Antideutsche Kriegsführung.

W.W. 11.04.2002 03:38
Ein Lehrgang für AnfängerInnen und Fortgeschrittene

Wenn im folgenden von ‚Antideutschen‘ die Rede ist, dann ist damit eine Positionierung gemeint, die sich eigentlich in Gegnerschaft zu Kapitalismus, (deutschem) Nationalismus und Imperialismus wähnt, aber – aufgrund außergewöhnlicher Umstände – davon absieht, um an der Seite der US-Alliierten etwas noch ‚Schlimmeres‘ zu verhindern. Im Zentrum vieler antideutschen Argumentationsfiguren steht deshalb die Begründung eines Ausnahmezustandes, der das ‚eigentlich richtige‘, sprich das eigene politische Handeln, zugunsten einer Kriegsbefürwortung suspendiert, die mit denUS-alliierten Kriegen gegen die "Achse des Bösen" zusammenfällt.
Die Paradoxie, das ‚eigentlich falsche‘ für das ‚jetzt richtige‘ zu halten, ist nicht besonders orginell und schon gar nicht einmalig. Das Ganze hat Geschichte.

Die bellizistische Linke hat dies bereits vorgemacht, als sie im Zuge des US-alliierten Krieges gegen den Irak 1991 antifaschistisches Gedankengut in die Kriegsschatulle der Kriegskoalitionäre warf, um so dem stink-normalen imperialistischen Krieg eine moralische und politische Legitimation zu verleihen.

Antideutsche Kriegsbefürwortungen betreten also kein Neuland.

Zwischen dieser bellizistischen Linken und den Antideutschen besteht aber auch ein Unterschied.

Als die bellizistische Linke 1991 den US-alliierten Krieg gegen den Irak befürwortetete, lag das Epizentrum politischer Erschütterungen noch in der Mitte einer linken, liberalen und pazifistisch-gesinnten Öffentlichkeit. Sie sollte auf Kriegskurs gebracht werden. Am besten war sie mit ihren eigenen Waffen zu schlagen. Mit der Konversion antifaschistischer Denkfiguren zu kriegstauglichen Begründungen hatte die bellizistische Linke staatstragende Bedeutung erlangt – was sich bis ins deutsche Außenministerium hinein bezahlt machte.

Heute streitet die ‚liberale‘ Öffentlichkeit nicht mehr über das prinzipielle ‚Ob‘, sondern über das nuancierte ‘Wie‘. Heute streitet die ‚liberale‘ Öffentlichkeit nicht mehr über die Notwendigkeit von Krieg, sondern über den notwendigen Grad der Enttabuiiserung des Militärischen. Dieser Transformationsprozeß kann als abgeschlossen bezeichnet werden. Der Umbau der Grünen von einer pazifistischen (Oppositions-)Partei hin zu einer kriegsführenden (Regierungs-)Partei in weniger als 10 Jahren fügt sich darin nahtlos ein.

In diesem Kontext sind antideutsche Kriegsbegründungen und-befürwortungen bedeutungslos. Sie werden als Argumentationshilfen und –(Kriegs-)anleihen nicht mehr gebraucht.

Mit dem folgenden Beitrag möchte ich den Versuch unternehmen, aus dem mittlerweile ermüdenden Kreislauf antideutscher Beiträge und entsprechender Widerreden auszuscheren. Meine Absicht ist, einen Grundriss zu zeichnen, der sich aus den verschiedenen antideutschen Kriegsbeiträgen ergibt.

Nicht alle antideutschen Positionen münden automatisch in Zustimmung von US-alliierten Kriegen. Genauso wenig sind alle Kritiken an antisemitischen Positionen in der radikalen Linken, an nationalen Befreiungskonzepten und antiimperialistischen Strategien nur deshalb falsch und unbedeutend, weil sie in einen antideutschen Diskurs miteingebunden sind.

Mir geht es also nicht um personelle Zuschreibungen, sondern um die Architektur des antideutschen Kriegsdiskurses. Damit einher geht der Anspruch, an den verschiedenen Knotenpunkten antideutscher Erzählweisen inne zu halten, um Gegenpositionen deutlich zu machen.

Antideutsche, antinationale Positionen haben sich nicht neu erfunden. Sie sind aus der Kritik all zu schlichter und einfacher Imperialismusanalysen und Solidaritätsbekundungen (von ‚USA-SA-SS‘ bis hin zum ‚Sieg im Volkskrieg‘) hervorgangen. Sie wuchsen an der Kritik einer internationalistischen Solidaritätsarbeit, die die eigenen Kämpfe um Befreiung an die Guerilla in Latein- und Mittelamerika delegierte, die den bewaffneten Kampf am Feind maß und nicht an den gesellschaftlichen Vorstellungen, die darüber hinauswiesen. Eine Kritik, die an das Verbundensein mit den weltweiten Kämpfen mehr Anforderungen stellte, als die gemeinsame Gegnerschaft.

Es gehört zur Ironie antideutscher Begebenheiten, daß sie sich aus und in diesen (produktiven) Brüchen und Widersprüchen entwickelten, um mit ihrem neugeschaffenen Weltbild - unter anderen Vorzeichen – dort zu enden, wo selbst die politischen Kurzschlüsse der 70er und 80er Jahre nicht hinreichen.

Ich werde mich im folgenden i.w. auf die Stellungnahmen und Ereignisse rund um den in Afghanistan begonnenen US-Alliierten (Welt-)Krieg 2001 konzentrieren.

Antideutscher Ausnahmezustand (im Inneren)

Mit geradezu insulanischem Weitblick inspizierte die ‚Bahamas‘ die innerdeutsche Kampffront nach den Anschlägen vom 11.9.01: "...von der FAZ bis zu den Autonomen reicht die Gemeinschaft derer, die sich klammheimlich darüber freuen, daß dem ‚großen Teufel Amerika‘ nun dasselbe Schreckliche widerfährt wie dem ‚kleinen Teufel Israel‘."

"Kaum fielen die ersten Bomben auf Afghanistan, machten die Friedensfreunde von DKP bis NPD, von Horst Mahler bis Günter Grass an der Heimatfront mobil." (Andrea Albertini, Jungle World vom 17.10.01).

Und zur Abrundung dieses Sittengemäldes sei Tjark Kunstreich aus der Jungle Word vom 13.2.02 zitiert: " Der schon legendäre antisemitische Bekenntnisdrang auf Indymedia nach dem 11.September war keineswegs eine vorübergehende Erscheinung...Wo deutsche Linke sich zusammenrotten, faßt man auch schon mal Mut, es den "Judenknechten" und "Zionistenschweinen" zu zeigen: So auf Demonstrationen in Düsseldorf, Freiburg und unlängst anläßlich des alljährlichen Totentanzes an der Gedenkstätte der Sozialisten in Berlin, wo Leute mit pro-israelischen Transparenten beschimpft bzw. von den Veranstaltern ausgeschlossen wurden...Mit anderen Worten: Was der politischen Klasse die Walser-Rede war, ist der deutschen Linken der 11.September."

