Kampfbegriff "Extremismus"

ulle 13.03.2003 21:29
Kampfbegriff "Extremismus"
Mit jedem Verfassungsschutzbericht wird er aufs neue kolportiert. Eingebettet in die Totalitarismustheorie, die sich hierzulande ungebrochener Beliebtheit erfreut, dient er nicht nur der wissenschaftlichen Legitimation des Bundesinnenministeriums, sondern ist vielmehr zu einem weiterreichenden ideologischen Instrument des nationalen Politikmainstreams avanciert. Die kaum zu verschleiernde Stoßrichtung, die sich hinter dem Begriff verbirgt, lautet Anti-Kommunismus und Anti-Antifaschismus. Wie erfolgreich es mittlerweile gelingt, in diskreditierender Absicht links gleich rechts zu setzen, zeigt sich aber nicht nur in den Statements der deutschen Politik-Elite. Wenn aus alternativen Literaturkreisen gegenüber linken Aktivisten der Vorwurf des "Linksfaschismus" laut wird, bedeutet dies, daß auch hier die betreffende Lektion gefressen wurde.
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Der Begriff Totalitarismus stammt ursprünglich aus Italien. Es waren Antifaschisten, die damit in den 20er Jahren Mussolinis Ansinnen, den totalen Staat zu verwirklichen, bezeichneten. Vertreter der katholischen Volkspartei nahmen den Begriff auf und wendeten ihn im Sinne ihrer eigenen politischen Positionierung. Sie erklärten, daß der Faschismus ein "Rechtsbolschewismus" und der Bolschewismus nichts anderes als "Linksfaschismus" sei. Als vermeintlich gemeinsames Element wurde die Ablehnung der parlamentarischen Demokratie analysiert. Schon hier zeigte sich die ideologische Implementierung des Begriffs, die auch im Zuge der Wandlung von einem politischen Kampfbegriff zu einer politologischen Theorie nie verschwand. Zwar gab es auch ernstzunehmende Versuche, wie der von Hannah Arendt, "Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft" zu analysieren, doch der Boom der Totalitarismustheorie im Zuge des kalten Krieges spricht eben nicht nur für die Suche nach Erklärungen von Nationalsozialismus und Stalinismus nach dem Ende des II. Weltkrieges. Der Vergleich der NS-Zeit und des Faschismus mit dem Realsozialismus offenbarte unverkennbar seine politischen Beweggründe. Mit Hilfe der Totalitarismustheorie gelang es die Verbrechen, die ein deutscher, aber eben auch kapitalistischer Staat zu verantworten hatte, dem Sozialismus in die Schuhe zu schieben. Im Zuge dieser Revision wurde der Nationalsozialismus zu einer nur unwesentlich differenten Variante des Stalinismus, dieser aber zum Wesen des Sozialismus.
Zu Beginn der 80er Jahre galt die Theorie selbst zwar als widerlegt, die auf ihr ruhenden politischen Intentionen waren aber im Nachkriegsdeutschland kontinuierlich präsent. Und auch die Theorie sollte hierzulande eine Renaissance erleben. Im Nachzug der außerparlamentarischen Opposition sprachen sich Politologen für die Etablierung einer sogenannten Extremismusforschung aus, die auf der klassischen Totalitarismustheorie beruhte und der rechts-konservative Historiker Ernst Nolte radikalisierte letztere mit seiner Behauptung, daß der Archipel Gulag ursprünglicher als Auschwitz war, mithin der Stalinismus nicht nur "eher", sondern auch aggressiver als der Nationalsozialismus war. Daraus folgernd wurde der Überfall der deutschen Wehrmacht auf die Sowjetunion als verständlicher Präventivschlag gegen den Kommunismus interpretiert.
Der jüngste Anwendungsschub der Theorie und ihrer praktisch-politischen Komponente setzte mit der "Aufarbeitung" der DDR-Geschichte und den Verschleierungsversuchen der rassistischen Pogrome im wiedervereinten Deutschland ein.
