Gebirgsjäger ohne Militärkapelle

AK Angreifbare Traditionspflege 28.04.2004 14:34
Garmisch-Partenkirchner Tagblatt 28. April 2004:

Kein Einsatzbefehl für Mittenwald

Gebirgsmusikkorps sagt Kameradenkreis bei Pfingsttreffen ab
VON CHRISTOF SCHNÜRER Mittenwald - Schlechte Nachricht für den
Kameradenkreis der Gebirgstruppe: Das Gebirgsmusikkorps hat den
traditionellen Auftritt beim Pfingsttreffen auf dem Hohen Brendten
abgesagt. "Das ist definitiv", unterstreicht der Presseoffizier des
hierfür zuständigen Wehrbereichskommandos (WBK) 4, Oberstleutant Klaus
Treude.
Dieser Schritt habe nichts mit den "Krawallmachern" zu tun, die in den vergangenen Jahren versucht hatten, die größte Soldatenfeier Deutschlands zu stören. "Die Bundeswehr kneift nicht", so Treude, auch nicht vor dem Westdeutschen Rundfunk. Der hatte im Vorjahr in einem politischen Magazin das Pfingsttreffen zu einer Veranstaltung "Ewiggestriger" abgestempelt. "Diese Feier ist nicht anrüchig", betont Treude, aber aus "internen Gründen" könne der Einsatzbefehl für das Gebirgsmusikkorps am 30. Mai nicht ausgegeben werden.
Gleichwohl werde der Standortälteste von Mittenwald, Oberstleutnant Rainer Stähler, wie gewohnt den Kameradenkreis bei der Ausrichtung der Großveranstaltung unterstützen, etwa in puncto Organisationspersonal,Ehrenposten oder Kranzträger. Für logistische Hilfe, zum Beispiel den Transport von Gehbehinderten und älteren Teilnehmern, versichert Stähler, müssten die Veranstalter wie schon immer bezahlen. Der Kommandeur der Gebirgs- und Winterkampfschule selbst wird auch heuer wieder am Pfingsttreffen teilnehmen, "denn der Kameradenkreis bewegt sich auf der Linie des Traditionserlasses der Bundeswehr." Der Gedenkgottesdienst am Ehrenmal sei für ihn "der Volkstrauertag der Gebirgsjäger". Bei einem "Abdriften nach rechts" würden die Soldaten den Hohen Brendten selbstredend verlassen. "Das ist aber nicht zu erwarten." Wie auch in den Jahren zuvor.
Für den Präsidenten des Kameradenkreises, Brigadegeneral a. D. Ernst Coqui, ist die Absage des Gebirgsmusikkorps, das seit langer Zeit im Zwei-Jahresrhythmus die Feierlichkeit musikalisch begleitet, ein schwerer Schlag, zumal er betont, noch kein offizielles Schreiben hierzu erhalten zu haben. Falls die Order von WBK-Kommandeur, Generalmajor Justus Gräbner, tatsächlich unumstößlich sei, dann sei das sehr schade, "aber wir können das Gebirgsmusikkorps ja nicht herbefehlen."
Ob die Weisung aus München ein einmaliger Vorgang ist oder sich 2006 wiederholt, wollte Presseoffizier Treude nicht konkret beantworten. "Wir müssen abwarten, was passiert."


Die Mörder sind unter uns

Schluss mit dem Pfingsttreffen der Gebirgsjäger in Mittenwald/ Bayern 2004

Wir rufen alle AntifaschistInnen und AntimilitaristInnen zur Teilnahme an den geplanten Protestveranstaltungen gegen die Traditionspflege der Gebirgsjäger auf. Zu Pfingsten, am 29. und 30. Mai 04 wollen wir erneut dazu beitragen, dass dieses Soldatentreffen nicht ungestört über die Bühne gehen kann.