Der Bogen war gespannt. Er reicht von der NPD bis zur politischen Klasse, von DKP bis zur PDS, von der deutschen Linken bis zu den Antiimperialisten hier in Deutschland. Eine unheilvolle Allianz von Mitgliedern und Sympathisanten des "islamistischen Terrors". Ein Stimmungsbild, aus dem nur eines herausragt: Der antideutsche Leuchtturm, einziger Lichtblick inmitten einer pechschwarzen Nacht.

Antideutsche Außenansichten

Der Innenansicht muß eine Beschreibung der Weltlage folgen, die dahinter nicht abfallen will. Nur einen Tag nach den Anschlägen auf das Word Trade Center und das Pentagon (amerikanisches Verteidigungsministerium) am 11.9.2001 wußte die US-Regierung alles, was ihnen in den monate- und jahrelangen Vorbereitungen für diese Anschlagsserie entgangen ist: Bin Laden ist der geistige Drahtzieher dieser Anschläge, Al Qaida die weltweit agierende Organisation, die Taliban in Afghanistan die "Herberge" und zwischen 5 und 60 Staaten, die solche Angriffe auf die eine und andere Weise unterstützen.

Ein wenig später, dafür wieder auf der Überholspur, wußten antideutsche Krieger nicht nur genau dasselbe. Sie wußten mehr, um nicht zu sagen, die ganze Wahrheit: "Die antisemitische Komponente (der "massenmörderischen Angriffe") ist unübersehbar" (Andrea Albertini, jw vom 17.10.01). Bei den Anschlägen handele es sich um "ein faschistisches Massaker eliminatorischer Antisemiten" (Flugblatt antifaschistischer Gruppen aus NRW).

Warum taucht in der Analyse nur das World Trade Center als Angriffsziel auf, das sich in der Tat für antisemitische Projektionen hervorragend eignet? Wo bleibt die Ausdeutung des Angriffes auf das amerikanische Verteidigungszentrum, das Einbeziehen anderer, gescheiterter Angriffsziele?

Wenn eine Analyse nur annähernd an die Motive der Attentäter heranreichen will, dann muß diese doch zu aller Erst die Tatsache zur Kenntnis genommen werden, daß der Angriff auf das World Trade Center, der Angriff auf das amerikanische Verteidigungszentrum, und der mutmaßlich fehlgeschlagene Anschlag auf das ‚Weiße Haus‘ als eine gemeinsame, aufeinander abgestimmte Aktion begriffen werden muß!

Eine solche an sich banale Redlichkeit würde jedoch das erwünschte Ergebnis irritieren. Genau dieses wollten sich antideutsche Analytiker auch nicht von den Attentätern nehmen lassen.

Fakt ist, daß man bis heute über die Motive und Hintergründe der Täter nichts weiß. Genau so richtig ist, daß über die antisemitische Deutung dieser Anschläge nicht alleine die Intention der Attentäter entscheidet. Nicht minder wichtig ist die Beantwortung der Frage: Wie werden diese Anschläge ‚gelesen‘?

Es gibt unzählige Versuche, die Anschläge ideologisch zuzuordnen. So unterschiedlich die gesellschaftlichen und politischen Kontexte, so unterschiedlich die macht-politischen Standorte sind, aus denen heraus diese Anschläge beurteilt werden, so unterschiedlich fallen die Ausdeutungen aus.

Für den US-Präsidenten Bush wurde "Amerika" Angriffsziel, "weil wir in der Welt die strahlendste Fackel der Freiheit und der Selbstverwirklichung sind." (FR vom 13.9.01)

NATO-Generalsekretär Robertson will die Anschläge als "nicht hinnehmbaren Angriff auf die Demokratie" (FR v.12.9.01), Bundeskanzler Schröder will sie als "Krieg gegen die USA...als Krieg gegen die zivilisierte Welt" (FR v.20.9.01) verstanden wissen.

Einige halten gar einen "Angriff auf die US-amerikanische Intelligentsia" für nicht ausgeschlossen, denn: "Manhatten hat vermutlich die weltweit höchste Dichte an Schriftstellern und Denkern pro Quadratkilometer aufzuweisen." (FR v. 2./3.10.01)

Da es keine eigene Untersuchungen dazu gibt - weder von Antideutschen, noch von der radikalen Linken – sind wir auf die Auswertung bürgerlicher Öffentlichkeit angewiesen, deren Hegemonialität als Bewußtseinsindustrie auch von Antideutschen nicht (ernsthaft) bestritten werden kann. Wenn man all dies einigermaßen nüchtern anerkennt, dann kann eines recht sicher festgehalten werden: Die Anschläge vom 11.9.01 werden nicht im antisemitischen Kontext gelesen und verstanden. Zentral ist vielmehr der Versuch, sie als Angriff auf die ‚westliche Zivilisation‘ zu deuten.

Anstatt sich der politischen Bedeutung dieser Ausdeutungen zu stellen, anstatt zu begründen, warum diese Ausdeutungen ohne Belang sind, genügt sich die antideutsche Analyse mit einem schein-radikalen Gestus.

Warum neben dem Antisemitismus, andere reaktionäre Ideologien keine Erwähnung und Einordnung erfahren, warum sich Antideutsche nicht in politische Gegnerschaft dazu setzen, hat gute Gründe.

Denn knapp hinter der schein-radikalen Geste findet ein Rückgriff auf genau jene Ideologien statt, die nun auch Antideutsche zur Rettung der Welt bereithalten. Genau dann nämlich, wenn sie angesichts der (drohenden) islamistischen-faschistischen Barbarei zur Verteidigung der westlichen Zivilisation aufrufen.

Ich werde später darauf noch ausführlicher zurückkommen.

Für die Behauptung, daß diese Anschläge nur antisemitisch zu verstehen und zu werten sind, verweisen Antideutsche nicht nur auf Neonazis und antiamerikanische Ressentiments, die ohne viel Federlesens kurzgeschlossen werden. Als Beweis führen sie vorallem Zitate aus Stellungnahmen von Al Qaida auf, die vor und während dem US-Alliierten Krieg in Afghanistan der westlichen Öffentlichkeit präsentiert wurden. So zitierte die Nachrichtenagentur afp den Al-Qaida-Sprecher Suleiman Abu Gheith mit folgenden Worten: "Wir ächzen seit mehr als 80 Jahren unter dem Joch der gemeinsamen Aggression von Juden und Kreuzrittern...Die jungen Männer, die die Vereinigten Staaten zerstört haben...vollbrachten eine gute Tat. Sie trugen die Schlacht ins Herz der USA. Mit Gottes Einverständnis wird die Schlacht auf ihrem Territorium weitergehen, bis sie unsere Länder verlassen, die Unterstützung der Juden beenden und das ungerechte Embargo gegen das irakische Volk aufheben, das mehr als eine Million Kinder verloren hat..." (FR v. 11.10.01)

Auf der Webseite der britischen Regierung wurde Osama bin Laden mit einer im Februar 1998 öffentlich gemachten Fatwa (ein religiöses Rechtsgutachten) zitiert, die einen verpflichtenden Aufruf an alle Muslime enthielt: "...das Töten von Amerikanern und ihren zivilen und militärischen Verbündeten ist für jeden einzelnen Muslim...eine religiöse Pflicht, bis die Al-Aksa-Moschee aus der Umklammerung der Amerikaner befreit ist und ihre Armeen muslimisches Gebiet geräumt haben." (FR v.9.10.01)

Keine Frage: diese Stellungnahmen machen sich nicht nur die Anschläge vom 11.9.01 zu eigen. Mit ihnen verknüpft sich ein Weltbild, das ideologisch von Antisemitismus und Antiamerikanismus gleichermaßen geprägt ist.