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Die von der Bundeszentrale für politische Bildung herausgegebene Wochenzeitung "Das Parlament" widmete dem neuerlichen Sieg der Theorie und ihrer Anwendung vor drei Jahren eine Sonderausgabe. Die erste Seite ist geziert von einem Kopf mit zwei ineinandergehenden Gesichtshälften. Die Bildunterschrift lautet: "Stalin und Hitler - zwei Seiten einer Medaille." Im Titelbeitrag verkündet dann ein Jürgen Braun den Sieg der Totalitarismustheorie: "Der mit dem welthistorischen Zusammenbruch des Sozialismus verbundene Zerfall des SED-Regimes 1989/90 hat die wissenschaftliche Kritik am Totalitarismus-Begriff verstummen lassen." Paradoxerweise klagt er nicht viel weiter, daß der Begriff "Faschismus" bereits wieder die Totalitarismuskonzeption überlagert: "Fremdenfeindliche Gewalttaten werden nicht als antitotalitär bekämpft, sondern bieten den Anlaß, die Klärung der Hinterlassenschaften des zweiten totalitären Staates in Deutschland unter dem - jahrzehntelang von der SED gepflegten - Schlagwort Antifa wegzuschieben." Auch Sachsens Justizminister Steffen Heitmann weiß, wie auf der Grundlage des besagten theoretischen Rüstzeugs heute Geschichte gemacht wird: "Die DDR wird keinen Deut besser, wenn Sie sie mit der nationalsozialistischen Diktatur vergleichen. Menschenverachtende Regime waren beide. Soll man sagen, die DDR war nur deshalb besser, weil sie Juden nicht in die Gaskammer geschickt hat." Nach diesem Schema arbeiten so ziemlich alle wesentlichen Größen in diesem Land DDR-Geschichte auf, vorallem aber die nationalsozialistische Vergangenheit ab. Und quasi nebenbei gelingt es vermittels selben Theoriegerüstes rassistische und neofaschistische Übergriffe zu bagatellisieren - bei gleichzeitiger Diskreditierung der Rudimente antifaschistischer Gegenwehr. Eines der krudesten Beispiele für diese Strategie liegt schon eine Weile zurück - am Anfang der Pogromwelle -, verdeutlicht aber recht anschaulich mit welcher Unverfrorenheit das Paradigma der Totalitarismus- und Extremismus-Ansätze bemüht wurde. Bei einer Sondersitzung des Bundestags-Innenausschusses, die am 31. August 92 wegen der rassistischen Angriffe in Rostock-Lichtenhagen einberufen wurde, erklärte der damalige Innenminister Seiters: "Bei den Ausschreitungen in Rostock habe es auch erste Anzeichen für ein gemeinsames Zusammenwirken von linksextremen Autonomen und rechtsextremen Skinheads gegeben, die gemeinsam gegen die Polizei vorgegangen seien." Und der damalige parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Jürgen Rüttgers, setzte wenig später nach: "Kriminelle Horden, die Asylbewerber angreifen, Polizisten mit Steinen bewerfen oder Gedenkstätten der Judenvernichtung anzünden, greifen den Kern unseres Gemeinwesens an. Hier rotten sich rechte und linke Extremisten zusammen." Einen Monat später hieß es dann in der Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der PDS: "Nach heutigem Erkenntnisstand kann von einer Zusammenarbeit von Autonomen und rechtsextremistischen/fremdenfeindlich motivierten Straftätern nicht ausgegangen werden. Gemeinsame Aktionen und damit ein Zusammenwirken sind nicht belegt." Die faktische Richtigstellung blieb natürlich völlig unbeachtet und selbst bei mehr Aufmerksamkeit, die ihr von wem auch immer zuteil geworden wäre, durch den allgegenwärtig postulierten "antitotalitären Grundkonsens" gelang es, auch noch die mörderischste rechte Schandtat irgendwie mit der Linken in Verbindung zu bringen. (Ähnlich spektakulär war übrigens auch die Erklärung der Brandanschläge gegen Ausländer von Klaus Rainer Röhl, ehemaliger konkret-Herausgeber und Renegat der radikalen Linken, der dafür in einem Beitrag der FAZ mit der Überschrift "Lebenslüge Antifaschismus" die Stasi verantwortlich machte: "Warum sollte es keine MfS-Kader geben, die Einflüsse auf psychisch labile, verwahrloste und ohnehin gewaltbereite Jugendliche ausüben, wenn sie es für opportun halten?") Genauso erfolgreich und ebenso von der Wahrheit entfernt, sollte auch im Folgenden das, was bestenfalls noch als Rechtsextremismus bezeichnet wurde, auf den Nenner Extremismus gekürzt werden. Und der gefährlichste Extremist ist in Deutschland spätestens seit Bismarcks Sozialistengesetz der Linksextremist. Natürlich war damals eine solche Bezeichnung ungebräuchlich. Daß sie heute den Demokraten so leicht über die Lippen geht, hat nicht zuletzt seinen Grund in dem unermüdlichen Forschen sogenannter Extremismusexperten, denen es gelang, die klassische Totalitarismustheorie den zeitlichen Erfordernissen anzupassen und für alle, die sich ihrer bedienen wollen, schlicht, einfach und griffig zu machen.
