Dortmund - 3 Monate nach Nazi-Mord am 28.03.

Antifas aus Dortmund 25.06.2005 17:43
Am Dienstag den 28.06. ist es genau drei Monate her, dass der Punk Thomas „Schmuddel“ Schulz von einem 17-jährigen Dortmunder Neonazi an der Kampstraße in der Dortmunder Innenstadt ermordet wurde. Anlass für ein kurzes Resümee über die Situation vor Ort.

Lagebericht zur Neonazi-Szene drei Monate nach dem Mord // Antifa- Gedenkkundgebung am 28.06. // Wichtige Hinweise des EA für die Verhafteten der Demo am 02.04.
Die Dortmunder Staatsanwaltschaft hat inzwischen Anklage wegen heimtückischen Mordes erhoben Der kurz nach der Tat verhaftete Mörder sitzt nach wie vor in Untersuchungshaft. Mit Dr. Ralf Neuhaus wird der Mörder von einem renommierten Dortmunder Rechtsanwalt vertreten. Über den genauen Prozessbeginn hüllt sich die Staatsanwaltschaft in Schweigen. Ist es AntifaschistInnen nach dem Mord gelungen, den politischen Hintergrund des Mordes deutlich in der Öffentlichkeit der Stadt zu artikulieren, auch die Staatsanwaltschaft räumte nach wenigen Tagen ein, beim Täter handle es sich um einen einschlägig vorbestraften sog. „Mitläufer“ der lokalen rechten Szene, so ist das mediale Interesse an der großen gewalttätigen Dortmunder Neonazi-Szene rasch abgeklungen.
Drei Monate nach dem Mord und im Vorfeld des Prozesses gilt es erneut, den politischen Hintergrund des Mordes öffentlich zu thematisieren und den Mord innerhalb der seit einigen Jahren forcierten Strategie der Dortmunder Neonazis zu verorten.
Die Dortmunder Neonazis stellen laut Verfassungsschutz mit einem festen Kreis von 30 Personen und einem kurzfristigen lokalen Mobilisierungspotential von bis zu 80 Personen die größte neonazistische Gruppierung in NRW. Auf allen wichtigen bundesweiten Events der Neonazi-Szene sind die Dortmunder Nazis anzutreffen. So demonstrierte das „Aktionsbüro Westdeutschland“ unter maßgeblicher Beteiligung der Dortmunder Neonazis nur zwei Wochen nach dem Mord durch Essen. Am 1. Mai beteiligten sie sich an dem misslungenen Versuch eines Aufmarsches durch Leipzig. Und auch wenn das „AB-West“ am 30. Juli versuchen wird durch Duisburg zu marschieren, werden die Dortmunder Neonazis sich in den vorderen Reihen beteiligen.
Seit mehreren Jahren versuchen die Dortmunder Neonazis ihrer Parole „Dortmund ist unsere Stadt“ entsprechend ihr Konzept einer „No Go Area“ für ihnen nicht genehme Menschen in der Stadt umzusetzen. Neben zumeist unter erheblichem Alkoholeinfluss begangenen gewalttätigen Übergriffen und Drohungen gegen Linke, MigrantInnen und Punks artikulierte sich dies in angemeldeten Gegendemonstrationen gegen antifaschistische Veranstaltungen. Der Mord an Schmuddel ist keine Ausnahme, vielmehr bildet er einen traurigen Höhepunkt dieser Entwicklung. Die Reaktionen der rechten Szene lassen dies deutlich erkennen.
Die Dortmunder Neonazis bekannten sich kurz nach dem Mord im Internet zu dem Täter und seiner Tat. Der Mörder sei einer ihrer „Kameraden“, ein Anwalt sei ihm zur Seite gestellt worden. Im gleichen Text setzten die Neonazis ihre Drohungen gegen vermeintliche Antifaschisten fort.
Nur zwei Tage nach dem Mord kam es zu einem erneuten Mordversuch an der Kampstraße. Ein einschlägig vorbestrafter 23 Jähriger Neonazi zückte am Abend gegenüber den Trauernden ein Messer, nachdem er bereits am Mittag eine Punkerin mit den Worten bedroht hatte „Ich stech dich auch ab.“
Ein weiterer Überfall ereignete sich wenige Tage darauf in der Nordstadt. Zwei Neonazis setzten einer Frau ein Messer an den Hals und bedrohten sie mit dem Tode.
Seit dem 1. April tauchten in mehreren Dortmunder Stadtteilen Plakate des "Freien Widerstands" auf. Unverholen verkünden die Neonazis auf den Plakaten: "Wer der Bewegung im Weg steht, muss mit den Konsequenzen leben!"
In einer wenige Tage nach dem Mord unter dem Titel „no tears for punks“ – „keine Tränen für Punks“ veröffentlichten Stellungnahme versuchte Siegfried Borchardt die Tat zu entpolitisieren. Seine Aufforderung den „Ball flach zu halten“ steht jedoch im eindeutigen Widerspruch zum Auftreten der organisierten Dortmunder Neonazis außerhalb der Stadt. Borchardt selbst sprach erst Ende Februar auf einer Veranstaltung in den Niederlanden von einem mit der Hakenkreuzfahne dekorierten Podium. Die Dortmunder Neonazis treten nach wie vor auf allen Demonstrationen in NRW offensiv in Erscheinung.
Neben der „Kameradschaft Dortmund“ und deren Kopf Borchardt sind vor allem die „Autonomen Nationalisten- Östliches Ruhrgebiet für die Entwicklung der letzten Monate verantwortlich. Aufmerksamen Beobachtern fällt es nicht schwer die Gruppe jüngerer Neonazis um Dennis Giemsch, Dietrich Surmann und Alexander Deptolla mit den Drohungen in Verbindung zu bringen.
Von Gegenaktionen gegen linke Veranstaltungen in der Stadt haben die Sympathisanten des Mörders zwischenzeitlich Abstand genommen. Weder auf die große Demonstration von mehr als 4.000 Antifas am 2. April, fünf nach dem Mord, noch auf Veranstaltungen des BGR und einen Hausbesuch bei den „Autonomen Nationalisten“ in Dortmund-Dorstfeld haben die Neonazis im öffentlichen Raum reagiert. Wie dieses Nicht-Handeln zu bewerten ist bleibt offen. Deutlich ist dagegen, dass sich das rechte Gewaltpotential auch drei Monate nach dem Mord nicht spürbar verringert hat. Erst am 9. Juni verfolgten zwei mit Baseball-Schläger und Messer bewaffnete Neonazis in Dortmund Wickede zwei Migranten bis über die Stadtgrenze zu einem Asylbewerberheim in Unna. Erfreulicher Weise zeigten die Migranten gemeinsam mit BewohnerInnen des Heims die von so vielen Politikern geforderte Zivilcourage. Die Neonazis wurden gewaltsam vertrieben. Skandalöser Weise ermittelt der ansonsten so träge agierende Dortmunder Staatsschutz nicht nur gegen die neonazistischen Angreifer sondern auch gegen einen Migranten aus Jugoslawien, der den Verfolgten zur Hilfe eilte.

