Offener Brief von Daniel, § 129a Gefangener

Soligruppe Magdeburg/Quedlinburg 09.07.2003 19:12
Offener Brief von Daniel an die Staatsanwältin bei der BAW Rieger, wegen einem angehaltenen Buch mit dem Titel "Bewaffneter Kampf in Europa".
Im folgenden Dokumentieren wir einen Brief von Daniel, Gefangener im §129a Verfahren in Magdeburg.

Soligruppe Magdeburg/Quedlinburg


An den Generalbundesanwalt
beim Bundesgerichtshof
Brauerstr. 30

76137 Karlsruhe



Offener Brief

Berlin-Moabit, den 02.06.2003



Sehr geehrte Frau Rieger,

heute bekam ich ihren Antrag auf Anhalt der an mich gesendeten Büchersendung „Bewaffneter Kampf in Europa„. Ich fand ihre Begründung diesbezüglich sehr interessant, zeugt diese doch von Unwissenheit über zeitgeschichtliche Ereignisse und noch viel schlimmer für eine Person in ihrer Stellung, von Unkenntnis über den Alltag in deutschen Haftanstalten !

Ich sehe diesen Antrag als erneute Schikane gegenüber meiner Person, genauso wie den gesamten Terrorvorwurf nach § 129 a StGB gegen meine angeblichen Mittäter und mich.

Ich sehe nicht ein, ihnen in Zeiten der globalen Terrorhysterie als Karrieresprungbrett zu dienen und mich diesbezüglich zu diesem Zweck mißbrauchen zu lassen !

Auch wenn ihnen das fremd zu sein scheint, gibt es noch einige Menschen in diesem Land, die kein Interesse an persönlicher Bereicherung und wachsenden Machtbefugnissen auf Kosten von schwächeren Menschen und diskriminierten Minderheiten haben.

Aber kommen wir zu ihrem Antrag zurück. Sie schreiben in ihrer Begründung:

„In dem Buch „Bewaffneter Kampf in Europa„ behauptet der Autor, die RAF-Terroristen Andreas Baader, Jan Carl Raspe, Gudrun Ensslin, Ulrike Meinhof und Ingrid Schubert seien während ihrer Inhaftierung einem „Arsenal der Folter„ ausgesetzt gewesen und schließlich „im Knast ermordet worden„ (Seite 107 ff). Um die Öffentlichkeit irre zu führen, habe man später versucht, diese RAF-Terroristen „als Selbstmörder zu präsentieren„.„

Zum Tode von Ulrike Meinhof, Andreas Baader und Gudrun Ensslin blieben einige ungeklärte Fragen offen, die ich Ihnen gerne noch mal vor Augen führen möchte.

So wurde bei der Untersuchung des Todes von Ulrike Meinhof, durch eine unabhängige internationale Untersuchungskommission festgestellt, dass sich kein geeignetes Werkzeug in Meinhof`s Zelle befand, mit dem der Strick, der zu ihrem Tode führte, festgemacht werden konnte. Auch wurde bewiesen, dass die Obduktion ihrer Leiche nur oberflächlich vorgenommen wurde und die für die Ermittlung eines Selbstmordes bei vermuteter Strangulierung wesentliche Histaminprobe nicht erfolgte.
Zum Tod von Andreas Baader schrieb der Spiegel 1980, dass dieser „von einem Schuß aus einer direkt am unteren Hinterkopf aufgesetzten Pistole getötet worden sei„. Dies ist für einen Selbstmord eine untypische Vorgehensweise. Baader soll die Pistole festgehalten haben, indem er sie mit beiden Händen umgekehrt, also mit dem Griff nach oben, gegen seinen Hinterkopf drückte. Im Juli 1978 gab das BKA ein Vergleichsschußgutachten heraus, aus dem hervorgeht, der tödliche Schuß sei aus einem Abstand von 30 – 40 cm abgefeuert worden. Diese Feststellung ergab sich unter anderem aus der Pulverdampfkonzentration an der Einschußwunde und an der Tatsache, dass das Haar um die Wunde nicht im geringsten angesengt war. Damit ist die offizielle Selbstmordversion nicht mehr haltbar.
(Die Pistole maß immerhin 17 cm.)
Folgt man schließlich den Lehrbüchern, dann ist die für eine direkt aufgesetzte Pistole zu geringe Pulverdampfkonzentration an der Einschußstelle nur mit der Benutzung eines Schalldämpfers zu erklären. Die bei Baader gefundene Pistole trug keinen Schalldämpfer. Das schrieb der Anwalt Pieter Baaker Schut in „Stammheim – Der Prozeß gegen die RAF„.