Teilen wir einmal, für einen längeren Gedankengang die antideutsche (und US-alliierte) Logik, daß sich mit diesen Stellungnahmen Bin Laden und Al Qaida als Auftraggeber und Attentäter selbst überführt haben.

Was hat das noch mit linker, revolutionärer Politik zu tun, die US-Alliierten mit der Beseitigung antisemitistischen Terrors zu beauftragen?

Nicht einmal für bürgerliche Zeitungen ist es ein Geheimnis mehr, daß Bin Laden, als antikommunistischer Held verehrt, die Taliban, aus den Mudschaheddin hervorgegangen, die Koranschulen in Pakistan als Rekrutierungsbasis für ‚Gotteskrieger‘ und der pakistanische Geheimdienst als Dienstleister und Organisator, von den USA mitfinanziert und ausgerüstet wurden, um sie als Bodentruppen gegen die damalige sowjetische Besatzungsmacht in die Schlacht zu schicken.

So dumm und reaktionär diese antideutschen Kriegskoalitionäre daherkommen, so schwierig wäre es, sich als deutsche Linke zu aller erst folgende Fragen zu stellen: Was macht die soziale und politische Basis derer aus, die heute "den Amerikanern" und "den Juden" den Krieg erklären? Woran liegt es, daß im Kampf gegen die eigenen Regime und gegen Imperialismus die reaktionären und religiösen Antworten mehr Gewicht bekommen haben als die revolutionären?

Woran ist die revolutionäre, antikolonialistische Linke gescheitert, wenn man ihre (militärische) Niederlagen nicht als einzige Antwort akzeptieren will? Wie müßte eine politische Praxis aussehen, die diesen reaktionären und antisemitischen Heilsversprechen den Boden entzieht? Welche Antworten haben wir auf Antisemitismus und christlich-abendländischem Fundamentalismus, hier, in der BRD?

Sich solchen Fragen zu stellen, hieße, die eigene politische Praxis in den Mittelpunkt einer Analyse zu stellen. Sich auf die Suche nach Antworten zu begeben, ist sicherlich mühsam und verunsichernd – vorallen dann, wenn mann+frau dabei auf Verhältnisse stoßen, denen wir theoretisch feindlich, im wirklichen Leben (als Lohnabhängige z.B.) eher unauffällig bis versöhnlich gegenüberstehen.

Diese Fragen bis zum Ende zu gehen, würde möglicherweise den Abstand zwischen denen, die sich mit reaktionären und religiösen Vorstellungen und Praxen abfinden und ‚uns‘ viel kleiner machen, als es die Theorie der radikalen Linken vorgibt.

Antisemitismus + Antiamerikanismus + Islam = eliminatorischer Antisemitismus = (religiös verbrämter) Faschismus

Antisemitismus und Antiamerikanismus auch in arabischen Ländern festzustellen ist das eine. Darüber jedoch US-alliierte Kriegsziele zu bestimmen, ist etwas ganz anderes - vorallem dann, wenn man den antideutschen Blick auf die Verhältnisse (noch) ernst nimmt: Warum haben die Antideutschen nicht zum (US-alliierten) Krieg gegen Deutschland, Österreich oder Italien aufgerufen? Warum beginnen Antideutsche mit ihrem militärischen Kreuzzug nicht vor der eigenen Haustür?

Man könnte ihnen mangelnde politische Konsequenz vorwerfen. Naheliegender ist jedoch, daß immer dann ein Gespür für Irrsinn einsetzt, wenn sie selbst unter diesem begraben werden könnten. Spätestens dann versöhnen sie sich mit den Verhältnissen hier, exportieren ihre antideutsche Analyse ins Ausland und lassen dort Krieg führen.

Damit die Bomben auch nicht ideologisch das eigene zuhause treffen, mußte etwas gefunden werden, was das ‚deutsche Haus‘ von anderen unterscheidet: ein Zusatz, ein Unterscheidungsmerkmal, etwas bewährtes, das ganz sicher nach ‚außen‘ verweist: der Islam.

Der eigene Nachhauseweg war gesichert. Nun konnte man in den Orient schweifen, ExpertInnen lauschen und eine ‚Koranschule‘ eröffnen, was die Jungle Word auch mit einer gleichlautenden Beitragsserie unter der Zwischenüberschrift "Islam und Antisemitismus" tat.

Auch wenn es dabei Zwischentöne gab, so blieb als Stimmungsbild eines zurück: Wo man auch hinschaut sind "teuflische Feinde" (Götz Nordbruch, jw vom 28.11.01) am Werk.

Es werden Verschwörungstheorien zitiert, mit denen ‚die Juden‘ für die Anschläge am 11.9.01 verantwortlich gemacht werden. Es wird ein Antiamerikanismus in den arabischen Ländern konstatiert, der sich in "Bekundungen großer Teile der ägyptischen, saudi-arabischen und jordanischen Bevölkerung (ausdrückt), bei den Attentaten habe es die Richtigen getroffen..." (Götz Nordbruch, jw vom 28.11.01)

Und, der Sack wird zugemacht: "Die ideologischen Wurzel des Djihad, der Antisemitismus, ist in der ganzen arabischen Welt weit verbreitet. Im Haß auf Israel, den Westen und den ‚jüdisch kontrollierten Weltmarkt‘ können sich Moslems aller Glaubensrichtungen wiederfinden... Dieser Terrorismus, dessen Protagonisten einer "faschistischen Ideologie mit islamistischem Antlitz" (Christopher Hitchens) anhängen, ist spätestens seit dem 11. September virulent." (Andrea Albertini, Jungle World v. 17.10.01)

Was als antideutsches Fatwa gegen die "ganze arabische Welt" verstanden werden kann, hatte die ‚Bahamas‘ bereits in ihrem Marschgepäck, als sich der US-alliierte Krieg in Afghanistan noch in der Vorbereitsungsphase befand: "US-amerikanische Militärschläge gegen islamistische Zentren hätte jeder bis auf weiteres zu begrüßen...Sollte wirklich Afghanistan das erste Ziel eines US-Gegenschlages sein, wäre zu fordern, daß dieser so konsequent wie möglich erfolgt, d.h. einen Sturz nicht nur des Taliban-Regimes, sondern auch die Verhinderung weiterer islamistischer Herrschaft..."