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Der exponierteste Vertreter dieser Richtung ist der an der TU Chemnitz/Zwickau lehrende Professor der Politikwissenschaften, Eckhard Jesse. Zusammen mit seinem Freund und Kollegen Uwe Backes (beide verband schon ein Stipendium der CDU-nahen Konrad Adenauer-Stiftung) hat er das Definitionsrecht für politischen Extremismus seit einigen Jahren an sich gerissen. Sehr zur Freude der Bundeszentrale für politische Bildung, die das von beiden verbrochene Standardwerk "Politischer Extremismus in der BRD" in alle Landesteile kostenlos verschleudert, damit auch noch der letzte Dorfschullehrer kapiert, daß der Nazi kein Nazi ist, der Punk und der bekennende PDS-Genosse aber die Kalaschnikow zumindestens im Kopf haben. Die theoretische Erkenntnis der beiden ist auch von ihnen selber schnell auf den Punkt gebracht: "Der Begriff des politischen Extremismus soll als Sammelbezeichnung für unterschiedliche politische Gesinnungen und Bestrebungen fungieren, die sich in der Ablehnung des demokratischen Verfassungsstaates und seiner fundamentalen Werte und Spielregeln einig wissen..." Selbstverständlich füllen sie mit dem im Wissenschaftsbetrieb verlangten Firlefanz, der eine konstatierte These einbettet, ganze Bücher und nicht zuletzt Broschüren des Bundesinnenministeriums. Was ihnen aber nicht gelingt, ist die Leugnung ihrer politischen Selbsteinordnung, die angenehm offensichtlich die Intentionen ihres Forscherdrangs erhellt. Noch 1993 vermerken die beiden Experten im oben genannten Buch die aktive Rolle des Gründers der rechten Monatszeitschrift "Mut", Bernhard C. Wintzek, bei der Organisation der "Aktion Widerstand", welche die Revisionistenfront gegen die Ost-Politik Willy Brandts anführte. Damals kam es zu den größten Aufmärschen von alten und neuen Nazis seit dem Ende des zweiten Weltkrieges. Jesse und Backes kommen nicht umhin auch von den "gewalttätigen Aktionen der Mitglieder" besagter Gruppe zu berichten. Ein Jahr später schreibt Jesse dann höchstpersönlich für "Mut". In seinem Artikel beschwert er sich, daß es keine anerkannte und koalitionsfähige Partei rechts neben der CDU gäbe, die Grünen aber als linke Partei neben der SPD akzeptiert werden. Die angebliche Toleranz gegenüber dem linken Politikspektrum wird nach Jesses Meinung von einer zu harten Repression gegen die Rechte konterkariert. Diese Halluzination findet sich bei dem Extremismusforscher, der sich seine geliebte Bezeichnung schon lange selber ans Revers heften kann, immer wieder. Neulich in der FAZ: "Die extreme Rechte sieht sich einem ganz anderen Verfolgungsdruck ausgesetzt. Seit fast dreißig Jahren wurde keine linksextremistische deutsche Organisation mehr verboten, hingegen eine Vielzahl von rechtsaußen." Und deshalb sollte der Verfassungsschutz auch nicht mehr die "Junge Freiheit", die Wochenzeitschrift der "Neuen Rechten", sondern die Berliner Tageszeitung "junge Welt", ein "ohnehin klar linksextremistisches Organ", in die alljährlichen Berichte aufnehmen. Auch die PDS müsse endlich in allen Berichten des Verfassungsschutzes erwähnt werden, denn die Anzahl ihrer Wählerstimmen im Osten sieht er als Beleg für die akute Bedrohung der "wehr- und werthaften Demokratie" an. Die Auswertung des Rechtsextremismus in den neuen Bundesländern wäre dagegen unverhältnismäßig, suggeriere diese doch ständig ein hohes Niveau des rechtsextremen Potentials, obwohl die entsprechenden Parteien nur geringe Wahlerfolge zu verzeichnen hätten. Es