Auch drei Monate nach dem Mord gibt es also keinen Anlass die Neonazis in Dortmund aus den Augen zu verlieren. Die öffentliche Thematisierung der rechten Gefahr bleibt ebenso wie die antifaschistische Selbsthilfe dringende Notwendigkeit!

Abschließend sei auf zweierlei verwiesen:

1. Am 28.06. findet in Gedenken an Thomas Schulz eine von Dortmunder Antifas und FreundInnen des Ermordeten veranstaltete Gedenkkundgebung am Tatort an der Kampstraße statt (Aufruf: Unten)

2. Im Anschluss an die Antifa-Demonstration am 02. April verhaftete die Polizei 84 Personen. Angesichts der anstehenden Verfahren melden sich Betroffene bitte sobald sie Post erhalten beim Ermittlungsausschuss ( ea-dortmund@gmx.net.) (Text dazu unten). Dass es sich bei dieser Mail-Adresse um eine der Antifa handelt könnt ihr wahlweise auf  http://nrw.antifa.net/ea-dortmund/ oder  http://www.re.antifa.net/ verifizieren. Bitte mailt ausschließlich an diese Adresse, nach Möglichkeit mit PGP!

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AUFRUF ZUR GEDENKKUNDGEBUNG AM 28.03.

KEIN VERGEBEN, KEIN VERGESSEN!

