschbild passen, werden regelmäßig angegriffen. Das "Salzbrunnenfest" in Sulzbach, keine 10 Kilometer von Saarbrücken entfernt, auf dem die Tat geschah, ist für seine rechten Übergriffe in der Vergangenheit bekannt. Kritiker erheben schwere Vorwürfe gegenüber den Verantwortlichen, diese hätten in den vergangenen Jahren eher stillschweigend zugeschaut, statt aktiv gegen den rechten Mob etwas unternommen zu haben. (http://www.sandimgetriebe.de/aktuelles/sulzbachpresseerklaerung.html.) Und dies ist im Saarland durchgängige Praxis - so weltoffen sich der Ministerpräsident Peter Müller auch geben mag, vor Ort ist er, seine Politik und "sein" Land provinziell, reaktionär und für manche tödlich.

Am 18./19.09.1991 starb Samuel Yeboah in Saarlouis an einem faschistischen Brandanschlag.

Dieser Übergriff stellte den Auftakt zu einer Welle von Brand- und Bombenanschlägen auf Flüchtlingsunterkünfte in Deutschland dar. Samuel Yeboah war eines der ersten Todesopfer rassistischer Gewalttaten in Westdeutschland nach der Wiedervereinigung. Dieser Mord war das Ergebnis erstarkender Neonaziaktivitäten in Deutschland, die im Saarland mit Saarlouis ihren Schwerpunkt hatte. Bei einer Gedenkveranstaltung anlässlich des 10. Jahrestages im letzten Jahr wurde versucht, das Bündnis zur Erinnerung an diesen Brandanschlag zu kriminalisieren. Am 18. Februar 2002 erhielt der Anmelder der Gedenkkundgebung einen Strafbefehl vom Amtsgericht Saarlouis. Die Stadt selbst will sich nicht an die Tragödie erinnern und ließ eine angebrachte Gedenktafel entfernen. (http://www.sandimgetriebe.de/aktuelles/gedenkstein.html)

Am 9.3.1999 explodierte eine Bombe in dem VHS - Zentrum in Saarbrücken. (http://www.berlinonline.de/wissen/berliner_zeitung/archiv/1999/0310/politik/0037/)

Gezeigt wurde zu dem Zeitpunkt die Ausstellung "Verbrechen der Wehrmacht". Auch hier ging, wie Anfang der 90er Jahre, ein breiter gesellschaftlicher Konsens den Taten voraus. Vor den Pogromen in Hoyerswerda 1991, die zeitgleich mit dem Brandanschlag auf das Asybewerberheim im saarländischen Saarlouis stattfanden, ging eine mediale Hetze gegen alles, was nicht Deutsch aussieht, voraus. BrandSätze wie "Das Boot ist voll" oder "Flüchtlingsströme sind wie Parasiten" assoziieren Menschen mit gefährlichen Tieren, "SozialSchmarotzer" sind meist die Anderen, das Fremde wird zum Feindbild. Auch ging bei diesem Sprengstoffanschlag im VHS-Zentrum eine mediale Hetze gegen die Ausstellung "Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944" (http://www.his-online.de/veranst/ausstell/vernicht.htm) voraus: dabei entpuppte sich die "Saarbrücker Zeitung" als Plattform solcher Agitation. (http://www.sz-newsline.de/serien/wehrindex.htm) Sie machte doppelseitenweise täglich Platz für Leserbriefe, die sich von platt rassistisch über revisionistisch bis hin zu antisemitisch äußerten. Sie dokumentierte damit eindrücklich die Stimmungslage im Saarland. Rechter Konsens in der Gesellschaft also auch im Saarland - so wie sich NPD, DVU und CDU &Co. in anderen Bundesländern einig sind, jedenfalls ideologisch (die DVU beschwerte sich im Wahlkampf in Sachsen 1998 darüber, daß die CDU ihr Wahlprogramm abgeschrieben hatte - half nichts, die DVU zog mit 16 Abgeordneten in den Landtag ein, http://www.antifaschistische-nachrichten.de/1999/20/003.htm), so sind sich die Herren Stammtischler auch sonstwo einig: titelte beispielsweise die NPD auf einem Flugblatt gegen die Ausstellung des "Hamburger Institutes für Sozialforschung" mit "Unsere Großväter waren keine Verbrecher", so schrieb die CDU in ihrer Anzeige in der "Saarbrücker Zeitung" unmittelbar vor dem Bombenanschlag "Unsere Väter waren keine Mörder". (http://www.vvn-bda.de/bund/presse_wehrmacht.htm) Saarland einig gegen alles, was nicht für das Reich ist.