Samstag, den 29. Mai 2004
11.00 Demonstration ab Bahnhof durch Mittenwald
15.00 bis 18.00 Uhr Veranstaltung mit Beiträgen zu den NS-Kriegsverbrechen der Gebirgsjäger in Frankreich, Italien und Griechenland

Sonntag, den 30. Mai 2004
ab 9 Uhr Kundgebung gegen das Pfingsttreffen am Hohen Brendten


Bestrafung der Kriegsverbrecher
Entschädigung aller NS-Opfer
Für die Auflösung der Bundeswehr

Infos unter:  http://www.nadir.org/nadir/kampagnen/mittenwald/


Traditionspflege in Mittenwald
Seit 1952 treffen sich alljährlich zu Pfingsten Veteranen der Wehrmachtseinheiten im Schulterschluss mit aktiven Bundeswehrsoldaten in Mittenwald, um eine der größten soldatischen Feiern Deutschlands zu begehen. Unterstützt von der Bundeswehr, gehuldigt durch Kranzniederlegungen des Verteidigungsministeriums und unter großer Anteilnahme der Bevölkerung. Es wird der gefallenen Kameraden und ihrer anständigen Pflichterfüllung gedacht und der Mythos vom Kampfes- und Opfermut der Wehrmachtssoldaten genährt. Es wird eine Traditionspflege betrieben, die eine Verdrehung des Verhältnisses von Opfern und Tätern verfolgt, die die kriegerischen Handlungen der Soldaten verherrlicht und die Verbrechen verharmlost, leugnet oder als notwendige Kriegshandlungen umdeutet.
Organisiert und ausgerichtet werden die Feiern vom Traditionsverband "Kameradenkreis der Gebirgstruppe", der sich 1952 gründete.

"Ich würde gern einen der Soldaten finden und ihn fragen, warum hast du das getan?" Diese Frage stellte Christina Dimou, Überlebende aus dem griechischen Dorf Kommeno, als sie Pfingsten 2003 an den Protestveranstaltungen gegen die Traditionspflege der Gebirgsjäger in Mittenwald teilnahm. Als 13-jähriges Mädchen hatte sie erleben müssen, wie im August 1943 ihr Dorf Kommeno in Nordgriechenland von einer Wehrmachtseinheit zerstört wurde und 317 Menschen erschossen wurden. Dietätige Wehrmachtseinheit war die 12. Kompanie des Gebirgsjäger-Regiments 98 der 1. Gebirgsjägerdivision aus Mittenwald gewesen.In dem idyllisch anmutenden Städtchen Mittenwald in Bayern, das damals und heute Stationierungsort der Gebirgsjägereinheit war und ist, scheint seitens der Bevölkerung niemand Fragen zu haben - seit Jahrzehnten nicht!

Auf Fragen sowie auf die seit zwei Jahren stattfindenden Protestveranstaltungen reagieren die Mitglieder der Traditionsgemeinschaften und der Großteil der Bevölkerung mit Antworten, die sich in einem gruseligen Ordnungsdenken verlieren. Als die jahrzehntelange Ruhe des Traditionstreffens zu Pfingsten 2002 von einigen Personen durch Protest und mit der Aufforderung unterbrochen wurde, u.a. der griechischen Opfer der deutschen Gebirgsjäger zu gedenken, reagierten die ausgebildeten Kämpfer - Veteranen und Bundeswehrsoldaten vereint - mit gezielten Kniestößen und Fausthieben. Alte Veteranen verwandelten ihre Krückstöcke rasant zu Schlagstöcken. Der Wunsch nach Säuberungsaktionen und Entsorgungsphantasienwurden Pfingsten 2003 angesichts der Proteste vor laufender Fernsehkamera ausgesprochen.

Blutige Vergangenheit
Das von den Gebirgsjägern der Wehrmacht begangene Massaker in dem griechischen Dorf Kommeno am 16.August 1943 war kein Einzelfall; zum Katalog der Gebirgsjäger-Verbrechen gehört auch die Erschießung von ca. 5.000 italienischen Kriegsgefangenen auf der griechischen Insel Kephallonia im September 1943. Die Blutspur schwerster Kriegsverbrechen dieser Eliteeinheit zieht sich über Finnland, die heutige Ukraine, Jugoslawien, Italien, Frankreich bis nach Griechenland. "Sühnemaßnahme" und "Vergeltungsaktion" lautete die kriegspropagandistische Rechtfertigung, mit der die deutschenGebirgsjäger Zivilisten ermordeten, plünderten und die Dörfer niederbrannten und zerstörten.

Im Gefechtsbericht zu dem Massaker in Kommeno hieß es später: "Beute: etwa 150 tote Zivilisten, 16 Stück Großvieh, 1 LKW, 5 italienische Karabiner, eine italienische MP."