- Eine Gedenktafel für „Schmuddel“ -

Der 32jährige Thomas Schulz, genannt „Schmuddel“ wurde am 28.03.2005 von einem 17jährigen Neonazi ermordet – er wurde an der U-Bahn-Haltestelle Kampstraße niedergestochen. Augenzeugenberichten zufolge traf der Rechtsextremist mit seiner 16jährigen Freundin an der Kampstraße auf eine Gruppe Punks, pöbelte sie im Vorbeigehen an und ging dann in die Haltestelle hinunter. „Schmuddel“ trennte sich von der Gruppe und ging ebenfalls hinunter zur Bahn. Unten kam es dann erneut zu einem Wortgefecht über Kleidung und Frisur, der Rechtsextremist fragte schließlich ob er ihm „eine aufs Maul hauen“ solle, woraufhin Thomas S. die Arme ausbreitete und sagte „Mach doch.“ Das war für den 17jährigen Provokation genug; er zog ein Messer und stach dreimal auf Thomas S ein – ein Stich traf das Herz. Er hatte keine Chance zur Gegenwehr, er starb noch am Tatort.
Er hinterließ eine Frau und drei Kinder.

„Schmuddel“ wurde ermordet, weil er gegen die rechten Sprüche seines Mörders opponierte, eben jene Zivilcourage an den Tag legte, zu der noch im „Aufstand der Anständigen“ Gerhard Schröder, OB Langemeyer und andere Politiker alle BürgerInnen aufgerufen hatten.
Natürlich ist der 17jährige Täter keine Führungspersönlichkeit, kein seit langem überzeugter Nationalsozialist und hatte kein ellenlanges Register einschlägiger Vorstrafen. Trotzdem ist er, wenn vielleicht auch als sogenannter „Mitläufer“, eindeutig der rechten Szene zugehörig und hat den Mord aus politischen Gründen begangen.
Bereits kurz nach der Tat verkündeten die Dortmunder Neonazis im Internet, dass er ein „Kamerad“ von ihnen sei und sie ihm bereits „einen Anwalt besorgt“ hätten. Sie distanzierten sich nicht etwa von dem Mord, sondern drohten im Gegenteil all denen, die sich weiterhin gegen Rechts engagieren.
Der organisierte Rechtsextremismus in Deutschland und speziell in Dortmund hat in den letzten Jahren stark zugenommen. Die lokale rechte Szene agiert unter dem Motto „Dortmund ist unsere Stadt“; Umsetzung erfährt diese Politik unter anderem durch Demonstrationen gegen antifaschistische Veranstaltungen, aber nicht nur dort: Auch der Mord an „Schmuddel“ muss vor dem Hintergrund gesehen werden, dass die Neonazis an der Durchsetzung ihres Konzeptes einer zu schaffenden „No-go-Area“ für ihnen nicht genehme Personen arbeiten. Dazu gehören nicht nur Punks und andere eindeutig Linke, sondern natürlich auch Migranten, Homosexuelle, Behinderte und andere Gruppierungen. Ziel ist nichts Geringeres als eine neonazistische Vorherrschaft, die oftmals auch gewalttätig durchgesetzt werden soll und wird.

Um dies zu verhindern, darf die Existenz einer expandierenden rechtsextremen Szene in Dortmund nicht ignoriert werden, da diese sonst noch selbstbewusster und noch gewalttätiger agiert als bisher. Die rechte Gefahr ist nicht bloß ein Problem für die Menschen, welche wie „Schmuddel“ nicht in das neonazistische Weltbild passen - der Kampf gegen Rechtsextremismus sollte für eine sich selbst als demokratisch verstehende Gesellschaft selbstverständlich sein.

Die Gedenk-Demonstration am 02.04.05 hat bewiesen, dass es zwar genug Leute gibt, die gegen Rechts auf die Straße gehen. Doch das ist noch lange nicht genug; wir müssen das Gedenken an Thomas S. und alle anderen Opfer des Neonazismus aufrechterhalten und versuchen dafür zu sorgen, dass den Rechtsradikalen in Dortmund und überall der Nährboden genommen wird. Ein erstes Zeichen hierfür soll eine Gedenktafel am Ort der Tat – der U-Bahn-Haltestelle Kampstraße – sein, die dafür sorgt, dass weder Opfer noch Täter und Tatzusammenhang vergessen werden.