Die rechte Skinheadszene ist im Saarland sehr stark vertreten.

Das problematische daran ist, daß diese Subkultur gut organisiert ist. ?Blood&Honour?, ?Hammerskins? und die die Skinbewegung nach und nach vereinnahmte JN sind eher anzutreffen, als nicht organisierte oder unpolitische Skinheads. Zusätzlich dazu treten vermehrt sog. Kameradschaften auf. Mit Anspielungen auf das 3.Reich, den Deutsch Faschismus, Symbolen aus dem Nationalsozialismus und subkulturellen Szeneassecoires wie Hakenkreuze, SS-Runen, Altdeutsche Schriftzüge, Reichsadler -flagge und NS-verherrlichende Musik bis hin zu organisierten Übergriffen auf Andersdenkende fiel kontinuierlich die saarländische Skinheadszene auf. Besonders hervor tat sich die Szene in und um Saarlouis (15-20min Autofahrt von Saarlouis bis Sulzbach). Dort rückten besonders Mitte und Ende der 90er Jahre JN, FAP und die "Kameradschaft Horst Wessel- Saarlautern" in den Mittelpunkt des Geschehens. Unterstützt mit dem fatalen Konzept der Aktzeptierenden Jugendarbeit (http://www.left-action.de/archiv/verstaerker/d4_a.htm)errichteten die Naziskins eine sogenannte "National Befreite Zone". Das Dach des Pavillion im Saarlouiser Stadtpark war sogar zeitweise in den Farben Schwarz-Weiß-Rot gestrichen. Jegliche andere Jugendkultur wurde unterdrückt und bis heute ist der homogene deutsch-nationale Ton der Naziskins dominierend - in Saarlouis wie in Sulzbach. (eindrucksvoll ist hier die Dokumentation von einem Antifaschistischen Autorenkollektiv in Zusammenarbeit mit der ANTIFA Saar "Kein Schöner Land...Faschistische Strukturen und Aktivitäten im Saarland", http://www.pds-saar.de/Links/Nazis/body_nazis.html)

Faschistische Morde und Übergriffe auf Andersdenkende isoliert zu betrachten ohne den gesellschaftlichen Zusammenhang wäre verkürzt und verfälschend.

Der gesellschaftliche Rahmen, in dem sich solche Ereignisse abspielen, ist kein zufälliges Produkt sondern gewollt. Genau so wie die rechten Parteien CDU /NPD und DVU vor Hoyerswerda und Saarlouis 1991 hetzten, mit Kampagnen etwa "Das Boot ist voll" oder "Arbeit zuerst für Deutsche" hörte man von der CDU-Landesregierung ausnahmslos Töne, die den Stammtisch und die rechte Klientel bediente - was sich leider für eine Partei im Saarland lohnt. So zeigte Peter Müller, Ministerpräsident des Saarlandes und darauf bedacht, bundesweit das Saarland als liberal und offen darzustellen, seine Art der Familienpolitik am 15.11.01 in Wadern: Fünf Personen der siebenköpfigen Familie Özdemir wurden in einer Nacht und Nebelaktion um 4.00 Uhr morgens von 25 Polizisten, die teilweise in der Wohnung randalierten (http://www.miruzlav.de/oezdemir/Abschiebung/hauptteil_abschiebung.html) entführt. Seitdem wird das Innenministerium nicht müde, Diffamierungen und Unwahrheiten in diesem Zusammenhang zu verbreiten (http://www.linkeseite.de/Texte/antifatexte/1028.htm). Das Verhalten des Innenministeriums, das vom Unbedingten Willen zur Abschiebung geprägt ist, lässt keine Zweifel mehr offen, daß auch ohne Skrupel und zur Not auch ohne rechtliche Grundlage operiert wird: Tashin Özdemir, der zweite Sohn der Familie, der nicht am 15.11.01 abgeschoben wurde, sollte am 1.7.02 ohne ärztliche Zustimmung aus der Psychiatrie in Merzig entführt werden (http://www.miruzlav.de/oezdemir/Presse/u1/hauptteil_u1.html). Dabei konnte das Vorgehen des Innenministeriums nur durch einen Beschluß des Amtsgerichtes gestoppt werden (ausführlicher Pressespiegel auf www.familie-oezdemir.de)