Ein weiteres Gutachten kam zudem zum Schluß, dass sich Baader mit der rechten Hand erschossen haben muß, da dort Pulverspuren gefunden sein sollen. Baader war jedoch Linkshänder !
Eigenartig ist auch, dass in seiner Zelle drei Patronenhülsen gefunden wurden, er also mehrmals geschossen haben muß. Auch bei Gudrun Ensslin ergaben sich einige Widersprüche. So brach das Elektrokabel mit dem sie sich erhängt haben soll, beim Abnehmen ihrer Leiche. Eine Untersuchung, inwieweit das Kabel überhaupt die bei Erhängung auftretenden Zugkräfte aushalten kann, hat es nie gegeben.

Auch sie wies Verletzungen auf, die den amtlichen Ärzten zufolge von einem heftigen Pendeln gegen harte Gegenstände herrühren, unabhängigen Ärzten zufolge aber auch bei Erhängungen nicht auftreten.

Die internationale Untersuchungskommission zum Tode vom Ulrike Meinhof förderte noch andere Ungereimtheiten zu Tage. So soll sich der Zellenschlüssel nachts normalerweise in einem mit einer Alarmanlage gesicherten Kasten befunden haben. Allerdings sagte das Wachpersonal aus, dass nie Buch über die Schlüsselvergabe geführt wurde. Später erklärte die Gefängnisleitung zudem, dass es mindestens noch einen weiteren Schlüssel gegeben habe, der sich außerhalb der Anstalt befand.

Die Gefangenen berichteten ständig, dass anstaltsfremde Beamte von BKA und BND laufend unkontrollierten Zugang zum Trakt im 7. Stock in Stuttgart-Stammheim hatten. Auch die Anwälte machten diesen Zugang bekannt. Allerdings wurde erst im Verlauf der Abhöraffäre im März 1977 von baden-württembergischen Justizminister dieser Zugang zugegeben. Auf einer Pressekonferenz vom 19.10.1977 sagte der jetzige Bundesinnenminister Otto Schily:
„Uns hat immer bereits die Tatsache zu denken gegeben, dass zu diesem Sondertrakt im 7. Stock einen separaten Zugang gibt, von dem man uns bis heute nicht verraten hat, was dass mit diesem Zugang für eine Bewandtnis hat.... Wir wissen aber aus der Vergangenheit, obwohl ich den Unterschied gewiß nicht verkenne, aber wir wissen immerhin soviel, dass anläßlich dieser Abhöraffäre, dieser illegalen Abhörmaßnahme, sicher auch die Geheimdienste, die in diesem Land tätig sind, sich Zutritt zu diesem Gefängnis verschaffen konnten, so dass es nicht außerhalb des Denkbaren liegt, dass auch von dieser Seite Aktionen dieser Art veranstaltet worden sind.„
(alles nachzulesen in der „Initial„ Ausgabe Nr. 05, Januar 2003)

Über all diese offenen Fragen, die nicht nur mich, sondern auch Otto Schily an einem Selbstmord der RAF-Gefangenen zweifeln lassen, laß ich mich von Ihnen gerne eines besseren belehren, sofern dies die offenen Fragen aus der Welt räumt und argumentativ belegbar ist. Bis dahin werde ich als Terrorverdächtiger gewisse offene Fragen nur schwer ablegen können. Am 12.03.2003 kam ich von einem Umschluß bei einem Mitgefangenen auf meine Zelle zurück und stellte fest, dass jemand in meiner Zelle war. Auf schriftliche Anfrage bei der Abteilung „Sicherheit„ der JVA Moabit wurde mir mitgeteilt, dass weder eine hausinterne noch eine hausexterne Zellenkontrolle stattgefunden habe. Eigenartig dass ausgerechnet während dieses Nachmittages zweimal der Alarm ging, bei dem ja auch mögliche Beobachter wie die Hausarbeiter weggeschlossen werden.

