Patriotischer Antikolonialismus

kai 10.05.2004 21:54
Wie die IG BAU den Ersten Mai als "Tag der Arbeit" und der Osterweiterung feiert.
Das Europaweite Aktionsprogramm zur Umverteilung des Reichtums und gegen Sozialkahlschlag lockte am 3. April vor allem die Deutschen in nicht für möglich gehaltenen Massen auf die Strassen von Berlin, Köln und Stuttgart. Ein Meer von roten und grünen (grün für die Gewerkschaft der Polizei) Luftballons dominierte die Plätze und Strassen, auf denen die Leute gegen die Politik der rot-grünen Bundesregierung pfiffen und klatschten. Die Gewerkschaften haben mobilisiert. Zur gleichen Zeit startete die Bundes-IG-Bau eine Kampagne gegen Lohndumping und illegale Beschäftigung: Ordnung solle auf deutschen Baustellen wieder hergestellt werden, forderten Plakate. Man richtete eine gebührenfreie Telefonnummer ein, die angerufen werden sollte und konnte, um illegale Beschäftigung bei der Gewerkschaftszentrale zu melden. Diese Aktion, so beteuerte ein Gewerkschaftsfunktionär, richte sich nicht gegen die ausgebeuteten Kollegen in illegaler Beschäftigung, sondern gegen die Unternehmer und Subunternehmer, die die prekäre Lage dieser Menschen ausnutzten.

Der 1. Mai kam - und damit die europäische Osterweiterung. Im Vorfeld bemühten sich die öffentlich-rechtlichen Sender, vor allem die Länderprogramme, darum, den Bürgern die Ängste und Sorgen vor der Osterweiterung zu nehmen. Langfristig gesehen sei diese Erweiterung eine große Chance für den Wirtschaftstandort Deutschland. Außerdem: die Grenzen sind noch lange nicht offen! Um der organisierten Kriminalität zu wehren, sei eine stufenweise Öffnung der Grenzen für die Menschen - also weiterhin Kontrollen - notwendig. So Stoiber. Erst wenn die Behörden gut aufeinander abgestimmt sind und die Schengener Kriterien überall greifen, sei an einem Abriss der alten Grenzen zu denken. Nun, für einen Tag, aus Anlass des Festes, war die Oderbrücke in Frankfurt ohne Kontrollen passierbar. Trachtengruppen und die Vielfalt der europäischen Kulturen feierten in vielen Städten bunte multikulturelle Volksfeste.

Nun ist der Erste Mai auch der Kampf- und Feiertag der Arbeiterklasse. 1933 wurde er sogar zu einem Staatsfeiertag in Deutschland, allerdings unter dem Namen "Tag der Arbeit", erklärt. Die IG Bau rühmt sich in diesem Zusammenhang, zu beiden Themen des Tages, der Osterweiterung und dem Arbeiterkampf, einen Beitrag geleistet zu haben:

"In der EU gelten: - die Freizügigkeit der Arbeitnehmer, - die Dienstleistungsfreiheit (zum Beispiel für Entsendefirmen von Leiharbeitern) und - Niederlassungsfreiheit.
In den Beitrittsländern sind die Löhne oft viel niedriger als in Deutschland. Um ein Anwachsen der Dumpingkonkurrenz durch die Erweiterung zu verhindern, hat die IG Bauen-Agrar-Umwelt (BAU) sich für Sonderregelungen eingesetzt.

Das haben wir durchgesetzt: - Für den Bau, den Innenausbau und die Gebäudereinigung in Deutschland gilt eine Übergangsfrist von sieben Jahren. In dieser Zeit dürfen Entsendefirmen aus den Beitrittsländern nur so viele Arbeitnehmer nach Deutschland entsenden, wie bisher im Rahmen der Werkverträge kamen. - Die Freizügigkeit für Arbeitnehmer tritt erst nach einigen Jahren (maximal sieben Jahren) in Kraft. - Die Gesetze gegen illegale Beschäftigung wurden verschärft. - Die Zahl der Kontrolleure wurde auf 7000 aufgestockt. Sie arbeiten alle unter einem Dach, nämlich beim Zoll."

Dann wird es kämpferisch im Kampf gegen die Ausbeutung: "Gesetze nützen nur, wenn sie auch umgesetzt werden. Dazu brauchen wir deine Hilfe. Mach mit beim Kampf gegen illegale Beschäftigung und Dumpingarbeit. Die Kollegen aus dem Osten sind keine Feinde, sondern oftmals selbst Opfer von Ausbeutung."

Sie vor der Ausbeutung zu schützen, hat sich die IG BAU zur Aufgabe gemacht. (Nebenbei: Das "oftmals" in dem zuletzt zitierten Satz kann ja nur bedeuten, daß die Kollegen aus dem Osten nicht immer selbst Opfer von Ausbeutung sind. Die Implikationen aus dieser Behauptung sind offensichtlich!)