zeigt sich, daß die Chronik rassistischer und neofaschistischer Übergriffe für ihn keine Rolle spielt. Mit dem Selbstbewußtsein eines Professors, dessen rechte Gesinnung in diesem Land niemand so richtig anstößig findet, kann er es sich leisten, an den Fakten vorbei zu polemisieren. Jesses Kritik an seiner staatlichen Lieblingsbehörde bleibt aber konstruktiv, auch wenn sie derzeit die angeblich wesentlich größere Gefahr durch die Linke nicht so wahrnehme, wie er es gerne hätte. Mit dem selben Hintergrund hatte er schon kurz vor der Bundestagswahl 1994 mit anderen Vertretern der rechts-konservativen Intelligenzia im "Berliner Appell" vor dem "Zerbrechen des nach 1989 kurzzeitig wiedergewonnenen antitotalitären Grundkonsens" gewarnt: "Vier Jahre nach der Wiedervereinigung erlebt der Sozialismus in Deutschland eine Wiederkehr." So ist denn Jesse in erster Linie ein gesinnungstüchtiger Ideologe. Einer, der die Kritiker von Ernst Nolte als Hysteriker beschimpft, der schon 1993 in dem Ullstein-Band gegen die Westbindung der BRD die "nationalmasochistischen Strömungen" in Deutschland geißelte, einer der ganz tief in die rechten Gesprächskreise und Denkzirkel eingebunden ist, und der es versteht, daß von ihm entworfene theoretische Konzept "Extremismus", der rechten Intelligenz anzudienen, um es gemeinsam gegen die vermeintliche Linke anwenden zu können.
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Die Totalitarismustheorie hat durch den Extremismus-Ansatz eine Fortführung erfahren, deren ideologischer Gehalt offen zu Tage tritt. Mit ihrer Anwendung ließ sich schon in der Vergangenheit nicht das Wesen von Faschismus und Nationalsozialismus beschreiben und heute muß sie bei der Erklärung des Rassismus und Neofaschismus versagen. Trotzdem wird der aus der Totalitarismustheorie hervorgangene Begriff "Rechtsextremismus" auch in antifaschistischen Kreisen häufig verwendet (vgl. "Handbuch deutscher Rechtsextremismus"), was den Blick auf die Tatsache verstellt, daß der Rassismus und andere Elemente des Neofaschismus nicht vom Rand, sondern aus der Mitte der Gesellschaft kommen. Die Theorie an sich ist natürlich bei der intellektuellen Rechten gut aufgehoben, sei es bei anerkannten Politikwissenschaftlern oder bei Renegaten - ehemals linksradikale Aktivisten, die ins rechte Spektrum wechselten - welche in den Medien aufgrund ihrer Vergangenheit als glaubwürdige Zeitzeugen des "Linkstotalitarismus" gelten. Von hier aus führt sie ihren Siegeszug weiter, findet ungebrochenen Beifall von den Grünen bis zu den Sozialdemokraten, von Christen und verkappten Faschisten. Das fortwährende Gerede von "wehrhafter Demokratie" und dem "antitotalitären Konsens" verschleiert kaum die anti-antifaschistische Interpretation der Geschichte und der Gegenwart. Wem der Vorwurf des "Linksfaschisten" o.ä. leicht von den Lippen geht, der ist dem Mainstream näher als er vielleicht glaubt und verbaut sich vorallem eins nicht - eine Karriere in diesem Land. ulle

©1997/07/21 Conne Island
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Ergänzungen

Macht-Elite und Nomenklatura

Marat&Kumpanei 14.03.2003 - 11:33
Diese "Macht-Elite" nannte man früher "Nomen"-Klatura", die Gruppe, die die Macht hat, den Dingen, Personen, Handlungen "Namen" zu geben. Gut-Böse, Freiheitskämpfer-Terrorist, Linksextermist-Rechtskonservativer, Freispruch-Haft!
Nur bezog sich das von der BRD-"Nomenklatura" damals auf die Sowjet-"Nomenklatura" - weil bei uns gibt's nur "Verantwortungsträger"!