crossover conference - the days after

Orga-Team crossover conference 29.01.2002 14:40 Themen: Gender
Es ist geschafft, doch wie geht es weiter? Über 600 Leute sind zur crossover conference nach Bremen gefahren und haben vier Tage lang - vom 17. bis zum 20 Januar - die Polit-Szene in der gemütlichen Hansestadt verstärkt. Sie kamen aus ganz Deutschland, aus Großbritannien, Polen, Frankreich, Schweden, der Schweiz, der USA und anderen Ländern und haben uns - das leider nur 11köpfigen Orga-Team - vor die verzwicktesten logistischen Probleme gestellt. Wie gesagt, jetzt ist es vorbei und wir haben uns - mehr oder weniger - erholt. Aber nun geht es uns darum, Eindrücke zu sammeln und zu fragen, wie es politisch weitergehen kann.
Noch einmal ein paar Worte zum dem 'Wir'. Wir haben unterschiedliche politische Hintergründe - feministische Politik, antirassistische Politik, antisexistische Männergruppen, Anti-Globalisierung, Uni-Politik, Queer, Anti-AKW etc. - und haben uns vor fast zwei Jahren zusammengetan, um aus unserer Kritik an der radikalen Linken ein neues Projekt entstehen zu lassen - ein antirassistisch-antisexistisches Sommercamp. Die Aufzählung dessen, was uns in linksradikalen Räumen als nicht mehr hinnehmbar erscheint, stellt sich für jede und jeden von uns in unterschiedlicher Gewichtung dar:
Ein-Punkt-Debatten, Ignoranz gegenüber feministischen Positionen, fehlende Auseinandersetzung mit verinnerlichten Rassismen und Exotismen, Mackergepose und Checkertum, Trennungen in 'privat' und 'politisch', als selbstverständlich geltende Heterosexualität, eine zermürbende Arbeitsmoral, der zunehmende Ausschluss des Themas 'soziale Herkunft', Theoriefeindlichkeit oder Theorieverliebtheit, die Verliebtheit in die Debatte um Theorieverliebtheit, hierarchische Kommunikationsstrukturen, auf Zweigeschlechtlichkeit begrenzte Wahrnehmung...das ließe sich noch erweitern.
Da wir in unserem eigenen Denken, Wahrnehmen und Handeln leider oft genau das wiederfinden, was wir kritisieren, war es uns wichtig, mit einer kritischen Auseinandersetzung unserer eigenen Politik anzufangen. Für unser Sommercamp-Projekt hatten wir uns dabei viel vorgenommen. Wir wollten politische Räume schaffen, in denen nicht mehr die gewohnten weißen, männlichen, heterosexuellen und bürgerlichen Mehrheiten dominieren, wollten Ein-Punkt-Debatten überwinden, verschiedene Macht- und Herrschaftsverhältnisse zusammendenken und eigene Erfahrungen, Verletzungen und Grenzen aus der politischen Praxis ernstnehmen. Mit vielem sind wir zunächst gescheitert: Wir haben Leute verloren, scheiterten bei vielen Versuchen der Vernetzung und waren in der letzten Phase eine kleine Gruppe von nur zwölf Menschen, diese zwar nicht mehr mit männlicher und heterosexueller Mehrheit, aber immer noch weiß und bürgerlich. Auf dieses Scheitern reagierten wir, indem wir das Sommercamp verschoben und stattdessen die crossover conference organisiert haben. Auf dieser wollten wir für ein Sommercamp mobilisieren, Netzwerke bilden und uns über Interventionsstrategien für eine radikale, emanzipatorische, libertäre, linke politische Praxis austauschen.

In den workshops auf der Konferenz sollten die Verschränkungen verschiedener Macht- und Herrschaftsverhältnisse -- Nation, Patriarchat, Kapitalismus, Heterosexismus, Antisemitismus und Rassismus etc. - zum Thema gemacht und neue Widerstandsperspektiven eröffnet werden. Unter anderem ging es um das Verhältnis von Kapitalismus, Begehren und Alltag, Perspektiven für feministisch-antirassistische Handlungsfähigkeit, Körper und Normalisierung, Differenzen in Sexualitäten und Männlichkeiten, Klassenherkunft, Antisemitismus, Prostitution, Zweigeschlechtlichkeit und sexuelle Gewalt, Perspektiven eines antipatriarchalen Antikriegswiderstands, schwule Identitätspolitik und queere Identitätskritik und bei allem um die Herstellungsprozesse verschiedener Dimensionen von Identität und Strategien intervenierender Politik. Außerdem wurden Filme gezeigt, Parties gefeiert und Performances präsentiert. Rampenplan kochte leckeres Essen.
Wir von der Orga-Gruppe fanden die Atmosphäre sehr angenehm, das Miteinander nett, ruhig und geduldig, hätten uns aber gefreut, wenn mehr Leute mit angepackt hätten - besonders bei der 'Drecksarbeit', ohne die es halt nicht geht. Soziales und kollektives Handeln sollte unter Linken selbstverständlich sein, denken wir. Danke an alle, die uns - wie auch immer - geholfen haben.

Was hat der Kongress aber politisch gebracht? Da viele von uns von den Inhalten leider kaum was mitbekommen haben, sind wir auf eure Einschätzungen angewiesen. Und: Was habt ihr für Ideen für Vernetzung, für politische Praxis, für ein Sommercamp?
Auf dem Abschlussplenum wurde kritisiert, dass der Kongress zu weiß und zu akademisch war. Wir setzen uns mit dieser Kritik auseinander und hoffen, dass die Konferenz Anstöße für neue Netzwerke gibt und das eine 'Erdung' von Theorie für alle kommenden Veranstaltungen und Aktionen besser gelingt. Positiv betont wurde, dass zumindest manchen sonst üblichen Mehrheitsverhältnissen etwas entgegengesetzt werden konnte: Frauen/Weiblichkeiten waren zahlenmäßig stärker vertreten als Männer/Männlichkeiten und lesbischwule, queer und trans-Leute waren weitaus präsenter, als es sonst in gemischten-linksradikalen Zusammenhängen üblich ist. Im Abschluss bildeten sich drei Gruppen, die über Aktion und Vernetzung nachdachten: eine zu Perspektiven von Migrations-Politik mit Leuten von der Karawane, eine zu lesbischwul-queeren Aktionsformen und eine mit dem Schwerpunkt Ökonomie/Kapitalismus.

Die ersten Ideen für ein Sommercamp sind auch schon zusammengetragen worden: Das Camp soll vom 3. bis 11. August, irgendwo in Europa (Polen? Niederlande? Deutschland?) und citynah stattfinden. Das Vorbereitungsnetzwerk ist mit Leuten aus Spanien, Großbritannien, den Niederlanden, Deutschland und Polen weit gespannt und wird sich zunächst über englischsprachige e-Mail-Listen koordinieren. Das nächste Treffen wird im April in Berlin stattfinden. Nähere und aktuelle Infos findet ihr wie immer unter: www.summercamp.squat.net Attack networks of power - es geht weiter.
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Ergänzungen