Keine Verurteilung der Täter
Wie es zu den "erbeuteten 150 toten Zivilisten" kam, beschäftigte die deutsche Justiz erst ein Vierteljahrhundert später, doch auch dann kam es nur zu Ermittlungsverfahren, die alle eingestellt wurden. Die begangenenVerbrechen wurden im Paragraphenmantel und mit juristischer Diktion versehen als Kriegshandlungen legitimiert, die Täter mit widersprüchlichen juristischen Konstruktionen vor einer Strafverfolgung geschützt. Keiner der Mörder von damals wurde je von einem deutschen Gericht verurteilt; sie konnten sogar unbedenklich öffentlich auftreten, ohne eine Verhaftung zu befürchten.

Dass Kriegsverbrechen begangen wurden, war bereits bald nach 1945 durch Kriegsberichterstattungen oder Unterlagen staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen mit Zeugenaussagen der Beteiligten bekannt geworden und dokumentiert. Im Nürnberger "Geiselmordprozess" 1948 waren u.a. wegen Okkupationsverbrechen in Griechenland einige Generäle zu Freiheitsstrafen verurteilt worden. Im Zuge der Amnestiewelle wurden sie jedoch im Jahre 1951 wieder aus der Haft entlassen.

Die personellen Kontinuitäten im Justizbereich, die Reintegration der Bundesrepublik in die westliche, kapitalistische Welt und die damit verbundene Wiederbewaffnung waren die Hintergründe dafür, dass kein Interesse an einer Strafverfolgung existierte, dass kein politischer Druck bestand und sich einige Politiker vielmehr engagierten, um die alten Offiziere nicht im Gefängnis, sondern in den militärischen Reihen der neu gegründeten Bundeswehr einzugliedern. Der Kameradenkreis hat somit auch die Funktion einer Art Selbsthilfegruppe von NS-Kriegsverbrechern.

Keine Entschädigung für die Opfer
Während die Mörder von einst strafrechtlich nicht verfolgt wurden und von staatlichen Renten leben, erhalten die meisten Opfer bis heute keine Entschädigungen, so auch nicht die Überlebenden der von den Gebirgsjägern begangenen Massaker in Griechenland. Die Entschädigungszahlung an Opfer von Kriegsverbrechen wurde mit Verweis auf das Londoner Schuldenabkommen von 1953 auf den Zeitpunkt eines endgültigen Friedensvertrages verschoben. Doch nach dem Zustandekommen des 2-plus-4 Abkommens 1989 verweigerte die Bundesrepublik die Verhandlungen über Entschädigungszahlungen, sprach weiterhin von notwendigen Kriegshandlungen oder betonte die guten zwischenstaatlichen Beziehungen, als Beweis des bereits gezogenen Schlussstrichs.

Elitetruppen: heute und gestern
Die Einheiten der Gebirgsjäger gehören auch heute zu den Elitetruppen der Bundeswehr, seit Mitte der 90er Jahre sind sie an Auslandseinsätzen beteiligt. Ihre Verbindungen zu den Traditionsgemeinschaften sind im Vergleich zu anderen Truppengattungen der Bundeswehr besonders ausgeprägt.Als Bestandteil der Krisenreaktionskräfte und des Kommandos Spezialkräfte werden sie auch in der seit Herbst 2003 bereitstehenden EU-Interventionstruppe zum Einsatz kommen. In Anlehnung an die Wehrmacht propagiert die Bundeswehr das sog. unpolitische Soldatentum, den "Kämpfertyp ", der professionell seinen Job erledigt. Die in den Traditionsvereinen gepflegte "Kameradschaft" soll den Bundeswehrangehörigen - wie einst den Soldaten der Wehrmacht - dabei helfen, traumatische Erfahrungen wie Verwundung, Verstümmelung und Tod im Einsatz zu bewältigen.

Mittenwald - der Blick in ein Reagenzglas
Eng verstrickt zeigt sich in diesem Städtchen die Verwobenheit von Militär und Zivilgesellschaft. Dass der derzeitige Bürgermeister Salminger der Sohn von Josef Salminger ist, der u.a. im August 1943 das Massaker in Kommeno als Kommandeur des Gebirgsjägerregiments 98 zu verantworten hatte, ist exemplarisch für die enge familiäre Verflochtenheit. Für seinen familiären Ursprung ist der Bürgermeister nicht angreifbar, doch dass er unbeirrt Mitglied im Kameradenkreis ist und die Traditionspflege betreibt, ist Ausdruck der verbreiteten Identifizierung mit der traditionellen Eliteeinheit und für die ungebrochene Verherrlichung der Taten in dieser Region.
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Ergänzungen