Aus Ihrem Antrag war auch herauszulesen, dass sie die Isolationshaft nicht als Folter anerkennen. Ich hatte zum Beginn meiner Untersuchungshaft glücklicherweise nur einige Tage unter diesen Bedingungen zu leiden, kann Ihnen aber mitteilen, dass es sich dabei sehr wohl um einen unmenschlichen Vorgang handelt, unter dem leider viele Inhaftierte in den Gefängnissen der Welt staatlich verordnet leiden müssen !

In der Begründung zum Antrag auf Anhalten des Buches „Bewaffneter Kampf in Europa„ schreiben Sie weiterhin:

„Diese erfundenen Schilderungen erwecken beim Leser den Eindruck, „mißliebige„ Untersuchungsgefangene müßten in deutschen Haftanstalten – auch heute noch – (ist das ein Eingeständnis ? der Verfasser) mit Folter und Ermordung rechnen. Solche verzerrenden Unwahrheiten sind geeignet, bei dem Untersuchungsgefangenen und den übrigen Insassen der Justizvollzugsanstalt Unruhe und Angst auslösen, sowie das Vertrauen in einen rechtsstaatlichen Strafvollzug nachhaltig zu beschädigen. Reaktionen, die zu Widerständlichkeiten und Aufstand gegen Anstaltsbedienstete führen, sind naheliegende Folge.
Diese können nur verhindert werden, wenn die Bücher dem Untersuchungsgefangenen Daniel Winter nicht ausgehändigt, sondern zurückgeschickt werden.„

Dass – auch heute noch !!! - mißliebige Gefangene mit psychischer Folter in deutschen Haftanstalten rechnen müssen, ist leider keine verzerrende Unwahrheit, sondern trauriger Alltag !
Rassismus, Vorurteile und Intoleranz sind nicht nur innerhalb der Gesellschaft, sondern auch innerhalb ihrer JVA`s zuhause. Auch körperliche Gewalt geht nicht nur aus Konflikten mit anderen Häftlingen hervor ! Reaktionen, die zu Widersätzlichkeiten und Aufständen gegen Anstaltsbedienstete führen, sind ein logisches Produkt aus deren Schikanen und Rechtsverletzungen ! Diese Widerstände finden täglich in fast jeder JVA in der BRD statt !

Daher ist es mir unverständlich wieso mir dieses Buch verwehrt wird, ist es doch offiziell und legal in jeder Buchhandlung erhältlich. Um einen Knastaufstand anzuzetteln benötigt man keinen Buch über den bewaffneten Kampf in Europa, sondern nur ein halbwegs ausgeprägtes Gerechtigkeitsempfinden und Menschenkenntnis !

Daher fordere ich die Herausgabe des mir zustehenden Buches !

Über die Beantwortung aller hier offen gebliebenen Fragen, wäre ich ebenfalls dankbar.

Daniel Winter
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Ergänzungen

Anschrift von Daniel

Soligruppe Magdeburg/Quedlinburg 09.07.2003 - 19:32
Sorry,
wir haben die Anschrift von Daniel vergessen, diese lautet:

Daniel Winter
über den Ermittlungsrichter am BGH Hebenstreit
Herrenstr. 45a
76133 Karlsruhe

Noch ne Kleinigkeit

Soligruppe Magdeburg/Quedlinburg 09.07.2003 - 19:36
Die Mailadresse hat sich geändert, sie lautet:

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