Wer die "ganze arabische Welt" so zeichnet, wer sich nicht für die Brüche, Widersprüche und Gegnerschaften interessiert, dem geht es nicht (mehr) um gesellschaftliche und politische Prozesse, die beeinfluß- und veränderbar sind. Der will etwas zu Ende bringen, zu Kultur und/oder (zweite) Natur werden lassen, was in einer Katastrophe münden muß, wenn nicht von ‚außen‘ zivilisierend eingegriffen wird. Daß sie damit die abendländische ‚Zivilisation‘ beauftragen, weiß man. Daß ihnen dabei weder ideologiekritisch noch geschichtliches etwas einfällt, ist beschämend.

Der Orient als antideutscher Entsorgungspark

Als hätten sie Angst, daß selbst dieses Horrorszenario eine politische Antwort nicht ausschließt, sondern dringender denn je macht, wird der letzte Trumpf gezogen, der alles (aus-)sticht: die Drohung eines Holocaust. Ein Anspielen einer historischen Situation, in der nur noch die Feuerkraft des ‚guten‘ Imperialismus (USA, England) zählte: gegen die Verwirklichung des ‚1000 jährigen Reiches‘, gegen das nationalsozialistische Vernichtungsprogramm von Jüdinnen/Juden.

Wie macht man aus einer ‚Allianz gegen den Terror‘ eine Anti-Hitler-Koalition? Man (re-)generiert eine Weltlage, die man so nahe an die historische Konstellation der 40er Jahre heranschreibt, bis die US-Alliierten als Befreier und (antideutsche/linke) KriegsbefürworterInnen als antifaschistische WiderstandskämpferInnen (wieder) erscheinen. Damit ergibt sich jedoch gleichzeitig ein Problem. Denn in der so skizzierten Weltlage ist die Befreiung von Auschwitz zentral eingeschrieben. Will man diesen moralischen Gewinn abschöpfen – und darum geht es ganz wesentlich – muß Auschwitz wieder aufscheinen.

Dafür zieht man eine gerade Linie nach Israel, schließt die Behauptung einer "faschistischen Ideologie mit islamistischen Antlitz" mit dem Palästina-Konflikt kurz und erklärt die Auslöschung des Staates Israel zum finalen Endpunkt: "Jeder denkende Mensch hätte sofort nach den massenmörderischen Angriffen auf das World Trade Center wissen können, wem die Attacke der islamistischen Gotteskrieger in erster Linie galt: Israel." (Andrea Albertini, Jungle World vom 17.10.01)

Keine Zweifel, keine Einschränkungen, sondern narzißtische Gewißheit. Nicht einmal der Versuch, die naheliegende Frage zu beantworten, wurde unternommen: Wenn diese Anschläge eigentlich Israel galten, warum wurden dann nicht Flugzeuge direkt in israelische Regierungsgebäude und militärische Einrichtungen gelenkt?

"In einer Zeit, in der die Existenz Israels, nicht zuletzt durch das Abrücken der USA, bedroht ist, wie nie zuvor..." (Stellungnahme der Antifaschistischen Aktion Dortmund zur "Friedensdemonstration" am 17.11.2001 in Dortmund) scheinen solche Erwägungen und Bedenken fehl am Platze.

Um so eifriger und wortreicher wurde Palästina, der Nah-Ost-Konflikt in eine Kulisse des Nationalsozialismus verwandelt. Mit der Fertigkeit eines Fünfjährigen wurde die Kriegsfront geknetet:

Auf der einen Seite Israel, Heimstätte der Überlebenden des Holocaust. Opfer. Dazu zählen Scharon genau so wie israelische Siedlerinnen, arabische Israelis und AnhängerInnnen der Friedensbewegung. Sie alle sind eins, deren Unterschiede, deren Widersprüche sind bedeutungslos, nicht wichtig. In der antideutschen Wahrnehmung zählen sie nur als Opfer. In ihrer Unterschiedslosigkeit werden sie zum ‚Volk‘, dessen Konstruiertheit an jedem anderen Ort dieser Welt – zu Recht- vehement angegriffen wird. Damit werden über 50 Jahre Geschichte Israel ausgelöscht, gegenstandslos. Verständlich. Denn diese würde nur stören im antideutschen, völkisch-homogen Weltbild. Denn Israel ist nicht nur und weit mehr als die Heimstätte der Überlebenden des Holocaust. Israel ist auch Besatzungsmacht. Israel ist auch eine regionale Supermacht. Und: Israel wird nicht nur von ‚außen‘, durch den palästinensischen Widerstand angegriffen, sondern auch von ‚innen‘, von einer schwachen, aber immerhin existenten Friedensbewegung, die die israelische Regierungs- und Besatzungspolitik für die ‚Eskalation der Gewalt‘, für das Scheitern politischer Lösungen mitverantwortlich macht.

All das findet keine Erwähnungen. Auf all diese Widersprüchlichkeiten wird nicht Bezug genommen, sondern aus dem antideutschen Bild verbannt.

Auch die Feinde Israels sind im antideutschen Weltbild mit wenigen Federstrichen beschrieben: Zuerst wird eine palästinensische Volksgemeinschaft geformt, "das derzeit aggressivste antisemitische Kollektiv" (Horst Pankow in ‚Kindermörder‘, zitiert nach "Hat Israel noch eine Chance?", Konkret-Texte, S.229). Dann spricht man aus, was kommen mußte: "Es ist hier ein zur Vernichtung entschlossener Antisemitismus am Werk - darin seinem nationalsozialistischen Vorbild auf qualitativer Ebene durchaus ebenbürtig - , der die Wahl- und Maßlosigkeit palästinensischen Massenmordens begründet. In dieser Hinsicht kommt momentan dem Koran eine ähnliche Rolle zu wie seinerseits Hitlers Machwerk ‚Mein Kampf‘ in Deutschland." (Bahamas)

Es gehört schon viel Dreistigkeit dazu, die unterschiedlichen Beweggründe, Ziele und Vorstellungen innerhalb des palästinensischen Widerstandes so zusammenzukochen, daß am Ende nur ‚Auschwitz‘ stehen kann und muß. Man kann es für Dummheit oder Absicht halten, wenn dabei die verschiedenen Phasen des palästinensischen Widerstandes mit keinem Wort Erwähnung und Berücksichtigung finden. Würde man den kerzengeraden Frontverlauf antideutscher Krieger verlassen, wäre man zu aller erst mit der Schwierigkeit konfrontiert, klare Antworten oder gar kluge politische Lösungen zu finden: Wo hört Widerstand gegen die israelische Besatzungsmacht auf? Wo fängt Antisemitismus an? Welche (Neben/Haupt-)Rolle spielen die ‚biblischen Grenzen‘ Israels im nationalen Selbstverständnis? Welche Bedeutung hätte ein palästinensischer Staat als (un-)sichere Grenze zu Israel? Was unterscheidet Israel als jüdischen Staat von islamischen Vorstellungen innerhalb des palästinensischen Widerstandes (Hamas)? Wieviel reaktionäre Gesellschaftlichkeit verbindet beide miteinander? Wenn in Israel, wie in Palästina emanzipatorische Prozesse marginal, religiös-nationalistische dominant sind: Wäre dann eine Zwei-Staaten-Lösung die am wenigsten blutige Lösung? Was macht eigentlich eine antinationale, deutsche Linke in einem Konflikt, wo es hauptsächlich um die Anerkennung von und Schaffung von Grenzen geht?