Deshalb treffen wir uns

AM 28.06.2005 UM 17.30 UHR AN DER U-BAHN-HALTESTELLE KAMPSTRASSE

und fordern alle Menschen dazu auf, nach Dortmund zu kommen und mit uns zu demonstrieren. Wir dürfen den Nazis keinen Raum lassen!

Faschismus ist tödlich!

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HINWEISE DES EA-DORTMUND FÜR DIE VERHAFTETEN DES 02.04.

Post aus Dortmund - Der Dortmunder Ermittlungsausschuss informiert
Nach der Demonstration am 2.4.05 anlässlich des Mordes an einem antifaschistischen Punk in Dortmund nahm die Polizei 84 AntifaschistInnen fest. Falls Ihr von Polizei oder Staatsanwaltschaft Post bekommen habt meldet Euch bei uns.

Am 28.3. diesen Jahres wurde in Dortmund der Punker Thomas Schulz genannt "Schmuddel" von einem 17-jährigen Nazi brutal durch mehrere Messerstiche ermordet. Die Tat war für alle AntifaschistInnen in Dortmund ein Schock und sie zeigte einmal mehr und diesmal in aller Deutlichkeit, wohin es führt, wenn Nazis im Stadtbild präsent sind und im Falle Dortmund sogar davon reden, dass Dortmund "ihre Stadt" sei. Um die Trauer um den verstorbenen Thomas Schulz zum Ausdruck zu bringen und um zu zeigen, dass Dortmund keineswegs in Nazihand ist, fand am darauf folgenden Samstag eine kraftvolle, entschlossene Demonstration mit ca. 4.000 TeilnehmerInnen statt. Auf der dreistündigen Demonstration wurde deutlich gemacht, dass es sehr wohl antifaschistischen Widerstand in Dortmund und im ganzen Ruhrgebiet gibt, der die Nazistrukturen nicht zufrieden lassen wird. Nach Abschluss der Demonstration wurden über 80 AntifaschistInnen von der Polizei vom Westenhellweg gejagt und in den Seitenstraßen der Einkaufsstraße eingekesselt und fest- bzw. in Gewahrsam genommen. Den Festgenommenen wird von der Polizei u.a. Landfriedensbruch und Sachbeschädigung vorgeworfen. Deshalb ist damit zu rechnen, dass in den nächsten Tagen, Wochen oder Monaten per Post Benachrichtigungen über Ermittlungsverfahren mit angehängtem Anhörungsbogen den in Dortmund Festgenommenen ins Haus flattern. Solltet Ihr einen Brief erhalten haben, in dem Euch mitgeteilt wird, dass gegen Euch ein Ermittlungsverfahren läuft und Ihr aufgefordert werdet, den Anhörungsbogen ausgefüllt zurückzuschicken, meldet Euch dringend bei uns! Schickt den Anhörungsbogen erst mal nicht zurück!

Die E-Mailadresse lautet  ea-dortmund@gmx.net.

Falls Ihr Eure Mail mit PGP verschlüsseln möchtet (in jedem Fall sinnvoll) findet ihr unseren Key unter  http://nrw.antifa.net/ea-dortmund/

Gerade bei unverschlüsselten Mails gilt: Schreibt nicht mehr als nötig. Viele Informationen helfen uns nicht weiter, können aber für die Polizei durchaus von Interesse sein. Deshalb schreibt nur aus welcher Stadt Ihr kommt, was Euch vorgeworfen wird und wie Ihr heißt. Was Ihr tatsächlich gemacht oder nicht gemacht habt, mit wem Ihr zusammen unterwegs ward und ob Ihr am Abend vorher auf einer Party ward, ist nicht wichtig für uns und gehört nicht in eine solche Mail. Wir werden versuchen, Euch bei möglicherweise anstehenden Prozessen zu unterstützen und können Euch Tipps geben, wie Ihr am besten mit der Situation umgeht. Zum einen ist es wichtig sich nicht selbst zu belasten, zum anderen könnt Ihr durch Eure Aussagen auch anderen Personen schaden, auch wenn das gar nicht Eure Absicht war und Ihr nicht damit gerechnet habt. Also gilt weiterhin: Anna und Arthur halten's Maul!
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