Polizeigesetze

Durch die enge Zusammenarbeit der saarländischen Landesregierung mit dem Freistaat Bayern lässt sich auch dieses Hinterwäldlertum und Provinzielle erklären. Während die CSU von sich selbst behauptet, daß es Rechts neben ihr "keine demokratisch legitimierte Kraft" geben solle, so werden beide Schwesterparteien nicht müde, die Gesellschaft weiter nach Rechts zu zerren. Im Saarland geschah das beispielsweise im Jahr 2000 durch die Verschärfung der Polizeigesetze (http://www.pds-saar.de/Positionen/Out_off/body_out_off.html). Die Verschärfungen im Einzelnen: Einführung Verdachts- und Ereignisunabhängiger Kontrollen (Schleierfahndung), bis zu acht Tage Ingewahrsamnahme und die Wiederaufnahme des Begriffs der "öffentlichen Ordnung", der im Gegensatz zu "öffentlicher Sicherheit" wesentlich diffuser ist und dessen konkrete Ausgestaltung dem Ermessen der Polizei überlassen bleibt.

Rassistische Alltagskultur

Die Bundesweite Rassistische Alltagskultur trägt auch verschärfend zu einem Klima der Intoleranz, Gewalt und Ausgrenzung bei. Zu nennen wäre hier zuerst einmal der Institutionalisierte Rassismus. "Institutionalisierter Rassismus" wird definiert als "das kollektive Versagen einer Organisation, anderen Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe, Kultur oder ethnischen Herkunft angemessene und professionelle Hilfe zu leisten. Er kann in Prozessen, Einstellungen und Verhalten sichtbar werden, die diskriminierend sind durch unwissentliche Vorurteile, Ignoranz, Gedankenlosigkeit und rassistische Stereotypen, wodurch Angehörige ethnischer Minderheiten benachteiligt werden."(http://www.wsws.org/de/2001/apr2001/rass-a19.shtml) Er findet u.a. Ausdruck in einer Gesetzgebung, die nur für eine bestimmte Bevölkerungsgruppe zählt; nicht etwa, wie man meinen könnte, mit Gesetzen nur für Katholiken, stellt diese Bevölkerungsgruppe doch einen nicht unrelevanten Anteil dar, oder vielleicht in Form von Brillenträgergesetzen. Es sind die Ausländergesetze, gegen diese folglich nur ein bestimmter Teil der Gesamtbevölkerung verstoßen kann. Dieser rassistische Gesetzesumstand wird noch durch die Heranziehung von der sog. "Polizeilichen Kriminal Statistik" (PKS) (http://www.bka.de/pks/pks2001/index2.html) zur Belegung für eine angeblich erhöhte "Ausländerkriminalität" verschärft: ignoriert wird hier völlig die enorme statistische Verzerrung, die dadurch zustande kommt, dass eben nur AusländerInnen gegen diese Gesetze verstoßen können. Kurz erwähnt werden sollen hier die sog. "Residenzpflicht", (http://www.aha-bueren.de/Residenzpflicht/wasbedeutet.htm) die es Flüchtlingen verbietet, ein bestimmtes Gebiet, Landkreis oder Bundesland, zu verlassen und die Ausgabe von "Essenswertmarken" die den EmpfängerInnen untersagt, sich selbst die Lebensmittel für den täglichen Bedarf auszusuchen.

Richtig unangenehm ist es, wenn die saarländische Innenministerin auf der Demonstration am 16.08.2002 anlässlich des rassistisch motivierten Mordes an Ahmet Sharlak zu "Mehr Demokratie und Toleranz, gegen Terror, Gewalt und Rassismus" aufruft. Gerade sie ist mit dem Ministerpräsidenten die politisch Verantwortliche für die verschärfte Abschiebepraxis der saarländischen Landesregierung, der Jahr für Jahr mehr Flüchtlinge zum Opfer fallen. "Law & Order" und "Zero Tolerance" sind Schlagwörter der gesellschaftlichen Rechten Mitte, wenn es um ihre Sicherheit geht. Diese bedeutet dann Ausgrenzung, Ausbeutung und Abwertung von Randgruppen, Minderheiten und sozial Schwachen.