Die deutsche Linke hat sich – mit Blick auf Palästina - in den letzten 30 Jahren nur selten aus der David/Goliath-Schablone gelöst. Solidarität wurde wesentlich über das Opfersein bestimmt. Bis 1967 galten die Sympathien Israel, ohne wahrzunehmen, welche Auswirkungen die Politik des Staates Israel gegenüber arabischen Menschen in Palästina hatte. Nach 1967 wechselte man die Front und sympathisierte mit dem palästinensischen Widerstand, mit den ‚Opfern der Opfer‘. Mit dem antideutschen Aufruf, Israel zu verteidigen, wird die Opferlogik nur um eine Kehrtwende, um einen Rückruf bereichert. Daß es auch anders geht, hat z.B. eine neue Generation von HistorikerInnen in Israel bewiesen, die mit ihren Forschungsarbeiten ab Mitte der 80er Jahre einige zentrale zionistische Erzählweisen in Frage stellten:

Der zur Gründungslegende gewordene Mythos, Israel habe ein unbewohntes, unfruchtbares Land vorgefunden: "Ein Land ohne Volk für ein Volk ohne Land".
Erst mit der Gründung Israels sei die ‚Wüste fruchtbar gemacht‘ worden. Damit einher geht die Erzählweise, daß – wenn doch palästinensische Menschen dort lebten – diese nicht vertrieben, sondern freiwillig ihr Land, ihr Haus verlassen haben.
Die Legende vom friedfertigen Israel bzw. dem Yishuv (der jüdischen Gemeinde in Palästina), der dem UN-Teilungsplan 1947 zustimmte, während einzig und allein die arabischen Nachbarstaaten dieses Beschluß ablehnten und bekämpften.
"Der Mythos, daß der Kampf zwischen dem Yishuv und den Arabern dem Kampf zwischen David und Goliath glich, wobei der kleinere jüdische ‚David‘ wie durch ein Wunder den viel stärkeren arabischen ‚Goliath‘ besiegt habe. Doch die Forschungen von Amitzur Ilan und anderen haben gezeigt, daß der Yishuv während der meisten Phasen des Krieges von 1948 hinsichtlich der Truppenstärke und der Bewaffnung die stärkere Seite war." (Benny Morris, s.o.)
"Der Mythos von der Kompromißbereitschaft (Israels) nach dem Krieg von 1948" (s.o.) und der Unnachgiebigkeit arabischer Staaten. "Doch die Forschungen von Shlaim, Pappe, Morris und anderen haben nachgewiesen, daß mindestens Jordanien und möglicherweise auch Syrien und Ägypten nach 1948 Frieden wollten und daß verschiedene Faktoren, darunter auch die Unnachgiebigkeit Israels, alle Hoffnungen auf einen frühen israelisch-arabischen Frieden zunichte gemacht haben." (Benny Morris, s.o.)
Mit diesen politischen Neubestimmungen schwimmen die neuen HistorikerInnen nicht nur gegen den Mainstream in Israel. Die Anerkennung und Beachtung dieser Anstrengungen würden auch in der deutschen Linken dazu beitragen, endlich das Opfer-TäterIn-Schemata zu überdenken bzw. als politische Kategorie zu verwerfen.

Anstatt die Opferpyramide immer wieder aufzurichten, ginge es darum, in Israel und Palästina nach politischen, emanzipatorischen Prozessen Ausschau zu halten, die sich der militärischen und nationalistisch-religiösen Logik (beider Seiten) widersetzen. Die sich darum bemühenden Gruppen und Organisationen sind sowohl in Israel, als auch in Palästina ohne große politische und gesellschaftliche Bedeutung. Mit ihnen solidarisch zu sein, hieße, ganz bescheiden, den langen Weg gesellschaftlicher Veränderungen zu teilen.

Dafür sich Antideutsche nicht zu haben. Wer ‚Auschwitz‘ fernab vom eigenen Zuhause verhindern will, hat keine Zeit mehr, hat es ganz eilig, kann nicht warten, hat keinen langen Weg vor Augen, sondern den Abgrund. Wer solch große Gefahren sieht, ist kein Selbstmörder, sondern geht zur Seite und macht Platz für Leute, die gelernt haben, Gefahren zu beseitigen.

Antiimperialismus und Antikapitalismus als Systemfragen suspendieren

Wenn man sich die Stellungnahmen, vorallem deren Schlußfolgerungen vor Augen hält, fällt es schwer, antideutsche Positionen überhaupt noch mit Antikapitalismus und Antiimperialismus in Verbindung zu bringen. Wie kriegen es also Antideutsche hin, einerseits mit den mächtigsten Kernländern des Kapitalismus, mit den führenden imperialistischen Staaten in den Krieg gegen den "islamistischen Terror" zu ziehen und gleichzeitig ihre schärfsten KritikerInnen zu bleiben?

Was gemeinhin für unmöglich gehalten wird, bedarf in antideutscher Logik nur zweier Ausstiegsklauseln.

Das erste ist ganz schlicht und plump. Man behauptet einfach, daß dieser in Afghanistan begonnene Welt-Krieg der US-Alliierten mit Imperialismus und Kapitalismus gar nichts zu tun hat: "Der Verweis auf angeblich imperialistische US-Interessen im afghanischen Wüstensand verdreht Ursache und Wirkung der aktuellen Entwicklung...Dieser Krieg ist die Antwort auf einen konkreten und in dieser Form bisher nicht dagewesenen Angriff, eine Reaktion auf die Kriegserklärung an den gottlosen american way of life und seine nahöstliche Entsprechung in Tel Aviv und Westjerusalem." (Andrea Albertini, Jungle World vom 17.10.01)

Wer mag bestreiten, daß die US-Alliierten Himmel und Erde in Bewegung setzen, wenn sie angegriffen werden, zumal auf ihrem eigenen Territorium? Wer auch immer diese Anschläge vom 11.9.01 geplant und durchgeführt hat, bewegt sich in der Logik des Krieges, kalkuliert mit der Eskalation militärischer Gewalt. Damit sind nur die Bedingungen genannt, unter denen sich die Linke die entscheidende Frage zu stellen hat: Haben die US-Alliierten Afghanistan angegriffen, drohen sie 6 weiteren Staaten mit Krieg, weil sie den Terror und die Unterdrückung in der Welt beseitigen wollen und überall die Menschenrechte und ein würdiges Leben verwirklichen wollen? Oder führen die US-Allierten Krieg, weil sie jedem, der ihren imperialen und kapitalistischen Zielen im Weg steht, den Krieg erklären – ganz egal, wie reaktionär, wie religiös, nationalistisch oder gar revolutionär der Feind zu verstehen ist?