Es ist anzunehmen, daß nach einem Zeitraum von sieben Jahren die kooperierenden Polizeibehörden des alten und neuen Europa die Schengener Grundlagen und die Zusammenarbeit in der Bekämpfung der organisierten Kriminalität ebenfalls soweit vorangetrieben haben, daß die Kontrollstationen an den Grenzen überflüssig werden.

Viel Arbeit liegt vor den Behörden und Interessenverbänden. Wie ist die Ungleichheit der Löhne und Sozialleistungen in den europäischen Regionen auf eine für alle bestimmenden Interessen akzeptable Weise zu regeln? Der Wirtschaftsstandort benötigt den Billiglohnsektor und damit auch die soziale und wirtschaftliche Differenz innerhalb der Europäischen Union. Nur mit einem einheitlich organisierten Wirtschaftsblock ist Europa aber in der Lage, unter den Großen kräftig mitzumischen. Die osteuropäische Wirtschaft ist für Deutschland keine Konkurrenz. Wohl aber ist die riesige Reservearmee der Menschen aus Osteuropa, die ,mehr oder weniger motiviert oder gezwungen, mehr oder weniger angeworben und erwünscht, auf den (West-)Europäischen Arbeitsmarkt drängen, eine Gefahr für die einheimische Arbeiterschaft.

"Rechtsunsicherheiten", die durch die EU-Osterweiterung, entstehen, werden zu Mitteln des Angriffs auf Tarife und Löhne benutzt. Zum Beispiel: Gelten in Zukunft für die Entsendungen von Arbeitskräften aus Polen, Tschechien usw. die Werksverträge, die bestimmen, daß die Tarife am Orte der Arbeitsstelle eingehalten werden müssen - oder gilt die EU-Dienstleistungsfreiheit, die bei der Entsendung von Arbeitskräften aus EU-Staaten in andere EU-Staaten die Bezahlung nach dem Tarifen des Landes ermöglicht, aus dem die Arbeiter entsendet wurden? Bereits mahnen Unternehmens- und Branchenberater die hohen öffentlichen Kosten und damit den Wettbewerbsnachteil für die Bauindustrie an, die Tariftreue- und Werkvertragsregelungen schon allein aus Kontroll- und Verwaltungsgründen verursachen.

Gleichzeitig fürchten die Technokraten der Arbeitsmarkte, den Überblick und die Kontrolle zu verlieren: soziale Verwerfungen im eigenen Verantwortungsbereich, die sie nicht mehr in den Griff bekommen und in denen der Keim des Aufruhrs steckt. Deshalb ist es für sie von zentraler Bedeutung, die Widersprüche irgendwie in gesetzliche Regelungen zu zwängen, auf deren Grundlage sie im Chaos administrieren können. Dabei ist die Arbeitsmarktpolitik logisch mit der Migrationspolitik verquickt.

Was bedeutet das für die Interessenvertreter der deutschen Arbeiterklasse? Ein BAU-Gewerkschafter formulierte das - antiimperialistisch gewendet - sinngemäß so: Klassische imperialistische Expansion und Kolonisierung überschreitet die territorialen Grenzen und sucht dort unter anderem, die Möglichkeit der billigen Arbeit auszubeuten. Es gäbe aber Wirtschaftsbereiche, wie zum Beispiel deutsche Baustellen, die ihre Produktion nicht ins Ausland verlagern könnten. Deshalb versuchen Betriebe dieser Branche, die billigen und besser auszubeutenden Arbeitskräfte ins Land zu importieren. Das ist eine umgekehrte Weise imperialistischer Expansion. Die Heere sich prekär und billig verdingender Arbeitskräfte aus dem Osten sind nach dieser Logik nicht nur oftmals Opfer der Ausbeutung sondern immer auch das Fußvolk einer imperialistischen Invasion und Kolonisation. Patriotischer Antikolonialismus scheint die Antwort der Gewerkschaft BAU zu sein.
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Ergänzungen

@kai

### 11.05.2004 - 00:20
wenn das antirassistisch gemeint ist, warum schreibst du dann:
"Nun ist der Erste Mai auch der Kampf- und Feiertag der Arbeiterklasse. 1933 wurde er sogar zu einem Staatsfeiertag in Deutschland, allerdings unter dem Namen "Tag der Arbeit", erklärt."
Was heisst hier "sogar"??? NS Faschismus also im sinne der arbeiterklasse???

und der letzte absatz hoert auf mit dem angeblichen "patriotischen antikolonialismus" der ig bau, ohne das du diesen quatsch kritisierst, der nur der spaltung der arbeiterklasse dient.

Zur Geschichte des 1.Mai

linker 11.05.2004 - 03:11
Zur Geschichte des Ersten Mai siehe auch:

www.dgb.de/dgb/geschichte/erstermai/geschichte1mai.htm#4

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scheisse — d.dreck