Rassismus als kulturelles Missverständnis?

Solange Rassismus als kulturelles Mißverständnis verstanden wird und nicht als ein Mittel im Verteilungskampf um materielle Güter, werden die gesellschaftlichen Voraussetzungen für Rechtsextremismus bestehen bleiben. Es sind nicht "unsere Jungs", die "einfach mal über die Stränge schlagen" oder "nicht wissen, was sie tun", es sind junge, deutsche, meist Männer, die genau wissen was sie tun und was sie wollen. Rassismus und Fremdenfeindlichkeit ist in der Bundesrepublik Alltagskultur und somit nicht auf die "Untaten" Einzelner zu reduzieren. Der Mord an Ahmed Sharlak ist der zweite rassistisch motivierte im Saarland. Während die Innenministerin scheinheilig für mehr Toleranz demonstriert und gleichzeitig Flüchtlinge in ihre Folterländer abschieben lässt, werden in Saarlouis AntifaschistInnen diskriminiert, weil sie an den Mord von Samuel Yeboah gedenken. In der "Saarbrücker Zeitung" vom 19.8.2002 ist im Regionalteil von Saarbrücken zu lesen, daß "auf dem Stadtfest in Friedrichsthal eine Gruppe von rund 20 Türken, die nach Angaben der Polizei zum Teil uniform gekleidet waren (...) weiße T-Shirts mit dem Bild des Türken [trugen], der auf dem Sulzbacher Salzbrunnenfest von einem mutmaßlichen Neonazi getöten worden war. (..) Gegenüber den Polizeibeamten äußerten die Türken, daß sie nicht vorhätten, die Feste zu stören, sondern nochmals auf die Geschehnisse auf dem Sulzbacher Salzbrunnenfest aufmerksam machen wollten." Einmal davon abgesehen, dass Ahmet Sharlak in Deutschland geboren wurde, hier aufwuchs und den Deutschen Paß besaß, müssen sich in Deutschland traditionell die Opfer rechtfertigen, nicht die Täter.
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Ergänzungen

ivan drago 24.08.2002 - 14:46
umfassender, informativer artikel; dank an undertakethislaw für den bericht; hab schon gedacht von der 2. demo gäbs keine berichterstattung und der rassistische mord würde auf indy untergehen...
weiter so undertakethislaw!

Noch mal die beiden anderen Artikel

Finder 24.08.2002 - 15:06
Hier noch mal die beiden anderen Artikel dazu vom 10.8.:

 http://www.de.indymedia.org/2002/08/27550.shtml
Nach dem Mord an Ahmet Sharlak gestern abend um 23.00 auf dem Festplatz in Sulzbach/Saar fand heute eine Antifaschistische Kundgebung und Spontandemonstration am Ort des Geschehens statt.

 http://www.de.indymedia.org/2002/08/27561.shtml
Hier einige Bilder von der Kundgebung und der Spontandemonstration in Sulzbach/Saar.

noch mal eine frage

von mir 24.08.2002 - 15:09
von der demo am 10.8. gabs bei indy ja einige bilder (ergänzung über mir) - wieviele leute waren am 16.8. da und wie lief die demo ab?

Am 16.8...

Isider 24.08.2002 - 18:47
...waren laut "Saarbrücker Zeitung" 3000 Leute auf der Demo in Sulzbach. Reel dürften es so 2000 gewesen sein. Kramp-Karrenbauer wurde kräftig ausgebuht und ausgepfiffen. Ansonsten gab es noch eine grauenvolle Rede des Bürgermeisters. Einzig gute war, daß bei uns im "Bunt-Schwarzen" Block die Stimmung super war und wir sehr stark vertreten waren. Ansonsten war´s ne Alibishow für Sulzbach &Co. Die Faschos rennen heute wieder wie vorher durch die Gegend und Otto-Normal-Stammtischler palavert wieder darüber, daß das alles nicht passiert wäre, wenn "die" doch daheim in der Türkei geblieben wären....