Muß man den Antideutschen wirklich noch erklären, daß die USA (und ihre Alliierten) in den letzten 40 Jahren nicht Krieg geführt haben, um Terror und Gewalt zu bekämpfen, sondern um das Monopol darauf zu behaupten? Ein Monopol, das von verdeckten Kriegen (wie gegen Nicaragua) bis Massenmorden und chemischer Kriegsführung (wie in Vietnam), von biologischer Kriegsführung (wie in Jugoslawien 1999) bishin zur Androhung eines atomaren Krieges (wie gegen den Irak 1991) reicht. Ein Monopol auf Vernichtung(-sdrohungen), das Voraussetzung dafür ist, imperialistische und kapitalistische Interessen auch ganz ‚friedlich‘ durchzusetzen.

Gibt es einen Grund, der vermuten ließe, daß ausgerechnet der US-alliierte Krieg in Afghanistan, die in der Vorbereitungsphase sich befindlichen Kriege, andere Ziele verfolgen?

Imperialismus auf die gewaltsame Durchsetzung ökonomischer Interessen zu reduzieren, wird in der Tat der Komplexität macht-politischer, geo-strategischer, hegemonialer und ökonomischer Gründe nicht gerecht. Nicht überall muß eine Erdöl- oder Gaspipline durchführen, um sich einen der US-alliierte Kriege erklären zu können. Wenn man sich die Entwicklung nach 1989, nach dem Zusammenbruch des Ostblockes, anschaut, dann sind die ökonomischen Verschiebungen zugunsten kapitalistischer Kernländer weniger durch Panzer, als durch den stummen Zwang kapitalistischer Verhältnisse erreicht worden. Und genauso wenig muß man ein Studium in Betriebswirtschaft abgeschlossen haben, um zu der Erkenntnis zu gelangen, daß IWF-Strukturanpassungsprogrammen in die meisten Länder dieser Erde viel ‚nachhaltiger’ intervenieren, als dies mit einer militärischen Besetzung möglich wäre.

All dies spricht nicht gegen die Ökonomie imperialistischer Kriege, sondern für eine genaue Analyse.

Wer den Blick auch dann nicht abwendet, wenn der militärische Teil des Krieges beendet ist, wird mit dem ‚Abzug‘ der Militärs vieles ankommen sehen, am allerwenigsten Menschenrechte. Dafür wird er/sie eine Unzahl von Delegationen aus Wirtschaft und Politik landen sehen, die als Siegermächte die ‚Friedens’rendite unter sich aufteilen. Das Ganze wird dann, wie am Beispiel Afghanistan, mit einer Sprechpuppe, dem afghanischen Interimpremier Hamid Karsai gekrönt, der deutsche Wirtschaftsvertreter mit dem Versprechen einlud: "Sie können mit einem Fuß in Kabul leben, und mit einem in Deutschland." (FR v.16.3.02)

Poetischer kann man kaum ausdrücken, wozu einige Antideutsche nicht einmal analytisch in der Lage sind: Die Ökonomie der (militärischen) Macht und die Macht der (kapitalistischen) Ökonomie stehen nicht in Konkurrenz, sondern in (profitabler) Beziehung zueinander.

Kommen wir zur zweiten, zur Kapitalismus- und Imperialismus-Light-Version, die im antideutschen Kriesgdiskurs die Oberhand behalten hat. In dieser Version hält man kapitalistische und imperialistischen Interessen für durchaus denkbar, aber als Maßstab für radikale Opposition jetzt nicht entscheidend. Wie kommt es zu diesem Aussetzer? Wie kann man sich als radikale KritikerInnen des kapitalistischen Systems noch sehen lassen, während man mit ihren führenden Vertretern zusammen in den Krieg zieht? Man legt noch einmal den Lehrfilm über den Zivilisationsbruch ein, spult ungefähr 60 Jahre zurück und erklärt die Konstellationen des Zweiten Weltkrieges – ohne den geringsten Reibungsverlust - zum Jetzt-Zustand. Dann kämpft man in imaginärer Linie mit der französischen Resistance, mit den PartisanInnen in Jugoslawien und Italien, mit dem Kapitalismus gegen den Kapitalismus, "um die bloße Möglichkeit der Emanzipation zu retten." (Robert Kurz)

Die eigene politische Ohnmacht in eine scheinbar radikale Geste verwandeln

Die radikale Linke hat große Mühe, sich ein einigermaßen überprüfbares Bild von dem Krieg in Afghanistan und den kommenden Kriegen zu machen. Kleine Teile der Antikriegsbewegung unternehmen zaghafte Schritte, um aus der humanitär und pazifistisch geprägten Haltung "Stopp den Krieg" herauszutreten. Meist sind es kleine Aktionen, mit denen man der ungeheuer tief sitzende Ohnmacht und Handlungsunfähigkeit zu entgegen versucht. An dieser und jener Ecke der radikalen Linken wird das Analysewerkzeug der letzten 20 Jahre überprüft, Verbindungslinien zwischen ‚Genua‘ und ‚Kabul‘ gezogen, Zusammenhänge zwischen metropolianem Frieden und peripherem Weltkrieg erwogen. Nicht minder schwierig und zeitraubend sind die Bemühungen, die unterschiedlichsten Erfahrunghorizonte anzunähern, d.h. in der Regel von sehr wenig Gemeinsamkeit auszugehen. All das klingt nicht wirklich einladend.

Wie schön ist es hingegen, Antideutsche/r zu sein. Sie wissen, was jetzt zu tun ist: "Die USA, die von Linken oft und zu Recht wegen ihrer Interessenpolitik angegriffen wurden, sind die einzige Macht dieser Welt, die zu einem Gegenangriff im Moment in der Lage ist." (Andrea Albertini, Jungle Word vom 17.10.01)

Während die (radikale) Linke nach bescheidenen Interventionsmöglichkeiten Ausschau hält, winken Antideutsche völlig entspannt US-alliirten Bombern zu und beweisen sich als wahre Ledernacken. Sie wissen nicht nur, was zu tun ist. Sie gehen sogar voran, sind in Gedanken schon längst im Irak einmarschiert (wie z.B. die Autoren Thomas Uwer und Thomas v.d. Oster-Sacken in ihrem Jungle World-Kriegsbeitrag vom 28.11.01), während sich die US-Allierten (noch) ins Hemd machen. Ja, das sind deutsche Helden.

Sicherlich macht dieser militärische Gestus Eindruck - selbst dann ,wenn man die historische Kulisse zerlegt, vor der die BefürworterInnen des ‚bewaffneten Kampfes‘ auftreten. Ich nehme bewußt das Wort vom ‚bewaffneten Kampf‘ auf, denn die Antideutschen wähnen sich ja in einer historischen (Ausnahme-)Situation, in der bewaffneter, antifaschistischer Widerstand und imperialistischer Krieg zusammen einen gemeinsamen Feind bekämpfen.

Verweilen wir einen Augenblick in dieser Ausnahmesituation. Welche Konsequenzen ziehen sie daraus? Mit welcher Radikalität folgen sie ihrer Analyse?

Wer nun befürchtet oder erwartet, daß Antideutsche in den Untergrund gehen bzw. ein weltweites Netz von Widerstandgruppen aufbauen, muß enttäuscht werden. In ihren historischen Analogien hat alles seinen Platz, nur nicht sie selbst. Für alles haben sie ein Double gefunden: für den deutschen Faschismus, für den eliminatorischen Antisemitismus, für die Appeasementpolitik des Westens, für die Befreier. Nur eine Rolle bleibt auffallend unbesetzt: der antifaschistische Widerstand. Wer meint, den Antideutschen gebührt dieser Platz, hat den Plot in ihrem Apokalypse-Now-Szenario nicht verstanden: So blöd, auf ihre Geschichtsdublette selbst reinzufallen, sind sie eben nicht. In First-Class-Mentalität lassen sie sie an sich vorüberziehen: "Für Linke bleibt, am Traum von individueller Freiheit und einem schönen Leben für alle festzuhalten: Sherry statt Sharia!" (Andrea Albertini, Jungle World vom 17.10.01)

Ein treffenderes Bild für das Ende antideutscher Politik könnte auch ich nicht finden.

W.W.
Indymedia ist eine Veröffentlichungsplattform, auf der jede und jeder selbstverfasste Berichte publizieren kann. Eine Überprüfung der Inhalte und eine redaktionelle Bearbeitung der Beiträge finden nicht statt. Bei Anregungen und Fragen zu diesem Artikel wenden sie sich bitte direkt an die Verfasserin oder den Verfasser.
(Moderationskriterien von Indymedia Deutschland)

Ergänzungen

dazu der Aufbaukurs "deutsche Kriegführung":

11.04.2002 - 03:45

Was interessant ist

123 11.04.2002 - 03:50
In der realen Welt haben die antideutschen keinerlei Belang. Sie haben weder eine schlüssige Analyse vorzuweisen (sie beziehen sich lieber auf bestimmte Parts in Analysen anderer), noch sind sie irgendwie relevant. Durch Indymedia haben sie es geschafft, bekannt zu werden. Gewissermaßen haben sie Indymedia als Transportmittel für eine Werbekampagnen genutzt.
All die Wortradikalen, die immer wieder Diskussionen mit ihnen führen, scheinen nicht zu merken, daß sie genau das machen, was die Antideutschen von ihnen erwarten. Nur wem Aufmerksamkeit geschenkt wird, dominiert auf diese Weise.
Selber schuld!
Dont feed the troll heisst es so schön. (Mal Gremlins gesehen?) - Ihr habt den Troll gefüttert. Danke.

indy-d

rus 11.04.2002 - 03:52
diese antideutsche-heinis denken ihre politische denkarbeit ist zu ende, wenn sie sich gegen deutsche gestellt haben; sie fallen aber in das denkmuster ihrer großväter wider zrurück; sie sind in der wahrheit die schlimmsten deutsche, einpaar jahre ohne führer haben sie es nicht ausgehalten; den haben sie nun wieder in sahron gefunden, nun fordern sie bedingloses gehorsamkeit und bedienungslose vernichtung der andersdenkenden; jetzt machen sie mit sharon den totalen krieg(sharon) mit bis zum bitteren ende; jetzt leben sie ihren rassismus offen an palästinensern aus und forden ihre ausrottung um mehr land für den führer zu schaffen und die nicht zur erwählten rasse gehörenden menschen (araber) zu versklaven. das ist also die emanzipation die indy-d und antideutsche hier fördern und fordern wollen; und ihr nennt euch linke; ihr fördert doch in aller offenheit die vernichtung der menschheit; bei indy-d geht es schon lange nicht mehr um kapitalismuskritik, sondern um verbreitung von hetze: "löschen sofort" und dem wird auch gleich entsprochen. nun entweder seid ihr alle geistig etwas zurückgeblieben oder betreibt bewußt hier verdummung

"parias"

11.04.2002 - 04:18
die "antideutschen" werden immer hysterischer weil sie merken das sie überall nur verlieren , eigentlich wollten sie doch die deutsche linke beherrschen daraus wurde nichts , sie sind "parias" geworden in der linken .

sehr guter text !

gute analyse ! 11.04.2002 - 04:40

11.04.2002 - 09:09
"Man behauptet einfach, daß dieser in Afghanistan begonnene Welt-Krieg der US-Alliierten mit Imperialismus und Kapitalismus gar nichts zu tun hat"

Fast witzig daß die Anttiimps den Antideutschen vorgeworfen wird historische Vergleich zur Mitte des vergangen Jahrhunderts zu ziehen, also zu einem Zeitpunkt als das kapitalistische Modell des IMPERIALISMUS längst ein toter Hund war. Zum zweiten frage ich mich wie man auf die Idee kommen kann die Antideutschen würden behaupten "der Afghanistan-Krieg" hätte "nichts mit Kapitalismus zu tun". Na ja wenn man kein Argument hat erfindet man sich halt was.

Und dem Schlusskommentar darf ich wohl entnehmen, daß der Autor eine zünftige Scharia einem guten Sherry vorzieht? DAS glaube ich gern.

stimmt nicht!

wiebel 11.04.2002 - 11:00
der text oben stimmt aber nicht! die einzigen, aus dem - hier halluzinierten - antideutschen spektrum, die den afghanistan-krieg befürwortet haben, waren die durchgeknallten von der bahamas. ansonten wurde zwar harte und sehr weitgehende kritik an der friedensbewegung geäußert, das kann man aber doch nicht als kriegsbefürwortung interpretieren! und die tatsache, dass es den afghanen nach den amerikanischen bomben besser geht, als unter den taliban, ist zwar politisch desaströs, aber daran kommt man doch nicht vorbei! darüber muss man doch nachdenken dürfen. das ist nämlich eine wichtige politische analyse - gerade wenn man die us-amerikanische macht- und kriegspolitik ablehnt!

im moment sind es doch die tollen friedensbewegten und antiimps, die nach uno-soldaten rufen und damit indirekt auch schon einen deutschen einsatz im nahen osten vorbereiten!

aus berlin 11.04.2002 - 11:42
schon der begriff antideutsch ist ein solcher nonsens. die "analyse" hat mit dem problem der ein- und ausgrenzung durch das konstrukt "deutsch" kaum was zu tun, ihr habt das thema verfehlt. worüber man sich auch mal gedanken machen sollte, ist inwieweit mensch ein bedürfnis nach objekten der identifikation hat, und zwar auch "einfach gestrickte" persönlichkeiten, und inwiefern man dies zur kenntnis zu nehmen hat und VERANTWORTUNGSVOLL damit umgeht. die politik der herrschenden macht uns vor, wie´s nicht gemacht werden soll.

Ihr Nazis Kriegsverbrechen in Vietnam!

Emma 11.04.2002 - 12:02
Kriegsverbrechen im Irak! Kriegsverbrechen in Afghanistan! Kriegsverbrechen im Iran! Kriegsverbrechen in Palästina! Zerrüttung der Inneren Ordnung in Kolumbien, Korea, Irland, Argentinien, Bundesrepublik, usw.

Nazis Rauss!

Wo sind wir jetzt, Szene versetzt!

Pedder 11.04.2002 - 13:27
Alles steht Kopf und keiner blickt mehr durch! Unsere ehemaligen Mitbürger und Mitkämpfer im Befreiungskrieg gegen den Feudalismus erleben in Israel"Den Krieg der Kulturen" der sie ein Volk in Angst und Schrecken bleiben lies.Die Stellung als Vorposten des Kapitalismus hat ein einst humanistisches Volk in einen Notwehrzwang getrieben unter dem ihr humanistischer Geist zusammengebrochen ist.
Ein Volk mit der Psyche eines Verwundeten der sich nur noch zur Wehr setzt um zu überleben.Die Solidarität die Israel durch unsere Pseudodemokratien erfahren hat erschöpft sich in militärische Logik deren Auswirkungen wie eine offene Wunde immer weiter aufreißen.Längst ist dabei nicht die Notwehr sondern die Aggression das Mittel Israelischer Auseinandersetzung.Eine Triebfeder die Palestinenser gleichwohls zu barbarischen Mitteln greifen lässt.
Es drängt sich die Frage auf ob beide nicht einen Stellvertreter Krieg führen der ganz klar der Logik von Kolonialer Eroberung unterliegt?
Einem System dessen Ursprung mehr im Weltmachtinteresse von internationalen Banken und Konzernen verankert ist als das diese beiden Völker dafür verantwortlich wären.
Dieser Krieg hat seinen Ursprung im Holocaust und Israels Stellung als Wirtschaftsnation unter westlichem Vorbild,was sich Israel nicht unbedingt ausgesucht hat.
Bei diesem Krieg liegt eine Geschichte zu Grunde die weit zurückreicht und nur das Hier und Jetzt zu beurteilen entspricht "Bildzeitungslogik" die zu nichts anderem führen kann wie zur Verwirrung und Gewalt.
Dabei ist wohl das erschreckendste das es nur noch um die Legalität von Gewalt und gezielten Ermordungen geht und die Linke dieses auch noch als legitim befördert.
Dabei wäre es wichtig Gewalt und Menschenverachtung global zu verurteilen.Es gibt keinen Grund Menschen zu ermorden und jeder der es tut ist zur Verantwortung zu ziehen.Zur Humanistischen wohlbemerkt, welche nicht nach dem Henker sondern nach dem Richter rufen sollte.
Das dieser nicht aus der Institution kommen kann sondern dem freien humanistischen Geist entspringen muß scheint längst nicht mehr zum Verständnis einer freien Welt zu gehören. Die Grundlage des kategorischen Imperativs die uns Kant ins Geschichtsbuch schrieb gilt es dabei wiederzuendecken.
Wenn wir Deutsche dabei unsere Verantwortung verstanden hätten so müssten wir die Bereitschaft äußern das wir unseren ehemaligen Mitbürgern die Hand reichen und ihnen anbieten zurück in ihre wahre Zugehörigkeit zu kommen. Der Osten unseres Landes leidet ja eh unter der Abwanderung der Bevölkerung.
In Zeiten eines solchen Wahnsinns sollten wir das lächerliche, das utopische fordern um damit die Auseinandersetzung auf eine neue Ebene zu befördern.

genialer Beitrag!

Ganymed 11.04.2002 - 17:06
Herzlichen Dank an W.W. für diese brillante und differenzierte Analyse! Einen so lesenswerten politischen Beitrag habe ich bei indymedia schon lange nicht mehr genießen dürfen.

In gewisser Hinsicht handelt es sich bei den "antideutschen" um eine tragisches ideologisches Zerrbild der parallel am anderen Ufer des "linken Flusses" angesiedelten dogmatischen Fraktion, die zwar keine so griffige Typologisierung gestattet, denn nicht alle "antiimps" sind so einzuordnen, aber gewisse Parallelen mit vertauschten Rollen zelebriert:

Wo die antideutschen überall Antisemitismus wittern und die politische Lage in einen neuen drohenden Holocaust incl. Hitler-Nachfolger und WW2-Szenario umzudeuten suchen, um den westlichen Kriegsfeldzug gegen den angeblichen islamischen Neo-Faschismus und "Terrorismus" zu legitimieren, orten _manche_ antiimps überall US-Imperialismus und Kolonialismus und bauen schlimmstenfalls Bush und Sharon ideologisch zu den neuen Hitler-Nachfolgern (gähn, oder doch lieber "Achse des Bösen"?) auf, die - paradox genug - nun ihrerseits die Gewaltanwendung - die dann natürlich nicht "Krieg", sondern "Widerstand" genannt werden muß - rechtfertigen. Revolutionäre Omnipotenzphantasien und verkärende Revoluzzer-Dschungel-Träume werden auf südamerikanische Guerilleros oder palästinensische Kämpfer projiziert - wie schön muß es doch sein, den Imperialisten, Kolonialisten und Kapitalisten mit der Kalaschnikow in der Hand so richtig einzuheizen ... so lange man in good old germany vor dem TV-Gerät sitzt....

Nation? Pfui - ein Schimpfwort für jeden Linken, der etwas auf sich hält... es sein denn, es geht um die palästinensische "Nation", die dann selbstverständlich als Projektionsfläche für links-nationale Phantasien mancher antiimps dienen kann. Bei den antideutschen funktioniert es umgekehrt - Nation? - nie wieder .... es sei denn es handelt sich um Israel, dem einzigen sakrosankten nationalen Kollektiv "heiliger Identität", für jeden antideutschen der unerfüllte Traum von einer Nation, derer man sich nicht zu schämen braucht (schön wärs)...

Noam Chomsky: "Amerika braucht Feinde"
...leider nicht nur Amerika und/oder die politische "Rechte", die antideutschen ebenso wie manche anttimps und um die Differenziertheit des Denkens (nicht nur) deutscher "Linker" ist es zuweilen ebenso schlimm bestellt wie um die Fähigkeit G.W. Bushs, seine Denkstrukturen über sein armseliges, bipolares mittelalterliches Weltbild hinaus zu erweitern.

Da scheint dieser Beitrag von W.W. wie ein Leuchtturm in dunkler Nacht...

Nochmals Danke!

Ganymed